Das Geheimnis des Toyota Century
Fahren wie der Kaiser

Japans einzige Limousine mit V12-Motor wird seit Jahrzehnten gebaut – eine pro Tag, von nur vier Mechanikern. Die nennen ihn das beste Auto der Welt. Was macht den Toyota Century so außergewöhnlich, dass sich sogar Japans Kaiser darin chauffieren lässt?

Toyota Century, Japan, Impression, Luxusklasse
Foto: Arturo Rivas

Ein opulent verglaster Architektentraum? Nein. Liebenswert nostalgische Backsteinbauten? Nein. Eine Erlebniswelt? Nun, das kommt darauf an, welches Erlebnis erwartet wird. Wer auf Kaffeekränzchen in der überhitzten Wohnung der Großtante stand, dürfte den Empfangs- und Bürotrakt des Werks von Toyota Motor East Japan als Erlebnis empfinden.

Der Industriekomplex steht in Susono City, Präfektur Shizuoka, eineinhalb Autostunden südöstlich von Tokio, und erstreckt sich auf einer Fläche von 268.000 Quadratmetern. Nüchterne Industriebauten, kein pompöser Eingangsbereich, eher spärliches 70er-Jahre-Ambiente, der Konferenzraum mit gefährlich gemustertem Teppich ausgelegt, der im Schatten dunkelhölzerner Möbel sehnsüchtig auf Ablösung wartet.

Erste Generation des Toyota Century kam 1967 auf den Markt

Hier also montieren ebenso fleißige wie stolze Arbeiter den Toyota Century, das beste Auto der Welt – sagen sie. Die Limousine bewegt sich mit ihrem Fünfliter-Zwölfzylinder-Triebwerk und dem, nun, recht konservativen Design in einer anderen Zeit, nein, sie nutzt sie auch für sich. Die erste Generation mit dem Phoenix als Markenzeichen kam 1967 auf den Markt. Und kaum vergingen 30 Jahre, zog Toyota das Tuch von der zweiten Generation – die bis heute nahezu unverändert gebaut wird. „Natürlich führen wir Änderungen durch, alle zwei bis drei Jahre“, sagt Masato Tanabe, Chefentwickler des Century. Was die letzten Modellpflegemaßnahmen waren? Die Einführung einer Rückfahrkamera und eines digitalen TV-Empfängers. Weshalb auch Designänderungen durchführen, die umständlich erklärt werden müssen, weil man sie auf den ersten Blick nicht sieht? Eben.

Und Downsizing? Ein V12 sei nun mal das Nonplusultra, wenn es um beste Laufkultur und sanfte Kraftentfaltung geht, betont Tanabe, und recht hat er. Damit muss der Century in einem Konzern bestehen, der gerade für sich den Fahrspaß wiederentdeckt hat, bezahlbare Sportcoupés wie den GT86 entwickelt, eine neue Fahrzeugarchitektur entwirft, bei der die Reduzierung des Hüftpunkts im Vordergrund steht, und zusammen mit BMW an einem weiteren Sportwagen arbeitet. Im Fond der 5,27 Meter langen Limousine nehmen hingegen Lenker großer Konzerne und eben der Kaiser persönlich Platz, wenngleich in einem spezielleren Century. Nur ganz selten greifen Privatiers ins Steuer, einige Ärzte und Rechtsanwälte gönnen sich das Vergnügen.

Sie bezahlen umgerechnet knapp 92.000 Euro für das weitgehend hightechfreie Vergnügen – ein voll ausgestatteter Lexus LS kommt teurer, bietet jedoch nicht das spezielle Komfort-Erlebnis. Es beginnt beim Century bereits mit dem Einstieg in den Fond. Schweller und die flauschige Auslegeware gehen ohne Absatz ineinander über, die aufrechte Karosserieform erspart dem Fahrgast unbotmäßige Verbeugungen.

Die Braut war schuld

Als Maßstab dienten übrigens bei der ersten Edel-Limousine der Japaner, dem Crown RS 10 von 1955, japanische Bräute, deren üppiger traditioneller Kopfschmuck beim Einsteigen bleiben sollte, wo er war. Klingt irgendwie liebenswürdiger als die trockene Adenauer-darf-den-Hut-aufbehalten-Nummer, die dem Mercedes 300 den Status einer Kanzlerlimousine verschaffte, oder?

Mühelos lässt sich also auf dem hinteren recht … halt – linken Einzelsitz Platz nehmen. Sind die Beine vom Repräsentieren, Regieren oder Referieren müde? Kein Problem, einfach ausstrecken, denn ein Teil der Rückenlehne des Beifahrersitzes kann als Durchreiche nach vorne geschubst werden. Das 280 PS starke Triebwerk läuft bereits, unmerklich, woran sich auch in Fahrt nichts wesentlich ändert, mal säuselt, bei Anstrengung murmelt es, immerhin wollen knapp 2,1 Tonnen bewegt werden.

Daran haben übrigens vier Personen gearbeitet, jedes Anzugsdrehmoment der wichtigsten Schraubverbindungen penibel dokumentiert und vermutlich eine Flasche besten Sake aufgemacht, wenn sie dabei exakt den Sollwert trafen. Nach der Hochzeit von Karosserie und Antriebsstrang überprüft einer von ihnen die Schwingungen der Kardanwelle, hebt dazu an den unteren Querlenkern die Antriebsräder an, lässt den Motor mit 2.800/min drehen. Ein Computer überprüft die Vibrationen, fordert gegebenenfalls das Anbringen eines Auswuchtgewichts – von einem Gramm.

Frisches Grau und pfiffiges Blau

Auf die Karosserie wurden längst die sieben Lackschichten aufgebracht, die oberste Farbschicht allein dreimal aufgetragen und poliert, nacheinander. Die Vielfalt in der Farbkarte reicht von einem frischen Grau über ein pfiffiges Dunkelblau bis hin zum zeitlosen Schwarz. Weiß? Nicht vorgesehen, sonstige Extravaganzen ebenfalls nicht.

Dafür zählt allerdings eine Chromstoßstange zum Serienumfang, an deren Oberfläche rund eineinhalb Stunden penibelst poliert wird. „Natürlich denken wir über einen moderneren Nachfolger nach. Aber ich bin mir sicher, dass unsere Kunden beispielsweise ein voll animiertes Cockpit nicht schätzen würden“, erklärt Tanabe. Nicht schlimm, denn bereits nach den ersten Metern ist klar, was die Kunden schätzen: das große Nichts. Kein Poltern, kein Stoßen, keine Geräusche, kein überzogener Agilitätsanspruch. Stattdessen: Ruhe. Allein die schlauchbootige 225/60-16-Bereifung verdeutlicht auf subtile Weise die Ausrichtung des Century, das filigrane Design der Felgen ebenfalls – es gibt sicher Personal, das sich um deren Pflege kümmert.

So wogt der Toyota Century in Sichtweite des Mount Fuji über Landstraßen, der Sitz massiert, das Ewiggestrigen-Gen, das in jedem von uns schlummert, freut sich über den Anblick des Kassettenlaufwerks im, tja, Infotainment-System. Der Fahrer indes blickt in einen Briefkastenschlitz, der ihm die wesentlichen Informationen darbietet, teils analog, teils digital. Und ja, die ewige Digitaluhr, über Jahrzehnte Geißel aller Toyota-Modelle, erhellt auch dieses Interieur mit ihren waldmeistergrünen Ziffern.

Ha! Jetzt, ja jetzt muss es wohl passiert sein, das Automatikgetriebe wechselte eben von Stufe fünf auf vier, der Bug hebt sich mit gebotener Würde, der Oberkörper der Insassen versinkt in der Polsterung. Untermotorisiert wirkt er nun wirklich nicht, vielleicht liegt es aber auch am sanftmütig-japanischen Umfeld, dass die Limousine kraftvoll zu beschleunigen scheint.

Sicherheitshalber gaben ihm die Entwickler für jede Zylinderbank ein eigenes Steuergerät samt Kraftstoffpumpe mit, sodass ein Fortkommen der Herrschaften sichergestellt ist, sollte die Technik einmal pöbelhaft den Dienst versagen. Das passiere aber eigentlich nie, versichert Tanabe, und ergänzt nicht ohne Stolz, dass rund 8.000 der 9.649 bislang produzierten Century nach wie vor auf Japans Straßen rollen.

Ein Toyota Century-Händler pro Präfektur

Die meisten, ungefähr 70 Prozent davon, allerdings in und um Tokio, weshalb dort auch mehrere Händler Verkauf und Wartung übernehmen. Sonst kümmert sich pro Präfektur nur einer darum. Bevor jedoch ein Toyota Century ausgeliefert wird, muss er eine standardisierte Testfahrt auf einer werkseigenen Strecke absolvieren. Bilder an einer üppig bestückten Devotionalienwand im Werk illustrieren das, auf einem sieht man die mit Ingenieuren voll besetzte Limousine.

Sie alle tragen dabei lustige Helme, die an den Eierschalenhut des Zeichentrick-Kükens Calimero erinnern, und wirken sehr ernsthaft konzentriert auf ihre Arbeit. Das erscheint schrullig, wie vieles am und um den Century – wohl aber nur aus europäischer Sicht –, und passt so zum altmodischen Ambiente des Werks. Ob denn nie ein Kunde der Produktion seines Century beiwohnen möchte? Chefentwickler Tanabe schüttelt verständnislos den Kopf.