Interview mit Alessandro Alunni Bravi
„Sauber braucht andere Konzepte und neue Ideen“

Alfa-Saubers stellvertretender Teamchef Alessandro Alunni Bravi über die Saison, zu niedrig gesteckte Ziele im Winter und die Entwicklung des Rennstalls.

Alessandro Alunni Bravi - Alfa Romeo - Formel 1 (2023)
Foto: xpb
Die letzte Saison schloss Sauber auf dem sechsten WM-Platz ab. 2023 sind Sie Meilen davon entfernt. Warum?

Alunni Bravi: Der Grund ist ein einfacher. Wir befinden uns in einer anderen Saison. Wir können aus verschiedenen Gründen 2022 nicht mit 2023 vergleichen. In der Vorbereitung auf die letzte Saison haben die meisten Teams aus der zweiten Tabellenhälfte 2021 geopfert, um sich voll auf das neue Reglement zu stürzen. In den ersten sechs Rennen 2022 haben wir 90 Prozent unserer Punkte gemacht. Wir haben davon profitiert, dass andere Teams Schwierigkeiten hatten, das Porpoising zu lösen. Wenn Sie sich an die ersten Rennen damals erinnern: Wir waren gelegentlich sogar vor Mercedes. Vor Alpine und McLaren. Das war eine Momentaufnahme.

Unsere Highlights
Weil danach was passierte?

Alunni Bravi: Teams wie Mercedes waren in der Lage, die Probleme anzugehen und auf ihre übliche Position zurückzukehren. Wenn wir uns der Realität stellen: Im zweiten Saisonteil, so ab Juni, lagen wir immer zwischen Platz acht und zehn. Wir haben von unserem Punktepolster gezehrt. In den letzten drei Rennen waren wir in der Lage, uns vor Aston Martin zu halten. Weil wir vorher in Austin und Suzuka ein neues Paket eingeführt hatten: Unterboden, Nase, Frontflügel. Das hat uns etwas Performance gebracht. Wir sind gerade so vor Aston Martin über den Zielstrich gekommen. Unsere wahre Position war also irgendwo zwischen Platz sieben und zehn. Und genau in diesem Kampf befinden wir uns aktuell auch.

Guanyu Zhou - Alfa Romeo - GP Brasilien 2023
xpb

Alfa-Romeo-Sauber hat an nur sechs von 20 Rennwochenenden gepunktet. Das Konto steht bei 16 Zählern.

Wie sehen Sie 2023 vor diesem Hintergrund?

Alunni Bravi: Diese Saison zeigt uns eine ganz andere Weltmeisterschaft. Aston Martin hat natürlich einen klaren Schritt nach vorne gemacht. Andere Teams haben mehr Performance gezeigt als gewöhnlich. Wir kämpfen mit Williams, Haas und Alpha Tauri. Unser Ziel bleibt der siebte Platz in der WM. Die Konkurrenz hat die Latte höher gelegt. Es gibt Teams, denen im Winter leider ein größerer Schritt gelungen ist als uns.

Wieso konnte Sauber keinen Sprung machen?

Alunni Bravi: Wir haben das analysiert. Wir hatten Ziele gesetzt, die niedriger waren als wir es gebraucht hätten, um dauerhaft um Punkte zu kämpfen und um das Q3. Wir haben auf dem letztjährigen Paket aufbauend versucht, unser Potenzial auszureizen. Aber wir haben Bereiche identifiziert, in denen wir mit diesem Auto und diesem Konzept keine massiven Verbesserungen mehr erzielen können. Das gehen wir für 2024 an.

Das heißt, Sie brauchen ein neues Konzept?

Alunni Bravi: Ich denke, dass wir das Entwicklungspotenzial dieses Konzepts fast zu 100 Prozent ausgeschöpft haben. Wir brauchen andere Konzepte und neue Ideen, und müssen an mehr Bereiche des Autos heran. Wir sprechen hier von neuen Komponenten – sowohl auf der mechanischen als auch der aerodynamischen Seite des Autos.

Sie würden also zustimmen, dass die ersten Rennen im Vorjahr gewissermaßen das echte Kräfteverhältnis verschleiert haben – und über die Leistungsfähigkeit von Sauber hinweggetäuscht haben?

Alunni Bravi: Wir können nicht enttäuscht sein, weil da eine Lücke besteht zu den Punkten, die wir 2022 und in diesem Jahr gemacht haben. Wir müssen enttäuscht sein, weil wir nicht in der Lage waren, konstant zu sein. Es gab zu viele Aufs und Abs, während der Rennwochenenden, aber auch von Rennen zu Rennen. Daran müssen wir arbeiten. Wir haben wichtige Gelegenheiten verstreichen lassen. Ich erinnere immer an Ungarn. Wir starteten von Platz fünf und sieben. Da hätten wichtige Punkte herausspringen können, die das Bild geschönt hätten.

Wie meinen Sie es, dass Sie sich nicht ausreichend hohe Ziele gesetzt hatten?

Alunni Bravi: In Bezug auf das Fahrzeugkonzept, nicht auf die Entwicklung unter der Saison. Wir zeigen, dass wir im Vergleich zu 2022 unser Auto deutlich stärker entwickeln konnten. Wir haben in Austin einen neuen Unterboden mit neuen Kanten eingeführt. Es war bereits die fünfte Spezifikation in dieser Saison. Wir werden weitere Upgrades bis Las Vegas haben. Wir haben also eine Schwäche der Vorsaison behoben. Das war unsere Entwicklungsrate. Da sind wir konstanter geworden, und haben es auch geschafft, alle Bereiche des Fahrzeugs weiterzuentwickeln. Wir haben zum Beispiel in Monza eine neue Vorderradaufhängung gebracht. Was wir entschieden haben: Statt kleine Modifikationen vorzunehmen, bündeln wir die Neuerungen in größere Pakete. Und die kommen alle zwei bis drei Rennen.

Valtteri Bottas - Guanyu Zhou - Alfa Romeo - GP Brasilien 2023 - Sao Paulo - Formel 1
Wilhelm

Der C43 funktioniert nur bei geringer Bodenfreiheit. Der zu hohe Luftwiderstand bremst auf Geraden.

Warum?

Alunni Bravi: Erstens dauert es immer zwei bis drei Rennen, alles aus einem neuen Paket herauszuholen. Wenn Sie ein Aerodynamik-Upgrade bringen, müssen Sie rundherum das mechanische Setup ausrichten. Zweitens wegen des Rennkalenders. Wenn man zwei, drei Rennen nacheinander hat, muss man sicherstellen, dass alle Ersatzteile verfügbar sind, um alle Bedürfnisse abzudecken. Beide Fahrer hatten von Anfang an jeweils die neuen Teile verfügbar. Ich denke, dass liegt an besserer Planung und der konsequenten Umsetzung. Wir konnten das Fahrzeug bis zum Schluss entwickeln. Das war früher nie der Fall.

Im Vorjahr war die Produktion eine der Schwächen. Haben Sie sich gerade dort gesteigert?

Alunni Bravi: Es geht hier nicht nur um die Produktion. Es ist mehr eine Frage der Prozesse. Um alle Teile jeweils pünktlich vorrätig zu haben, müssen wir die Probleme in der Produktion aber auch in der Design-Abteilung lösen. Alles muss ordnungsgemäß funktionieren. Eines unserer Ziele war es, und ist es immer noch, die Zeit bis zur Einführung neuer Teile zu verringern.

Das heißt?

Alunni Bravi: Um das zu erreichen, müssen wir an allen Schrauben drehen: von der Projektplanung, über die Designabteilung bis hin zur Produktion. Was wir getan haben: Wir haben in die Produktion investiert. Wir haben unsere Kapazitäten speziell auf der mechanischen Seite erhöht. Mit neuen Werkzeugen etwa. Wir haben in der Karbonabteilung eine Nachtschicht eingeführt, um die Kapazität für die Verbundwerkstoffe zu verdoppeln. Wir haben also viel unternommen. Im letzten Jahr waren wir in dieser Beziehung noch schwächer aufgestellt als unsere Konkurrenz.

Sie haben sich unter der Saison von Technikchef Jan Monchaux getrennt. Seit 1. September leitet stattdessen James Key die Abteilung. Was kann er besser?

Alunni Bravi: Wir sind im letzten Jahr Sechster geworden. Dazu hat Jan Monchaux mit seiner harten Arbeit beigetragen. Wonach wir gesucht haben: Wir wollten einen Technik-Direktor mit viel mehr Erfahrung in allen technischen Bereichen. James Key deckt diese verschiedenen Rollen ab. Wir konnten ihn anheuern, ohne wegen einer Sperrzeit zu lange auf ihn zu warten. Für Andreas Seidl [Sauber-CEO] hat er das richtige Profil, um den Transformationsprozess zu begleiten und voranzutreiben. Dafür braucht es Erfahrung. James Key ist nicht nur verantwortlich für das nächstjährige Auto, sondern auch derjenige, der unsere Technikabteilung unter der Audi-Ära ab 2026 anführen wird.

Was kann Key für 2024 beitragen?

Alunni Bravi: James konnte bereits in der ersten Septemberwoche seine Arbeit aufnehmen. Wir erwarten deshalb, dass er für das nächstjährige Auto bereits einen starken Beitrag leistet. Er hat mit der Technikgruppe begonnen, die Schwächen unseres Autos und des Konzepts zu identifizieren – damit wir hier die richtigen Entscheidungen treffen. Darüber hinaus haben wir einen klaren Plan bezüglich weiterer Anwerbungen auf Personalseite. Wir sprechen nur nicht laut darüber, was in Hinwil oder in Neuburg passiert. Wir arbeiten hart daran, um die nötigen Schritte zu gehen, ein Werksteam zu werden. Uns sind die Schwachpunkte völlig klar.

Valtteri Bottas - Alfa Romeo - GP USA 2023 - Austin - Formel 1
xpb

Die Entwicklung ist ausgereizt. 2024 muss Alfa-Sauber neue Wege beschreiten.

Was ist denn für die nächste Saison ein realistisches Ziel?

Alunni Bravi: Wir müssen uns verbessern. Wir sind nicht konstant und auch in den meisten Rennen nicht in der Lage, zu punkten. Das muss anders werden. Wir müssen uns in die Position bringen, in jedem Grand Prix Punkte einfahren zu können. Um das zu erreichen, brauchen wir bessere Qualifikationen. Wir müssen näher an den Top 10 der Startaufstellung dran sein oder sogar ins Q3 einziehen. Das ist das Ziel. Und um das zu schaffen, müssen wir in jedem Bereich Fortschritte erzielen: in der Performance des Autos, dem Einsatz an der Rennstrecke, einfach überall. Jeder muss einen Schritt machen. Keiner ist davon ausgenommen.

Was erwarten Sie von Ihren Fahrern? Weder Valtteri Bottas noch Guanyu Zhou haben die meisten im Fahrerlager überzeugt. Deshalb gab es auch einige Gerüchte.

Alunni Bravi: Sie sagen es: Das waren Gerüchte. Ich habe immer bei jedem Rennen gesagt, dass wir mit unserer Fahrerpaarung glücklich sind. Konstanz und Stabilität sind ein wichtiges Element für uns. Gerade für den Transformationsprozess, in dem wir uns gerade befinden. Wir stehen in der Verantwortung, unseren Fahrern ein besseres Auto hinzustellen. Wenn wir das tun, liefern sie ab. Unser Schwachpunkt in dieser Saison waren nicht die Fahrer, sondern die Qualifikation. Das ist ein Schlüsselelement für die Rennen. Dort müssen wir uns verbessern. Wir arbeiten daran.

Gab es diesbezüglich schon Schritte?

Alunni Bravi: Die neue Vorderradaufhängung in Monza war eine erste Antwort darauf, um ein Auto zu bekommen, das auf eine Runde besser wird. Eines, das mehr Temperatur in die Reifen bekommt. Wir dürfen nicht nur ein Auto haben, das auf Rennstrecken funktioniert, die keine Effizienz und maximalen Abtrieb verlangen. Wir brauchen ein Auto, das auch auf Strecken performt, die eine hohe aerodynamische Effizienz erfordern – und bei kühlen Temperaturen.

In Ordnung, aber was erwarten Sie von den Fahrern?

Alunni Bravi: Von Zhou erwarten wir einen weiteren Schritt. Er hat sich im Vergleich zur letzten Saison verbessert. Er war in der Lage, in der Qualifikation auf das Niveau von Valtteri zu gelangen. Beim Management des Rennens hat er noch Luft nach oben. Und auch bei der Konstanz von Strecke zu Strecke. Was wir von ihm sehen wollen? Dass er ab der ersten Runde im ersten Training das Limit findet. Dort muss er sich steigern. Wir können keine halbe Session damit verbringen, zu warten, weil die Leistungsdichte in der Formel 1 so hoch ist. Wir brauchen beide Fahrer am Limit.

Und was gilt für Bottas?

Bravi: Er soll das Team weiter antreiben und zur Fahrzeugentwicklung beitragen. Mit seiner Erfahrung muss er für uns zur Stelle sein, wenn sich Möglichkeiten eröffnen. So wie beispielsweise im Rennen in Doha. Wir treiben unsere Fahrer an, sich zu verbessern. Wie jeden anderen auch im Team. Damit wir bessere Ergebnisse erzielen, muss jeder zulegen.

Sie haben Audi erwähnt. Im Hintergrund passiert dort ziemlich viel. Recruitment neuer Mitarbeiter, Beschaffung besserer Werkzeuge, Anpassung von Prozessen – wie beeinflusst das die Arbeit des Rennteams?

Alunni Bravi: Ich denke, in einer positiven Weise. Wir sind eines der wenigen Teams, das einen langfristigen Plan hat. Audi kommt 2026, aber sie sind bereits ziemlich involviert. Sie sind Minderheitseigentümer seit Januar 2023. Wir arbeiten mit ihnen zusammen, um Schwächen auszumachen und das Team zu entwickeln. Andreas Seidl als CEO der Sauber-Gruppe arbeitet täglich an der Struktur. Alles ist an Ort und Stelle. Ich höre viele Gerüchte: Ich bin glücklich, weil sie Journalisten helfen, ihre Geschichten zu schreiben. Die Wirklichkeit ist, dass es in Neuburg eine Gruppe von 350 Leuten am Design und der Entwicklung der Power Unit arbeitet. Angeführt von Adam Baker.

In Hinwil hat Andreas Seidl unseren Entwicklungsplan vorbereitet, der natürlich erst in den kommenden Jahren sichtbar wird. Neue Mitarbeiter anzuwerben ist keine Frage von einem Tag. Es braucht Zeit, neue Leute zu holen und Prozesse zu installieren. Wir können ein spannendes Projekt anbieten. Vielleicht das spannendste der Formel 1 in den letzten zehn Jahren. Wir sind stolz darauf, ein Teil davon zu sein. Das heißt nicht, dass wir die Herausforderungen nicht sehen. Wir wissen, dass viel Arbeit in jedem Bereich vor uns liegt. Und dass es nicht ausreicht zu tun, was wir gerade machen. Das reicht nicht für Podestplätze.

Wie wichtig wäre es Siebter oder wenigstens Achter zu werden? Auch, weil jeder Platz mehr Geld einbringt.

Alunni Bravi: Das ist keine finanzielle Frage. Um ein erfolgreiches Team aufzubauen, musst du Schritt für Schritt gehen. Den einen großen Schritt gibt es nicht. Es ist eine Evolution. Damit wir ab 2026 eine konkurrenzfähige Plattform als Audi-Werksteam vorfinden, müssen wir uns jährlich steigern. Es ist wichtig, zu zeigen, dass wir einen Schritt gemacht haben. Die Position ist nur eine Zahl. Aber sie gibt uns eine klare Vorstellung davon, wo wir als Team stehen. Unser Ziel bleibt der siebte Platz. Dafür müssen wir bis zum letzten Rennen kämpfen.

Wenn wir den siebten Rang nicht erreichen, heißt das für uns, dass wir nicht die Arbeit geleistet haben, die wir selbst von uns erwarteten. Und dass wir uns verbessern müssen – angefangen mit einem Fortschritt 2024. Wie gesagt: Von jedem muss mehr kommen, in jedem Bereich. Dafür müssen wir auch an die Struktur ran. Es ist besser, nicht zu viel zu reden, sondern auf der Rennstrecke mit Ergebnissen Taten sprechen zu lassen. Die spiegeln derzeit leider nicht die harte Arbeit wider, die wir in Hinwil reinstecken. Deshalb sind wir hungrig zu beweisen, dass wir bis zum letzten Rennen um den siebten Platz kämpfen.