Frontflügel-Tricks von Mercedes und Ferrari
Wie kann das legal sein?

Beim Design ihrer neuen Frontflügel haben die Ingenieure von Ferrari und Mercedes das Reglement ganz genau gelesen. Beide Teams nutzen Schlupflöcher im Gesetzestext clever aus, um den Luftstrom nach außen zu lenken. Wir haben die Details.

Ferrari SF-23 - Frontflügel - Trick - 2023
Foto: Ferrari

Es ist der ewige Kampf zwischen den Technik-Experten der FIA, die das Reglement schreiben, und den F1-Ingenieuren, die zwischen den Zeilen akribisch nach Grauzonen suchen. Bei den neuen Aerodynamik-Regeln, die 2022 in Kraft getreten sind, wurden die erlaubten Dimensionen erstmals mit Hilfe von CAD-Programmen festgelegt. Wer die Abmessungen bestimmter Baugruppen verstehen will, braucht einen Computer und die richtige Software.

Die Maßnahme half dabei, die sogenannten Legalitäts-Boxen sehr präzise zu definieren. Es bleibt damit kaum noch Interpretationsspielraum, den die Teams zum eigenen Vorteil ausnutzen können. Ein großer Nachteil in der Neufassung des Technik-Reglements liegt allerdings darin, dass Fans und Journalisten den Gesetzestext bei Streitfällen kaum noch ohne Hilfe von Experten nachzuvollziehen können.

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In der Comeback-Saison der Groundeffect-Autos gab es allerdings kaum solcher Streitfälle. Nur vereinzelt versuchten Teams, das Reglement auszutricksen. So brachte Aston Martin zum Beispiel einen Heckflügel mit weit nach oben gezogenen Endplatten. Die Radius-Regeln für die Oberflächen waren in diesem Bereich nicht streng genug formuliert.

Große Vorteile konnte sich Aston Martin aber nicht verschaffen. Der Trick wurde am Ende noch nicht mal von der Konkurrenz kopiert. Auch die FIA nahm die Geschichte locker. Für 2023 wurde am Reglement nachgeschärft. Damit war die Sache erledigt.

Etwas gereizter reagierten die Gesetzeshüter bei Tricks, die gegen die grundlegende Aero-Philosophie der neuen Rennwagen-Generation verstießen. Die Regeln sollten unbedingt verhindern, dass die Strömung frühzeitig nach außen um das Auto herum gelenkt wird. Das verstärkt die Verwirbelungen hinter dem Heck und erschwert das Überholen.

Mercedes AMG W14 - Frontflügel - Trick - 2023
Mercedes
Die Lücke in der Mercedes-Frontflügelendplatte besteht immer noch - allerdings jetzt mit Stegen.

Kleine Stege für Legalität

Hier geriet Mercedes mehrfach ins Visier der Kontrolleure. Mit einem der ersten Frontflügel-Upgrades zeigte das Werksteam eine große Aussparung im hinteren Teil der Endplatte. Durch das Loch wurde die Luft nach außen um die Vorderräder herumgeführt. Die Kontrolleure mussten zähneknirschend zugeben, dass die Lösung legal war. Ein Matchwinner wurde es für Mercedes aber nicht. Der Silberpfeil hatte zu viele andere Baustellen.

Auch hier versprach die FIA in der Winterpause gegenzusteuern. Die äußeren Kanten der Flaps müssen nun auch im hinteren Teil mit der Endplatte verbunden sein. Damit hofften die Regelhüter, das Problem aus der Welt zu schaffen. Doch schon die ersten Bilder des neuen (schwarzen) Silberpfeils zeigten, dass Mercedes das Reglement erneut austricksen konnte. Die Lücke zwischen den Flaps und der Endplatte besteht immer noch.

Ein genauer Blick auf den Bereich zeigt, dass Mercedes dem Gesetzestext entspricht, indem die Flaps über winzige Carbon-Stege im hinteren Teil an die Endplatte andocken. Diese Verbindungselemente haben nur die Aufgabe, die Regeln einzuhalten. Sie hindern die Luft aber nicht daran, durch den Spalt nach außen um die Vorderräder herum zu fließen.

Mercedes-Frontflügel - GP USA 2022
ams
Mercedes traute sich im Vorjahr nicht, die Finnen auf dem Flügel einzusetzen.

Finnen wieder abgebaut

Mercedes versuchte diesen Effekt im Vorjahr sogar noch durch eine zweite Maßnahme zu verstärken. Beim Rennen in Austin tauchte das Werksteam mit einem neuen Frontflügel auf, der fünf kleine Finnen auf den oberen Flaps trug. Die vertikalen Strömungsausrichter sollten die Luft ebenfalls nach außen lenken. Mercedes argumentierte, dass es sich um erlaubte Verbindungsstücke handele, mit denen die Flaps in Position gehalten werden.

Angeblich wurde die Lösung im Vorfeld mit den FIA-Experten abgesprochen. Doch beim genauen Blick vor Ort meldeten die Kontrolleure plötzlich Bedenken an. Artikel 3.9.8 des Technischen Reglements besagte, dass die Verbindungen primär einen mechanischen bzw. strukturellen Zweck erfüllen müssen. Mercedes versuchte, den FIA-Technikern weiszumachen, dass die aerodynamische Funktion nicht im Vordergrund stand.

Der Einsatz des Upgrades wurde zwar nicht offiziell verboten, im Falle eines Protests hätte die Lösung aber als illegal eingestuft werden können. Das hätte zu einer Disqualifikation und der Aberkennung der Punkte geführt. Dieses Risiko wollte Mercedes offenbar nicht eingehen. Eine Woche später in Mexiko wurden die kleinen Finnen direkt wieder abgebaut, bevor sie auch nur ein Mal auf der Strecke zum Einsatz kamen.

Ferrari SF-23 - Frontflügel - Trick - 2023
Ferrari
Wer wird den Trick mit den kleinen Finnen noch kopieren?

Ferrari kopiert Mercedes

Nach der Pleite war man eigentlich davon ausgegangen, dass die kleinen Finnen nicht mehr auftauchen. Doch Ferrari zeigte bei der Präsentation des SF-23 eine fast identische Kopie der Mercedes-Idee. Wie konnte das sein? Erst der Blick ins Reglement brachte die Auflösung: Die FIA hatte überraschend den Zusatz entfernt, dass die Verbindungen primär eine strukturelle Funktion haben müssen.

Offenbar hatten die Regelhüter befürchtet, dass diese Erfüllung dieser Anforderung nicht mit objektiven Maßstäben zu messen ist. Man wollte sich nicht einem Streit aussetzen, ab wann eine Verbindung primär strukturell und ab wann sie primär aerodynamisch ist. Schließlich hat jedes Element an der Oberfläche des Autos auch einen Einfluss auf die Luftströmung. Also ließ man den Halbsatz einfach weg.

Ferrari bemerkte die Änderung und nutzte sie direkt aus. Auch hier wurden nach Mercedes-Vorbild fünf kleinen Finnen zwischen dem dritten und vierten Frontflügel-Element platziert. Weil es sich hier um eine relativ einfach zu bauende Lösung handelt, wird es wohl nicht lange dauern, bis wir noch einige Nachbauten dieses Tricks an anderen Autos sehen werden.