Pagani Huayra und Ferrari F12 Berlinetta
Ultimatives Supersportler-Meeting

Pagani Huayra und Ferrari F12 Berlinetta: Sie sind die Stärksten der V12-Zunft. auto motor und sport hat die beiden Supersportwagen zu einem Date auf der Rennstrecke eingeladen.

Pagani Huayra, Ferrari F12 Berlinetta, Frontansicht
Foto: Hans-Dieter Seufert

Draußen rennen die Regentropfen über die Fensterscheibe, während drinnen einer dieser schleppenden Wintertage herrscht. Das Telefon klingelt: Kannst du die Geschichte „Ferrari F12 Berlinetta trifft Pagani Huayra“ in Italien übernehmen? Prosciutto, Parmigiano plus die stärksten V12-Seriensportler der Welt statt Schreibtisch-Tristesse. Es gibt Fragen, die sind noch schneller beantwortet als die 50-Euro-Frage bei „Wer wird Millionär“.

Zwei Tage später, 8.31 Uhr, Boxengasse Autodromo di Modena – die Zwölfzylinder-Startenöre von Pagani Huayra und Ferrari F12 Berlinetta laufen sich brummend warm und sorgen schon im Stand für Reizüberflutung wie Tokio an einem Samstagabend. Jeder Blick ein Wow-Effekt dank faszinierender Details aus der Champions League der Sportwagen-Entwicklung.

Etwa die so genannte Aero Bridge des Ferrari – Luftschächte in den vorderen Kotflügeln, die aerodynamisches Formel 1-Gedankengut in Serie verkörpern. Mit weiteren Finessen soll der Abtrieb im Vergleich zum Vorgänger 599 GTB Fiorano bei 200 km/h um 53 auf 127 Kilogramm klettern. Anders als der geliebte F40, Held des Kinderzimmerteppichs Mitte der Achtziger, soll die neue Berlinetta so auch ohne martialisches Flügelwerk nach vorne fahren.

Pagani Huayra gibt es bislang nur 15 Mal

Ein leises Zischen lenkt vom Cavallino ab. Teleskopdämpfer heben die Pagani Huayra-Flügeltüren so majestätisch wie ein Adler seine Schwingen. „Intern nennen wir ihn nur C9“, sagt Testfahrer Davide Testi, angesprochen auf den kryptischen Namen Huayra, der in der Sprache eines südamerikanischen Volkes „Gott des Windes“ bedeutet.

Homöopathische Stückzahlen lassen selbst die Roten aus Maranello wie Volkswagen dastehen. Aus 4.000 neu entwickelten Teilen formt die Supersportwagen-Manufaktur von Horacio Pagani nahe Modena in je einmonatiger Handarbeit den Huayra. 15 Mal wurde der Göttliche bisher an Kunden ausgeliefert.

Mit seinem Kohlefaser-Kleid sowie dem Mix aus barocker Pracht und blankem HighTech im Interieur könnte der Pagani Huayra Zweisitzer locker Semester jeder Kunsthochschule füllen. Thema der Auftakt-Vorlesung: „Das Kombi-Instrument – Design in Perfektion. Eine Skulptur aus Vollaluminium.“ Seine Anzeigen ähneln eher Chronographen in den Auslagen exklusiver Juweliere als schnöden Informationsträgern für Tempo, Drehzahl, Temperatur und Co.

Stärkster Straßen-Ferrari aller Zeiten

Klick, Kunstliebhaber haben Pause, jetzt sind Sportfahrer dran – die Boxenampel springt auf Grün. Im Ferrari-Museum wird nun einer richtig nervös. Mit 740 PS übertrumpft der Ferrari F12 Berlinetta sogar den Enzo um 80 PS und kürt sich zum stärksten Straßenmodell der Firmengeschichte. Das neue Direkteinspritzer-Triebwerk mit 65 Grad Bankwinkel basiert auf den weiterentwickelten Saugmotoren von Enzo und 599.

Raus auf den Rennkurs: Hochoktaniges flutet den 6,3 Liter großen Brennraum-Magen des Ferrari F12 Berlinetta, der zurückhaltende Leerlaufbass schwillt mit steigender Drehzahl zu heiserem V12-Schreien an. Bei einer Höchstdrehzahl von 8.700/min imitiert der mit 13,5:1 hochverdichtete Zwölf-Ender die klare Stimme eines reinrassigen Renntriebwerks – hochfrequent-hell, ohne metallisch rasselndes Orchester wie einst eine andere Zwölfer-Legende namens F50.

Ferrari F12 Berlinetta macht den Enzo nervös

Ton und Kraft entfalten sich angenehm gleichmäßig. Die Leistung auf F1-Niveau platziert der Hecktriebler auch bei deaktiviertem ESP mit Leichtigkeit auf den Asphalt. Auskeilen wie ein wilder Gaul? Längst Geschichte. Heute jagt der Ferrari F12 Berlinetta mit neutraler Balance bereits nach der Aufwärmrunde die Bestzeit. Dabei liefert er die fast perfekte Illusion, jedermann im Schalensitz würde mit Nachnamen Alonso heißen.

Für die Traktion unter Last ist neben der gelungenen Fahrwerksabstimmung auch die an einen Mittelmotorsportler erinnernde Gewichtsverteilung (46 zu 54 Prozent) verantwortlich. Die etwas leichtgängige, aber mit präziser Rückmeldung arbeitende Lenkung erinnert genauso wie die tiefe Sitzposition an Ferraris aktuellen Mittelmotor-Star 458 Italia.

Genug des Lobs: Feinfühlige Piloten spüren trotz der Agilität, dass der Ferrari F12 Berlinetta kein Renner mit Straßenzulassung sein will. Das vergleichsweise komfortorientierte Fahrwerk schluckt zwar im Alltag Bodenwellen lässig, gerät aber auf der verwinkelten Rennpiste mit spürbaren Karosseriebewegungen an seine Grenzen. Dennoch nimmt der F12 dem Enzo auf der Ferrari-Hausstrecke Fiorano zwei Sekunden ab.

Obwohl er unter anderem dank neuen Aluminium-Bauteilen 70 Kilogramm leichter als sein Vorgänger sein soll, lassen sich rund 1.630 Kilogramm Gesamtgewicht im Grenzbereich nicht ganz verheimlichen. Ambitionierte Spätbremser rüttelt er durch gutmütiges Schieben über die Vorderachse wach – mit solcher Fahrweise doch besser auf den Enzo-Nachfolger zu warten.

Le Mans-Gefühle im Pagani Huayra

Boxenstopp: Arrivederci Ferrari F12, Benvenuto Pagani Huayra, Chassis Nummer 1. Geschichtsstoff für die Enkel später. Die Pagani-Flügeltür schließt die an einen Le Mans-Gruppe C-Helden erinnernde Kanzel, ohne dabei das Raumgefühl auf Rennwagen-Enge zu minimieren. Die Sitzposition passt in den belederten Karbon-Schalenkunstwerken sofort wie ein italienischer Maßanzug. Im Vergleich zum Ferrari F12 ist der Pagani Huayra mehr Renn- als Alltagssportler. Wir hocken gefühlt ein Stockwerk tiefer. Die Flunder ist 10,4 Zentimeter platter, 9,4 Zentimeter breiter und fast 300 Kilogramm leichter als der Ferrari. Der Zwölfzylinder-Biturbo ertönt wie einst Pavarotti mit tiefer Stimmlage. Zuvor schob der für Pagani speziell weiterentwickelte AMG-V12 bereits im SL 65 AMG Black Series Dienst.

„AMG hatte uns den SLS-V8 vorgeschlagen, doch unsere Kunden wollten den V12. Wir haben lange am Turboloch gearbeitet“, verrät Entwicklungsfahrer Testi Details. Klar, saugmotorfidel wie der F12 hängt er nicht am Gas. Die minimale Lücke in der Kraftentfaltung geht jedoch in orkanartigem Rauschen unter, wenn die beiden Lader des Pagani Huayra unter Volllast komprimierte Luft in die Sechsliter-Lunge pressen. Bereits ab 2.000 Touren steht mit 1.000 Newtonmeter maximalem Drehmoment ein Punch zur Verfügung, der Vitali und Wladimir neidisch machen würde.

Liebe auf den ersten Metern

Über eine Taste am Lenkrad schärft der Pilot das sequenzielle Siebengang-Getriebe von Xtrac. Der britische Motorsport-Zulieferer hat für Pagani erstmals ein Seriengetriebe entwickelt. Im Sportmodus knallt die Schaltbox beim Huayra die Gänge in 60 Millisekunden rein, verzichtet dabei aber auf Aventador-typische Härte eines Vorschlaghammers.

Huayra-Fahren am Limit ist Liebe auf den ersten Metern: Spät in die Kurve reinbremsen, Einlenken per Gedankenübertragung und wieder früh ab dem Scheitelpunkt aufs Gaspedal stiefeln. Obwohl die 730 PS bei deaktiviertem ESP energisch an den hinteren 335er-Walzen angreifen, brilliert der Pagani Huayra mit Traktion und hohem Gripniveau der Pirelli-Semislicks. Dank Sportreifen, Gewichtsvorteil und einer bissig zupackenden Keramikbremsanlage macht er dem Ferrari F12 vor allem bei der Verzögerung das Rennstreckenleben schwer.

Flexible Aerodynamik durch Huayra-Flaps

Neben dem rennähnlichen Fahrwerk mit über Pushrods angelenkten Federbeinen sorgt eine flexible Aerodynamik für hohe Fahrstabilität. Je nach Tempo, Gierrate, Querkraft, Gaspedalstellung und Lenkwinkel bewegen sich je zwei Flaps vorne und am Pagani Huayra-Heck elektronisch gesteuert wie Querruder eines Flugzeugs im Fahrtwind. Auch ohne Stoppuhr geht das Rennstreckenduell zugunsten des extremeren Pagani aus. Vorteil Ferrari heißt es mit bis zu 500 Liter Stauraum dafür im Alltag.

Pagani preist zwar intensiv den Alltagsnutzen des Huayra an, aber schon Brötchenholen kann mit dem Kohlefaser-Kunstwerk zur langwierigen Angelegenheit werden. Dabei sorgen weniger die je 15 Zentimeter überstehenden Karbon-Spiegel oder der mäßige Stauraum für Zeitverzug im Alltag. „Neulich hat mich die Polizei sechs Mal an einem Tag gestoppt. Die Beamten wollten immer ein Erinnerungsfoto mit dem Huayra. Jeder Tankstopp ähnelt einer Presse-Konferenz mit einer riesigen Menschentraube“, verrät Pagani-Tester Testi schmunzelnd.

Der Mann hinter den Traumwagen

Horacio Pagani wurde am 10. November 1955 in Casilda (Argentinien) geboren. 1983 zog er nach Italien. Ab 1984 arbeitete Pagani für Lamborghini, bevor er sich 1988 als Karbonspezialist selbstständig machte. 1992 folgte die Gründung von Pagani Automobili. Das bisher einzige Modell namens Zonda wurde von 1999 bis 2011 in verschiedenen Versionen 131 Mal gebaut. Motorenpartner AMG lieferte bereits für die Zonda-Derivate Zwölfzylinder-Motoren.
 

Technische Daten
Ferrari F 12 Berlinetta Pagani Huayra 6.0 V12
Grundpreis268.328 €1.061.480 €
Außenmaße4618 x 1942 x 1273 mm4605 x 2036 x 1169 mm
Kofferraumvolumen320 bis 500 l
Hubraum / Motor6262 cm³ / 12-Zylinder5980 cm³ / 12-Zylinder
Leistung545 kW / 741 PS bei 8250 U/min537 kW / 730 PS bei 5800 U/min
Höchstgeschwindigkeit340 km/h370 km/h
Verbrauch16,3 l/100 km15,0 l/100 km
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AUTO MOTOR UND SPORT 11 / 2024
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Erscheinungsdatum 08.05.2024

148 Seiten