Wanderer W25 Stromlinie im Fahrbericht
Ein Wanderer auf Reisen

Der Wanderer, so hieß es, solle zur Feier des 75. Jahrestages seines Mannschaftssiegs bei der Fernfahrt Lüttich–Rom–Lüttich an den Startort von 1939 gebracht werden. Heinrich Lingner meldete sich freiwillig für die Fahrt.

Wanderer W25 Stromlinie, Frontansicht
Foto: Hardy Mutschler

Eine Regenkombi ist ein Kleidungsstück, das den Motorradfahrer vor äußerer Nässe schützt, jedoch so etwa die Atmungsaktivität und Konsistenz einer Teichfolie hat. Klingt nicht schön, ist es noch weniger. Eigentlich will ich sie daher gar nicht anziehen, doch meine Reisebegleiter bestehen darauf.

Also lasse ich mich dazu überreden, den schwarzen Gummianzug für die Fahrt von Ingolstadt nach Spa anzuziehen. Immerhin lungern Regenwolken im Nordwesten, die entgegenkommenden Autos haben Licht an, und über die flache Windschutzscheibe flattert mir wenig später der Duft von nasser Landstraße entgegen. Ich schwitze und denke bereits eine halbe Stunde und 30 Kilometer hinter Ingolstadt, dass das hier vielleicht doch keine so pralle Idee war.

75. Jubiläum des Mannschaftssiegs

Es wäre doch, schlug die Audi-Traditionsabteilung im Frühjahr vor, eine tolle Sache, den Wanderer W25 Stromlinie zum 75. Jubiläum seines Mannschaftssiegs bei der Lüttich – Rom – Lüttich am damaligen Startort zu fotografieren. Klar, sagte ich, und dann: „Wie kommt denn der Wanderer eigentlich nach Spa?“ Auf Achse, wenn ich ihn unbedingt hinfahren wolle, flachsten sie.

Da sitze ich nun schwitzend in der Motorradkombi, eingezwängt zwischen Lenkrad und einer notdürftig gefütterten Alu-Sitzschale des Wanderer W25 Stromlinie, noch 600 Kilometer Landstraße vor mir, und stelle zum ersten Mal fest, dass die Fahrer damals vermutlich aus einer etwas zäheren Legierung gegossen waren.

Das Einsteigen in den flachen Wanderer W25 Stromlinie geht noch ganz geschmeidig, ein Dach gibt es schließlich nicht, die kleinen Türen sind eigentlich überflüssig. Die Beine verschwinden in der Alu-Röhre links des Motors, irgendwo weit vorn ertasten die Füße drei Pedale, die offenbar für Schuhgrößen unter 44 ausgelegt sind. Das Lenkrad ist groß und dünn und sieht aus, als entstamme es einer Baumaschine der Wirtschaftswunderzeit. Der Aufprallschutz besteht aus einer Alu-Mutter, sie schützt hauptsächlich den Schnellverschluss auf der Lenksäule.

Freilich ist dieser Wanderer W25 Stromlinie gar kein Original. Keiner der vier einst extra für die Fernfahrt gebauten W25 Roadster mit Stromlinienkarosserie hat bis heute überlebt. Also legte man bei Audi vor zehn Jahren eine kleine Sonderserie auf. Drei Exemplare wurden aus Resten kaum noch rettbarer Wanderer-Limousinen aufgebaut, von denen Fahrgestelle, Motoren und Getriebe übernommen wurden.

Wanderer W25 Stromlinie mit rekonstruierter Karosserie

Die Karosserien entstanden nach Fotos, Überreste der Originale oder gar Konstruktionszeichnungen und ähnliche Unterlagen gab es nicht. Restaurierer Werner Zinke, aus dessen Werkstatt im sächsischen Zwönitz die Autos kommen, vermutet, dass die Originale im Krieg zerstört oder umgebaut wurden, anders als von den Typ-C- und Typ-D-Rennern, die in der Sowjetunion verschwanden und dann fragmenteweise wieder auftauchten, fehlt nämlich von den Wanderern nach wie vor jede Spur.

D-Rennern, die in der Sowjetunion verschwanden und dann fragmenteweise wieder auftauchten, fehlt nämlich von den Wanderern nach wie vor jede Spur. Wenn schon rekonstruiert, hätten sie dem Fahrer etwas mehr Lebensraum schaffen können, denke ich, während der Regen dichter wird. Licht an, einen schwarzen Bakelitknopf gezogen, vorn schimmern jetzt zwei Sechs-Volt-Leuchtmittel durch die Regenschlieren in den Gegenverkehr. Tacho 80, vierter Gang, das geht noch etwas schneller. Fünfter Gang, klack, die Schaltung ist exakt und ebenso kurzwegig wie leichtgängig. Nur beim Zurückschalten gebe ich aus Freude am Fahren Zwischengas, dann fluppen die Gänge noch besser rein.

Die Originale hatten vier Gänge plus extra zuschaltbarem Schnellgang, daraus wurde beim Wiederaufbau des Wanderer W25 Stromlinie eine synchronisierte Fünfgangbox, denn schließlich sollten die Wanderer nicht im Museum verstauben, sondern bei Rallyes und Veranstaltungen eingesetzt werden, und die meisten Autofahrer tun sich heute mit gleichlaufoptimierten Getrieben dann doch leichter.

Wanderer W25 Stromlinie mit mäßigem Wetterschutz

Es bleibt eines der wenigen Zugeständnisse an moderne Zeiten. Der Wind- und Wetterschutz ist dagegen kaum besser als 1939. Das Spritzwasser klatscht in die Lücke zwischen Brille und Helm, vermutlich sehe ich inzwischen aus wie ein Dampflokomotivenheizer. Wir folgen immer noch der B 13, bald kreuzt sie bei Ellingen die B 2. Zeit für eine kleine Geschichtsstunde. Nicht zum Wanderer W25 Stromlinie oder der Rom-Fernfahrt, sondern in deutscher Landstraßenhistorie. Die B 13, früher Fernstraße 13, verband Würzburg und München, war eine der geschäftigsten Überlandstraßen Süddeutschlands. Erst die Fertigstellung der A 3 zwischen Würzburg und Nürnberg und deren Anbindung an die A 9 degradierte die B 13 zu einer Straße, auf der man heute vielleicht noch von Stopfenheim nach Gunzenhausen fährt.

Hinter Weißenburg teilt sich die B 13 für ein paar Kilometer die Trasse mit der B 2, einer noch älteren Fernverbindung, die auf die Bernsteinstraße von der Ostsee nach Italien zurückgeht. Wir fahren mit dem Wanderer W25 Stromlinie durch Ellingen, dann sind wir wieder allein mit der B 13. Und dem Regen. Marschtempo 100 geht hier locker, die Straße führt ziemlich geradeaus zwischen Feldern und Waldstücken hindurch, umkurvt südwestlich von Gunzenhausen den künstlich angelegten Altmühlsee, ein Ausgleichsbecken für den Rhein-Main-Donau-Kanal, auch das ein Stück deutscher Verkehrsgeschichte.

Vor der Residenz in Würzburg fotografieren asiatische Touristen trotz des trüben Wetters Barockschloss und den Wanderer W25 Stromlinie. „Ah, Audi“, sagen sie, deuten auf die Auto-Union-Ringe an der Wagenfront und beweisen damit nebenbei, dass sich Kontinuität beim Corporate Design durchaus lohnt. Also versuche ich gar nicht erst, ihnen zu erklären, warum ein Wanderer kein Audi ist, sondern schäle mich diskret aus der Regenkombi. Die alte Lederjacke, gekauft auf der Motorrad-Messe Dortmund 1992, tut’s auch, selbst wenn sie heute nicht mehr so locker sitzt wie vor 20 Jahren.

B 13 und B 27 am Main entlang, und jetzt beginnt der Regen erst so richtig. Die kleinen Wischer sind etwa so wirkungsvoll wie brasilianische Abwehrspieler gegen Özil-Pässe. Bald biegen wir mit dem Wanderer W25 Stromlinie nach Norden, B 276 durch das Flörsbachtal in Richtung Gelnhausen. Es wird wärmer und heller, ein paar Sonnenstrahlen blinzeln durch die Wolken. Wir sind schon weit über 300 Kilometer gefahren, die Tankanzeige wackelt unter die Halb-voll-Anzeige, tanken heißt das, denn wer weiß schon, wie viel sich der Zweiliter-Reihensechszylinder so nimmt?

Etappenziel Nürburgring

Kaum zwölf Liter Super im Schnitt und einen halben Liter Öl. Das geht doch für ein Auto von 1938 mit 70 PS und drei Solex-Horizontalvergasern. Die Zeremonie des Haubenöffnens zieht an der Tankstelle ein paar Schaulustige an. Doch die meisten Passanten reagieren seltsam verhalten auf den silbernen Wanderer W25 Stromlinie, der wie ein viertaktendes UFO durch den Samstagsverkehr hämmert. Ein paar Blicke auf der Autobahn am Elzer Berg, noch ein paar erstaunte Touristen später im alten Fahrerlager am Nürburgring, unserem ersten Etappenziel, das war’s.

Es ist fast dunkel und deutlich trüber geworden, Eifelwetter, und höchste Zeit für eine längere Pause. Seit zehn Stunden und 450 Kilometern sitze ich jetzt eingeklemmt im Wanderer W25 Stromlinie, Spa ist noch 200 Kilometer weg. Vom Aussteigen in der Hoteltiefgarage gibt es zum Glück keine Bilder. Die Burschen, die 1938 rund 100 Stunden im Auto saßen und bis nach Rom und zurück bretterten, jetzt beneide ich sie noch weniger.

Profi-Rennfahrer waren darunter, wie etwa August Momberger, doch auch Herrenfahrer wie Graf Carl Max von und zu Sandizell. Der im Übrigen mit Auto-Union-Manager Carl Hahn sen. befreundet war, diesem nach dem Krieg in seinem Schloss bei Schrobenhausen Gastfreundschaft gewährte und so mit dafür sorgte, dass die nach dem Krieg neu gegründete Auto Union ihren Stammsitz ins nahe Ingolstadt verlegte. Doch das ist nun wirklich eine andere Geschichte.

Nach dem Parforceritt an den Nürburgring sind die Kilometer nach Spa eine sonntägliche Spazierfahrt. Zwischen Eifel und Ardennen setzt sich die Sonne durch, kein Gedanke mehr an die Regenkombi, nur etwas kalt ist es. Auf der Rennstrecke drehen Hobbypiloten in bunt beklebten 911 GT3 ihre Runden. Vielleicht muss eine Reise so enden, damit man wirklich Spa versteht.

650 km Landstraße im Wanderer

Rund 650 Kilometer liegen zwischen Ingolstadt und Spa – einschließlich des kleinen Abstechers nach Lüttich. Eine beachtliche Strecke für ein Vorkriegsauto. Einer besonderen Vorbereitung bedurfte es nicht, der Wanderer hat 70 standfeste PS aus einem Zweiliter-Reihensechszylinder. Marschtempo zwischen 80 und 100 km/h auf der Landstraße ist ebenso wenig ein Problem wie 110 bis 120 km/h auf dem kurzen Autobahnabschnitt von Bad Camberg bis Wehr.

Gefahren wurde in zwei Etappen: 450 km von Ingolstadt zum Nürburgring, am zweiten Tag etwa 200 km über Lüttich nach Spa. Die Gesamtfahrzeit dabei: rund 18 Stunden einschließlich Foto – aufenthalten sowie Tank- und Kaffeepausen – gefühlte 80 Prozent bei Regen.

Historie

Die Rallye Lüttich – Rom – Lüttich war in den 30er-Jahren die wohl härteste Fernfahrt für Automobile. Fast 5.000 Kilometer legten die Teams in nur vier Tagen zurück. Gehalten wurde nur zum Tanken, ohne weitere Pausen bretterten die Fahrzeuge über meist üble Landstraßen von Lüttich nach Rom und wie – der zurück. 1938 und 1939 setzte die Auto Union mit Stromlinienkarosserien versehene Wanderer W25 ein, 1939 gewann das Team die Mannschaftswertung. Die Autos verschwanden während des Krieges, vor zehn Jahren ließ Audi drei Fahrzeuge auf Original-W25-Chassis nachbauen, das Auto auf diesen Seiten ist eines davon.

Technische Daten
Wanderer Stromlinie Spezial
Außenmaße4350 x 1650 x 1280 mm
Höchstgeschwindigkeit160 km/h