Ferrari F12 Berlinetta im Fahrbericht
Stärkster Straßen-Ferrari aller Zeiten

Der Ferrari F12 Berlinetta ist kleiner und leichter als sein Vorgänger 599 GTB Fiorano und mit 740 PS der stärkste und schnellste Straßen-Ferrari aller Zeiten. Wir haben den Sportwagen im Fahrbericht.

Ferrari F12 Berlinetta, Frontansicht
Foto: Hans-Dieter Seufert

Na also, geht doch. Nachfolger müssen nicht zwanghaft größer werden – Sportwagen sowieso nicht. Ferrari geht beim neuen Super-GT mit gutem Beispiel voran: Der Ferrari F12 Berlinetta ist 4,7 Zentimeter kürzer, zwei schmaler und 6,3 flacher als sein Vorgänger, der 599 GTB Fiorano.

Dass gerade die V12-Modelle für Überraschungen gut sind, sollte eigentlich klar sein. Schließlich haben sie den Ruhm der Marke begründet, der sich aus anbetungswürdigen Karosserien, heißblütigen Motoren und technischen Innovationen zusammensetzt. Allerdings überholten spätestens seit dem Ferrari 355 GTB in den Neunzigern die Achtzylinder an Faszination den jeweils großen Bruder – egal, ob er 550 Maranello, 575M oder eben 599 GTB Fiorano heißt. Letztere wurden größer und behäbiger, zum Ausgleich natürlich immer stärker, entfremdeten sich aber vom Ideal eines Sportwagens. Das hat eher eine gesetztere Klientel angelockt. Eine Zäsur innerhalb dieser Entwicklung bildet sicherlich der Ausnahme-Athlet Ferrari 599 GTO von 2010, den Technikchef Roberto Fedeli bei der Konzeption als fahrdynamischen Maßstab für die neue Zwölfzylinder-Generation ausrief.

Ferrari F12 Berlinetta trägt keine Kämpfer-Tracht

Diese Ankündigung sollte die Erwartungshaltung eigentlich hochschrauben, wäre da nicht die etwas bremsend wirkende Erfahrung mit den Vorgängern. Andererseits hat der Ferrari F12 Berlinetta bei der Enthüllung mit seiner skulpturalen Attraktion das Begehren entfacht. Und so driftet der Geist am Morgen im indifferenten Zwiespalt, der sich kaum artikulieren ließe – in dem Bewusstsein, gleich einen Ferrari fahren zu dürfen. Einen mit 740 PS.

Kaum zu glauben, dass das der stärkste Straßen-Ferrari aller Zeiten ist – mit einer Leistung auf dem Niveau aktueller Formel 1. Es gab den F40, F50 und den Enzo, alle trugen wilde Kämpfer-Tracht, waren sofort als Heißsporne zu erkennen. Und die soll der flügellose Ferrari F12 Berlinetta in den Schatten stellen?

Fiorano, Boxengasse. Der 6,2-Liter läuft tief summend warm. Er basiert in seinen Grundzügen auf dem Enzo- und dem 599-Triebwerk, hat jetzt aber die durstzügelnde Direkteinspritzung: 30 Prozent niedrigerer Verbrauch als im Vorgänger. Beim Losfahren bleibt der Ton sauber, ist im Innenraum präsent, nicht aufdringlich. Selbst als sich bei Vollgas die Auspuffklappen des Ferrari F12 Berlinetta öffnen, krakeelt der Zwölfzylinder nicht wie im 599 GTB los, sondern kippt wie ein Rock-Sänger ins melodiöse Schreien. Vergleichbar mit Metallicas Orchester-Version von „Nothing else matters“.

Formel 1-artiges Heulen von außen

Von außen mischt sich mit zunehmender Drehzahl ein Formel 1-artiges Heulen bei, innen dagegen schwillt das typische Gurren eines großvolumigen Ansaugtrakts an. Zwei Hörrohre transportieren es als Verstärker zur Spritzwand auf Höhe der A-Säulen, was weder aufgesetzt noch synthetisch klingt. Im Gegenteil: Der V12 des Ferrari F12 Berlinetta kommt beim Sound seinen legendenbildenden Urvätern wieder näher.

Inklusive eines Hauchs von Kreischen, schließlich schnalzt die Drehzahl bis 8.700/min. Kaum vorstellbar, dass hier zwölf Riesen-Kolben durch die Brennräume flutschen. Sie reagieren aufs Gaspedal wie unter Vorahnung: Die bewegte Masse scheint beim Ferrari F12 Berlinetta auf das Minimum eines Rennmotors reduziert. Wer im Leerlauf Gas gibt, erschrickt fast über den Satz der Drehzahl.

Kraftentfaltung ohne fatales Überraschungsmoment

Noch einmal beweist der Saugmotor seine feinnervige Faszination, gegen die selbst modernste Turbos wie Grobmotoriker wirken. Sie trägt entscheidend zur einfachen Fahrbarkeit des Ferrari F12 Berlinetta bei: Die Kraft entfaltet sich linear ohne Löcher und Plateaus, kennt kein fatales Überraschungsmoment oder Nachschieben, wenn die Drosselklappen längst geschlossen sind.

740 PS bauen sich nicht schlagartig, sondern mit unnachgiebiger Beharrlichkeit auf. So feilt man schon in der zweiten Runde in Fiorano an der Ideallinie, verlagert den Bremspunkt gleich optimistische zehn Meter weiter nach vorn – weil alles wie von selbst geht und es der Ferrari F12 Berlinetta mit sich machen lässt. Und weil nun endlich das Pedal der Keramikbremse einen weiten Druckbereich hat.

Unerschütterliche mechanische Traktion der Mehrlenker-Hinterachse

Erstmals verteilt bei der V12-Reihe ein elektronisch gesteuertes Differenzial das Drehmoment an der Hinterachse. Damit ist die mechanische Traktion der Mehrlenker-Hinterachse unerschütterlich – bis zu dem Punkt, an dem der Fahrer bei abgeschaltetem ESP nach einem Drift verlangt. Doch selbst dann lässt sich der Übermut dosieren, wie es ausschließlich mit einem perfekt ausbalancierten Chassis geht. Weil der Motor komplett hinter der Vorderachse kauert, lasten nur 46 Prozent der vollgetankt 1.630 Kilogramm darauf. Generell legten die Ingenieure den Schwerpunkt inklusive der Sitze im Vergleich zum 599 deutlich tiefer und sparten am Aluminium-Chassis 50 Kilogramm Gewicht. Insgesamt soll der Ferrari F12 Berlinetta 70 Kilogramm leichter sein als sein Vorgänger.

Das Gefühl des Eingebundenseins ähnelt dem des mittelmotorigen 458 Italia. Weil der Fahrer im Zentrum der Rückmeldungen sitzt, kann er das Potenzial des Ferrari F12 Berlinetta auch auf der Landstraße voll nutzen. Allerdings soll das dort zulässige Tempo bei einem stehenden Start unter optimalen Bedingungen schon nach 3,1 Sekunden erreicht sein, was zum Teil der zackigen Schaltstrategie des Siebengang-Doppelkupplungsgetriebes geschuldet ist.

Anschmiegsamem Komfort im Ferrari F12 Berlinetta

Je schlechter die Straße wird, je stärker man Gas gibt, umso mehr saugt sich der Ferrari F12 Berlinetta fest, weil er sämtliche Unebenheiten in den Tiefen seiner adaptiven Stoßdämpfer aufnimmt und nicht an das Chassis weitergibt. Diese Spreizung zwischen anschmiegsamem Komfort und ambitionierter Straffheit bietet weder ein Mercedes CL 65 AMG noch der Lamborghini Aventador. Der Ferrari F12 Berlinetta beherrscht sogar den schwingenden Tanz des kleineren 458 Italia, gesteuert über Lenkkorrekturen, die dank direkter Übersetzung von 1:11,5 minimal ausfallen. So schlängelt er sich durch die Hügel und wuchtet sich dank 690 Nm energisch aus dem Scheitelpunkt.

In Fiorano beschert ihm sein Können die Krone des schnellsten Straßen-Ferrari aller Zeiten. In einem Rennen würde er den Supersportler Enzo pro Runde um zwei und den 599 GTO noch um eine Sekunde abledern. Während beide den Ritt auf des Messers Schneide in rasendem Puls und Adrenalin-Überschwemmung spüren lassen, fühlt sich der Fahrer im Ferrari F12 Berlinetta Berlinetta niemals überfordert. Schnell macht den Frontmotor-Zweisitzer, dass er gerade nicht extrem, sondern ausgeglichen ist. Er ruht in sich wie ein Buddhist, ganz in der selbstbewussten Gelassenheit, nichts beweisen zu müssen – und doch alles zu können.

Technische Daten
Ferrari F 12 Berlinetta
Grundpreis268.328 €
Außenmaße4618 x 1942 x 1273 mm
Kofferraumvolumen320 bis 500 l
Hubraum / Motor6262 cm³ / 12-Zylinder
Leistung545 kW / 741 PS bei 8250 U/min
Höchstgeschwindigkeit340 km/h
Verbrauch16,3 l/100 km
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AUTO MOTOR UND SPORT 11 / 2024
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Erscheinungsdatum 08.05.2024

148 Seiten