Technik-Vergleich Aston Martin vs. Red Bull
Ist der AMR23 nur eine Kopie?

Max Verstappens größter Herausforderer heißt Aston Martin. Im Red-Bull-Lager spottet man, der AMR23 sei nur eine grüne Kopie des eigenen Autos. Wir haben uns auf die Suche nach Unterschieden und Gemeinsamkeiten gemacht.

F1-Technik - Vergleich - Aston Martin AMR23 vs. Red Bull RB19 - 2023
Foto: xpb

Das lag ja auf der Hand. Bei Aston Martin arbeiten mehrere ehemalige Red Bull-Ingenieure, die 2021 das Lager gewechselt haben. Darunter der aktuelle Technikchef Dan Fallows und der Aerodynamiker Andrew Alessi. Da wurde schnell eine Geschichte daraus gestrickt. Der Aston Martin soll ein grüner Red Bull sein, heißt es im Lager des Titelverteidigers.

Das Thema bekommt umso mehr Brisanz, da Aston Martin aktuell Red Bulls größter Herausforderer ist. Der WM-Siebte des Vorjahres hat über den Winter einen Quantensprung geschafft und sich beim Saisonauftakt vor Ferrari und Mercedes gesetzt. Die grünen Autos sind schnell auf eine Runde und über die Distanz. Und sie gehen schonend mit ihren Reifen um.

Unsere Highlights

Überhaupt zeigt der Aston Martin AMR23 einige Charakter-Eigenschaften, die man auch am Red Bull RB19 beobachten kann: Er ist stabil auf der Bremse, stark in der Traktion, kennt kaum Untersteuern, lässt sich leicht fahren und gibt damit seinen Fahrern viel Vertrauen in ihr Auto. Und er zeigt keine Formschwankungen, egal ob bei 30 oder 50 Grad Asphalttemperatur, Gegenwind oder Rückenwind in den kritischen Kurven.

Da wurde schnell der Ruf laut, dass es sich schon wegen der Umstellungen im Designbüro um eine Kopie des Red Bull handeln müsse. Red-Bull-Teamchef Christian Horner feuerte in Bahrain eine entsprechende Breitseite in Richtung des Rivalen aus Silverstone ab. Sein Kollege Mike Krack meinte gelassen: "Wir lassen uns nicht auf einen Krieg der Worte ein und konzentrieren uns auf uns selbst."

F1-Technik - Vergleich - Aston Martin AMR23 vs. Red Bull RB19 - 2023
xpb
Beide Autos verfolgen das gleiche aerodynamische Grundkonzept mit den nach hinten rampenartig abfallenden Seitenkästen.

Ähnlichkeiten beim Konzept

Doch ist der Vorwurf gerechtfertigt? Ist der AMR23 wirklich nur ein Red-Bull-Verschnitt? Bei Vergleichen dieser Art fällt der Blick im Groundeffect-Zeitalter zunächst auf die Seitenkästen. Und da lässt sich in der Seitenansicht durchaus eine gewisse Übereinstimmung ausmachen. Beide tragen die Grundform einer Rampe. Auch das ausladende Plateau unterhalb der Airbox findet sich bei beiden Autos. Und nicht nur dort. Das von Aston Martin ist allerdingsetwas ausladender, was den Luftwiderstand leicht erhöhen dürfte.

Beide haben aus der Vogelperspektive eine ähnliche Geometrie zwischen den Achsen, den gleichen Versatz zwischen den unteren und oberen Querlenkern an der Vorderradaufhängung, ein identisches Outwash-Profil am vorderen Rand des Unterbodens und beide stützen den Heckflügel auf einer einzigen Stelze ab.

Doch das trifft nicht nur auf den Aston Martin zu. Die Downwash-Seitenkästen in Rampenform sehen wir auch bei Alpine, McLaren, Williams oder Alpha Tauri. Der Venturi-Einlass im vorderen Bereich des Unterbodens hängt mittlerweile bei fast allen Autos nach außen weg. Die einen haben ein großes Leitblech an der vorderen Kante, die anderen ein kleines. Mit einer Heckflügelstütze fahren außer Red Bull und Aston Martin auch noch Mercedes, Alpine, McLaren, Alpha Tauri und Williams.

F1-Technik - Vergleich - Aston Martin AMR23 vs. Red Bull RB19 - 2023
Motorsport Images
Vorne und hinten gehen Aston Martin und Red Bull bei den Aufhängungen komplett unterschiedliche Wege.

Umgekehrte Aufhängungsgeometrie

Wenn man den RB19 und den AMR23 im Detail betrachtet, dann stößt man auf viel mehr Unterschiede als Gemeinsamkeiten. Das geht schon bei der Nase los. Sie ist beim Aston Martin mit dem Hauptblatt verbunden, beim Red Bull mit dem ersten Flap. Demzufolge ist das größte Element beim Aston Flügel das erste, gefolgt von drei etwa gleich großen Flaps. Der Red Bull hat ein eher kleines Hauptblatt, dafür einen mächsten ersten Flap, denen sich zwei schmale Flaps anschließen.

Der Frontflügel des Aston Martin aus der Frontalansicht hat in der Mitte einen größeren Bauch, während Red Bull eher bei Alpine kopiert hat und den Schwung der vier Elemente deutlich reduzierte. Die Endplatten sind schon allein wegen der unterschiedlichen Anordnung der Flüglelemente nicht identisch und beim Aston Martin in der Vertikalen geschwungen statt gerade wie beim Konkurrenzprodukt.

Bei den Aufhängungen sind der WM-Favorit und sein erster Verfolger exakt konträr. Red Bull arbeitet an der Vorderachse mit Pullrods und hinten mit Pushrods. Aston Martin genau andersherum. Das bedeutet auch eine andere Anordnung der Federn und Dämpfern unter der Karbonhaut.

Der vordere obere Querlenker beim Aston Martin steht 90 Grad zur Längsachse. Red Bull pfeilt ihn nach vorne. Das spricht für Unterschiede bei der Gewichtsverteilung. Im Heck übernimmt Aston Martin vom Getriebe bis zur Hinterachse die Mercedes-Architektur. Die ist per se schon anders als die von Red Bull.

F1-Technik - Vergleich - Aston Martin AMR23 vs. Red Bull RB19 - 2023
Motorsport Images
Die tiefe Rinne auf der Oberseite des Aston-Martin-Seitenkastens ist wohl der am deutlichsten sichtbare Unterschied.

Individueller Seitenkasten mit Rinne

Der Kühleinlass am Red Bull ist rechteckig und hat an der Unterseite eine vorstehende Lippe. Der Seitenkasten ist in diesem Bereich extrem stark unterschnitten und fällt dafür in der Mitte etwas wuchtiger aus. Aston Martin lässt die Kühlluft durch eine dreieckige Öffnung ebenfalls mit einer Lippean der Unterseite in die Seitenkästen einfließen. Der Undercut ist etwas weniger stark ausgeprägt. Damit sind die Seitenteile auch schlanker.

Auf der Oberseite baut der RB19 ohne eine Vertiefung. Beim Aston Martin wurde die Rinne noch viel tiefer als beim Ferrari in die Verkleidung gegraben und bildet deshalb an der Außenseite eine Wulst. Die Mulde ist schmaler als beim Ferrari, verläuft in Wellenform und reicht von vorne bis hinten. Kein anderes Team hat diese individuelle Lösung gewählt. Auch bim Spiegel geben sich Dan Fallows und seine Kollegen mehr Mühe. Sie legen ihn in eine Umrandung, die wie ein zusätzliches Flüglelement wirkt.

Die Kanten des Unterbodens sind bei allen Autos unterschiedlich. Red Bulls Lösung der Schlaufe vorne und dem aufgesetzten Element weiter hinten ist genauso einzigartig wie die der Aston Martin-Techniker, die den Boden an den Kanten zwei Mal kurz, ein Mal lang cutten und in den Ausschnitten Mini-Flügel einsetzen.

F1-Technik - Vergleich - Aston Martin AMR23 vs. Red Bull RB19 - 2023
xpb
In der Heckansicht lassen sich jede Menge Unterschiede an beiden Autos feststellen. Um Ihnen die Suche zu erleichtern, haben wir ein paar Pfeile hinzugefügt.

Heckflügel und Beamwing konträr

Die Airbox-Öffnung des AMR23 ist eher eine Kopie von Mercedes, Williams und McLaren. Alle Mercedes-Teams operieren mit einer großen ovalen Öffnung, die innen dreigeteilt ist. Alle drei haben im oberen Bereich Kühler verstaut, die durch eine der Öffnungen versorgt werden. Auch Red Bull nimmt Kühler huckepack, kommt aber mit einem relativ kleinen, runden Einlass aus. Da ist die Aerodynamik wichtiger als der Nachteil eines etwas höheren Schwerpunktes.

Da beide Autos mit einer schmalen Leiste von Kühlrippen an der Seite der Motorabdeckung auskommen, muss die heiße Luft hinten raus. Bei Aston Martin durch zwei röhrenförmige Öffnungen, die eher an den alten als an den neuen Red Bull erinnern. Red Bull kommt dieses Jahr mit einem flacheren Auslass aus. Insgesamt wirkt die Motorabdeckung des RB19 etwas gedrungener und eleganter. Die Finne auf dem Kamm ist leicht kürzer. Aston Martin ist in diesem Bereich etwas eingeschränkt, da man bei der Lage der Kühler für Motor, Ladeluft, Steuergeräte und Getriebe auf Mercedes hören muss.

Der Diffusor des Aston Martin ist an den Kanten eckig, der des Red Bull eher abgerundet. Die Unterflügel (Beamwing) unterscheiden sich in Form und Größe komplett. Aston Martin oben schmal, und breit. Red Bull das Gegenteil. Auch beim Heckflügel gibt es Differenzen. Der Flap ist beim AMR23 im Vergleich größer als beim RB19, das Hauptblatt anders geformt und die Endplatten haben unten den stärkeren Einzug.

Fazit: Dan Fallows und sein Designteam haben ein Auto gebaut, das so eigenständig ist, wie es nur sein kann. Dort, wo es wie ein grüner Red Bull erscheint, weisen auch andere Teams Ähnlichkeiten auf. Es war klar, dass schon im zweiten Jahr der Groundeffect-Ära gewisse Konvergenzen zu beobachten sind. Der Vorwurf einer Red-Bull-Kopie lässt sich also zumindest an den Elementen, die man von außen sieht, nicht erhärten.

In der Galerie zeigen wir Ihnen die beiden aktuell schnellsten Autos im direkten Vergleich.