Mercedes EQS SUV
Luxus-E-SUV beeindruckt auch offroad

Zeit für die erste Ausfahrt im Mercedes EQS SUV – und zwar auf sowie abseits befestigter Straßen.

PTD Mercedes-Benz The new EQS SUV Denver 2022
Foto: Mercedes

Natürlich war es die Aerodynamik, die Mercedes dazu veranlasste, dem EQS eine Fließheckform zu geben. Bessere Aero, mehr Reichweite – klar. Aber ein Fließheck, dazu mit großer Klappe in der Luxusklasse? Gewagt. Womöglich zu gewagt für einige bedeutende Märkte. Daher jetzt: der SUV. Und der heißt auch genau so, was einigermaßen unbeholfen wirkt. Der 5,13 Meter lange EQS SUV selbst dagegen überhaupt nicht. Er läuft in den USA vom Band, soll zudem hier die meisten Abnehmer finden. Unter ihm steckt EVA2, also jene rein elektrische Plattform von Mercedes, auf der bereits die EQS Limousine und der EQE (der ebenfalls einen SUV-Ableger bekommt) durch die Welt rollen. Und das geschieht auch im neuen SUV mit beeindruckender Stille, es sei denn, du hast eine der Klangwelten aktiviert, Roaring Pulse, exklusiv für den SUV programmiert, soll an kraftvolle Maschinen erinnern. Nun ja. In jedem Fall klingt das alles eher künstlich bis albern und überhaupt: Die Stille des EQS SUV beeindruckt weitaus mehr. Herrlich.

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Lässig wie die Limo

Generell zeichnet auch ihn die Mühelosigkeit der Limousine aus, nur eben in 20 Zentimeter aufrechterer Gestalt, mit entsprechendem Platzangebot im Fond, wahlweise sogar im Fond-Fond, also als Siebensitzer. Das die hinteren beiden Sitze nicht elektrisch aufgestellt und versenkt werden können, mag jedoch nicht so recht zum Anspruch des "Game Changers" passen, den Mercedes dem SUV andichtet. Ebenso der zum Teil großzügig verwendete Kunststoff, der speziell an der Rückenlehne der Vordersitze arg öde wirkt. Der Sitzkomfort dagegen: Absolut luxusklassig, ebenso der Qualitätseindruck der Materialien im Cockpit, das beim 580 serienmäßig den so genannten Hyperscreen trägt, der drei Bildschirme unter einem gemeinsamen Deckglas vereint. Wenn schon Klang, dann bitte selbst gewählten aus dem Burmester-Audiosystem, das über den neuesten 360 Grad-Raumklang von Dolby verfügt, der dich glauben lässt, dass die "Knights of Cydonia" von Muse quer durch den EQS galoppieren. Die Strecke ist lang, kein Wunder bei unveränderten 3,21 Meter Radstand, der zusammen mit dem vom 108,4 kWh-Akku diktierten niedrigen Schwerpunkt das Fahrverhalten wunderbar beruhigt. Dazu: Zweikammer-Luftfeder, adaptive Dämpfer und Hinterachslenkung (Serie 4,5 Grad, optional 10 Grad).

Quer durch den Kontinent

Auf der Interstate 70 fragst du dich daher, wie es wohl wäre, mit dem Wagen gleich die gesamten Vereinigten Staaten zu durchmessen. Bis zu 609 Kilometer Reichweite sollen beim 580er (mit zwei Motoren, daher auch Allradantrieb) möglich sein, die Ladeleistung beträgt 200 kW, an der Wallbox 11, optional 22 kW. Mit sachtem Wogen der Karosserie, das es schafft, auf den Punkt diesseits der Wohlfühlgrenze zu bleiben, walzt der Mercedes über Bodenwellen. Lediglich hinterhältige Verwerfungen bringen die 22-Zoll-Räder (Serie: 20 Zoll) zum kurzzeitigen Poltern, das jedoch im Sitz versumpert. Die Lenkung lässt sich davon ebenfalls nicht beeindrucken, meldet keine Störungen. Also rückmeldungsfrei? Im Gegenteil. Es entsteht bald der Eindruck, dass sie immer exakt so viel Fahrbahneinflüsse und Informationen der Vorderräder in die Handflächen auf dem weichen Lederbezug des Lenkrads weiterleitet, wie es die Fahrweise gerade erfordert. Ja, das gilt auch dann, wenn sich die Straße in unterschiedlichen Radien bergauf schlängelt. Mit seiner Systemleistung von 400 kW und dem maximalen Drehmoment von 858 Nm soll der über 2,7 Tonnen schwere SUV in 4,6 Sekunden aus dem Stand auf 100 km/h sprinten. Das mag man durchaus glauben, wenn einen die Sitze beim Kickdown aufzusaugen drohen.

Kann er auch Kurven?

Viel wichtiger allerdings: Beherrscht er jene Kurvengier, mit der aktuelle, vordergründig komfortable Mercedes-Modelle gerne mal überraschen, wenn man sie fordert? Klare Antwort: Jein. An der Lenkung liegt’s jedenfalls nicht, die macht mit, auch wenn sie im Sport-Modus unnötig viel Handmoment fordert. Leistung? Traktion? Alles da. Bremspedalgefühl? Besser als bei den Limousinen, aber immer eher im Unklaren. Nein, speziell die ausgeprägten Aufbaubewegungen drängen den EQS SUV zurück in die Komfortschublade. Eine elektrische Wankstabilisierung könnte helfen, doch Mercedes lässt verlauten, dass der Aufwand zu groß gewesen wäre. Immerhin müsste neben 12 Volt für die Steuergeräte und 400 Volt für den Antrieb mit 48 Volt für die Stabis ein drittes Bordnetz installiert werden. Womöglich macht sich ja AMG die Mühe? Wer weiß. So jedenfalls positioniert sich der EQS SUV klar als extrem geräumiger, extrem komfortabler Reisewagen, ein nicht unhandlicher obendrein, solange die 10-Grad-Hinterachslenkung mitbestellt wird. Ach ja, die sei ja auch ganz dufte, wenn man mit dem SUV ins Gelände wolle, sagt Mercedes. Schließlich gäbe es einen Offroad-Modus, der das Karosserieniveau um 25 mm anhebt, Neigungs- und Steigungswinkel anzeigt sowie auf dem zentralen Monitor bei extremer Steigung den Vorderwagen transparent macht, so eine Draufsicht auf die Vorderräder und den darunterliegenden Weg ermöglicht.

PTD Mercedes-Benz The new EQS SUV Denver 2022
Mercedes
Bis zu 609 Kilometer sollen zwischen den Ladestopps mit dem Mercedes EQS SUV 580 zurückgelegt werden können.

Beeindruckt am Berg

Tatsächlich kraxelt ein mit A/T-Reifen bestückter EQS SUV ziemlich unbeteiligt einen Hang mit 30 Grad Steigung hoch, stakst über amtliche Gesteinsbrocken, windet sich zwischen Nadelbäumen hindurch, verschränkt wie ein Groß… nein, das dann doch nicht, da muss die Elektronik ran. Interessant: Wenn die Bergabfahrhilfe ranmuss, der EQS also selbsttätig mit Schrittgeschwindigkeit starkes Gefälle hinabschleicht, bleibt es still. Kein Kraspeln in der Bremse. Warum? Weil das Tempo zwar über die Reibbremse, aber eben einen elektrischen, nicht hydraulischen Bremskraftverstärker geregelt wird. Generell lässt sich der kraftvolle E-Antrieb im Gelände ausgezeichnet dosieren, zumal sein Moment pro Minute 10.000 Mal überwacht und gestellt wird. Zugegeben, kaum ein Käufer dürfte sich auf solche Abwege verirren, kann aber damit angeben. Mit der Anhängelast von lediglich 1,8 Tonnen gelingt das sicher weniger, da dürfen BMW iX und Tesla Model X schwerer ziehen. Den EQS SUV zieht es vorrangig in die Ferne, er mag die große Reise. Mit dem hinterradgetriebene EQS 450 sollen dann die Intervalle bis zu 671 Kilometer betragen. Er fühlt sich zudem trotz nur 265 kW Leistung und 568 Nm durchaus schon lässig an. In jedem Fall muss das Infotainment sein Planungstalent mit entsprechenden Ladestopps beweisen. Und die bleiben vermutlich eher lang, da hilft auch die Aerodynamik nichts.

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Fazit

Vor allem der Gewinn an Nutzwert überzeugt bei SUV, zumal Federungs- und Geräuschkomfort nicht unter der neuen Karosserieform leiden. Beeindruckend auch, was der Mercedes im Gelände zu leisten vermag. In dieser Preis- und Gewichtsklasse unverständlich: die geringe Anhängelast, die manuelle dritte Sitzreihe und das trübe Bremspedalgefühl.

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