F1-Taktik-Check GP Italien 2023
Verstappen-Sorgen im Finale

Red Bull feierte im Ferrari-Land einen Doppelsieg, doch Ferrari hielt 14 Runden die Führung. Am Ende entschied der bessere Speed und nicht die Taktik.

Max Verstappen - Formel 1 - GP Italien 2023
Foto: xpb

Ferrari war klar. Es gab nur eine Chance, das Heimspiel in Monza zu gewinnen. Dazu musste ein Ferrari in Führung gehen, am besten zwei. Carlos Sainz setzte sich beim Start durch, und Charles Leclerc sollte Max Verstappen von Platz 3 aus beschäftigen. Der Plan scheiterte, weil Leclerc den Anschluss verlor. Ab der zehnten Runde rutschte der Ferrari mit der Startnummer 16 aus dem DRS-Bereich.

Dann musste Verstappen nur noch warten, bis Sainz einen Fehler macht. Und der war überfällig, weil der Ferrari in den schnellen Kurven zu rutschen begann. Die Hinterreifen bezahlten mit Gripverlust, was den Ferrari beim Bremsen und Beschleunigen verwundbar machte. Es ist bezeichnend, dass Red Bull trotz der Fahrt in den Turbulenzen der Gegner seine Reifen weniger abnutzte als Ferrari an der Spitze des Feldes. Das genau macht den Unterschied.

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Der bessere Topspeed schützte Ferrari nur bis zur 15. Runde. Dann verbremste sich Sainz in der ersten Schikane und hatte am Ausgang die schlechtere Traktion. "Für ein paar Runden dachte ich, dass ich Max länger hinter mir halten könnte, aber ab der 10. Runde begann sich der linke Hinterreifen langsam zu verabschieden", bedauerte Sainz.

Von da an war der Traum vom Sieg ausgeträumt. Vielleicht hätte Ferrari Red Bull noch einmal aus der Reserve gelockt, wenn man Sainz sofort nach dem Führungswechsel an die Box geholt hätte. Der Undercut-Effekt durfte nicht unterschätzt werden. Frische harte Reifen waren in der Anfangsphase um eine halbe Sekunde schneller als gebrauchte Medium-Gummis.

Carlos Sainz - GP Italien 2023
xpb

Länger hätte der zweite Stint für Sainz nicht dauern dürfen.

Ein Stopp für Ferrari am Limit

Doch das Opfer für Sainz wären bei dieser Taktik zu groß gewesen. Er hätte sich hinter Fernando Alonso wieder in den Verkehr eingefädelt und dort wahrscheinlich Zeit verloren. Und der zweite Reifensatz hätte dann 36 Runden lang überleben müssen.

"Keiner hatte Erfahrung, wie lange die harten Reifen halten würden. Dass es kritisch werden konnte, zeigte sich sogar bei Verstappen. Er hatte zum Schluss Probleme mit dem linken Vorderreifen", verteidigte Ferrari Teamchef Frédéric Vasseur die Taktik.

Sainz bestätigte: "Für unser Auto und unsere Reifenabnutzung dauerten die Stints ein bisschen zu lange. Die letzten vier Runden auf dem Medium-Reifen und die letzten fünf auf den harten Sohlen war kein Gummi mehr auf der Lauffläche. Ein Einstopp-Rennen war für uns am Limit."

Einmal an der Spitze konnte Verstappen seinen Vorsprung verwalten und auf die Taktik der Verfolger reagieren. Nur zum Schluss kam beim bei Renningenieure Gianpiero Lambiase plötzlich Hektik auf. Er forderte seinen Schützling in ernsten Worten auf, sein Tempo zu drosseln und frühzeitig vor den Kurven vom Gas zu gehen. So schrumpfte der Vorsprung von 12,3 Sekunden in Runde 46 auf 6,0 Sekunden im Ziel. Ob dem Red Bull der Sprit ausging oder die Technik Sorgen machte, blieb unklar.

Max Verstappen - Formel 1 - GP Italien 2023
Wilhelm

Verstappen verlangsamte in den letzten Runden massiv das Tempo.

Nur 28 Überholmanöver

Auch Sergio Perez knackte die beiden Ferrari. Es dauerte aber bis zur 32. und 46. Runde, bis er an Leclerc und Sainz vorbei war. Wie Verstappen musste der Mexikaner die Arbeit auf der Strecke erledigen, was wegen des Überhol-Deltas von einer Sekunde nicht einfach war. Mit den Mini-Flügeln, die in Monza gefahren werden, war das Überholen ein Kunststück. Es wurden nur 28 erfolgreiche Überholmanöver gezählt und viele abgebrochene Versuche.

Perez brauchte mehrere Anläufe, um zuerst an George Russell und später an Leclerc und Sainz vorbeizukommen. "Ich durfte ausgangs der Parabolica nicht mehr als zwei Zehntel Rückstand haben, wenn ich mir eine Überholchance ausrechnen wollte. Charles musste erst aus dem DRS-Fenster von Carlos fallen, bevor ich angreifen konnte."

Hätte Sainz in diesem Moment nicht besser Leclerc bei sich behalten, um sich dadurch selbst vor Perez zu schützen? Vasseur winkt ab: "Es ist unheimlich schwer, es so zu organisieren, dass der Fahrer hinter dir immer innerhalb der Sekunde bleibt. Außerdem bestand die Hoffnung, dass sich Carlos ein bisschen absetzen kann, was ihm auch einen Vorteil gegenüber Perez verschafft hätte."

Leclerc vs. Sainz - Formel 1 - GP Italien 2023
Wilhelm

Von Teamwork war bei Ferrari nichts zu sehen - auch nicht im Kampf gegen Perez.

Perez bläst Undercut ab

Die taktischen Möglichkeiten waren begrenzt. Als Perez sich dem Ferrari-Duo zum ersten Mal näherte, wollte ihn Red Bull für einen Undercut an die Boxen holen. Unglücklicherweise hatte Ferrari mit Sainz die gleiche Idee. Perez entschied sich daraufhin für einen längeren ersten Stint, um im Finale die frischeren Reifen zu haben, doch auch der Plan zerplatzte schnell. "Als Russell an die Boxen kam, mussten wir reagieren. Wir liefen Gefahr, uns einen Undercut einzufangen."

Am Ende unterhielten die Ferrari das Publikum mit einem internen Duell. Leclerc bremste sich dabei drei Mal die Vorderreifen eckig, und er konnte von Glück reden, dass nur noch wenige Runden zu fahren waren. Sonst hätte er einen zusätzlichen Boxenstopp gebraucht.

Vasseur meinte auf die Frage, ob so viel Risiko nötig war: "Wenn wir die Positionen einfrieren, hätte es euch auch nicht gefallen." McLaren-Kollege Andrea Stella vertrat eine ganz andere Meinung, als seine Fahrer in den Clinch gingen und in der ersten Schikane sogar Radkontakt hatten: "So etwas darf niemals passieren. Das ist undiskutabel."

Norris vs. Piastri - Formel 1 - GP Italien 2023
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Norris wurde durch die McLaren-Strategie in die Schusslinie von Piastri geschickt.

McLaren provoziert internes Duell

Ein bisschen muss sich das Team an die eigene Nase fassen, dass es so weit kam. McLaren holte Lando Norris eine Runde vor Oscar Piastri an die Box, obwohl der Australier vorne lag. Stella begründete die unpopuläre Maßnahme damit, dass die Position von Norris mehr gefährdet war. Fernando Alonso lag zwar 3,5 Sekunden hinter dem McLaren-Duo, zwang den Gegner mit seinem Boxenstopp in der 21.Runde zu einer Reaktion.

Als Piastri realisierte, dass die Strategie seines Teams Norris den Platz schenkte, brannten bei dem Australier die Sicherungen durch. Gleich nach seinem Boxenstopp attackierte er mit noch kalten Reifen seinen Teamkollegen.

Die McLaren-Fahrer hatten Glück, das beim Kontakt Rad auf Rad traf. Im Duell gegen Lewis Hamilton war Piastri weniger glücklich. Der Kontakt mit dem Mercedes in der Roggia-Schikane zerstörte seinen Frontflügel. Damit war der Traum von Punkten geplatzt.

Hamilton vs. Piastri - Formel 1 - GP Italien 2023
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Im Duell zwischen Lewis Hamilton und Oscar Piastri zog der McLaren den Kürzeren.

Strafe war keine Strafe für Hamilton

Es war für Piastri auch kein großer Trost, dass Hamilton eine Fünfsekunde-Strafe kassierte. Für den Mercedes-Piloten war es keine wirkliche Strafe. Er wäre auch ohne die extra fünf Sekunden auf Platz 6 gelandet. Hamilton hatte im Finale die weicheren und frischeren Reifen als Alexander Albon, Lando Norris und Oscar Piastri. Er setzte sich innerhalb von fünf Runden um sieben Sekunden ab.

Mercedes schickte seine Fahrer mit unterschiedlichen Taktiken in das Rennen. Hamilton ging mit harten Reifen an den Start. "Der harte Reifen war die Medium-Mischung aus dem letzten Jahr. Den kannten wir. Das Risiko war also relativ gering", erklärten die Strategen. Ihr Schachzug brachte Hamilton den Vorteil fünf Runden länger durchzuhalten als seine Gegner und im zweiten Stint mit dem Medium-Gummi mehr Grip zu haben.

Der Fahrer selbst war sich nicht so sicher, ob das eine gute Idee war. Schon früh im zweiten Stint jammerte Hamilton, dass er sich nicht vorstellen könne, wie er die Garnitur Medium über die Renndistanz bringen soll.

Die Antwort vom Kommandostand: "Lewis macht sich immer Sorgen über die Lebensdauer der Reifen. Wir konnten vom ersten Stint am McLaren sehen, dass der Medium-Reifen 23 Runden lang hält. Außerdem ist Lewis den zweiten Stint extrem vorsichtig angegangen." Mehr Sorgen machte schon der ungewöhnlich hohe Bremsverschleiß. Vermutlich haben Gummischnipsel die Kühlschächte zugekleistert. "Das Rennen hätte keine zwei Runden länger dauern dürfen."

Albon vs. Norris - Formel 1 - GP Italien 2023
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Albon wurde für ein starkes Rennen mit 6 WM-Punkten belohnt.

Bottas trifft die richtige Wahl

Außer Hamilton wählten nur noch Valtteri Bottas und Kevin Magnussen den harten Reifen für den Start. Alfa Romeo wollte wie Mercedes die Strategie splitten und überließ den Fahrern die Entscheidung. Bottas hatte als besser platzierter Fahrer in der Startaufstellung die erste Wahl. Und der Finne bewies den richtigen Riecher.

Bottas hielt mit dem ersten Reifensatz bis zur 25. Runde durch. Er fiel zwar auf den viertletzten Platz zurück, rückte dann aber innerhalb von 18 Runden bis in die Punkteränge vor. Den entscheidenden Positionswechsel erledigte der zehnfache GP-Sieger auf der Rennstrecke. Wie so viele mit Feindkontakt. Bottas bremste Logan Sargeant aus.

Der Amerikaner hatte wie so oft Probleme mit den harten Reifen. Sie gingen in den letzten 15 Runden in die Knie. Sargeant gab im Finale noch drei Positionen ab. Teamkollege Alexander Albon war nur eine Runde später an der Box, doch der Thailänder schaffte es seine harten Sohlen 36 Runden lang zu streicheln und sich trotzdem noch gegen Norris, Piastri und Alonso zu verteidigen.

Albon sprach vom härtesten und wahrscheinlich besten Rennen seines Lebens. Williams ging ausschließlich mit gebrauchten Reifensätzen in das Rennen. "Das machte unser Leben noch schwerer. Die Reifenabnutzung war für Monza-Verhältnisse ziemlich hoch", erzählte Albon. "Ich wollte dieses Rennen nicht noch einmal fahren müssen, bin aber super happy mit dem Resultat."

Zwei Stopps um 15 Sekunden langsamer

Zwei Boxenstopps waren keine lohnende Option. Sie waren wegen 24 Sekunden Zeitverlust in der Boxengasse schon auf dem Papier 15 Sekunden langsamer als die Variante mit einem Reifenwechsel. Dazu kam, dass man immer wieder ins Feld zurückfiel und zum Überholen gezwungen war, was im DRS-Zug erschwert wurde.

Die Haas-Piloten praktizierten diese Taktik, allerdings nicht freiwillig. Wieder einmal war der Reifenabbau an den US-Ferrari zu hoch. Liam Lawson landete als bestplazierter Fahrer mit zwei Stopps auf Platz 11. Dem Neuseeländer fehlten nur 6,5 Sekunden bis zu einem WM-Punkt. Er war in den letzten Runden trotz frischerer Reifen als Bottas im Schnitt nur drei Zehntel schneller als der Alfa-Romeo-Pilot.