Alpine übt Selbstkritik
Die Gründe für die Mittelmaß-Saison

Alpine überwintert auf Platz sechs in der Konstrukteurs-WM. Zwei Positionen und 53 Punkte schlechter als im Vorjahr. Teamchef Bruno Famin und Technikdirektor Matt Harman rechneten ehrlich und schonungslos mit den Defiziten ab.

Esteban Ocon - Alpine - GP Las Vegas 2023 - Las Vegas - Formel 1
Foto: Wilhelm

Alpine wollte nach den Sternen greifen und stürzte ab. Die Saisonziele wurden verfehlt. Der Abstand zur Spitze blieb gleich, der zu den direkten Verfolgern vergrößerte sich. Aus Platz vier wurde Rang sechs. Statt 173 stehen 120 Punkte in der Abschlusstabelle. Highlights waren zwei dritte Plätze in Monte-Carlo und Zandvoort und ein Podestplatz beim Sprint in Spa.

Das war Renault-Chef Luca de Meo zu wenig. Vor und nach der Sommerpause mussten Alpine-Geschäftsführer Laurent Rossi, Teamchef Otmar Szafnauer und Sportdirektor Alan Permane gehen. Es wurde danach auch nicht besser. Die Fehler waren bereits gemacht, und sie lagen in der Technik. Das summierte sich zu einem Rückstand zwischen sieben Zehnteln und einer Sekunde auf die Pole-Position. Auf eine Runde und im Rennen.

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Defizite bei Auto und Motor

Der neue Interims-Teamchef Bruno Famin und sein Technikdirektor Matt Harman wollen die Saison nicht schönreden. Beide sprechen von einer "Enttäuschung". Und beide benennen die Defizite bei Auto und Motor. Das eine schloss das andere nicht aus. "Wir stehen immer in dem Konflikt zwischen Motorleistung und Aerodynamik", erzählt Famin. "Je mehr Power wir dem Motor zugestehen, desto schlechter wurde es für die Aerodynamik." Verbesserte Kühlung kostete Anpressdruck.

Alpine hatte sich mit einem neuen Aerodynamikkonzept und modifizierter Aerodynamik viele Hoffnungen gemacht. Der Windkanal präsentierte bessere Zahlen als die Realität. "Wir haben in der Spitze oft guten Abtrieb erzielt, konnten ihn leider nicht auf der Strecke nutzen", bedauert Harman.

Der Engländer teilt die Saison in zwei Hälften. "Wir haben zu Saisonbeginn im Vergleich zum letzten Jahr Boden gewonnen, wurden dann aber von der Konkurrenz im Verlauf der Saison aerodynamisch überholt." Im Verlauf der Saison gab es nur drei größere Upgrades. Dreimal wurde der Unterboden modifiziert. Im Vergleich zu McLaren oder Alpha Tauri war das ein bescheidenes Programm.

Bruno Famin - Formel 1 - 2023
xpb

Bruno Famin hat Mitte der Saison das Ruder übernommen. Auf die große Wende müssen die Fans noch warten.

Aerodynamikfenster zu klein

Harman beschreibt das Hauptproblem des A523 so: "Unser Auto produziert nur guten Abtrieb, wenn wir es so tief und hart fahren wie möglich." Bei mehr Bodenfreiheit flachte die Abtriebskurve ab. Das Fahrwerk war nicht in der Lage, das Auto in den Kurven stabil im optimalen Aerodynamikfenster zu halten. "Wir haben keine Fahrzeugabstimmung gefunden, die diese Defizite kompensiert."

Das Power-Manko soll zwischen 20 und 30 PS betragen. Famin gibt zu, dass der größere Teil auf das elektrische System entfällt. "Wir rekuperieren weniger Energie als die Konkurrenz und geben deshalb auch weniger elektrische Leistung ab."

Die Motortechnik ist zwar bis Ende 2025 eingefroren, doch ganz tatenlos muss Alpine den Nachteil in den nächsten beiden Jahren nicht ertragen. "Wir können die Software des Energiemanagements verbessern. Das bringt uns zwar nicht mehr PS, aber eine bessere Fahrcharakteristik."

Die Chassis-Abteilung muss mit der Antriebseinheit leben, die sie hat. Das führte vor allem auf den schnellen Strecken zu Problemen. Monza war der Tiefpunkt. Die Flügel wurden so flach justiert, dass man die ganze Zeit in den Kurven verlor. "Die Motorleistung ist aber nicht der einzige Grund, warum wir dort so schlecht waren", bleibt Harman fair.

Pierre Gasly - Alpine - GP Abu Dhabi 2023 - Abu Dhabi - Formel 1
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Das Abstimmungsfenster des Alpine war 2023 zu klein. Auf einigen Strecken ging gar nichts zusammen.

Chassis mit zu viel Volumen

Der Alpine A523 stellt zu viel Fläche in den Wind. "Unser Chassis hat zu viel Volumen", gibt Harman zu. "Wir hatten ein weiteres Upgrade des Unterbodens schon auf dem Tisch", verrät der Technikchef, "aber um es voll auszureizen, hätten wir ein anderes Chassis gebraucht." Die Ingenieure lernten immerhin beim Setup dazu. Auf der Highspeed-Strecke in Las Vegas lief es schon besser. Esteban Ocon wurde Vierter.

Weil bereits zu Saisonmitte klar war, dass der französische Rennstall auf seinem sechsten Platz eingemauert war, weil es weder Perspektiven nach vorne gab, noch Gefahr von hinten drohte, legte die Technikabteilung in Enstone schnell den Fokus auf 2024. Die Basis wurde laut Harman schon in Woche 45 des Jahres 2022 gelegt. Inzwischen saß Ocon mit dem Vorläufer des nächstjährigen Autos schon im Simulator.

Um nicht im Nebel zu stochern, nutzte Alpine die letzten beiden Rennen zu einigen Aerodynamik-Experimenten. So wurde versucht, Lösungsansätze für 2024 auf der Strecke abzusichern. "Das hat uns zwar keine Rundenzeiten gebracht, aber wichtige Antworten. So können wir auch unsere Werkzeuge in der Fabrik verbessern."

Das Ziel ist es, das Arbeitsfenster des Autos zu vergrößern. Da geht es Alpine nicht anders als Ferrari, Mercedes oder Aston Martin. "Diese Autos sind hochkomplex", erklärt Harman. "Du glaubst, du hast einen Fortschritt gemacht, und beim nächsten Rennen fällst du wieder auf die Füße. Weil der Fortschritt nur auf dem Papier existiert, aber nicht fahrbar ist. An guten Tagen konnten wir mit Mercedes mithalten, an schlechten waren wir im Tabellenkeller."

2024 soll deshalb ein Neustart werden. Mit neuem Chassis, neuem Getriebe und modifiziertem Fahrwerk. Angeblich sollen auch ein paar neue Ideen dabei sein. Nur mit dem Kopieren der Konkurrenz kommt man bekanntlich nicht nach vorne.