Ruf RT 35 im Fahrbericht
Den Ruf nach Turbo erhört

Natürlich können leistungshungrige Porsche-Fans auf den neuen 911 Turbo warten. Müssen Sie jedoch nicht, denn Ruf hilft – wie bereits vor 35 Jahren. Diesmal jedoch mit 630 PS und maximal 1,6 bar Ladedruck.

Ruf RT 35, Frontansicht
Foto: Hans-Dieter Seufert

Zu einer Zeit, als mächtige Sonnenbrillen und buschige Schnauzbärte Schatten auf die entschlossenen Mienen engagierter Autofahrer warfen, ließ Alois Ruf sein erstes Turbo-Modell auf die Öffentlichkeit los. Natürlich experimentierte der Porsche-Enthusiast schon länger an seiner Interpretation des aufgeladenen 911 herum, doch für ihn gilt heute der Turbo 3.3 als Initialzündung für alle nachfolgenden Modelle. Und vielleicht auch deshalb, weil sich so nun 35 Jahre später prima Geburtstag feiern lässt – mit einem aufgeladenen 911 neuester Ausprägung, also auf 991-Basis.

Ruf RT 35 mit Sechszylinder-Biturbo des 997

Dabei entfällt zwar die Möglichkeit, sich vom kommenden Werks-Turbo über die Anzahl der Gänge zu differenzieren (oder hat irgendwer schon ein bezahlbares Achtgang-Doppelkupplungsgetriebe gesichtet?), doch Antriebsart und Fahrwerksabstimmung bieten noch Spielräumchen – und natürlich die Optik. Meine Güte, wollen die siebziger Jahre um psychedelische Karo-Stoffe, wie sie die Sitzmittelbahn im Ruf RT 35 überspannen, bedauert oder beneidet werden? Doch noch bevor das Muster den Verstand außer Kraft setzen kann, sitzt man eh schon drin im Schalensitz, der mit seinen ausgeprägten Wangen freundlich in die Ablagerungen zahlreicher Ern.hrungssünden kneift. Ansonsten ist alles Porsche im forstwirtmetallicfarbenen Elfer, nur eben ohne Porsche-Embleme. Dafür jedoch mit einem Lenkrad, das bedienfreundliche Schaltpaddel und Multifunktionstasten kombiniert. In Zuffenhausen überlegt man derweil noch, wie das geht.

Da der Ruf RT 35 eher monofunktional – nämlich rein aufs Fahren – ausgelegt ist, greift die linke Hand nach dem Zündschlüssel. Das 3,8-Liter-Triebwerk legt los, siedende Bässe fließen aus den vier nicht eben unterdimensionierten Endrohren. Hat der Ruf etwa? Nein, er hat nicht. Im Heck des 991 arbeitet nicht ein mit zwei Ladern samt Peripherie zwangsverheiratetes Carrera S-Aggregat, sondern der Sechszylinder-Biturbo des 997 in seiner letzten Ausprägung mit Direkteinspritzung. Feinschliff an der Luftführung, modifizierte Turbos mit variabler Turbinengeometrie sowie eine neu abgestimmte Elektronik tragen Schuld daran, dass er 630 PS aus seinen Zylindern boxt und mit einem maximalen Drehmoment von 825 Newtonmetern um sich wirft – und damit ausschließlich die Hinterachse trifft.

In 3,2 Sekunden von null auf Tempo 100

Vor 35 Jahren reichte jeweils weniger als die Hälfte zur Legendenbildung, was bei einem Leergewicht von knapp 1.300 Kilogramm auch nicht weiter verwundert. Fahrerassistenzsysteme? Ja, 225 Millimeter breite 16-Zoll-Reifen an der Antriebsachse. Das aktuelle Modell lebt dagegen auf 20-Zoll-Füßen und beherbergt zahlreiche Leitungen, in denen Bits und Bytes hin und her sausen, um den Sportwagen optimal zu beschleunigen (laut Ruf in 3,2 Sekunden von null auf 100 km/h), auf den Punkt zu verzögern und ihn nicht bei etwas zu energischen Zuckungen des rechten großen Zehs mit dem Heck voraus in der nächstbesten Eiche zu parken.

Tatsächlich rollt das Coupé ganz schmusig los, das PDK-Getriebe langweilt sich im Automatikmodus, die Klimaanlage rauscht. Wie immer im 911 ist die Sitzposition erstklassig, wie in den meisten 911 auch der Sitzkomfort. Bei 2.000/min mischt sich unter die brummelnde Boxer-Melodie ein erstes helles Pfeifen, das 1.000 Umdrehungen später zum Konzert eines Chores liebestoller Staubsauger anschwillt – das erinnert ein bisschen an die wahnwitzige Akustik des Bugatti Veyron. Trollt sich nun vor Schreck der Gasfuß, entweicht der Ladedruck mit einem erleichterten Juchzer.

Ruf RT 35 beschleunigt bis auf 330 km/h

Feierabend? Nix da. Nochmal von vorne, Sport-Taste gedrückt (schärft die Gasannahme auf ein kitzeliges, aber nicht hypernervöses Maß wie im Sport-Plus-Modus), Wählhebel in die manuelle Gasse drücken, Vollgas. Bei vollem Ladedruck scheint sich der mit 9,8 zu eins verdichtete Direkteinspritzer unmittelbar ins Kreuz der Besatzung zu werfen, dreht verstörend schnell und furchteinflößend trompetend, aber gleichmäßig bis 7.000/min hoch, lässt sich vom Getriebe den nächsten Gang injizieren und keinen Zweifel daran, jetzt den Ruf RT 35 bis auf 330 km/h weiter zu beschleunigen.

Unterdessen bemüht sich der Fahrer, rechtzeitig an den Schaltpaddeln zu zupfen, kann erst allmählich klare Gedanken fassen. Zum Beispiel den, dass seine Handflächen überraschenderweise gar nicht schweißnass sind. Unbeirrt läuft der Sportwagen geradeaus und federt zudem, obwohl völlig unadaptiv, sehr anständig. Soweit sich das Eigenlenkverhalten im öffentlichen Straßenverkehr und bei Einhaltung einer führerscheinfreundlichen Fahrweise beurteilen lässt, darf es sich als neutral bezeichnen. Den Ruf zeichnet jene vertrauenerweckende, leichtfüßige Porschigkeit beim Filetieren jeglicher Kurven, Kehren und Biegungen aus, wie sie kein anderer Sportwagen bietet. Meist finden die 305 Millimeter breiten Antriebsräder sogar ausreichend Traktion, und falls nicht, wird es dem Fahrer rechtzeitig mitgeteilt. Wer lästert da noch über die elektromechanische Lenkung? Ruhe jetzt.

Der Ruf RT 35 macht die Musik, pfeift, bollert, brüllt, stöhnt – und schießt geradewegs in eine winzige Marktnische, zu deren Identifikation es schon ein ordentliches Vergrößerungsglas braucht. Doch das war auch in den letzten 35 Jahren meist der Fall, und Ruf behauptet sich noch immer bestens. Großformatige Sonnenbrillen zählen ja auch wieder zu den aktuellen Trend-Accessoires. Mega-Schnauzbärte dagegen glücklicherweise nicht.