Bentley Continental Supersports
Sport war nie sein Ding

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Mit dem Supersports geht der Continental GT in seinen finalen Akt. Eine Verneigung vor einem Coupé, das nie war, was es werden sollte, und vielleicht deshalb so betörend ist.

Bentley Continental Supersports
Foto: Rossen Gargolov

Als die Sommerabendsonne zwischen der dichten Wolkendecke und dem Horizont hindurchglüht und den Bentley aussehen lässt, als hätte man ihn in den Goldtopf am Ende des Regenbogens getunkt, ist auf einmal alles perfekt. Der Moment, die Stimmung und der Conti selbst, dessen nahender Abschied nun mit jedem der vielen Kilos aufs Gemüt zu drücken beginnt.

Eigentlich müssten wir uns an dieser Stelle noch mal aufrichten vor ihm, unserer Rolle als Justitia der Fahrdynamik gerecht werden und ihn verurteilen für die enorme Diskrepanz zwischen artikulierter Anspruchshöhe und realisiertem Leistungsniveau. Stattdessen aber verspüren wir plötzlich einen Drang, ihn rückwirkend freizusprechen von all den verletzenden Dingen, die wir über seinesgleichen verbreitet haben. Bloß warum? Wie kann sich so vieles, was unter sportautomobilen Aspekten so falsch ist, auf einmal so goldrichtig anfühlen? Werden wir sentimental?

Bentley Continental Supersports
Rossen Gargolov
Wie so oft weist das Schicksal den Weg zum Glück. Der Bentley hat seine Qualitäten.

Wie so oft weist das Schicksal den Weg zum Glück. Ob wir für einen Sprung auf die Strecke könnten, haben wir die Herren des Hockenheimrings gefragt, als der Bentley im Rahmen seiner Abschiedstournee in unserer Garage gastierte. Nein, lautete die Antwort, schließlich sei der Kleine Kurs – das verstehe man sicherlich – erst von Inline-Skatern und nachher von Hardrockstars okkupiert. Und auch unser dezente Hinweis, dass Hockenheim früher ja mal eine Rennstrecke für Autos gewesen sei, erwies sich eher als kontraproduktiv. Letztlich mussten wir ausweichen, suchten nach einer Alternative für ein würdiges Finale und fanden vor allem eines: zueinander.

Ansprüche größer als die Wirklichkeit

Die Grundvoraussetzung für eine funktionierende Liebesbeziehung besteht darin, den Continental nicht beim Wort zu nehmen. In seiner langen Karriere hat er viel von sich behauptet und vergleichsweise wenig davon eingelöst.

Vom legendären Komfort vergangener Epochen war wenig geblieben, und auch die Rennerei, der seine Urururahnen frönten, wurde seine Sache nie. Trotzdem versteht es sich von selbst, dass einer wie er mit Pauken und Trompeten abtritt – als stärkster, schnellster und exaltiertester Continental aller Zeiten, als Supersports, jene Ausprägung, die seinen Möglichkeiten am meisten zuwiderläuft und deshalb so wunderbar harmoniert mit der süßen Sinnlosigkeit, die er verkörpert.

Der Startpunkt seiner Regentschaft, die im kommenden Jahr an seine Lordschaft Continental Gran Turismo den Zweiten übergehen wird, liegt heute exakt 150 PS und 14 Jahre zurück. VW hatte die Marke gerade annektiert und damit auch deren Ehe zu Rolls-Royce geschieden – eine Bindung, die über 65 Jahre bestand und Bentley im Lauf der Zeit immer weiter von ihrem Ursprung entfremdete. Unter Wolfsburger Ägide sollte alles wieder zu den Wurzeln zurück, zu dieser Kolossaldynamik der Frühzeit – und der Continental GT war der auserkorene Weg dorthin.

Doch weil man bei VW bereits damals modular dachte und natürlich nur das Beste wollte für das neue Adoptivtöchterchen, vermählte man den Conti mit dem Phaeton. Der wurde sein Plattformpate, das technische Rückgrat, aber eben auch der Nackenschlag für sportliche Ambitionen. Rund 2.300 Kilo, zwei Drittel davon vorn und keinerlei Mittel dagegen – so gewinnst du einfach keinen Blumentopf.

Bentley Continental Supersports
Rossen Gargolov
Der Continental war stets stilbildend und der Perfektion verpflichtet.

Trotzdem gelingt es seit jeher, seine offensichtliche Klobigkeit zu filigranisieren: mit abgöttischer Liebe zum Detail. Jeder Continental GT war eine Art Galerie der stilbildenden Handwerkskünste, und dieser Supersports ist die Sonderausstellung on top. Vorne spannt sich die bügelgefaltete Motorhaube als Hochebene über den Drehmomentvulkan, der Innenraum wurde mit Tricolor-Leder und Carbonintarsien in Zielflaggenkaro dekoriert, und hinten, am Südhang der 2+2-sitzigen Coupémobile steht das Wahrzeichen des Supersports – die Heckflügel-Terrasse, die auf den ersten Blick kulturschockierend wirken mag mit ihren penibel zur Mitte gescheitelten Kohlefasern, aber geradezu perfekt mit dem fingerspitzigen Faustschlagcharme korrespondiert.

Monumentaler Zwölfzylinder in W-Form

Dann schlüpft der Ausklappbart des Schlüssels ins Zündschloss. Ein kurzes Flöten der Zündung, ehe der Motor star … – Pardon, ehe seine Exzellenz die Bühne betritt. Wobei, im Grunde ist der Sechsliter ja bürgerlich, entstand aus der Liaison zweier VR6-Motoren, was auch die angebliche W-Form des Zwölfzylinders erklärt, die streng genommen Doppel-V genannt gehörte – aber Schwamm drüber.

Die feierliche Amtseinführung des W12 geschah in Volkswagens Sportwagenstudie Nardó. 2001 wurde er dann als Interimsvorsitzender der Konzernmotorenpalette eingeführt, ehe er bei Bentley einstieg, wo er nun den Höhepunkt seiner Laufbahn erreicht: 710 PS – fast 300 mehr als bei seinem Seriendebüt und stolze 75 mehr als in jedem anderen Bentley zuvor.

Und weil man sich selbst mit seiner Kragenweite solche Leistungsdaten nicht so mir nichts dir nichts aus den Kolben schüttelt, wurde intern etwas umgebaut: modifizierter Kurbeltrieb; verstärkte Pleuellager; größere Turbolader mit optimierter Geometrie, mehr Druck und höherem Durchsatz; bessere Ladeluftkühlung; und – als tönender Abschluss sozusagen – eine Abgasanlage aus Titan. Außerdem wurde der Drehmomentwandler des Achtgangautomaten angepasst, was damit zusammenhängt, dass zwischen 2.050 und 4.500/min sage und schreibe 1.017 Newtonmeter auf ihn einprasseln – rund doppelt so viel wie bei einem BMW M4.

Beschleunigen kann er demzufolge, dank Allradantrieb immer wie überall und besser als vieles andere. Schwierig wird es erst, wenn er diese Beschleunigung nicht selbst initiiert, und speziell dann, wenn sie seitlich angreift. Der Pressetext beschwört zwar die belebende Wirkung des Torque-Vectoring-Systems. In der Praxis jedoch ähnelt der Kampf der Bremsimpulse dem verzweifelten Versuch, einen Betonklotz mit Strohhalmen ums Eck zu stupsen.

Geradeaus eine Macht

Seine Kraft liegt in der Ruhe. Wer auf ihn einprügelt, ihn in Ecken würgt und seinen Drehmomenthebel als Stemmeisen missbraucht, wird eher Furchen in die Erdkruste fräsen, als ihm auch nur Ansätze von Agilität herauszukitzeln. Lässt man ihn aber fließen, seinen Grip aufbauen und seine Körperwallungen zur Ruhe kommen, um ihn dann mit der fleischigen Lenkung und der fein säuberlich dosierbaren Kraft sachte gen Grenzbereich zu treiben, baut sich am Fuße des 9,3-Quadratmeter-Monoliths doch so etwas wie Querdynamik auf.

Bentley Continental Supersports
Rossen Gargolov
Querdynamik ist nicht die Domäne des Continental, geradeaus entfesselt er aber Naturgewalten.

Schnell in dem Sinn ist man nie, dennoch werden die meisten um einen herum immer langsamer sein – und sei es nur, weil zwischen Kurven Geraden liegen. Was dort passiert, überwältigt vollends, entsteht aber auf geheimnisvolle Art und Weise. Normalerweise merkt man einem Auto an, wie der Motor Vortrieb generiert. Im Continental hingegen hat man das Gefühl, das Gaspedal entfessle eine Naturgewalt, irgendeine seismische Hyperaktivität, die nach und nach von ihm Besitz ergreift und ihn mitschleift in Regionen, in die er – wenn wir ehrlich sind – eigentlich nicht hingehört.

Nun zählen wir hier nicht zu jenen, die gleich den Finger heben, wenn einer mal über die Stränge schlägt. Im Gegenteil. Den Bentley jedoch verlassen alle guten Geister spätestens bei 250 km/h, also weit vorm Ende seiner Fahnenstange. Schon die Tatsache, dass man ihm den Reifendruck eklatant erhöhen muss, um die Vmax auszuloten, lässt erahnen, wie er sich dafür verrenken muss. Und auch wenn die Drehmomenteruption erstaunlich wenig Mühe hat, ihn bis in die 330er zu befördern, merkt man die Trägheit der Masse eben doch – nämlich auf der Bremse. Mag sein, dass die Keramikanlage die größte der Erde ist, wirklich gebändigt bekommt sie seinen kinetischen Vorwärtsdrang aber nicht. Problem ist nicht die Bremswirkung, sondern das, was durch sie hervorgerufen wird. Denn sobald die Zangen zupacken, wippt er aufgrund seines weit vorn liegenden Motors über die Vorderachse und hebelt dabei das Heck derart aus, dass man jähe Kurskorrekturen tunlichst vermeiden sollte.

Zwischen Hoffen und Bangen

Mit dem bevorstehenden Modellwechsel dürfte all das Geschichte sein, trotzdem wird einem Angst und Bange, wenn man so hört, was die Herren Strategen vorhaben mit ihm. Was wissen wir? Um die 200 Kilo wird der neue Conti GT abspecken, außerdem pfropft man ihn mit allerlei Performance-Steroiden voll. Beides ist nicht verkehrt, rührt aber daher, dass er auf die Architektur des Panamera umstattelt – also von der First- in die Business-Class.

Zwar werden sie sich nicht lumpen lassen, die Kunsthandwerker drüben in Crewe, und eine pittoreske Fassade über das Gerippe zimmern – mit edlen Holzfurnierkreationen und diesem Leder, das so würzig duftet, wenn die Tür aufschwingt. Dahinter jedoch wütet die Gleichteilmanie des Mutterkonzerns, deren Respektlosigkeit wohl darin gipfelt, dass sie ihm sein Rundinstrumentarium durch einen Bildschirm ersetzen. Die Kunden wollten das, heißt es. Unsinn! Billiger ist es, viel billiger, und – wenn Sie mich fragen – genauso stilecht wie ein Rembrandt im JPEG-Format.

Und so stehen wir dann da wie zwei frisch Verlobte vor der Trennung, fragen uns, ob sich Charakter wirklich digitalisieren lässt, ob es sich nicht anböte, die Breitling-Uhr im Zuge dessen auch gleich noch zugunsten einer iWatch zu entrümpeln. Und vor allem fragen wir uns, was wohl werden wird aus ihm. Und aus uns. Sicher, der nächste Continental GT wird die Zeit einholen, die ihn überholt hatte zuletzt, wird effizienter sein und dynamischer. Nur bleiben Zweifel, ob er davon ein besserer Bentley wird.

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Sport Auto 03 / 2022
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Erscheinungsdatum 04.02.2022

132 Seiten