Fahrbericht Can-Am Ryker (2023)
Folgt Form Funktion?

Sie haben keinen Motorradführerschein und wollen trotzdem so offen und schnell unterwegs sein wie Biker? Can-Am kombiniert die Power eines Kleinwagens mit dem Gewicht eines Motorrads. Wir sind das aktuelle Topmodell des Dreirads Ryker gefahren.

Can-Am Ryker Fahrbericht Los Angeles 2023
Foto: Mike Emery / Patrick Lang

Der Führerscheinzusatz B196 ist ein Plan der Bundesregierung, um Pendler zum Umstieg von vier auf zwei Räder zu bewegen. Can-Am hat einen Zwischenschritt im Portfolio, der keinen Extra-Besuch in der Fahrschule erfordert, weil der Ryker auf drei Rädern daherkommt und mit dem regulären Auto-Führerschein bewegt werden darf. Der Look des Fahrzeugs ist mindestens kurios – doch wie steht es um die dynamischen Qualitäten? Can-Am hat einige Rykers auf einem Parkplatz am Pacific Coast Highway in Los Angeles bereitgestellt, damit wir genau dieser Frage nachgehen können. Warum die Wahl der Szenerie und Route besonders clever ist, klärt sich am Ende im Fazit.

Unsere Highlights

Die Technik

Zunächst ein Blick auf die technischen Gegebenheiten: Im Top-Ryker steckt ein Rotax-Dreizyilinder mit 900 Kubik und 82 PS, die Einsteigerversion muss mit zwei Zylindern, 0,6 Liter Hubraum und 50 PS auskommen. Beide eint ein stufenloses CVT-Getriebe inklusive Rückwärtsgang, ein klassischer Motorradlenker mit Gasgriff und die Kombination aus Doppel-Querlenker-Vorderachse und Multilink-Einarmschwinge hinten. Gebremst wird mit dem rechten Fuß. Alle drei Reifen spannen sich über 16-Zöller, wobei das Hinterrad mit der Dimension 205/45 Kompaktwagenrad-Ausmaße annimmt.

Der Parkplatz und Startpunkt der Tour taugt zum kurzen Eingrooven auf das spezielle Fahrzeuglayout. Einen Hinweis kriegt der Ryker-Reiter gleich zu Beginn: Weil das Fahrzeug auch im Stand nicht umkippen kann, gehören die Füße immer auf die Rasten. Da braucht man sie dann auch zum Starten. Vorher sind aber ein paar überraschende Verrichtung in korrekter Reihenfolge auszuführen: Der eigentümlich geformte Schlüsselersatz muss zunächst auf einem runden Köpfchen in der Nähe des Ortes sitzen, wo man einst den Benzinhahn vermutet hätte. Dann muss der Not-Aus-Schalter auf "An" stehen, der Gasgriff kurz nach vorne gedreht werden, der rechte Fuß auf der Bremse stehen und gleichzeitig der Anlasserknopf gedrückt werden.

Der Rotax-Dreizylinder erwacht zum Leben und verfällt in einen stabilen Leerlauf bei 800 U/min. Aber Losfahren geht immer noch nicht: Erst will noch die Feststellbremse – ein kleiner unscheinbarer schwarzer Hebel in der Nähe des Schlüssels – gelöst werden. Die "Handbremse" braucht’s, weil sich das CVT-Getriebe nicht durch Einlegen eines Ganges blockieren lässt. Drum piept der Ryker auch ziemlich impertinent, wenn der Fahrer den Motor abstellt und nicht sofort die Bremse schließt.

Die Performance

Danach geht es im Konvoi auf den legendären Pacific Coast Highway. Wir starten an der Grenze von Santa Monica und fahren in Richtung Malibu. Das bedeutet entspanntes Cruisen auf der sanft geschwungenen Straße bei überwiegend 80 km/h. Zeit, sich auf Komfort und Durchzug zu konzentrieren, die Kurven kommen später. Die Werkangabe von 8,5 Sekunden für den 0-100-Sprint wird dem Fahrgefühl nicht gerecht. Speziell bis 50/60 km/h zieht der Ryker beherzter durch, als das Datenblatt suggeriert. Die Gefahr, durch ein Aufsteigen nach hinten abgeworfen zu werden, besteht nicht. Schließlich hält ein Großteil der insgesamt 285 Kilo Fahrzeuggewicht die Vorderachse am Boden.

Das CVT-Getriebe verbindet Räder und Motor beim Losfahren eher ruppig, das wirkt fast wie eine Klauenkupplung. Wer will, bringt das von einer Kardanwelle angetriebene Hinterrad auf dem Asphalt zum Pfeifen oder auf losem Grund zum Dreckwerfen. Unruhig wird es, wenn die Straße größere Verwerfungen für den Ryker bereithält. Vor allem, wenn ein Rad Unebenheiten nachgeht, überträgt sich das auf den Lenker und der Fahrer muss zusätzlichen Aufwand betreiben, um die Richtungsstabilität beizubehalten. Insgesamt bleibt der Fahrkomfort überschaubar, oder diplomatischer ausgedrückt: rückmeldungsintensiv.

Can-Am Ryker Fahrbericht Los Angeles 2023
Mike Emery
Asphaltverwerfungen gibt es Ryker spürbar an den Fahrer weiter.

Rein akustisch wirkt der Dreizylinder kräftig und leistungsbereit, läuft aber immer etwas rau. Erst ab 5.000 U/min tönt er befreit und drehfreudig. Leider bringt er dabei auch alle umgebenden Teile zum Dröhnen. Dazu mischt sich das Laufgeräusch des CVT-Getriebes mit einem heulenden Unterton, vor allem, wenn man bei niedrigeren Geschwindigkeiten vom Gas geht. Funktional ist dem Getriebe zwar sonst wenig vorzuwerfen, aber so sportlich bewegt wünscht man sich für den Ryker dennoch eine manuelle Schaltung. Zugegeben: Es ist schwer vorstellbar bei der intensiven Arbeit am Lenker dort auch noch einen Kupplungshebel zu bedienen und mit dem linken Fuß einen Ganghebel. Vielleicht würde das immerhin dem Verbrauch guttun – auf der zugegeben meist engagiert absolvierten Testfahrt lag er durchgehend bei rund acht Liter.

Die Fahrdynamik

Nach einigen Kilometern nordwärts geht es rechts ab ins hügelige Umland von Los Angeles. Die Straße ist nicht minder legendär: der Mullholland Highway. Mit der Topografie und Routenführung steigt die Herausforderung. Fahrdynamisch ist der Ryker vor allem für Motorrad-, aber auch für Gelegenheitsradfahrer gewöhnungsbedürftig: Mit den zwei Rädern vorne neigt er sich in Kurven nach außen, also genau anders als beim klassischen Zweirad. Die kognitive Dissonanz rührt dabei vom Lenker, wie ihn jeder Biker kennt. Außerdem kommen sich, wie beim Kinder-Dreirad, Hüfte und Lenkerende umso näher, je enger und schneller die Kurve – zumal die Sitzhöhe von knapp 60 Zentimeter eher Chopper- als Enduro-like ist. Das ist gut für einen niedrigen Schwerpunkt.

Die Vorderräder kleben indes auch auf schlechten Straßen wie Kaugummi am Asphalt und ziehen den Ryker selbst bei hohen Kurvengeschwindigkeiten wie auf Schienen um Biegungen jeder Art. Der Fahrer kann beim Anpeilen des Kurvenscheitels der Aufhängung schön bei ihrer emsigen Arbeit zusehen. Das ist wirklich beeindruckend. Beängstigend für den Ryker-Neuling ist allenfalls die teilweise beträchtliche Seitenneigung, die den Fahrer zum Knicken des Oberkörpers Richtung Kurvenmitte bringt und ihm meist so viel Respekt einflößt, dass er die Haftgrenze der zwei 145er-Vorderreifen nicht erreicht – besonders, wenn die Straße zum Außenrand hin abfällt. Angst vor einem Umkippen des Dreirads ist aber unbegründet: Erstens liegt der mentale Neigungssensor im Kopf des Fahrers viel höher als der Schwerpunkt und schlägt zeitig Alarm. Zweitens hat der Ryker auch eine elektronische Stabilitätskontrolle, die ihn einfängt, sollte ein Rad abheben.

Gewöhnungsbedürftig sind die enormen Haltekräfte: Während am Motorradlenker ein leichter Zug an der Kurveninnenseite genügt, empfiehlt sich beim Ryker auch ein kräftiger stabilisierender Druck am kurvenäußeren Lenkerende – und zwar so lange der Kurvenradius anhält. Eine Servolenkung wie ein Auto hat der Ryker nicht. Spontan bewegen sich die Vorderräder nur bei kleinen Lenkbewegungen um die Mittellage. Die zahlreichen langgezogenen Kurven auf den hügeligen Straßen während der Testfahrt entpuppten sich am Ende als veritables Workout, denn der Fahrer muss sich zudem mit den Oberschenkeln gegen die Fliehkraft abstützen. Gut, dass eine Pause am legendären Biker-Treff "Rock Store" eingeplant ist. Und vielleicht auch gut, dass wir außerhalb der regulären Öffnungszeiten dort aufschlagen, denn waschechte Biker dürften das Dreirad erstmal mit Argwohn begutachten.

Can-Am Ryker Fahrbericht Los Angeles 2023
Mike Emery
Der Rock Store ist ein legendärer Biker-Treff am Mullholland Highway. Hier wurden auch zahlreiche Hollywood-Filme gedreht.

Wer sich erstmal an die Besonderheiten gewöhnt hat, kann mit dem Ryker sehr schnell sein und höhere Kurvengeschwindigkeiten erreichen als mit einem Motorrad – die haftende Reifenfläche ist einfach erheblich größer und speziell die bei der Rally Edition verwendeten Feder-(Gasdruck)-Dämpferelemente von KYB sorgen für intensiven Fahrbahnkontakt. Das ABS und die nicht abschaltbare Stabilitätskontrolle sorgen dabei elektronisch für Sicherheit, ohne selbst bei rüderen Manövern unangenehm aufzufallen.

Optionen und Preise

Auffälligkeit ist etwas, das man dem Ryker insgesamt jedenfalls kaum absprechen kann. Zum skurrilen Dreirad-Layout kommen mannigfaltige Individualisierungsmöglichkeiten. Um den Design-Gedanken zu unterstreichen, hat Can-Am in Kooperation mit der Kreativ-Truppe "The Shoe Surgeon" in Los Angeles drei Sondermodelle gezeigt, die für einen guten Zweck versteigert werden sollen. Zu jedem der drei umgestalteten Ryker gibt es ein passendes Outfit inklusive handgearbeiteter Sneaker.

Can-Am Ryker Fahrbericht Los Angeles 2023
Mike Emery
Die drei von "The Shoe Surgeon" umgestalteten Einzelstücke werden für den guten Zweck veräußert.
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Drei
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Vier
Hennessey VelociRaptor 6x6 auf Basis Ford F-150
ALLE!

Serienmäßig haben die Kunden ebenfalls die Wahl zwischen drei Modellen, deren Gestaltung sie allerdings selbst in die Hand nehmen müssen. Los geht es beim Basismodell ab 11.900 Euro. Umfangreichere Ausstattung wie etwa die KYB-Gasdruckdämpfer und schickere Felgen bieten die höher positionierten Modelle Sport (ab 14.900 Euro) und Rally (ab 16.700 Euro). Mit ein paar Griffen in den Farbtopf landet der geneigte Käufer mühelos jenseits der 20.000 Euro.

Viel Geld für ein – ja was denn eigentlich? Motorisiertes Spielzeug? Eine Art Zweitwagen? Motorrad-Ersatz? Vorrangig wohl ersteres. Fahrdynamisch lässt sich kein Vorteil zum Zweirad erkennen, das zudem das involvierendere Erlebnis bietet. Beim Komfort wiederum kann der Ryker keinem Cabrio das Wasser reichen. Zu trocken sind die durchgereichten Stöße, zu unpraktisch die vorgeschriebene Motorradkleidung. Und trotzdem sorgt das Dreirad für gute Laune. Mit kräftigem Antritt, einfacher Handhabung und dem extravaganten Auftritt. Ein Vehikel für Individualisten – und das bringt uns zum Fazit.

Fazit

In ein Umfeld wie Los Angeles passt so ein Can-Am Ryker perfekt. Selbst in einer Stadt, deren Bewohner sicher schon viel Verrücktes zu Gesicht bekommen haben, dreht das Dreirad die Köpfe. Entspanntes Cruisen entlang der Pazifikküste, Palmen, Sonne – so geht das Konzept auf. An Orten wie der Stuttgarter Innenstadt dürfte der Ryker dagegen herzlich deplatziert wirken. Insofern hat Can-Am bei der Wahl der Rahmenbedingungen dieser Fahrpräsentation das richtige Gespür bewiesen.

Unter rationalen Gesichtspunkten verbindet der Ryker die Nachteile von Motorrad und Auto: Er bietet keinen Wetterschutz, verlangt Helm und Schutzkleidung, bietet kaum Stauraum und nur so viel Geräuschkomfort, wie der Helm ihn gewährt, verhindert aber das In-die-Kurve-Legen und seine Spurbreite lässt ihn wie ein Auto im Stau stehen. Bei den Fahrleistungen verliert er selbst gegen Mittelklasse-Motorräder. Der Zusammenhang von Form und Funktion ist demnach kein erstklassiges Kaufargument.

Aber der Ryker will ja ein reines Spaßgerät sein – und Spaß machen kann er. Vermutlich eher abenteuerlustigen Autofahrern als Motorradfahrern, die weniger Sturzgefahr suchen – denn das Kurvenfahren ist sehr viel anders als beim klassischen Zweirad. Gegenüber dem Auto aber bietet der Ryker das intensivere Fahrerlebnis mit dem Voll-Cabrio-Feeling des Zweirads, enormes Kurvenvergnügen und die bessere Beschleunigung als die meisten Autos. Und immerhin: Der Biker-Gruß von entgegenkommenden Motorradfahrern wird dem Ryker zuteil.

Die aktuelle Ausgabe
AUTO MOTOR UND SPORT 11 / 2024
AUTO MOTOR UND SPORT 11 / 2024

Erscheinungsdatum 08.05.2024

148 Seiten