Hyundai Ioniq 5 N
Kann der E-Crossover Rennstrecke?

Hyundai will es wissen, bringt mit dem Ioniq 5 N ein vollelektrisches Modell, das sowohl auf der Landstraße als auch auf der Rennstrecke Fahrspaß bieten soll. Auf geht’s!

Aus der beliebten Reihe "auto motor und sport gräbt aus der Mode gekommene Vokabeln aus" heute: der Strolch. Zugeben, eigentlich gräbt Hyundai das Wort aus. Wobei – hach, es ist kompliziert. Jedenfalls müsse der Ioniq 5 N die drei Kern-Elemente der Submarke N verkörpern, so wie bereits i30 N und i20 N: Corner Rascal, Racetrack Capability, Everyday Sportscar. Nun, und Rascal lässt sich eben mit Strolch übersetzen. Kurven-Strolch also. Ein schöner Begriff. Doch passt er auf einen rund 2,2 Tonnen schweren Elektro-Crossover? Nun, jedenfalls lässt sich die ernsthafte Absicht, den Strolch zu geben, bereits in den ersten Kehren einer küstennahen Landstraße im Süden Koreas durchaus erkennen. Der Ioniq lenkt bissig ein, folgt dem Kurvenradius mit hoher Aufbaukontrolle, feuert allradgetrieben wuchtig am Kurvenausgang auf die nächste Kurve zu. Folgt diese unmittelbar, setzt er ebenso unmittelbar um, die 21-Zoll-Räder mit Pirelli-Bereifung (zivil, kein Corsa!) grippen tapfer, die Lenkung informiert bestens darüber, ob die Haftgrenze bereits anliegt oder nicht.

Der große E-Ratgeber

Tief drin

Du sitzt deutlich tiefer als im Basis-Ioniq in straff gepolsterten, manuell gut einstellbaren Sitzen mit viel Seitenhalt, packst das optimal dimensionierte, Rennwagen-mäßig strubbelig bezogene Lenkrad. Hey, da geht was! Geradeaus sowieso, denn der Antrieb des Hyundai mit je einem E-Motor an Vorder- und Hinterachse entwickelt 448 kW, mittels Boost-Funktion sogar 478 kW. Meine Güte, das waren mal 650 PS. Und, Herrschaftszeiten, sind es immer noch! Die 770 Nm maximales Drehmoment sowieso. Derart viel Leistung zu produzieren, scheint in Zeiten der E-Mobilität ein Leichtes. Nur: Wie lässt sie sich umsetzen? In Fahrspaß jenseits der Geraden? Im legalen Tempobereich? Genau da setzt der Ioniq 5 N an – und bedient sich dabei unglaublich vieler Funktionen. Klar, die Fangemeinde der N-Modelle mit Verbrenner-Motor befriedigt ihren Spieltrieb bereits seit 2017 mit zahlreichen Einstellmöglichkeiten und Gimmicks wie beispielsweise diesem hier: Erkennt die Kamera ein Verkehrszeichen, das eine kurvenreiche Strecke ankündigt, animiert das Info-Display, den Sport-Modus zu aktivieren. Geht leicht per Lenkrad-Taste links oben. Es gibt aber noch drei weitere. Doch zunächst zur Fahrwerks-Hardware. Prinzipiell bleibt es bei der von der Electrified Global Modular Platform E-GMP bekannten Grundkonstruktion mit Mehrlenker-Hinterachse sowie MacPherson-Vorderachse. Letztere bekam wegen der größeren Bremsscheiben mit 400 mm Durchmesser und Vierkolben-Festsattel (hinten 380 mm, Einkolben-Festsattel) anderes positionierte, untere Anlenkpunkte. Zudem passten die Entwickler die Dimensionen einiger Bauteile an, Feder- und Dämpferraten sowieso, verordneten der um 50 mm verbreiterten Karosserie 42 zusätzliche Schweißpunkte. Überdies kommt eine sogenannte Rack-on-Pinion-Lenkung zum Einsatz, also eine elektromechanische Konstruktion, bei der sich der Aktuator nahe der Zahnstange, nicht auf der Lenksäule befindet (verbessert Ansprechverhalten und Rückmeldung).

Einmal wäre keinmal

Und der Antrieb? Bekommt eine neue Batterie mit 84 statt 77 kWh Energiegehalt, die mit bis zu 350 kW laden kann. Ach ja, die Reichweite: angeblich 450 km. Im Eco-Modus. Zurück zum Text: Die Kühler für den Hoch- und Niedrigtemperaturbereich stehen nicht mehr hinter-, sondern übereinander. Der Motor an der Vorderachse leistet 166 kW, der hintere 282 kW. Das soll eine Beschleunigung von null auf 100 km/h in 3,4 Sekunden ermöglicht – nicht nur einmal, sondern mehrfach. Als Höchstgeschwindigkeit gibt Hyundai 260 km/h an. Vor allem aber soll das Paket den Ioniq 5 N-Kunden ermöglichen, an Trackdays auf Rennstrecken teilzunehmen. Zugegeben, auf der 20,832 Kilometer langen Nordschleife dürfte es eng werden, doch die legendäre Berg- und Talbahn dient als Referenz: "Während der Entwicklung wurde irgendwann klar, dass wir zwei komplette Runden mit einer Zeit von deutlich unter acht Minuten schaffen", sagt Albert Biermann, der einst nach Abschluss der Entwicklung des M4 F82 von BMW M zu Hyundai wechselte, um dort N aufzubauen. Der Ingenieur arbeitet mittlerweile in beratender Funktion für die Koreaner, hat seinen Renteneintritt gerade erst um ein Jahr nach hinten verschoben. Wieder einmal. "Wichtig ist: Wir wollen keine Rekorde erzielen, das wollten wir nie. Es geht um Fahrspaß auf der Rennstrecke und Landstraße bei hoher Alltagstauglichkeit", betont Biermann. Letzteres bietet der 4,72 Meter lange Ioniq 5 N in gleichem Maße wie seine zivilen Brüder, zumindest, was das großzügige Platzangebot und die Ergonomie betrifft. In anderen Bereichen etwa nicht? Nun, der Federungskomfort fällt überschaubarer aus, das N-Fahrwerk arbeitet spürbar straffer, in sich jedoch stimmig und mit durchaus ordentlichem Restkomfort.

Drück mich

Doch dieses Thema rückt ebenso in den Hintergrund, wie die Boost-Funktion (heißt "N Grin") und die Launch Control. Warum? Weil du die Taste rechts unten im Lenkrad drückst. Plötzlich klingt der Ioniq wie der i30 N, zeigt im geänderten Instrumenten-Layout einen Drehzahlmesser sowie Gangstufen an. Wie bitte? Ja, tatsächlich imitiert der Crossover nun einen Verbrenner-Antriebsstrang. Das soll dem Fahrer helfen, um durch die akustische und auch haptische Rückmeldung (Schaltrucke!), die immense Leistung des N auf der Rennstrecke besser zu nutzen, die Brems- und Einlenkpunkte besser zu finden. Um das auszuprobieren, steht die 3,04 Kilometer lange Variante des Korea International Circuit in Young-am zur Verfügung. Schon fliegt der Ioniq nach Start-Ziel auf Kurve eins zu, eine fiese Haarnadel links. Zupfen am linken Lenkradpaddel, unmittelbar "schaltet" das Eingang-Getriebe runter, vom virtuellen Sechsten in den Zweiten. Ja, das vom Audiosystem per acht Innen- und zwei Außenlautsprecher (letztere sind erst ab 30 km/h aktiv) generierte Klangbild kommt dabei dem Verbrenner sehr nahe, bleibt letztlich aber erkennbar künstlich. Nur vom Klang, nicht vom Charakter. Im weiteren Verlauf der Strecke stellt sich heraus, dass dir das wirklich nützt. Und das Fahrverhalten? Im N-Modus agiert sich der Ioniq 5 N wie ein leistungsstarker Allradler, also primär neutral, mit Tendenz zum Untersteuern an der Haftgrenze. Er gibt dir bereits jetzt das Gefühl, dass du ihn in der Hand hast, mit ihm spielen kannst, dich mehr trauen kannst. Selbst das Bremspedal vermittelt viel Gefühl mit angemessen kurzem Pedalweg und fühlbarem Druckpunkt – ein Schwachpunkt bei vielen Hybrid- oder Elektrofahrzeugen wegen der Überblendung von Rekuperations- zu Hydraulikbremse.

Rekuperier mit mir

Gutes Stichwort: Spielen mit der Bremse. Aktivierst du das sogenannte N-Pedal, rekuperiert Hyundai in drei Stufen mit bis zu 0,6 g (0,4 g bei der Basis). Die hinterlegten Kennlinien sind so ausgeführt, dass das Lupfen des Gaspedals einen möglichst authentischen, recht ausgeprägten Lastwechsel erzeugt. Das erhöht die Agilität spürbar, doch Stufe drei erfordert Wachsamkeit, denn es kommt richtig Leben ins Heck. Stufe zwei passt auf der Strecke prima, zudem drückt beim Herausbeschleunigen durch die nun etwas nach hinten verschobene Kraftverteilung das Heck. Wunderbar. Und das hohe Gewicht? Tja, das Gewicht. Die gewollten Karosseriebewegungen des Ioniq 5 N erfordern insofern Gewöhnung, als dass die Reaktion des Fahrzeugs beim Einlenken zunächst begeistert, weil sie sich anfühlt wie bei dem Verbrenner. Doch dann bewegt sich eben spürbar viel Masse. Aber hey, der Apparat macht Laune! Auch nach sieben Runden schwächelt er nicht, das Kühlkonzept funktioniert.

Für den Spieltrieb

Übrigens stehen ein Sprint- und ein Rennmodus zur Wahl, um die Batterieladung entsprechend effizient einzusetzen. Dazu noch je drei Modi für Leistungscharakteristik, Lenkung, Dämpfer, Klang (vergesst Emotion und Supersonic), Head-Up-Dislplay sowie das elektronisch gesteuerte, mechanische Sperrdifferenzial an der Hinterachse. Ach ja, einen Modus, der auch Anfängern das Driften erleichtern soll, gibt’s ebenfalls. Der erlaubt es sogar, eine schnalzende Kupplung zur Drifteinleitung zu simulieren. Das unmittelbar anliegende, irre Drehmoment erfordert jedoch einen hypersensiblen Gasfuß. Zumindest im Nassen. Auf der trockenen Rennstrecke hingen, fährt sich der Ioniq 5 N – abgesehen von der Gewöhnung an die sich bewegende Masse – extrem unterhaltsam, fegt ebenso fröhlich über die Landstraße. Was kostet die Gaudi? Voraussichtlich rund 75.000 Euro, Auslieferungen ab Frühjahr 2024. Zeit also für eine weitere Folge aus der beliebten Reihe "auto motor und sport gräbt aus der Mode gekommene Vokabeln aus": formidabel!

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Fazit

Natürlich kannst du mit dem Hyundai Ioniq 5 N einfach losfahren, er wird dich unterhalten. Doch erst bei eingehender Beschäftigung mit allen Funktionen und Einstellungen legt der Elektro-Crossover so richtig los, überzeugt sogar auf der Rennstrecke – auch weil die Basismaßnahmen an der Hardware stimmen.

Die aktuelle Ausgabe
AUTO MOTOR UND SPORT 10 / 2024
AUTO MOTOR UND SPORT 10 / 2024

Erscheinungsdatum 25.04.2024

148 Seiten