Mercedes-AMG C 63 (W206)
So fährt es sich mit Elektro-Turbo

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In einem Versuchsträger der Mercedes-C-Klasse steckt der M139-Vierzylinder mit elektrischem Abgas-Turbolader. Wir durften die neue Technik exklusiv ausprobieren.

Mercedes AMG ePerformance e-ATL Fahrbericht
Foto: Mercedes-Benz

An, aus – bei Fahrzeugen mit Turbomotoren speziell aus der Anfangszeit dieser Technik nichts neues. Zumindest fühlte es sich für den Fahrer so an, als ob erst gar nichts passierte, dann aber, meist bei rund 3.000/min, das maximale Drehmoment mit aller Wucht auf sämtliche Bauteile einschlug. Heute aber geht an, aus, zumindest in diesem Versuchsträger, in dem ein Großteil der Technik des neuen Mercedes-AMG C63 steckt, anders.

Mercedes AMG ePerformance e-ATL Fahrbericht
Mercedes-Benz
Jochen Hermann, Technik-Chef und Mitglied der Geschäftsführung bei Mercedes-AMG, erklärt Redakteur Jens Dralle die Vorteile des E-Performance-Hybridsystems von AMG.
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Was geht an und aus? Der Elektromotor des elektrischen Abgas-Turbolader. Erstes Szenario: Getriebemodus manuell, fünfter Gang, die Drehzahl bei 1.500/min einpendeln lassen, das Tempo fällt weit unter das erlaubte. "Jetzt gib Vollgas", ordnet Jan Habermann an. Der Ingenieur arbeitet als Bauteilverantwortlicher für den elektrischen Abgas-Turboladerbei Mercedes-AMG, balanciert einen Laptop auf den Oberschenkeln. Vollgas. Es passiert: Nichts. Die virtuelle Nadel des Drehzahlmessers kriecht zäh die Skala nach oben, der Antrieb lässt erst ab 3.000/min Leben in ihm vermuten, bei 4000/min erfolgt dann die Drehmoment-Explosion.

Das Phlegma? Weg!

"Okay. Und jetzt das ganze nochmal", sagt Jan, tippt auf der Tastatur herum. Wieder 1.500 Umdrehungen, das Zweiliter-Vierzylinder-Aggregat brummt zufrieden vor sich hin. Wieder Vollgas. Sofort kommt Leben in die C-Klasse, eine unmittelbare Reaktion des Antriebsstranges erfolgt, deutlich vehementer als zuvor, die Kraft baut sich harmonisch auf. Wie bei einem Saugmotor? Nein, natürlich nicht. Bei etwa 3.000 Umdrehungen schießt nochmal ein kleiner Drehmoment-Blitz durch den Antrieb, der Gipfel ist nun erreicht. Das Phlegma, das Turboloch, nein, der Turbokrater: weg. Warum?

E-Dauerleistung im Turbo: 3 kW

Dem weitgehend bekannten M139-Vierzylinder-Triebwerk presst nun ein von Garrett zugelieferter, elektrischer Abgas-Turboladerkomprimierte Luft in die Brennräume. Sein vier Zentimeter schmaler, scheibenförmiger Motor leistet sechs Kilowatt und sitzt auf der Welle zwischen Verdichter und Turbine, allerdings nicht in der Mitte, sondern nahe des Lagers, da sonst die Welle zu stark belastet wird. Vorteil des Systems: Der Motor beschleunigt mit seiner maximalen Leistung für wenige Sekunden das Verdichterrad, baut also Ladedruck auf (bis zu 3,8 bar absolut), bevor der Abgasstrom das Turbinenrad erreicht. Die Dauerleistung des Motors liegt bei rund drei kW, doch in erster Linie hängt die benötigte Leistung vom Fahrer ab. "Entscheidend sind eben das schnellere Ansprechverhalten sowie das deutlich höhere Drehmoment bei niedrigen Drehzahlen", sagt Jochen Hermann, Technik-Chef und Mitglied der Geschäftsführung bei Mercedes-AMG.

Doch warum denn nun überhaupt Vier- statt Achtzylinder? "Der Vierzylinder mit E-ATL kommt ja im Verbund mit unserem Performance-Hybrid-System. Die Leistung, die sich dann ergibt in Kombination mit dem Verbrauchsvorteil ließe sich allein mit dem V8-Biturbomotor nicht realisieren", erklärt Hermann. Abgesehen davon bietet die Modellgeneration W206 kaum Bauraum für großvolumige Motoren. Aktuell ist nur so viel bekannt: Der überarbeitete M139 leistet "mehr als 330 kW", der Elektromotor an der Hinterachse könnte bis zu 150 kW zusätzlich liefern. Und da wäre man dann ja schon bei 653 PS. Hermann zeigt sich zuversichtlich, dass "die Debatte über acht und vier Zylinder sich schnell erledigt" haben wird. Zumal sich unter realen Bedingungen ein Verbrauchsvorteil zwischen zehn und 15 Prozent realisieren ließe, auch weil bei moderater Leistungsabfrage nun oft nur ein und nicht zwei Gänge zurückgeschaltet werden muss, um die gewünschte Beschleunigung abzurufen.

150 kW für zehn Sekunden

Das Besondere des neuen Hybrid-Systems: Die Akku-Kapazität beträgt nur 6,1 kWh (NMC-Zellen mit 45 Grad Celsius Arbeitstemperatur), wiegt daher aber vergleichsweise schlanke 89 kg. Die Dauerleistung liegt bei 70 kW, für ein Zeitfenster von zehn Sekunden stehen 150 kW zur Verfügung. Und die Rekuperationsleistung? 90 kW, in Spitzen bei bis zu 110 kW. Der Antrieb arbeitet mit einer Systemspannung von 400 Volt, ein 10 kW- Riemenstartergenerator ist ebenfalls integriert. "So liefert der Antrieb auch bei einem Trackday immer die nötige Performance", verspricht Hermann. Jetzt stellt sich erst recht die Frage: Weshalb der Aufwand mit dem E-ATL und nicht den E-Motor an der Hinterachse (mit Zweigang-Getriebe und vollvariablem Sperrdifferenzial) zum Zuschütten des Turbolochs nutzen?

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Die Modellgeneration W206 (aktuelle C-Klasse) bietet kaum Bauraum für großvolumige Motoren. Deshalb die Lösung mit dem Duett aus Vierzylinder und Elektro-Abgasturbolader (eATL).

"Der Motor arbeitet dann gegen den Widerstand des Benziners, zudem müsste der Akku größer dimensioniert werden", antwortet der Technik-Chef. Und die elektrische Reichweite? Bleibt unbeantwortet. Ein E-Kennzeichen jedenfalls bekommt der C63 nicht, denn dafür sind mindestens 40 km Reichweite erforderlich, ab 2022 sogar 60 km. Mehr als die Hälfte dürfte der Mercedes-AMG kaum schaffen. Der Versuchsträger sowieso nicht, denn der kommt noch ohne PHEV-Komponenten aus. Stattdessen versorgt ein Riemenstartergenerator mit 48V-Netz den E-ATL. Leistung des M139 hier: Rund 310 kW, also 421 PS, soviel wie im aktuellen A45 S. Nach ein paar Beschleunigungs-Szenarien aus festgelegten Gängen bei eher niedrigen Tempi – hier beeindruckt immer wieder die spontane Reaktion des Triebwerks und der druckvoll-gleichmäßige Leistungsaufbau mit dem Extra-Kick -, ist es Zeit für eine launchkontrollierte Beschleunigung.

Also: Sport Plus-Modus am linken unteren Bedienfeld des Lenkrads anklicken, Bremspedal voll durchtreten, Gaspedal ebenfalls. Fuß von der Bremse, die C-Klasse schießt aus dem Startblock, bassig Rotwild-röhrend (der endgültige Klang ist noch nicht definiert), bei etwa 7.000/min legt das Neungang-Getriebe jeweils nach, ultraschnell, mit sanftem Ruck. Dasselbe nochmal, mit deaktiviertem Ladermotor. An Vehemenz mangelt es zwar auch jetzt nicht, doch die Gangwechsel wirken beinahe schon stolperig im direkten Vergleich. Ohne die elektronische Steuerung des Laders, für die der E-Motor viele Parameter liefern kann, fällt der so genannte Überschwinger geringer aus, also das kurzzeitige Hochschnellen der Verdichterraddrehzahl nach dem die Zündung wiedereingesetzt hat. Daher kann der Applikationsabstand geringer ausfallen, also das Delta zwischen definierter und absoluter Maximal-Drehzahl.

Die Kennziffern des E-ATL: 156.000 und 160.000 Umdrehungen, also rund zwei Prozent. Beim konventionellen Abgas-Turbolader sind es über fünf Prozent. Währenddessen hat Jan den E-Motor wieder aktiviert, der M139 wütet, das Tempo steigt bald auf 200 km/h. Doch die südliche Steilkurve des Rundkurses naht, also bremsen, die Querbeschleunigung wirken lassen, danach per Schaltpaddel schnell in den achten Gang, um die Durchzugskraft zu genießen. Befürchtungen, vom maximalen Drehmoment eines übergebraten zu bekommen? Geschichte.

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Fazit

Ein Turbomotor mit der Leistungscharakteristik eines Saugmotors? Nein, denn schließlich lässt auch der elektrische Abgas-Turbolader die charakteristische Drehmoment-Spitze zu, der Anstieg der Kurve bis dorthin verläuft jedoch harmonischer. Und das Ansprechverhalten lag nie näher am Optimum als hier. Zusammen mit der immensen Systemleistung des Hybrid-Antriebs könnte das über den Verlust des V8-Motors hinwegtrösten. Könnte …

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