Taktik-Check GP Las Vegas 2023
Rennen der verpassten Chancen

Der GP Las Vegas war ein Rennen der verpassten Chancen. Nicht nur Charles Leclerc hätte gewinnen können. Auch Lewis Hamilton hatte eine kleine Chance zum Sieg. Wir analysieren die Strategie-Entscheidungen der Teams.

Lewis Hamilton - GP Las Vegas 2023
Foto: Motorsport Images

Am Ende gewann doch wieder Max Verstappen. Trotz einer Fünfsekunden-Strafe. Obwohl ihm ungewöhnlich früh nach 16 Runden die Reifen eingingen. Obwohl er nach dem ersten Boxenstopp bis auf Platz 10 und nach der zweiten Safety-Car-Phase bis auf Rang 5 zurückgefallen war. Obwohl sein Red Bull bei der Kollision mit George Russell heftig am Frontflügel beschädigt wurde.

Doch das zweite Safety-Car, das Verstappen selbst mit seiner Kollision mit George Russell auslöste, kam für ihn zum bestmöglichen Zeitpunkt. Sein erster Satz harter Reifen war bereits zehn Runden alt. Da fiel zu Rennmitte die Wahl nicht schwer, den zweiten aufziehen zu lassen. Es war ein Gratis-Boxenstopp, der ihn nur einen Platz kostete. Das einzige Risiko, das Verstappen einging, war eine dritte Neutralisation. Da hätten alle, die bei der zweiten auf einen Boxenstopp verzichteten, das große Los gezogen. Das wären Leclerc, Gasly, Piastri, Ocon und Albon gewesen.

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Verstappens Gegner waren in der 26. Runde schon mehr im Zwiespalt, was sie machen sollten. Charles Leclerc hatte erst fünf Runden mit den harten Reifen abgespult. Er hätte bei einem zweiten Boxenstopp die Chance verspielt, die Führung zu übernehmen. Für Oscar Piastri kam die goldene Gelegenheit mindestens fünf Runden zu früh. Er hätte eigentlich einen Satz Medium aufziehen müssen, doch McLaren traute der mittleren Mischung eine Restdistanz von 24 Runden nicht zu.

Max Verstappen - GP Las Vegas 2023
Motorsport Images

Der Frontflügel von Max Verstappen wurde bei der Russell-Kollision ordentlich beschädigt. Trotzdem fuhr der Red Bull damit zum Sieg.

Ferrari stark auf dem Medium-Reifen

Der harte Reifen erwies sich bei 18 Grad Asphalttemperatur schnell als die beste Wahl. Er brauchte zwar bis zu zehn Runden, bis er endlich auf Temperatur kam, doch er erwies sich als robuster gegen das Körnen. Nur Ferrari kam mit dem Medium-Gummi besser zurecht. Leclerc hielt bis zur 21. Runde durch und fuhr immer noch schnelle Rundenzeiten. Esteban Ocon schaffte eine Runde weniger, was im Endeffekt der Grundstein zu seinem vierten Platz war.

Leclerc hätte dieses Rennen gewinnen können, wäre er in der 26. Runde den Red Bull in die Boxengasse gefolgt. Er wäre hinter Sergio Perez, aber vor Max Verstappen wieder auf die Strecke zurückgekehrt. Selbst wenn er dann auch noch Pierre Gasly und Oscar Piastri vor der Nase gehabt hätte, wäre das kein Beinbruch gewesen. An den beiden hätte auch Verstappen vorbei müssen. Das Risiko war also überschaubar. Leclerc hätte schlimmstenfalls Dritter werden können.

So hätte Leclerc wenigstens mit gleichen Waffen gegen die Red Bull gekämpft. Dass er Perez auf der Strecke überholen konnte, hat der Ferrari-Pilot in den Runde 35 und 50 bewiesen. Der Ferrari war auf den harten Reifen zwar nicht ganz so souverän wie auf den Medium-Gummis, doch man muss im Vergleich zu Red Bull immer mit einrechnen, dass er fünf Runden mehr auf der Lauffläche hatte.

Lewis Hamilton - Mercedes - GP Las Vegas 2023 - Las Vegas - Formel 1
Wilhelm

Hamilton hatte in Las Vegas zwei Mal Feindkontakt.

Doppeltes Pech für Hamilton

Auch Lewis Hamilton hätte um den Sieg mitkämpfen können, auch wenn es auf den ersten Blick nicht so aussah. Doch der Mercedes-Pilot drehte bei freier Fahrt gleich schnelle Runden wie die Spitzenreiter. Hamilton hatte auf seinem Weg auf den siebten Platz gleich zweimal Pech.

Beim Start wurde er von Carlos Sainz gerammt. Um nicht andere Autos zu treffen, musste Hamilton den weiten Weg durch die erste Kurve nehmen und kam an 15. Stelle aus der ersten Runde zurück. 14 Runden später lag der Rekordsieger schon wieder auf dem achten Platz. Doch dann kam es im Duell mit Oscar Piastri zu einem Kontakt rechtes Hinterrad gegen linkes Vorderrad.

Während Piastri sofort mit einem Reifenschaden die Boxen ansteuerte, merkte Hamilton erst kurz hinter der Boxeneinfahrt, dass sein rechter Hinterreifen Luft verlor. Die Runde mit dem schleichenden Plattfuß kostete den Engländer 15 Sekunden. Das warf ihn nicht nur auf Platz 18 zurück, es machte auch seine ganze Strategie kaputt.

Hamilton war nach langen Diskussionen mit den Ingenieuren auf den harten Reifen gestartet. "Wir haben die Entscheidung erst nach den Runden auf den Startplatz getroffen. Lewis hat gesagt, dass er mit den harten Reifen klarkommt und sie rechtzeitig auf Temperatur bringt. Der Plan war natürlich, solange durchzuhalten, um den Stopp in die zweite Hälfte des Rennens zu legen, so dass der Medium bis zum Ende durchhält", erzählten die Strategen am Mercedes-Kommandostand.

Oscar Piastri - McLaren - GP Las Vegas 2023 - Las Vegas - Formel 1
Wilhelm

Piastri musste am Ende noch einmal an die Box, um einen Satz Medium-Reifen aufzuziehen.

Piastri mit Hamilton-Schicksal

Für Hamilton kam das Rennen auch nicht mit dem Safety-Car zurück. Er konnte zwar seinen Satz Medium wieder gegen frische harte Reifen ohne Zeitverlust eintauschen, lag aber immer noch an 17. Stelle. Im DRS-Zug mit Ocon, Gasly, Stroll, Sainz und Alonso war es ein hartes Stück Arbeit, es am Ende wenigstens noch auf den siebten Platz zu schaffen.

Oscar Piastri konnte eine ähnliche Geschichte erzählen wie Hamilton. Der Australier war ebenfalls auf den harten Sohlen gestartet, und auch ihm machte der Reifenschaden das Rennen kaputt. Statt mit einem Satz Medium wie Mercedes auf ein zweites Safety-Car zu spekulieren, um dann die zweite Garnitur hart ans Auto zu bringen, ging McLaren auf Nummer sicher. Das Safety-Car kam zwar, aber zu früh. "Wir haben dem Medium-Reifen keine 24 Runden zugetraut", bedauerte Teamchef Andrea Stella.

Kurzfristig sah es für Piastri gut aus. Der McLaren-Pilot rutschte dank des Verzichts auf einen Gratis-Stopp auf den vierten Platz vor, doch es war klar, dass er nach zwei Mal harten Reifen noch ein Mal stoppen musste, um die Pflicht zu erfüllen, eine zweite Gummimischung im Rennen einzusetzen. Da nach dem Re-Start das Rennen in geregelten Bahnen verlief, passierte es unter Rennspeed. Das kostete 21 Sekunden und sieben Positionen. Der zehnte Platz und der Extra-Punkt für die schnellste Runde waren am Ende ein schwacher Trost.

Start - Formel 1 - GP Las Vegas 2023
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Das Chaos am Start spülte Stroll und Ocon von hinten nach vorne.

Gleich nach dem Start an die Box

Für drei Mitfavoriten begann das Rennen mit einem Boxenstopp. Alle drei schafften es noch in die Punkteränge, Perez sogar auf das Podium. Fernando Alonso und Carlos Sainz überschätzten beim Start den Grip in der ersten Kurve. Ihre Reifen waren noch kalt und voller Zementstaub, der gelegt werden musste, um eine Ölspur auf der Zielgeraden zu binden.

Der Mercedes-Oldtimer, mit dem Hamilton bei der Fahrerparade um die Strecke kutschiert wurde, hatte auf Höhe des vierten Startplatzes einen Motorschaden. Die Helfer hatten alle Hände voll zu tun, bis zum Start gleiche Verhältnisse zu schaffen. Alonso und Sainz legten gleich nach 175 Metern eine Pirouette hin und rissen andere mit ins Verderben.

Im Fall von Alonso waren es Valtteri Bottas und Sergio Perez, bei Sainz der Mercedes von Hamilton. Alonso und Perez brauchten neue Nasen, Sainz einen frischen Satz Reifen. Um aus der Situation das Beste zu machen, fuhren alle drei auf harten Reifen weiter.

Die Boxenstopps der Medium-Starter brachten sie wieder ins Rennen zurück, und die Safety-Car-Phase in der 26. Runde war für alle ein willkommenes Geschenk. Perez kämpfte danach um die Führung, Sainz und Alonso um die Plätze sechs bis zehn.

Lance Stroll hatte dank der mutigen Wahl auf Soft-Reifen zu starten zwar in der ersten Runde zehn Plätze gewonnen, doch das Team holte ihn trotzdem schon in der ersten Safety-Car-Phase nach drei Runden an die Box, um ihm harte Reifen zu verpassen. Und in der zweiten Neutralisation ein weiteres Mal. Zwei geschenkte Boxenstopps spülten Stroll auf den fünften Platz.

Ocon vs. Gasly - Formel 1 - GP Las Vegas 2023
xpb

Ocon kam deutlich besser mit den Reifen zurecht als Teamkollege Gasly.

Das Geheimnis von Ocon

Auf der Strecke wäre eigentlich George Russell Vierter gewesen. Doch der Engländer verbüßte bei der Zieldurchfahrt eine Fünfsekunden-Strafe, die ihn um vier Positionen zurückwarf. Zwischen den Plätzen vier und neun lagen nur 7,3 Sekunden. Ein Beweis dafür, wie eng dieses Rennen war.

Die Strafe für Russell geht nach Ansicht von Teamchef Toto Wolff in Ordnung. Der Mercedes-Pilot hatte im Duell mit Verstappen in Kurve 14 zwar die Nase vorn, doch der Red Bull lag auf der Innenspur und hatte die Vorderachse vor der Hinterachse des Mercedes. In diesem Fall muss der Fahrer auf der Außenseite nachgeben. So sind die Regeln.

Die große Überraschung des Wochenendes waren die Alpine. Man traute den französischen Autos wegen ihres Power-Defizits eigentlich nichts zu, doch schon im Training deutete sich mit dem vierten Startplatz von Gasly an, dass Alpine bei der Abstimmung offenbar einen Volltreffer gelandet hatte. Der starke Sektor der Alpine war ausgerechnet auch noch der Dritte, in dem es eigentlich nur mit Vollgas vorangeht. Gasly und Ocon kamen aber besser aus der Schikane als die meisten ihrer Kollegen und profitierten dann auf der Zielgeraden.

Für Gasly und Ocon war es ein Rennen mit umgekehrten Vorzeichen. Gasly startete als Vierter und wurde auf Platz 11 abgewinkt. Ocon ging vom 16. Platz ins Rennen und wurde Vierter. Der Schlüssel war, dass Ocon das Körnen besser hinauszögerte. Schon auf den Medium-Reifen hielt er drei Runden länger durch. Auf den harten Reifen startete der lange Franzose durch.

Landsmann Gasly dagegen sah seine Chancen mit jeder Runde schwinden. "Gleich nach dem Re-Start begannen die harten Reifen zu körnen. Sie haben sich nie wieder erholt. Vielleicht sind sie in der Safety-Car-Phase zu stark ausgekühlt. Auf den Medium-Reifen ist mir das Management leichter gefallen." Kritiker im Team meinen, dass es auch am Fahrstil liegt. Gasly lenkt aggressiver ein als Ocon. Das strapaziert die Vorderreifen.