Microlino Pioneer
Erste Fahrt im Isetta-E-Klon

Jetzt kommt die Neuinterpretation der BMW Isetta wirklich auf den Markt. Der Microlino startet rein elektrisch bei 17.690 Euro. Also auf zum ersten Fahrbericht mit allen Informationen – auch der, ob der Microlino bietet, wofür die Marke Micro steht: einen Kick.

Ja, so, und zwar ab sofort, ab 18, ab 17.690 Euro, nein, die machen da nicht mit, nein, nicht aus China, sondern aus der Schweiz und Italien. Und ooh ja! Damit haben Sie schon alle Antworten auf die drängendsten Fragen zum Microlino. Aber Sie kennen uns ja: Damit lassen wir es nicht bewenden, sondern führen das noch ein wenig aus.

Unsere Highlights

Zunächst gibt es noch eine grandiose Geschichte zu erzählen, die nämlich, wie das alles beginnt mit der Marke Micro: mit einem Besuch im Lieblingsbistro 1999. Denn dafür ist der Weg von der Wohnung von Wim Ouboter zu weit, um zu laufen, viel zu kurz fürs Auto, und selbst das Rad aus dem Keller zu lupfen, lohnt nicht recht. Also überlegt er, welches Micromobil sich dafür am besten eignen könnte und kommt dabei auf eine alte Idee: die Radelrutsch. Der Schweizer Ouboter erfindet die neu, aus Metall statt Holz, klappbar, groß und stabil genug für Erwachsene. Das Gefährt mit kleinen Rädern nennt sich dann Kickboard und wird ein dermaßener Boom. Als das von Ouboter gegründete Unternehmen Micro noch der einzige Hersteller ist, stellen sie zeitweise 80.000 Kickroller her: AM TAG!

Isetta-ähnlich, aber nicht identisch

Klar dauert es nicht lange, bis die Idee Nachahmer findet. Was auch daran liegt, dass sich die Idee nicht patentieren lässt. Was damals natürlich ärgerlich ist, aber heute den Microlino ermöglicht. Und das kommt so:

Seit 2015 überlegen die Söhne des Micro-Gründers Merlin und Oliver an einer Idee zeitgemäßer Stadt-Automobilität. Die erste Vision ist ein Zwischending aus Vespa-Roller und Tesla Model S. Was dabei herauskommt ist ein Kabinenroller im Stil von BMWs Isetta (1955 bis 1962). Mit BMW hat der Microlino gar nichts zu tun – obgleich es an einem Versuch, die Bayern mit ins Projekt zu bekommen, nicht gemangelt hat. Dass Micro das Design so nah an die Isetta anlehnen kann, liegt daran, dass schon kleine Änderungen genügen. Die Form darf nicht identisch sein, aber durchaus sehr ähnlich. Zudem nutzt BMW das Design seit 60 Jahren nicht mehr, und schließlich, so die Brüder, weise ein Kabinenroller nun einmal typischerweise eine solche Form auf.

Zunächst nur als PR-Konzept gedacht, ist die Reaktion auf den Microlino auf dem Genfer Salon 2016 so enorm, dass Micro beschließt, es doch umzusetzen. Was im ersten Anlauf unter anderem wegen eines schwierigen Partnerschaftsverhältnises nicht gelingt, setzt Micro nun fast alleine um. Als Produktionspartner haben die Schweizer nun Cecomp in Turin gefunden. 4.000 Microlino können die pro Jahr dort fertigen. Und das nun ganz nebenbei: Ist es nicht schön, dass so ein Wägelchen tatsächlich aus Europa kommt und nicht aus China?

Auf 999 Exemplare limitiert

Ab sofort ist der Microlino online bestellbar, ein Netz von Wartungs- und Übergabepartnern am Entstehen. Zum Start gibt es die auf 999 Exemplare limitierte Pioneer Edition. Die hat den mittleren der drei Akkugrößen (6 kWh, 10,5 kWh, 14 kWh). Bei der Einstiegsversion Dolce ist der kleine Akku Serie. Schon der soll für 91 km Reichweite genügen. Bei der 1.500 Euro teureren mittleren Version sind es 177 km, bei 14 kWh (nochmals 1.500 Euro drüber) dann 230 km. Dass diese kleinen Kapazitäten für solch stattliche Reichweiten genügen, erklärt sich mit dem Gewicht. Der kleine Kabinenroller wiegt ohne Akku nur rund 450 Kilogramm – das ist auch eine Vorgabe für die Zulassung als L7e-Fahrzeug, also Mobile mit maximal 15 kW und 90 km/h Höchstgeschwindigkeit, die mit dem normalen Autoführerschein gefahren werden dürfen. Später wird Micro noch eine L6e-Variante nachschieben. Sowas ist ja auch der Opel Rocks-e. Die darf dann nur 45 km/h schnell fahren, dann aber schon ab 16.

Während praktisch alle anderen Leichtkraftwagen auf einem Gitterrohrgestell aufbauen, das mit Karosserieteilen vertäfelt wird, verfügt der Microlino über eine selbsttragende Stahl-Alu-Karosserie. Das schafft neben höhere Stabilität und Dauerhaltbarkeit auch mehr Sicherheit – also im Rahmen dessen, wie sicher man sich eben so fühlen kann in einem Auto ohne Airbag, ESP. Und wenn man hinter der einzigen Tür sitzt, fast als integraler Bestandteil der Knautschzone.

Reinklettern und -schlängeln

Durch die steigen wir nun aber unverzagt ein. Sie entriegelt an der Seite. Also reinklettern, dann hinters feststehende Lenkrad schlängeln und die Tür mit der Schlaufe zuziehen. Aber nur anlehnen, eine Soft-Close-Automatik zieht das Portal dann ins Schloss.

So, nun einrichten auf der Zweierbank, die sich am Stück längs verschieben lässt, worin sich ihr Verstellpotenzial erschöpft. An Instrumentierung gibt es ein kleines Digitaldisplay, zur Bedienung (Heizung, Lüftung, Heckklappenentriegelung, Einstellungen) einen kleinen Touchscreenstreifen in der Tür und zur Unterhaltung eine Halterung sowie einen Bluetooth-Lautsprecher fürs Telefon. Nein, so wirklich viel, was man noch weglassen könnte, findet sich nicht in der Kabine.

Schlüsseldreh, die Displays fahren hoch. Fuß fest auf die Bremse und am kleinen Drehrad links die Fahrrichtung einstellen. Fuß vom Gas und aufs Fahrpedal. Der Microlino stromert los. Dabei wird das Gefühl des vehementen Anfahrens nicht nur von der Drangfülle der 89 Nm unterstützt, welche die 12,5 kW starke E-Maschine zusammenstromert. Sondern auch von einer Geräuschkulisse, in der immer auch ein bisschen was waschmaschiniges mitschwingt. Beschleunigung wie Klangkraft lassen sich über einen Sportmodus noch heben, allerdings nur für fünf Minuten. Doch schon das Normalniveau genügt mit erstaunlicher Leichtigkeit für den Stadtverkehr. Da wuselt der Microlino munter durch die Rushhour, zischt an Bussen und Lastwagen vorbei und stemmt sich beherzt von Ampeln weg. Ja, außerhalb wird es dann zäh. Wir fahren auch mal ein Stückchen Autobahn, welches die Freundlichkeit besitzt, sich in ein leichtes Gefälle zu neigen. Ansonsten bringen schon sachte Steigungen die Tempo-Entschlossenheit arg ins Wanken. Auf Landstraßen vermögen schon leichte Anstiege das Maximaltempo auf 70 km/h zu senken. Das auf der Autobahn mit einem 40-Tonner zu erleben, zählt eher nicht zu den Abenteuern, nach welchen wir uns so dringlich sehnen.

Darin aber besteht ja auch gar nicht die Idee des Microlino. In der Stadt aber ist er: grandios. Nicht nur wegen des knappen Wendekreises von 7,30 Metern, sondern auch wegen seiner Schmalheit. Denn mit 1,47 Meter Breite kann er eigentlich überall quer parken, ragt wegen der 2,52 Meter Kürze dabei nicht mal auf die Straße. Stimmt, das war beim ersten Smart Fortwo auch so gedacht. Aber da musste seitlich viel mehr Platz sein, um aussteigen zu können. Das gelingt beim Microlino ja durch die Vordertür und – vorwärts geparkt direkt auf den Gehweg.

Bis zu vier Stunden Ladezeit

Auch deswegen erweist sich der Microlino als Mobil von großem Alltagsgeschick. In den Kofferraum passen 230 Liter Gepäck, dazu braucht die Ladekabelei nur wenig Platz. Der Kabinenroller lädt dabei mit maximal 2,6 kWh, am liebsten einfach an 230-Volt-Haushaltssteckdosen. Geht aber auch an der Wallbox – nur eben auch da nicht schneller. Wobei je nach Akku drei bis vier Stunden fürs Vollladen ausreichen.

Das ein oder andere Kilowattstündchen rekuperiert der Microlino dazu auch auf beim Herumkurven zusammen. Eher bockig spricht derweil die Federung an. Doch wie soll das anders gehen bei dem niedrigen Gewicht, dem kurzen Radstand und einem Fahrwerkssetup, das ohne ESP sicher sein muss und dazu auch ein wenig Handlingvergnügen bereiten soll. Was durchaus gelingt, obgleich die Lenkung eher indirekt ausgelegt ist. Was aber wiederum eine Servo-Unterstützung spart.

Am meisten Freude bereitet der für ein Kleinserienauto gut verarbeitete und nett eingerichtete Microlino aber beim gemütlichen Bummeln durch die Stadt mit offenem Faltdach. Dann hörst du die Leute in den Cafés schnacken, die Vöglein zwitschern oder wie der Wind durch die Bäume fegt. Ja, das ist der echte Kick.

Umfrage
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Fazit

Der Microlino ist genau das, was er verspricht: ein aufs Minimum an Größe, Leistung und Aufwand reduziertes, detailverliebt und sehr modern gemachtes Stadtmobil. Vielen wird es dafür zu teuer sein. Aber wer ihn sich leisten will – aus Begeisterung oder weil es Vergleichbares nirgends sonst gibt – dürfte in diesem Microkosmos glücklich werden.

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AUTO MOTOR UND SPORT 10 / 2024
AUTO MOTOR UND SPORT 10 / 2024

Erscheinungsdatum 25.04.2024

148 Seiten