Dominante Autos zum Saisonstart
Sieben Mal doch noch Spannung

Red Bulls Überlegenheit paralysiert die Formel 1. Stehen wir jetzt vor einem Verstappen-Alleingang? Es gibt in der Geschichte 19 vergleichbar überlegene Saisonstarts. In sieben Fällen wurde die WM später doch noch spannend.

Michael Schumacher - GP Australien 2004
Foto: Wilhelm

Das ist die Konstellation im Motorsport, die sich keiner wünscht. Der beste Fahrer sitzt im besten Auto. Was dabei rauskommt, hat der Saisonstart in Bahrain gezeigt. Red Bull feierte einen überlegenen Doppelsieg. Max Verstappen gewann ohne Konkurrenz von der Pole Position, und sein Vorsprung wäre noch größer ausgefallen, hätte er 57 Runden lang ernst gemacht.

Mercedes-Pilot George Russell schloss nicht aus, dass der Holländer alle 23 Rennen gewinnt. Für das F1 Management wäre das ein schwerer Schlag für ihren Wachstumskurs. Nichts schadet der Show mehr als ein Sieger, der schon vor dem Rennen feststeht. Nun versucht man neue Geschichten zu verkaufen. Der alte Mann Alonso gegen das Establishment wäre eine Story, die das Interesse weckt. Doch funktioniert das 23 Rennen lang?

Unsere Highlights

Auftaktsieger fast immer Weltmeister

Nicht zum ersten Mal in der Geschichte der Formel 1 schockte ein haushoch überlegenes Auto mit einem Top-Piloten im Cockpit gleich beim ersten Rennen des Jahres die Konkurrenz. Meistens wurde die Kombination auch Weltmeister. Und meistens verlief der Rest der Saison nach dem gleichen Muster wie der Saisonauftakt. Früher spielte aber wenigstens noch der Defektteufel den Überlegenen einen Streich. Die Unberechenbarkeit der Technik ist heute kaum noch ein Faktor.

Wir haben in der Historie der Königsklasse gestöbert und die Saisons herausgesucht, in denen das Jahr mit einer Einmann-Show begann und man sich nicht vorstellen konnte, dass jemals ein anderer gewinnt. Das ist gottseidank nie eingetreten. Es wurde aber auch nur sieben Mal noch eine spannende WM daraus.

Juan Manuel Fangio - Alfa Romeo 158 - Start - GP Frankreich 1950 - Reims
Motorsport Images
Die Alfa Romeo waren im ersten Jahr der Formel 1 deutlich überlegen.

1950

In der ersten Startreihe beim ersten Grand Prix der Geschichte in Silverstone stehen vier Alfa Romeo Tipo 158. Prinz Bira, dem ersten Verfolger in einem Maserati, fehlen 1,8 Sekunden auf die Pole Position. Nicht mal so viel angesichts der haushohen Überlegenheit des Quartetts mit dem Kleeblatt auf der Nase. Drei Alfettas kommen ins Ziel und überrunden den Rest des Feldes mindestens zwei Mal. Am Ende stellt Alfa Romeo auch den Weltmeister. Alle Siege der Saison gehen nach Mailand. Immerhin gibt es intern Konkurrenz. Nino Farina schlägt Juan-Manuel Fangio.

1952

Die Formel 1 stellt auf Formel-2-Autos um. Ferrari hat mit dem Tipo 500 das beste Auto und mit Alberto Ascari den besten Fahrer. Fangio liegt mit einem Wirbelbruch im Krankenhaus. Der haushohe Favorit Ascari kann es sich leisten auf das erste Rennen am Bremgartenring zu verzichten. Er versucht sich parallel dazu für das Indy 500 zu qualifizieren. Teamkollege Piero Taruffi vertritt ihn mit einem überlegenen Sieg. Ab dann gewinnt Ascari jedes Rennen.

1965

Der Lotus 33 ist der bessere Lotus 25. Mit Jim Clark im Cockpit eine nahezu unschlagbare Kombination. Der Schotte demoliert beim Saisonauftakt in Kyalami die Konkurrenz, ist im Training neun Zehntel schneller als John Surtees und hängt den Weltmeister von 1964 im Rennen um 29 Sekunden ab. Clark gewinnt in diesem Jahr sechs von zehn Rennen und lässt dabei den GP Monaco freiwillig aus, weil er beim Indy 500 glänzen will. Auch das gelingt ihm.

Niki Lauda - F1 - GP Deutschland 1976 - Nürburgring
Wilhelm
Niki Lauda startete das Jahr 1976 überlegen. Doch sein Feuerunfall am Nürburgring brachte die Wende zu Gunsten von James Hunt.

1976

Weltmeister Niki Lauda geht als klarer Favorit in die neue Saison. Herausforderer James Hunt startet beim Saisonstart in Argentinien von der Pole Position, doch Lauda gewinnt souverän. Der Ferrari 312T hängt die Konkurrenz ab. Ferrari gewinnt die ersten sechs Rennen. Fünf Siege gehen an Lauda. Den Erfolg in Jarama verliert er später am grünen Tisch. Die Disqualifikation von Hunt wegen eines zu breiten McLaren wird mit fadenscheinigen Begründungen zurückgenommen. In dem Moment kippt die WM. Dann kommt noch Laudas Unfall am Nürburgring hinzu. Am Ende wird Hunt mit einem Punkt Vorsprung Weltmeister.

1979

Zum ersten Mal ist Ligier kein rein französisches Team mehr. Der Motor kommt nicht mehr von Matra sondern von Cosworth. Und prompt fahren die blauen Lotus-Kopien allen anderen um die Ohren. Jacques Laffite feiert in Argentinien und Brasilien mit dem JS11 zwei Kantersiege. Gefährlich wird ihm nur Teamkollege Patrick Depailler, der später noch den GP Spanien gewinnt. Dann ist es mit der Herrlichkeit von Ligier vorbei. Konstrukteur Gérard Ducarouge experimentiert aus Gewichtsgründen mit Flügelflächen aus Plastik unter den Seitenkästen. Er bemerkte zu spät, dass sich die Plastikelemente bei vollem Anpressdruck verziehen und nicht mehr die Abtriebswerte von vorher liefern. Weltmeister wird Jody Scheckter im Ferrari. Laffite rutscht noch auf Platz 4 ab.

1980

Williams stieg in der zweiten Saisonhälfte 1979 zum überlegenen Groundeffect-Auto auf. Damit ist Alan Jones 1980 automatisch Favorit. Und bestätigt die Rolle eindrucksvoll zum Auftakt in Buenos Aires. Jones markiert die erste Pole Position des Jahres und kann sich bei seinem Sieg 25 Sekunden vor Nelson Piquet sogar einen Dreher und einen Boxenstopp leisten, der ihn auf Platz 4 zurückwirft. Jones wird zwar mit fünf Siegen Weltmeister, doch ganz so leicht wird ihm der Titelgewinn nicht gemacht. Brabham-Pilot Piquet lässt den Australier noch zittern.

Prost vs. Senna - McLaren - F1 - 1988
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Der McLaren MP4/4 war eines der dominantesten Autos der F1-Geschichte. Ayrton Senna und Alain Prost gewannen damit 1988 15 von 16 Rennen.

1984

Der McLaren MP4-2 mit dem Porsche TAG-Turbomotor gewinnt zwölf der 16 Rennen. Bei den meisten Siegen schleicht er sich an. Für die eine Qualifikationsrunde haben BMW, Ferrari und Renault mehr Power. Doch im Rennen müssen die Gegner die Leistung zurückschrauben und Sprit sparen. Und ihre Autos zerstören die Reifen. Alain Prost startet beim ersten Rennen in Rio nur vom 4. Platz, siegt aber mit 40 Sekunden Vorsprung. Aber erst nachdem Teamkollege Lauda mit einem Batteriedefekt das Feld räumt. Die McLaren-Piloten machen das Titelrennen unter sich aus, für Spannung ist also gesorgt. Lauda gewinnt das Duell der Generationen mit einem halben Punkt Vorsprung gegen Prost.

1988

Nie zuvor und nie danach hat man eine derartige Überlegenheit gesehen. Die letzten Testfahrten vor der Saison deuten an, dass McLaren ein Wunderauto gebaut hat. Der Saisonstart in Rio bestätigt die Befürchtungen. Alain Prost fährt einem einsamen Sieg entgegen, weil Stallrivale Ayrton Senna nach einem späten Wechsel ins Ersatzauto aus der Boxengasse startet und später dafür die schwarze Flagge sieht. Die McLaren-Piloten gewinnen bis auf Monza alle Rennen des Jahres und räumen 50 Prozent aller WM-Punkte ab. Die Saison lebt trotzdem wie 1984 vom internen Duell der McLaren-Piloten.

1991

Ayrton Senna gewinnt mit dem McLaren MP4-6 Honda die ersten vier Rennen und sieht trotzdem Gespenster. Als er vor der Konkurrenz warnt, die zu diesem Zeitpunkt noch keiner außer ihm sehen kann, wird er ausgelacht. Im Sommer lacht keiner mehr. Nigel Mansell im ersten Williams von Adrian Newey fordert den Favoriten heraus. Senna rettet den Vorsprung über die Runden. Doch das Beispiel zeigt, was passieren kann, wenn man sich zu sicher ist. McLaren hat in den Jahren der Überlegenheit einige Entwicklungen wie das halbautomatische Getriebe oder die aktive Aufhängung verschlafen.

Nigel Mansell - GP Japan 1992
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1992 übernimmt Williams das Kommando. Nigel Mansell wird schon im August Weltmeister.

1992

Jetzt fährt Williams mit dem FW14B alles in Grund und Boden. Nigel Mansell ist im ersten Saisondrittel noch überlegener als es Senna im Jahr davor war. Der Engländer gewinnt fünf Rennen am Stück. Mit 24, 13, 29, 24 und 9 Sekunden Vorsprung. Zweiter wird vier Mal sein Teamkollege Riccardo Patrese. Williams konserviert seinen technischen Vorsprung über das Jahr und trägt sich zehn Mal in die Siegerlisten ein. Nigel Mansell ist schon beim GP Ungarn im August Weltmeister.

1993

Gleiches Team, anderer Fahrer. Alain Prost droht die WM 1993 zum Alleingang zu machen. Er siegt im Auftaktrennen mit 79 Sekunden Vorsprung auf Senna. Alle anderen sind überrundet. Trotzdem wird es nicht langweilig. Senna ist voll darauf fixiert, seinen Erzfeind Prost zu ärgern. Regenrennen in Interlagos und Donington geben ihm die Chance dazu. Im Prinzip aber ist der Williams FW14C mit Prost am Steuer nicht zu schlagen. Der Franzose krönt sich vorzeitig zum Weltmeister und lässt dann die Zügel schleifen. Motto: Nur kein blöder Unfall mehr.

1994

Die Formel-1-Welt freut sich auf das Duell Ayrton Senna gegen Michael Schumacher. Doch schon die ersten beiden Rennen zeigen, dass Williams einen Flop gelandet hat. Nur Sennas Fahrkünsten ist es zu verdanken, dass er drei Mal auf der Pole Position steht. Doch im Rennen hat er keine Chance gegen Schumacher. Der Benetton B194-Ford ist das beste Auto im Feld. Das ändert sich, als FIA-Präsident Max Mosley nach den Unfällen in Imola das Reglement ändert, Williams sein Sorgenkind zähmt und Schumacher zwei Mal disqualifiziert und zwei Mal gesperrt wird. Um ein Haar hätte ihm Damon Hill noch den Titel abgeluchst.

Michael Schumacher - GP Australien 2004
Wilhelm
Viele Schumacher-Fans fanden die Formel 1 Anfang der 2000er spannend und interessant. Der Rest der Welt war gelangweilt. 2004 war Schumi besonders dominant.

1996

Nach zwei Titeln für Benetton und Schumacher baut Williams mit dem FW18 ein Auto, mit dem viele im Feld Weltmeister werden könnten. Das Auto gewinnt zwölf von 16 Rennen. Damon Hill revanchiert sich mit dem Titel für seine Niederlagen 1993, 1994 und 1995. Schon bei der Saisonpremiere in Melbourne ist klar, dass Williams kaum zu schlagen ist. Um ein Haar schreibt Formel-1-Debütant Jacques Villeneuve Geschichte, bevor ihn die Technik ausbremst und Hill den Sieg schenkt. Der Kanadier hält bis zum Finale in Suzuka seinen Titelchancen wach. Wenigstens ein bisschen Spannung, denn Schumacher kämpft mit einem störrischen Ferrari auf verlorenem Posten.

1998

Adrian Newey arbeitet seit einem Jahr bei McLaren. Sein erster Wurf zerstört die Konkurrenz. Mika Häkkinen und David Coulthard feiern in Melbourne mit dem MP4-13 einen haushohen Doppelsieg. Alle anderen liegen eine Runde und mehr zurück. McLaren kann es sich sogar leisten Coulthard zurückzupfeifen, weil Häkkinen nach einem Missverständnis ein Mal zu viel an die Box gekommen ist. Doch McLarens Dominanz bröckelt schnell. Sie gründet sich auch auf die Bridgestone-Reifen, die den Goodyears anfangs überlegen sind. Und auf den langen Radstand des Autos. Den bauen die Rivalen schnell nach. Mitte der Saison kommen Ferrari und Michael Schumacher immer stärker auf. Doch Häkkinen bleibt cool und wird Weltmeister.

2004

Die Gegner wissen schon nach den ersten gemeinsamen Testfahrten, dass Ferrari nicht zu schlagen ist. Michael Schumacher fährt mit vollen Tanks so schnell wie die Williams und McLaren mit einem feuchten Fleck im Tank. Die Ferrari spielen mit ihren Gegnern, geben nur bis zum ersten Boxenstopp Gas und kontrollieren dann das Tempo. Schumacher holt sich in den ersten 13 Rennen zwölf Siege. Weil bei Ferrari früh die Uhren Richtung 2005 laufen, robben sich McLaren und Williams zum Saisonende noch heran. Zu spät. Beim GP Belgien ist Schumacher zum siebten Mal Weltmeister.

Jenson Button - BrawnGP 001 - GP Australien 2009 - Melbourne
Wilhelm
Jenson Button startet die Brawn-Sensation in Melbourne mit einem überlegenen Sieg. In der zweiten Saisonhälfte übernahm dann aber schon langsam Red Bull das Zepter.

2009

Dieses Auto hatte keiner auf der Rechnung. Eigentlich hätte es den BrawnGP-Mercedes gar nicht geben dürfen. Honda wollte seine Formel-1-Abteilung zusperren, doch Teamchef Ross Brawn handelt mit den Japanern einen Überlebensplan auf eigene Rechnung aus. Ein Ingenieur kommt auf den Doppeldiffusor-Trick, der dem Auto eine Sekunde schenkt. Jenson Button und Rubens Barrichello starten in Melbourne aus der ersten Reihe und legen einen Doppelsieg aufs Parkett. Bis die Gegner den Doppeldiffusor nachgebaut haben, hat Button schon sechs Grands Prix gewonnen. Davon zehrt er bis zum Saisonende. Es kommt trotzdem noch Spannung auf, weil der Red Bull RB5 in der zweiten Saisonhälfte das beste Auto ist und Sebastian Vettel zum Sturm auf Button bläst. Mit dem Titel muss er sich noch ein Jahr gedulden.

2011

Von den vier Vettel-Jahren beginnt 2011 am besten. Der neue Deutsche Superstar sammelt reihenweise Siegerpokale ein. Fünf in den ersten sechs Rennen. Adrian Newey hat mit dem RB7 den dritten Aufguss seines Erfolgskonzepts von 2009 auf die Räder gestellt. Ein nahezu perfektes Auto, das keine schwache Strecke mehr kennt. Weltmeister Vettel nimmt beim Saisonstart in Melbourne der Konkurrenz im Training 0,778 Sekunden ab. Im Rennen sind es 22 Sekunden. Dabei müssen die Red-Bull-Piloten noch auf KERS verzichten, was drei Zehntel pro Runde gebracht hätte. Die Kühlung funktioniert nicht. Newey ersetzt die Batterien durch Ballast. Den zweiten Titel macht Vettel schon fünf Rennen vor Schluss klar. Die Überlegenheit hat bis zum Schluss Bestand.

Formel 1-Tagebuch - GP Australien 2014
ams/Reinhard
2014 beginnt die neue V6-Hybrid-Ära. Mercedes ist vom Start weg drückend überlegen. In Melbourne fällt Lewis Hamilton mit einem Zündkerzen-Problem aus, Nico Rosberg gewinnt mit 25 Sekunden Vorsprung. Am Ende wird aber Hamilton relativ locker Weltmeister.

2014

Nach neun Vettel-Siegen Ende 2013 startet nun Mercedes mit sechs Siegen in die neue Ära. V6-Turbo Hybrid statt V8. Mercedes schlägt die Konkurrenz mit überlegener Technik. Die Ingenieure aus Brackley und Brixworth hatten sich früher und konsequenter als die Rivalen für die neue Aufgabe vorbereitet. Der Mercedes V6-Turbo gibt 40 bis 60 PS mehr als die Antriebseinheiten von Ferrari und Renault ab. Das ist wegen des Entwicklungsstopps während des Jahres nicht mehr aufzuholen. Wenn ein anderer gewinnen will, muss Mercedes im Doppelpack technische Probleme bekommen oder die Fahrer sich ins Auto fahren. Das ist immerhin drei Mal passiert.

2020

Der Mercedes W11 ist der beste Silberpfeil der Hybrid-Ära. Ein Auto, das alles kann. Endlich auch langsame Kurven. Die manuelle Spurverstellung DAS ist nur ein Puzzlestein des Erfolges. Hamilton und Bottas können die Spur der Vorderräder durch Ziehen und Drücken des Lenkrades verändern. Das hilft beim Aufwärmen der Vorderreifen. Auch der Motor hat kräftig an Leistung zugelegt. Die Motoreningenieure in Brixworth haben sich das Ziel gesetzt, die Ferrari-Werte von 2019 zu egalisieren. Da wissen sie noch nicht, dass Ferrari sich 2019 die Vormachtstellung erschwindelt hatte. Als die Saison wegen Corona-Lockdowns verspätet im Juli beginnt, fahren die schwarz lackiertem Silberpfeile alles in Grund und Boden. Lewis Hamilton und Mercedes werden wieder Weltmeister. Hamilton zum siebten Mal überhaupt. Mercedes zum siebten Mal in Folge.