Ferrari FF im Fahrbericht
Was kann der erste Allrad-Ferrari?

Der Ferrari FF kann Sitze klappen wie ein Kombi, per Allrad durch den Schnee driften und vier Personen bequem transportieren. Kann der Alleskönner-Ferrari auch im Alltag überzeugen? Der Fahrbericht gibt die Antworten.

Ferrari FF
Foto: Hans-Dieter Seufert

Drücken Sie mal Ihren Zeigefinger fest gegen den Daumen. Wenn Sie jetzt kräftig schnippen, wissen Sie, wie es sich anfühlt, mit dem neuen Ferrari FF aus einer Kurve zu feuern. Jetzt stellen Sie sich noch vor, die beiden Finger würden 1,8 Tonnen wiegen, und Sie haben eine ungefähre Vorstellung davon, welch grandiose Ingenieursleistung es erfordert, Italiens heißestes Viersitzer-Pferd leicht wie ein hohles Titanpleuel wirken zu lassen.

Ausgeklügeltes Antriebslayout

Wer Autofahren mag, muss den Ferrari FF lieben, selbst wenn er aussehen würde wie ein ausgelatschter Turnschuh. Tut er aber nicht. All die ersten Zweifel an der gewagten Pininfarina-Form verfliegen, wenn man vor dieser gekonnt-gewagten Skulptur steht, neugierig in den majestätischen Chromgrill guckt, die typisch geschwungenen Kotflügel streichelt und mit einem anerkennenden Nicken das gewaltige Heck akzeptiert.

Mit dem Ferrari FF hat sich Ferrari neu erfunden, ohne an den eigenen Grundfesten zu rütteln. Ein modernes Statement im Zeichen der Vier oder im Scuderia-Latein: Ferrari Four, kurz FF. Damit sind nicht nur die vier Sitze gemeint – dazu kommen wir noch -, sondern vor allem der Vierradantrieb. Noch auf dem Genfer Automobilsalon im März war es herrlich anzuschauen, wie Ingenieure aller Marken vor dem komplizierten Antriebslayout des Ferrari FF knieten, die Zahnrädchen zählten und mit ihren Blicken fragten: Geht das? Si, certo – ja, sicher!

Als hätte der Ferrari FF einen Enterhaken in den Scheitelpunkt der Kurve gerammt, stürmt er auf Gasbefehl wie am Stahlseil verankert um das Rund. Die neue, direktere Lenkung erfordert nur feine, kleine Lenkbewegungen, und nicht mal Spitzkehren zwingen zum Umgreifen. Ferrari 458 Italia-Piloten kennen dieses süchtig machende Einlenkgefühl.

Ferrari FF zu 95 Prozent ein Heckbiest

Was sie nicht kennen, ist, dass ein Ferrari – in den physikalischen Grenzen – diese Agilitätsparty sogar auf Niedrig-Grip-Belag wie Schnee feiert. Nur in langgezogenen Kurven wirkt die Lenkung des Ferrari FF etwas zu leichtgängig. „Haben wir schon erkannt“, lächelt Ferrari-Präsident Luca di Montezemolo, „wir werden den Widerstand um zehn Prozent erhöhen.“

Die Scuderia hat mit dem Ferrari FF kurzerhand altbekannte Allrad-Zöpfe abgeschnitten, die übliche Verbindung zwischen Vorder- und Hinterachse über ein Mittendifferenzial durchtrennt, ein Siebengang-Doppelkupplungsgetriebe in für Ferrari klassischer Transaxle-Anordnung mit integriertem Torque-Vectoring-Differenzial an die Hinterachse geschnallt und ein weiteres Getriebe direkt vorne an die Kurbelwelle gepfropft.

Diese so genannte Power Transfer Unit (kurz PTU) klinkt sich im Ferrari FF in die Antriebsarbeit ein, wenn die Hinterräder vor lauter Kraft mangels notwendiger Traktion durchdrehen oder es fahrdynamisch erforderlich ist. Was selten genug passiert: 95 Prozent der Zeit ist der Ferrari FF ein reines Heckbiest. Zusammen heißt das Getriebe-Duo im Scuderia-Latein übrigens 4RM.

Doch damit nicht genug. Während der Rest der allradgetriebenen Automobilwelt die Kräfte maximal an der Hinterachse voll variabel verteilt und die Power vorne per Bremseingriff einregelt (zum Beispiel Audi RS5), jongliert der Ferrari FF mit seinem E-Differenzial hinten und der zur Kraftverteilung mit zwei nassen Kohlefaserkupplungen bestückten PTU vollaktiv mit allen vier Rädern. Der Spielraum beim Kampf gegen lähmendes Untersteuern und ungewolltes Übersteuern wächst beträchtlich, ESP wird zweitrangig.

Durch die aufwendige Antriebsteilung bringt der Ferrari FF aber auch bei der Gewichtsverteilung hervorragende Voraussetzungen für superbe Agilität und Traktion mit: 53 Prozent der Last drücken auf die Hinterachse, und der Front-Mittelmotor liegt weit hinter den Vorderrädern. Mechanisch perfekt vorbereitet, lernt Ferraris F1-Trac-Computer nun blitzschnell die Gripsituation der Straße und dosiert den Krafteinsatz im Fahrbericht virtuos. Abgesehen von einem winzigen Vortriebs-Schluckauf, wenn die Vorderräder Asphalt und die Heckpneus losen Schotter sensieren.

Sündhaft teure Mechatronik, werden jetzt Controller schimpfen. Aber interessiert das bei einem Ferrari, wenn er damit in eine neue Handling-Dimension in der Viersitzer-Klasse vordringt? Mit dem Gas lenken wird beim Ferrari FF neu interpretiert. Wenn der rechte Fuß fordert, zieht der Trumm aus Maranello dich rein – direkt und ohne Wanken. So gierig, dass am Kurvenausgang schon mal aktives Rücklenken angesagt ist.

Im Ferrari FF schlägt ein Zwölfzylinder-Herz

Erst recht, wenn ein völlig neu entwickelter 660-PS-Zwölfzylinder beim Beschleunigen das Blut aus den Wangen presst und der Ferrari FF dem Motorsport eine Hymne brüllt. Ein Tunnel! Fenster runter, Drosselklappen auf Durchzug, schon peitscht dieser melodisch-kreischende Sound durch das nach schwerem Edelleder duftende Interieur. Ausnahmsweise mal nicht italienisch nachlässig verarbeitet.

Es war 1992, als Montezemolo Ferrari-Chef wurde und Jean Alesi den damals kaum stärkeren Formel 1-V12 zwar nicht erfolgreich, aber mit ähnlicher Klangnote über die Rennstrecke jagte. Heiser röhrt der Ferrari FF zwei Mal laut auf, als das Getrag-Getriebe beim perfekt dosierbaren Anbremsen vor der Kurve in Wimpernschlägen vom vierten zum zweiten Gang springt; die rote Schaltanzeige im Lenkrad blinkt hektisch, als der zentrale Drehzahlmesser kurz an die 8.000er-Marke ditscht.

Der Ferrari FF will spielen. Doch der Pilot möchte erst mal die unfassbar breit anliegende Kraft auskosten, setzt wieder vier Gänge obendrauf und genießt, wie der Stolz der Emilia Romagna mit ruhigem Ton schon ab 1.000 Touren mit 500 seiner maximal 683 Nm galoppiert, als hätte er einen mächtigen Turbolader implantiert. Hat er aber nicht. Viel lieber schlürft der Direkteinspritzer riesige Luftmengen so gierig ein wie ein Italiener leckere Makkaroni. Reinstes Sauger-Appeal und hoch verdichtete Motor-Passion, die einen vollends packt, wenn der Ferrari FF bei 6500/min auf Gasbefehl ansatzlos und böse wie eine Königskobra zubeißt.

Ferrari FF mit Platz für Vier plus Gepäck

Der 6,3-Liter-V12 strotzt nicht nur vor Emotionalität, er protzt auch mit nüchternen Daten; trotz 120 PS mehr als der 5,8-Liter-Vorgänger im Scaglietti soll er laut EU-Norm 20 Prozent weniger verbrauchen: 15,4 Liter auf 100 Kilometer. Start-Stopp hat er auch. Sowas erzählen Ferraristi gerne mal ihrer Frau, wirklich interessieren dürfte sie der Verbrauch kaum. Ohne die homöopathische Dosis verkaufter Ferrari FF ginge es der Welt keinen Deut besser, aber wir wären um eine Sensation ärmer.

Dieses sich um ein gefühltes Sonnensystem vom eher gesetzt-behäbigen Scaglietti abhebende Fahrdynamikgefühl dürfen jetzt sogar vier durchaus großgewachsene Personen genießen. Dürfen es sich in den bequemen Einzelsesseln bequem machen, wenns sein muss mit Video-Entertainment – Banausen – und konsterniert erleben, wie der eben noch supersportliche Ferrari FF gefühlvoll wie ein Mercedes selbst härteste Schläge von Frostaufbrüchen in seinen adaptiven Dämpfern aufsaugt.

Nicht zu vergessen das ganze Gepäck, das sich jetzt trotz der hoch in den Kofferraum ragenden Getriebeverkleidung mit allerlei Klappspielereien verstauen lässt. Bleibt die eher autophilosophische Frage, ob so etwas trotzdem 258.200 Euro kosten muss? Wenn es sich so fährt wie ein Ferrari FF – si, certo!

Technische Daten
Ferrari FF 6.3 V12
Grundpreis258.111 €
Außenmaße4907 x 1953 x 1379 mm
Kofferraumvolumen450 bis 800 l
Hubraum / Motor6262 cm³ / 12-Zylinder
Leistung485 kW / 660 PS bei 8000 U/min
Höchstgeschwindigkeit335 km/h
Verbrauch16,3 l/100 km
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AUTO MOTOR UND SPORT 11 / 2024
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Erscheinungsdatum 08.05.2024

148 Seiten