Alpine im Chaos-Modus
Wenn Autoverkäufer einen Rennstall führen

Das Formel-1-Team von Alpine zerstört sich gerade selbst. Der französische Rennstall tauscht Stabilität, Erfahrung und einen Plan gegen organisiertes Chaos ein. Die Auto-Manager im Vorstand haben schon in den letzten Jahren viele Fehler gemacht.

Luca de Meo - Formel 1 - 2023

Die Zeichen bei Alpine stehen auf Sturm. Geschäftsführer Laurent Rossi: Auf dem Abstellgleis. Teamchef Otmar Szafnauer: Gefeuert. Sportdirektor Alan Permane: Entlassen, Technik-Koordinator Pat Fry: Auf dem Weg zu Williams, bevor es ihm genauso vielleicht genauso gegangen wäre.

Fry sah das Chaos kommen, das sich mit Rossis öffentlicher Kritik am eigenen Team Anfang Mai anbahnte. Er warf der Truppe amateurhaftes Handeln und zu wenig Ehrgeiz vor. Der Rundumschlag rettete nur kurz seinen Hals.

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Zehn Wochen später schob Renault-Präsident Luca de Meo seinen Musterschüler aufs Abstellgleis. Im Anschluss wurde Motorenchef Bruno Famin zum Motorsportdirektor befördert. Der frühere Technikdirektor von Peugeot Sport stieß erst Anfang 2022 zu Alpine.

Alle wichtigen Personalentscheidungen kamen aus der Konzernzentrale. Dort sah man den "100-Rennen-zum-Sieg"-Plan in Gefahr. Weil sämtliche Saisonziele zu scheitern drohen. Alpine wollte in diesem Jahr den vierten Platz in der Markenwertung konsolidieren und den Rückstand auf Ferrari und Mercedes verringern.

Otmar Szafnauer & Alan Permane - Alpine - GP Belgien 2023
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Otmar Szafnauer und Alan Permane sind Bauernopfer. Die Fehler wurden weiter oben gemacht.

Fehler sind hausgemacht

Nach zwölf Rennen liegt der französische Nationalrennstall 46 Punkte hinter Platz fünf und dem Auto fehlen drei Zehntel auf die Verfolgergruppe hinter Red Bull. Gleichzeitig machte Aston Martin im Winter einen Riesensatz aus dem hinteren Mittelfeld in die Spitzengruppe. Und jetzt schaffte auch noch McLaren mitten in der Saison die Wende.

De Meo begann zu zweifeln, ob man wirklich 100 Rennen braucht, um erfolgreich zu sein. Und er hielt seiner Truppe Aston Martin und McLaren als leuchtendes Beispiel vor. Der Automanager übersah dabei, dass beide Teams bereits seit 2018 an einem ähnlichen langfristigen Plan arbeiten konkurrenzfähig zu sein. Auch sie hatten ihre Rückschläge auf dem Weg dorthin.

Und er ignorierte bei seinen Personalrochaden, dass der Schaden nicht von den Personen angerichtet wurde, die jetzt in die Wüste geschickt wurde. Es war Rossi, der Esteban Ocon 2021 ohne Not einen Vertrag bis Ende 2024 anbot. Es war ebenfalls Rossi, der mit seiner unglücklichen Verhandlungspolitik Fernando Alonso und Oscar Piastri vertrieb und stattdessen viel Geld zahlen musste, um Pierre Gasly bei Alpha Tauri auszulösen. In Alpines Juniorprogramm bot sich kein zweiter Piastri an.

Bruno Famin - Formel 1 - 2023
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Bruno Famin hat dem Vorstand den schnellen Erfolg versprochen.

Szafnauer muss Fehler ausbessern

Das Leistungsmanko beim Motor hat man sich selbst eingebrockt, auch wenn Famin seine Abteilung lobt: "Wir haben im Winter 2021/2022 einen riesigen Sprung gemacht." Das ist durchaus korrekt, doch nur die halbe Wahrheit. Die Konkurrenz ging in der letzten Entwicklungsphase vor dem Technik-Stopp ans Limit, nahm Motorplatzer in Kauf, besserte mit dem Segen der FIA nach und machte so mehr Leistung standfest.

Renault war einfach zu ehrlich. Bei den Franzosen gingen nur Wasserpumpen kaputt. Sie auszutauschen bringt keine PS. So hat man inzwischen je nach Berechnung einen Rückstand von 20 bis 30 PS. Oder auf die Runde zwischen drei und fünf Zehntel, je nachdem wie groß der Einfluss der Motorleistung auf der jeweiligen Strecke ist.

Szafnauer musste die Suppe der Autoverkäufer im Alpine-Management auslöffeln und bei der FIA Politik machen, damit sich noch einmal ein Entwicklungsfenster zur Angleichung für Renault öffnet. Das Thema ist immerhin bei der FIA-Arbeitsgruppe für Antriebsthemen gelandet. Der Teamchef predigte auch immer wieder, dass dem Team wichtige Infrastruktur fehlt. Alpine braucht einen modernen Simulator, Prüfstände für Getriebe, Kühlung und Bremsen.

Die Finanzabteilung wollte die Ausgaben von rund 50 Millionen Dollar lange nicht genehmigen. Erst als es bergab ging und Alpine einen Investor fand, der für 24 Prozent des Teams 218 Millionen Dollar bezahlte, bekam Szafnauer den Auftrag, bei der FIA für eine Erhöhung des Investitionslimits zu kämpfen.

Luca de Meo - Formel 1 - 2023
Renault-Geschäftsführer Luca de Meo ist ungeduldig. Die Frage lautet, ob es nach den Personalrochaden besser oder schlechter läuft.

Ferngelenkt aus Paris

Das System Alpine kann nicht funktionieren. Weil der Rennstall in England von Frankreich aus ferngelenkt wird. Szafnauer hatte in seiner Funktion nie freie Hand, obwohl er mit 25 Jahren Formel-1-Erfahrung mehr Kompetenz mitbrachte als alle seine Chefs zusammen. Alle wichtigen Entscheidungen wurden in Paris getroffen. Und es waren selten gute Entscheidungen.

Auch die jüngste Personalrochade nicht. Als Famin dem Vorstand versprach, eine Abkürzung zu finden, war die Uhr für Szafnauer abgelaufen. Und für Sportdirektor Alan Permane gleich mit. Das Urgestein hatte 34 Jahre ununterbrochen für das Team aus Enstone gearbeitet. Kaum einer kennt den Sport so gut wie Permane.

Beide erfuhren am Dienstag vor Spa von ihrer Entlassung, wurden aber instruiert, dass man sie am Rennwochenende noch an der Front brauche. Szafnauer durfte sogar noch in der Sitzung der F1-Kommission über wegweisende Dinge abstimmen und Permane saß am Kommandostand. Der dritte Platz von Gasly im Sprint war sein letztes Highlight.

Pierre Gasly - Alpine - GP Belgien 2023
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Erfolge, wie der dritte Platz im Sprint von Spa durch Pierre Gasly, sind selten geworden.

Suche nach neuem Teamchef

Bruno Famin tat sich sichtbar schwer, in seine neue Rolle als neuer Oberboss zu schlüpfen. Er begründete den Wechsel an der Spitze des Teams in Statements, die keinen überzeugten. "Otmar und ich konnten uns nicht über den Zeitrahmen einigen, in dem wir unsere Ziele erreichen wollen. So wie unser Straßenauto-Projekt in die zweite Phase getreten ist, muss das auch unser Formel-1-Projekt tun. Beides ist eng miteinander verbunden." Was er damit konkret meinte, ließ der 61-jährige Franzose offen.

Eine ist sicher, dass der französische Part noch mehr Einfluss gewinnen will. Famin besetzte gleich einmal den Posten von Permane mit einem Vertrauten. Julian Rouse leitete bislang das Nachwuchsprogramm der Alpine Academy. Letzter personeller Ankerpunkt der Enstone-Fraktion ist jetzt Technikchef Matt Harman.

Ein Teamchef wird noch gesucht. Wenn er ähnlich wenig Handlungsspielraum bekommt wie Szafnauer, wird man kaum einen kompetenten Ersatz finden. Mattia Binotto zum Beispiel ist ein gebranntes Kind. Er erlebte das gleiche in seinem letzten Jahr bei Ferrari. John Elkann und Benedetto Vigna mischten sich in ein Geschäft ein, das sie nicht verstanden.

Unter dem großen Stühlerücken leidet auch die Moral. In Enstone machte sich am Montag nach dem GP Belgien die große Depression breit. Es gibt keinen Plan, keine Richtung, keine Aufbruchstimmung. Eine Stimme aus dem Fahrerlager: "Alpine ist die Betriebsanleitung zur Selbstzerstörung. Du kannst ein Rennteam nicht wie eine Fußballmannschaft führen und Leute beliebig austauschen." Keiner aber war so deutlich wie Ex-Berater Alain Prost, der aus der Ferne eine Breitseite abfeuerte: "Das passiert, wenn sich Inkompetenz mit Arroganz paart."