Ferrari LaFerrari im Fahrbericht
Freigang mit fast 1.000 PS

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Oft werden Schätze wie der LaFerrari weggesperrt, flanieren einmal im Jahr über die Rennstrecke. Wir haben dem 1,2 Millionen Euro teuren Superstar einen emotionalen Freigang in den Alltag gegönnt..

Ferrari LaFerrari, Frontansicht, Autobahn
Foto: Hans-Dieter Seufert

Nirgends wirkt ein Hypersportwagen wie der Ferrari LaFerrari so fremd wie in der Realität. Man vermutet ihn in Ausstellungshallen, bei Concours, aber nicht im prallen Leben. Doch genau da bringen wir ihn nun hin: auf die italienische Autobahn.

Damit das klappt, müssen wir es erst einmal hinein schaffen, am besten noch in der Garage. Man kann sich kaum lächerlicher machen als beim Ein- und Ausstieg in einen Hypersportwagen. Denn der ist hyperflach, der Einstieg hypereng und der Schweller hyperbreit – was den Sitz hyperweit entfernt erscheinen lässt.

Überraschung beim LaFerrari: Mit der Flügeltür schwingt auch der Schweller hoch und gibt eine erstaunlich große Öffnung frei. Man tritt an den Sitz heran, dreht sich um 180 Grad, klappt den Oberkörper ein und lässt sich rücklings hineingleiten. Praktisch ohne Verrenkungen – ein erstaunlich zugänglicher Hypersportwagen.

Ferrari LaFerrari ein echter Hingucker

Wenn man wie Ferrari das Kohlefaser-Chassis in eigenen Öfen backt, dann lassen sich eben auch unkonventionelle Türsysteme realisieren. Die Flächen bestehen aus sogenanntem T800-Gewebe, die Seitenkästen dagegen aus dem ultrafesten T1000, das besonders viel Energie aufnehmen kann. Ähnliches Material kommt auch in der Formel 1 zum Einsatz. Den Unterboden verstärkt zusätzlich eine Lage Kevlar – er wäre damit sogar schusssicher, witzeln die Ingenieure.

Nicht nur das Material stammt aus der Formel 1, auch die Sitzposition ist der Königsklasse nachempfunden. Die Sportschalen sind fest auf das Kohlefaser-Chassis montiert, was den Einstellmechanismus und damit Gewicht spart. Ähnlich wie auf der Liege von Le Corbusier sind Beine und Oberkörper leicht angewinkelt. Klingt unbequem? Ist es aber nicht – eher entspannend. Der LaFerrari passt sich seinem Fahrer an, nicht umgekehrt; hierfür lassen sich die Pedale per Gestänge heranholen oder wegschieben – mittels eines Hebels unterhalb der Sitzschale.

Obwohl die Sitzposition wie angegossen passt, wird das Einfädeln in den fließenden Verkehr zur Herausforderung, wenn man den unübersichtlichen Boliden aus einer engen, zugebauten Hofeinfahrt bugsieren will. Wir recken und strecken den Kopf wie ein Periskop und bemerken dabei, dass es alle um uns herum ähnlich halten: Sie recken und strecken ihre Köpfe, drücken sich die Nasen an ihren Autoscheiben platt, um einen Blick auf den LaFerrari zu erheischen. Zücken Smartphones. Machen alles, nur nicht fahren. Dabei gerät der fließende Verkehr bedenklich ins Stocken.

An der roten Ampel blicken wir auf den Lochkreis eines Lkw-Rads. Der LaFerrari ist ein echter Tiefflieger. Ob wir damit wohl an der Mautstelle der Autostrada unter der Schranke durchpassen? Gegenüber dem bereits flundrigen Enzo Ferrari bemisst sich der Schwerpunkt noch einmal 35 Millimeter niedriger, was zum Teil an den äußerst tief montierten Batterien liegt.

Ferrari LaFerrari mit fast 1.000 PS

Bei einem Hybridsystem sieht man ja häufig nur den Nachteil des hohen Gewichts, doch das ist eben nur die halbe querdynamische Wahrheit. Der LaFerrari fühlt sich jedenfalls kaum schwerer als ein Lotus Exige S an – nur nochmals präziser und direkter. Dabei ist der Federungskomfort phänomenal gut. Wie sich der LaFerrari überhaupt geschmeidig durch den Verkehr schlängelt. Kein halbstarkes Gehabe, kein Motorstottern bei niedriger Drehzahl, kein Kupplungsruckeln beim Anfahren.

Am Horizont taucht die Mautstelle auf. Wir halten auf einen der Schächte zu, die eigentlich sogar für einen Lkw breit genug sind. Doch gerade schrumpfen sie bedenklich. Gut anvisieren, zielen, einfädeln. So nahe wie möglich an den Ticketautomaten schmiegen, denn sonst erreicht ihn der Arm nicht. Bloß keine Felgen vermacken, das wäre peinlich. Zielbremsung auf Höhe des Mauthäuschens. Wir lassen das Fenster elektrisch heruntersurren: Der LaFerrari ist weniger puristisch, als man annimmt.

Meine Güte, was steht der Automat weit weg. Also den Arm strecken. Reicht nicht. Die Schulter komplett ausfahren. Reicht immer noch nicht. Den Hintern aus dem Sitz stemmen. Schon besser, aber nicht gut genug. Erst als der halbe Oberkörper durch den Fensterschlitz ragt, erreichen die Fingerspitzen das Ticket. Beim nächsten Mal werden wir weiter rechts halten, sodass sich die Flügeltür des LaFerrari öffnen lässt – und aussteigen.

Auf der mittleren Spur zuckeln wir dahin. Die Autobahn ist fast leer. Rechts ein einzelner Lkw, sonst nichts los. Seltsam, um diese Tageszeit. Erst der Blick in den Seitenspiegel zeigt, warum: Auf der linken Spur blockieren handyknipsende Fans den Verkehr, ziehen eine kilometerlange Schlange hinter sich her. Klar, das ist die Chance ihres Lebens – einmal ihrem Traumwagen ganz nah zu sein. Dann schließen sie zu uns auf und geben zu verstehen, dass sie jetzt einen Vollgassprint erwarten. Liebe Italiener: Das hier ist eure Autostrada mit eurem Tempolimit. Falls ihr einen voll durchladenden LaFerrari erleben wollt, dann müsst ihr die Vorschriften erst einmal mit eurer Regierung klären.

Ach was, pfeif auf die Vorschriften, zumindest kurz. Die Ferraristi haben ein Recht, ihr Heiligtum richtig in Aktion zu sehen. Sie sollen die nahezu 1000 turbofreien PS zumindest einmal von außen erleben. 800 davon liefert der Zwölfzylinder des LaFerrari, den Rest der Elektromotor des KERS-Systems. Letzterer soll vor allem das Ansprechverhalten dramatisieren.

Also hart ans Gas. Der Vortrieb eskaliert, noch bevor der V12 brüllen kann. Unmöglich? Doch möglich: Der E-Motor überbrückt die ohnehin kaum wahrnehmbare Ansprechzeit des Saugmotors (wir kennen ihn schließlich in etwas zahmerer Form aus dem F12). Nein, ansatzlos: Gas – Punch. Die Beschleunigung sorgt für Schnappatmung. Und der LaFerrari schleudert sich in die Einsamkeit. In einen Bereich, wohin ihm kaum ein Zweiter folgen kann.

Der Verstand notiert einen unwirklichen Moment: Vor uns nichts und hinter uns auch nichts. Kein Verkehr, aber drei Spuren zur Wahl. Mamma mia, so muss das Paradies sein. Die Szene könnte sich aber auch in einem Endzeitfilm abspielen: ein Überlebender unterwegs im Rennwagen auf ausgestorbenen Straßen, rast- und ruhelos.

Ein flüchtiger Augenblick, denn schon fliegt die nächste Kurve heran. Komisch, sie war doch eben noch so weit weg. Blick auf den Tacho: Er muss gerade einen digitalen Zahlendreher anzeigen; so schnell waren wir sicher nicht. Oder etwa doch? Na ja, hat ja keiner gesehen.

Technische Daten
Ferrari LaFerrari 6.3 V12
Grundpreis1.190.000 €
Außenmaße4702 x 1992 x 1116 mm
Hubraum / Motor6262 cm³ / 12-Zylinder
Leistung588 kW / 800 PS bei 9000 U/min
Höchstgeschwindigkeit350 km/h
Die aktuelle Ausgabe
Sport Auto 03 / 2022
Sport Auto 03 / 2022

Erscheinungsdatum 04.02.2022

132 Seiten