Angst vor Taktik-Spielchen
In Zukunft mehr Durchfahrtstrafen

Die Sportkommissare haben in den letzten Jahren hauptsächlich Zeitstrafen vergeben. Durchfahrtstrafen kamen aus der Mode. Das könnte sich ändern, nachdem Haas in Jeddah von einer zu milden Strafauslegung profitierte.

Max Verstappen - GP Australien 2024
Foto: xpb

An die letzte Durchfahrtstrafe oder die verschärfte Variante mit Stop-and-Go können wir uns schon fast nicht mehr erinnern. Sie wurden 2022 in Saudi-Arabien und Aserbaidschan vergeben. Danach sind die Sportkommissare ausschließlich zu Zeitstrafen übergegangen. 2022 gab es 46 Mal fünf Sekunden obendrauf und drei Mal zehn Sekunden. Im letzten Jahr wurden insgesamt 62 Fünfsekunden-Strafen ausgesprochen und zwölf Mal das doppelte Strafmaß.

Auf Wunsch der Fahrer sollen die Sportkommissare in diesem Jahr härter durchgreifen. Fünfsekunden-Strafen erwiesen sich in vielen Fällen als zu milde. Sergio Perez profitierte 2023 in Singapur davon, dass er Alexander Albon bei einem missglückten Überholversuch aus dem Weg räumte und dafür nur fünf Sekunden aufgebrummt bekam. Der Mexikaner holte die Zeit locker wieder rein und wurde noch Achter. Albon schaute in die Röhre.

Unsere Highlights
Sergio Perez - Red Bull - Formel 1 - GP Singapur - 17. September 2023
xpb

Sergio Perez profitierte letztes Jahr in Singapur von einer zu milden Zeitstrafe.

Zehnsekunden-Strafen zu milde

Inzwischen hat sich aber herausgestellt, dass selbst Zehnsekunden-Strafen zu wenig sein können. Beim GP Saudi-Arabien kassierte Kevin Magnussen zwei Mal einen Zehnsekunden-Malus. Damit war das Rennen für den Haas-Piloten gelaufen.

Mit der zweiten Straftat hatte sich Magnussen neben der Rennstrecke an Yuki Tsunoda vorbeigemogelt und damit an die Spitze des Verfolgerpulks gesetzt. Das brachte Haas in die Lage Teamwork für Nico Hülkenberg zu spielen, indem Magnussen das Feld einbremste, um eine Lücke zum Teamkollegen zu schaffen.

Obwohl der Angriff auf Tsunoda nicht Teil des Plans war, weil der zu dem Zeitpunkt noch nicht einmal geboren war, und obwohl Magnussen den Japaner wohl früher oder später auch ganz legal auf der Strecke überholt hätte, beschwerten sich Toro Rosso und Williams bitter über das Manöver, das ihnen vermeintlich einen WM-Punkt klaute.

Kevin Magnussen - GP Saudi-Arabien 2024
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Magnussen kassierte in Jeddah zwei 10-Sekunden-Strafen, die seinen Verfolgern aber auch nicht halfen.

Mehr Fingerspitzengefühl beim Strafmaß

Die FIA-Schiedsrichter wollten zunächst nichts davon wissen. Mit zwei Wochen Verspätung setzte sich jedoch die Erkenntnis durch, den Strafenkatalog doch noch einmal zu überdenken. Im Fokus stehen zwei Vergehen. Abkürzen der Strecke und sich dadurch einen Vorteil zu verschaffen. Und das Auslösen einer Kollision.

Je nach Fall könnte es in Zukunft ein Zurück zur Durchfahrtstrafe geben. Oder den Befehl von der Rennleitung, die gewonnene Position wieder herzugeben. Aktuell sieht der Strafenkatalog der FIA den erzwungenen Platztausch nicht vor. Hier müsste man also das Reglement ändern, um den Schiedsrichtern mehr Möglichkeiten zu geben.

Alexander Albon glaubt, dass in Jeddah eine Durchfahrtstrafe für Magnussen gerechter gewesen wäre. "Fünf oder zehn Sekunden sind in manchen Fällen zu milde. Vor allem, wenn es Vorfälle am Anfang des Rennens betrifft, und man noch genug Zeit hat, die Strafe wieder einzufahren. Oder wenn eines der Topteams betroffen ist. Die machen das leicht wieder wett." Albons Vorschlag: Mehr Fingerspitzengefühl beim Strafmaß.

Alonso vs. Russell - GP Australien 2024
Motorsport Images

Nach langer Zeit wurde in Australien mal wieder eine Durchfahrtstrafe ausgesprochen. Fernando Alonso konnte sie aber nicht mehr antreten.

Angst vor Strafen als Taktik-Element

Toro Rosso-Geschäftsführer Peter Bayer warnt: "Wenn die FIA da nicht durchgreift, wird das Schule machen. Jetzt, wo jeder Punkt so wichtig ist, werden die Teams alle Möglichkeiten ausschöpfen. So eine Situation wie mit Haas in Jeddah könnte sich wiederholen. Wenn du einen Mann an der Spitze der Verfolgergruppe hast, kannst du die Taktik splitten und mit dem Teamkollegen Doppelpass spielen."

In Melbourne feierte die Durchfahrtsstrafe übrigens ein Comeback. Sie konnte im Rennen aber nicht mehr angetreten werden, weil das Vergehen in den letzten Runden stattfand. Also bekam Fernando Alonso nachträglich 20 Strafsekunden zu seiner Rennzeit addiert. Diesmal ging es auch nicht um Taktikspielchen, sondern um sein Duell mit George Russell, der im Unfall des Mercedes-Piloten endete. Die FIA-Kommissare wiesen bei der Begründung für das Strafmaß darauf hin, dass man Zukunft strengere Maßstäbe anlegen werde.

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