Lamborghini Countach LPI 800-4
Paarlauf der Posterboys

Geboren im letzten Jahrtausend hat der Lamborghini Countach nichts von seiner Aura verloren, lässt auch nach 50 Jahren noch Münder offenstehen, prägt die Supercars der Marke bis heute. Siehe LP 800-4.

Impressionen Lamborghini Countach alt neu
Foto: Michele Riccomini Kormik

Wenn Ferruccio Lamborghini wissen wollte, ob ein neues Modell gut ankommt, brauchte er keine Strategen, keine Kundenclinics. Er fuhr mit dem Ding einfach ein wenig durch die Gegend und schaute, wie die Passanten reagieren. Fliegende Köpfe, zeigende Finger, offene Münder: gut. Geringe Resonanz: Nachsitzen für die Stilisten. Was allerdings eher selten vorkam, denn wenn Ende der Sechziger irgendwo ein Miura vorbeiglitt, blieb eh die Zeit stehen. Ähnlich wie beim Countach in den Siebzigern. Schon sein Name sei angelehnt an einen Ausruf der Überraschung, heißt es. Kein Wunder, so radikal wie Designer Marcello Gandini den automobilen Keil skizziert. Um es später beim Citroen BX zu wiederholen. Nun ja, äh, okay. Denken wir lieber schnell an den Lancia Stratos (auch von Gandini), bevor wir zu Lamborghini und dem Countach zurückkehren.

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Runter von der Showbühne, rauf auf die Straße

Zurück nach Sant‘Agata. Dort steht der LPI 800-4 parat. Und zwar nicht auf der Showbühne, sondern jetzt in echt, live, in der Emilia Romagna. Einer von 112 Exemplaren insgesamt (112 war sein Entwicklungscode, deshalb). Und damit sich der 814 PS-Apparat in Impact White nicht einsam fühlt, darf ein originaler Countach mit herumtollen. Nicht der mittlerweile 50 Jahre alte Godfather LP400, sondern ein Spätwerk, der 25th Anniversary von 1988, basierend auf dem LP 5000 QV, dem er unter anderem den 5,2 Liter großen V12 mit vier Ventilen verdankt. Mit 455 PS nicht nur leistungs-, sondern dank Weber-Vergasern und der offenen Ansa-Auspuffanlage charakterstark.

Etwas Charakterstärke verlangt auch die Jubi-Folklore des Anniversary in Gestalt von Frontspoiler, Seitenschwellern, Heckleuchten und Heckblenden. Seis drum, Hauptsache, der Typ ist dabei und bringt den V12 mit. Und nicht nur das: Ein Lamborghini-Mann fährt mit ihm vorweg, weist den Weg zur Fotolocation. Der gute Mann kennt sich nicht nur mit der Technik, sondern auch dem Fahrverhalten des Klassikers aus, lässt den Anniversary laufen. Im aktuellen Countach kommt zumindest keine Langeweile auf. Nicht nur, weil das Leder so knallig rot-orange, das Carbon so lässig oder das Dach fotochromatisch dimmbar ist. Nein, weil der Silberne da vorn so dermaßen aufdreht. Rumschleichen? Niemals. Bevor das passiert, mampfen die Lambo-Leute mittags bei Pizza Hut statt Tagliatelle al ragu in ihrer Stamm-Trattoria. Selbstgemachte Nudeln und ein schneller Café hinterher.

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Michele Riccomini Kormik
Zwei Generationen auf einem Bild: Lamborghini Countach LPI 800-4 und 25th Anniversary LP 5000 QV.

Longitudinale Posteriore – hier wie da

Doch wir schweifen ab, während der silberne Apparat weiterhin Pace macht. Souverän, schnell, mit klarer Stimme und amtlicher Abgasfahne. Herrlich. Früher war nicht alles schlechter, röhrt es aus den vier Endrohren des LP 5000 QV, obenraus immer hart an der Verzerrer-Grenze, während der sechseinhalb Liter große 60-Grad-V12 des LPI 800 mittlerweile ebenfalls seine 13 Liter Motoröl warmgespielt hat. LP steht für die DNA der beiden: Longitudinale Posteriore, also Motor längs im Heck montiert. Das I für frei saugend. Ist eh klar. Woraus weder der Klassiker noch die aktuelle Kleinserie einen Hehl machen. Wäre ja noch schöner, wenn sie ausgerechnet im Countach-Revival mit Turbogedöns um die Ecke kämen. Es reicht schließlich, dass der Turbo-SUV Urus bestverkauftes Modell ist, mehr Revolution muss nicht unbedingt sein.

Hybrid ja. Aber ganz mild, bitte

Lamborghini hat beim Weg in die neue Welt kein Problem, mal nicht linke Spur zu brettern. Erkennbar unter anderem an der Mildhybridisierung, einer sehr milden. Wie beim Technikspender Sian unterstützt im Countach mit I wie Ibrido eine 34 PS und 35 Newtonmeter starke starke E-Maschine, versorgt von Supercaps statt konventionellem Akku. Supercaps sind leicht, liefern die dreifache Energiedichte einer konventionellen Batterie, was zum niedrigen Systemgewicht von nur 34 Kilogramm beiträgt. Der Hybrid hilft beim Rangieren, füllt Power-Lücken beim Schalten oder in niedrigen Drehzahlen, kann auch mal Boosten. Momentan eher selten nötig, der 780 PS starke V12 genügt zum Mitschwimmen und Powercruisen. Wer richtig vorankommen will, muss alerdings drehen. Maximales Drehmoment 720 Newtonmeter bei 6.750/min – noch Fragen? Aber der V12 dreht ja gern. Nie so ganz schwerelos, aber willig und wuchtig. Spürbar mechanisch überdies. Eben, wie es der Lamborghini-Fan wünscht.

Für die Marke ist die hybridische Extra-Power so nebensächlich, dass sie die Systemleistung in der Typenbezeichnung entspannt nach unten runden. 800 statt 814. Wer in 2,8 Sekunden auf 100, in 8,6 auf 200 und ohnehin sowieso ausverkauft ist, kann sich sowas erlauben. Wie eine Höchstgeschwindigkeit von 355 km/h. Anders als der Ur-Countach der manche Lufteinlässe und -kamine nachträglich erhält, um ein Verglühen des Motors in seinem atmungspassiven Verlies zu verhindern, entstehen Typen wie der Countach LPI 800-4 komplett unter Ingenieursaufsicht mit ausgeklügeltem Thermo- und Aero-Konzept. Wobei der formatfüllende Naca-Einlass an der Flanke als reines Designelement durchginge, während der elektrisch verstellbare Heckspoiler klar dem Abtrieb dient.

Push Rod und Magnetpartikel

Der hilft, wenn es zügig vorangeht, die magnetorheologischen Dämpfer über Pushrods in Wallung kommen. Push was? Also: Magnetorheologisch bedeutet, dass kleine Magnetpartikel in der Dämpferflüssigkeit auf Bestromung reagieren, sich situativ ausrichten und Durchfluss-Öffnungen mehr oder weniger stark blockieren, indem sie blitzartig die Viskosität des Öls ändern. Pushrod-Aufhängungen hingegen setzen die Bewegungen am Rad über Hebel in eine horizontale um, die auf die Dämpfer wirkt, trennen dabei Radführung und Dämpfung. Das System ist einerseits steifer und präziser, ermöglicht andererseits weichere Federn und damit höhere Sensibilität. Hinzu kommen Vorteile beim Bauraum.

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Michele Riccomini Kormik
Wer könnte sich da entscheiden? Zwei Heckansichten zum Träumen.

Bauraum. Mit dem müssen sich speziell große Piloten beim Countach arrangieren. Wer unverletzt an den Türen vorbeigekommen ist hat sich zu arrangieren. Mit extremem Dacheinzug, schmalem Fensterschlitz, flächiger Frontscheibe und Nullsicht nach hinten. Schlimm? I wo. Die Musik spielt vorn. Hier geht nichts leicht, alles möchte erarbeitet werden. Nix Servo-Paradies, hier lebt die Mechanik. Überraschend präzise. Sie können das Gewimmer über E-Lenkungen und Brake by wire nicht mehr hören? Lassen sie den Countach brüllen und die Adern an Armen und Beinen hervortreten. Selbst das Gaspedal verlangt eine Kraft, als ob du die Arbeit der Doppelvergaser erst verdienen müsstest. Und statt mit Algorhythmen zu jonglieren, lenkt die Lenkung einfach. So, als ob da direkt eine Stange zu den Vorderrädern führte und diese bewegte. Was daran liegt, dass da… Genau. Jedenfalls ein bisschen. Klar ist: Du wirst mit dem Countach mindestens so schnell warm wie sein Motoröl nach dem Kaltstart, hakelst den Schalthebel irgendwann sogar freiwillig ein paar Mal extra durch die Kulisse, nur um dieses knackige Rasten zu spüren. Knack, knack, Zweiter, Dritter, Vierter – hart und trocken wie eine Geflügelschere durch den Gockel knuspert.

Blutleerer Nerd? Nix davon, Dein Ferruccio

Und der Neue? Blutleerer, weißhäutiger Softie, Hybrid-Nerd? Vergessen Sie es. Allein schon die, sagen wir mal eigenständige, Schaltung garantiert Drama. Statt Wandlerautomatik oder Doppelkuppler engagiert Lamborghini auch beim Countach wieder das ISR-Getriebe ("Independent Shift Rods"). Dessen konkreten Vorteil – außer vielleicht der Schaltgeschwindigkeit – kann dir keiner so richtig erklären, aber schön hart fühlen sie sich an, die Gangwechsel. Mechanisch. Mit einem ganz fernen Gruß von Ferruccio, dem Ingenieur der von der Landmaschine kam. Und trotzdem feinsinnige Sportwagen schuf. In deren Tradition sich der LPI 800-4 einsortiert. Mit Allradantrieb und -lenkung, einzigartigem Package, krassem Design. Von der vorderen Spoilerkante über die großen Nacas an der Seite bis zum Diffusor.

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Fazit

Vernunft? Bitte nein! Countach lebt Drama, Dynamik, Zwölfzylinder. Countach gibt Kante. Optisch und fahrdynamisch. Seit einem halben Jahrhundert Mittelmotor-Pin-Up mit prägendem Design. Siehe Jubi-Countach LPI 800-4. Über zwei Millionen Euro teuer, polarisierend – und ausverkauft.

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Erscheinungsdatum 08.05.2024

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