LEVC VN5 (2021)
Vorne Kult, hinten Kasten

Erste Fahrt im LEVC VN5, einem Kleintransporter auf Basis des berühmten London Taxi mit Elektroantrieb und Range Extender. Was kann der Kastenwagen?

11/2021, LEVC VN5
Foto: Bernd Conrad

Der Kultfaktor entsteht, zumindest im Automobilbereich, nicht im Strategiemeeting. Erst die Zeit formt Legenden. Der VW Käfer war einst als günstige Möglichkeit gedacht, die Massen zu mobilisieren. Auch dem ersten Mini lagen pragmatische Ansätze zugrunde. Diesseits von Sportwagen wie dem Porsche 911 ließe sich die Liste noch weiterführen, zum Beispiel mit dem VW Bulli. Oder mit dem "Black Cab", dem klassischen London Taxi. Über viele Jahrzehnte wurde es in gleicher Grundform gebaut, die auf den LTI Austin FX4 aus den 1950er Jahren zurückgeht. Strenge Zulassungsvorschriften für Taxis in der britischen Hauptstadt, beispielsweise ein kleiner Wendekreis, sorgten im Stadtbild und auf vielen Touristen-Fotos für ein Quasi-Monopol.

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Die London Taxi Company gehört mittlerweile, wie auch Volvo und Polestar, zum chinesischen Geely-Konzern. Der spendierte nicht nur eine komplett neue Taxi-Konstruktion (im klassischen Design) und eine modernisierte Produktionsanlage, sondern auch einen neuen Firmennamen: LEVC steht für London Electric Vehicle Company.

Der Fokus liegt auf elektrisch angetriebenen Fahrzeugen, bei denen aktuell noch ein Range Extender für mehr Reichweite sorgt. Wenn der Fahrgast am Flughafen Heathrow ins Taxi steigt und dem Fahrer durch die Trennscheibe ein Ziel in den Docklands zuruft, könnte auch ein voller 31 kWh-Akku ans Ende kommen. Dann springt der Benziner als Stromgenerator ein und sorgt im Falle eines Falles für Reichweite zum Nachtanken. Altertümlich? Vom Arbeitsprinzip des Range Extenders her sicherlich. Aber gerade der sorgt eben auch für mehr Nachhaltigkeit, weil der in der Herstellung intensive Akku vergleichsweise klein bleiben kann – so wie etwa beim Mazda MX-30.

Kastenwagen mit klassischem Gesicht

11/2021, LEVC VN5
Bernd Conrad
Der Testwagen hatte den serienmäßigen 11kW-Onbard-Charger für Wechselstrom an Bord.

Diese Konstruktion bedingt auch weiterhin eine Motorhaube, die im klassischen London-Taxi-Gesicht mit steilem Kühlergrill und runden Scheinwerfern mündet. Hinter dieser Nase bauen die Briten mittlerweile nicht nur das Taxi, sondern auch einen Transporter auf verlängerter Basis, den LEVC VN5. Kann er mit diesen Genen vom Start weg zum Kult-Kastenwagen werden?

5,23 Meter misst der Kastenwagen, der sich damit deutlich in die Länge streckt. Die Höhe der Karosserie bleibt mit 1,99 Metern knapp unter dem Maß, das Parkhäuser und Tiefgaragen vorgeben. Durch die Flügeltüren am Heck oder die Schiebetür auf der rechen Seite (eine zweite links kostet Aufpreis) lässt sich ein 5,5 Kubikmeter großer Laderaum füllen.

Hier hinten zeigt der Brite eine etwas nachlässige Verarbeitung. Die Innenleuchte wirkt, ebenso wie die offen verlegten Kabel für die Stromversorgung der Leuchten am Heck, wie nachträglich in einer Hobby-Werkstatt montiert. Zudem lässt sich die Schiebetür aufgrund lockerer Dichtungen teilweise schlecht schließen. Das Ladekabel für den Anschluss des VN5 an einer Wallbox oder einer öffentlichen Ladesäule liegt zudem hier herum, einen speziellen Platz zum Verstauen gibt es nicht.

Cockpit und Sitze von Volvo

11/2021, LEVC VN5
Bernd Conrad
Die Sitze sind sehr bequem, die Kunststoff-Kopfstützen eher weniger.

Das stört zumindest beim Kennenlernen für diesen Fahrbericht nicht, also auf in das vordere Abteil. Cockpit und Sitze stammen aus dem Volvo-Regal. Das wirkt für einen Transporter, vor allem im Vergleich zur direkten Konkurrenz, ungewohnt stilsicher und trotz der einfacheren Kunststoffe auch hochwertig. Die Sessel für Fahrer und Beifahrer, die in einer optionalen Ausführung auch über eine ausziehbare Oberschenkelauflage verfügen, sind sehr bequem. Gleichzeitig zeigt sich, dass sie nicht für den Alltagseinsatz im Liefer- und Verteilerverkehr konzipiert sind. Beim häufigen Ein- und Aussteigen stört die hohe, feste Wange an der Sitzfläche. Der Längsverstellbereich der Sitze wird durch die Trennwand zum Laderaum limitiert. Aber der Platz reicht auch für große Menschen aus.

Die digitalen Rundinstrumente sind klar ablesbar. Die rechte Anzeige informiert darüber, ob man im Moment Energie verbraucht oder rekuperiert. Eine Energieflussanzeige fehlt aber. Über den hochkant angeordneten Touchscreen lässt sich einer von drei Fahrmodi auswählen: "Pure EV" für elektrisches Fahren, "Smart" für eine automatische Steuerung und "Save" für das Aufheben des aktuellen Akku-Ladezustands.

Die Fahrt beginnt rein elektrisch, aber nicht lautlos. Abroll- und Lüftergeräusche aus dem Vorbau dringen zum Ohr des Fahrers. Das ist nicht nervig, aber eben geräuschvoller als im Elektro-Pkw. Zur Einordnung: In einem elektrischen Maxus eDeliver3 klingt es recht ähnlich.

Schon auf den ersten Metern gefällt die Wendigkeit des VN5. Seine vom London Taxi übernommene Lenkung sorgt für einen kleinen Wendekreis von nur 10,1 Metern. Hinter dem Lenkrad fühlt sich das aber eher so an, als ob man fast auf der Stelle dreht.

96 Kilometer weit elektrisch

Der maximal 150 kW (204 PS) starke Elektromotor treibt die Hinterachse an und sorgt für zügiges Vorankommen. In der Stadt ist man somit recht flink unterwegs. Maximal 128 km/h schnell fährt der LEVC VN5, unabhängig vom Fahrmodus, auf der Autobahn. Das reicht für Pendlerstrecken aus. Die WLTP-Normreichweite für das elektrische Fahren gibt der Hersteller mit 98 Kilometern an. Keine Utopie: Im Test erreichte der Transporter mehrfach 96 Kilometer, bis der Akku zur Neige ging.

Von Volvo stammt der Dreizylinder-Benziner mit 1,5 Litern Hubraum, der hier mit einer Leistung von 67 kW (91 PS) als Stromgenerator arbeitet. Wenn der Verbrenner zum Dienst antritt, ist das dezent hörbar. Eine direkte Verbindung zwischen dem Benziner und den Antriebsrädern gibt es nicht. Also läuft er stets im gleichen Drehzahlbereich, egal in welcher Position das Fahrpedal steht.

Dieses von der Geschwindigkeit entkoppelte Motorgeräusch wirkt ungewohnt, sorgt aber auch im Range-Extender-Modus für verhältnismäßig niedrige Verbrauchswerte. Inklusive Autobahnfahrten lag der Benzinverbrauch mit leerem Akku bei 6,9 Litern je 100 Kilometer. Mit der Kombination aus vollem Akku und dem 36 Liter großen Tank sind also Reichweiten von gut 500 Kilometern machbar.

An der Schnellladesäule kann der LEVC VN5 Gleichstrom über die serienmäßige CCS-Buchse oder den optionalen, zusätzlichen CHAdeMO-Anschluss aufnehmen. Bis zu 50 kW Ladeleistung sind möglich. Beim Einsatz im urbanen Raum dürfte der Van aber häufiger an öffentlichen Ladesäulen oder der Wallbox im Betrieb hängen. Hier kann der Brite mit 11 kW laden, gegen Aufpreis erlaubt ein 22 kW-Onboard-Charger kürzer Standzeiten von circa 75 Minuten für eine Ladung.

Premium-Aufschlag beim Preis

Den potenziellen Kultfaktor im Design lässt sich LEVC beim VN5 bezahlen, als günstiges Angebot geht der Transporter nicht durch. Hier merkt man, dass er Gewerbetreibende ansprechen soll, die ihr Nutzfahrzeug auch als fahrende Visitenkarte verstehen.

Das Basismodell, der VN5 Business, kostet ab 52.450 Euro (inklusive Mehrwertsteuer 62.415,50 Euro). Empfehlenswert ist aber die höhere Ausstattungslinie City, mit der auch der Testwagen vorfuhr. Für 54.200 Euro (64.498 Euro brutto) bringt sie zusätzlich Annehmlichkeiten wie eine beheizbare Windschutzscheibe, Einparksensoren an Front und Heck, Vorhang-Airbags und die Verkehrszeichenerkennung mit. Topmodell ist der VN5 Ultima für 57.450 Euro (mit Mehrwertsteuer 68.365,50 Euro) mit Navigation, elektrischer Verstellung der beheizten Sitze, 22-kW-Lader, Rückfahrkamera und lackierten Stoßfängern.

Für den Lieferalltag reichen die unlackierten Schürzen der Ausstattungslinie City aus. Wird sie mit Rückfahrkamera und Komfortpaket (Navigation, Sitzheizung) ausgestattet, kommt man auf einen Listenpreis von 56.050 Euro (mit Mehrwertsteuer 66.699,50 Euro).

Fazit

Der LEVC VN5 bringt Emotionen in die Klasse der Kastenwagen. Das Design sorgt für Aufmerksamkeit und positive Reaktionen, die Fahreigenschaften sind ordentlich. Die Kombination aus kleinem Akku und Range Extender dürfte vielen, aber nicht allen Ansprüchen genügen. LEVC sollte zusätzlich eine Variante mit reinem Elektroantrieb nachschieben.

Die Preise sind sehr selbstbewusst, vor allem angesichts der teils verbesserungswürdigen Verarbeitungsqualität. Wer mit dem freundlichen Auftritt seines Kastenwagens aber nebenbei neue Kunden gewinnt, dürfte den Kult-Aufschlag zum Teil auch als Marketingausgabe verbuchen.

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AUTO MOTOR UND SPORT 11 / 2024
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Erscheinungsdatum 08.05.2024

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