Großes McLaren-Upgrade in Miami
Norris volles Paket, Piastri halbes

McLaren setzt seine aggressive Upgrade-Politik fort und erfindet seinen MCL38 neu. Die erste große Entwicklungsstufe nimmt Anleihen von Red-Bull-Ideen. Wegen des großen Umfangs reichte es bei Oscar Piastri nur zum halben Paket.

McLaren hat im Verlauf der letztjährigen Saison den größten Fortschritt gemacht. Die beiden Upgrades von Spielberg und Singapur brachten eine Sekunde. McLaren-Teamchef Andrea Stella will an seiner aggressiven Entwicklungspolitik festhalten. Der britische Rennstall schwört auf große Pakete statt auf kleine Portionen.

Das erste Upgrade des Jahres ändert das Gesicht des McLaren MCL38. Die Ingenieure um Peter Prodromou, Rob Marshall und Neil Houldey haben das Auto vom vorderen Ende des Frontflügels bis zum Beam Wing im Heck angefasst und in insgesamt 11 Bereichen neu gestaltet. Das verdient die Bezeichnung B-Version. Selbst McLaren-Chef Zak Brown sprach davon.

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Der Umfang des Upgrades war so groß, dass die Mechaniker mit dem Zusammenbau erst eineinhalb Stunden vor dem ersten Training fertig wurden. "Auch ich sehe das komplette Auto jetzt zum ersten Mal", berichtete Stella, als das Auto zum üblichen Präsentationstermin anderthalb Stunden vor dem Training in die Boxengasse gerollt wurde.

Die Zeit reichte nicht mehr, um beide Autos mit dem kompletten Paket auszustatten. "Oscar hat nur 50 Prozent der neuen Teile. Er wird erst in Imola den gleichen Stand wie Norris haben", bedauerte der Teamchef. McLarens erste große Modellpflege hierließ Eindruck. Lando Norris führte überlegen die ersten beiden K.O.-Runden der Sprint-Qualifikation an und verspielte die Chance auf die Pole Position durch eine Serie von Fehlern.

McLaren MCL38 - Upgrade - GP Miami 2024
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Die oberen Querlenker sind stark nach vorne gepfeilt. Der Höhenversatz ist ähnlich krass wie beim Red Bull RB20.

Vorderachse ändert Gewichtsverteilung

Der runderneuerte McLaren ist ein Schritt in unbekanntes Terrain, weil viele entscheidende Komponenten zum Teil radikal geändert wurden. Der Frontflügel ist eine komplette Neukonstruktion, vom Hauptblatt über alle drei Flaps. "Und weil der Frontflügel mit dem Unterboden spricht, der Unterboden wiederum mit den Seitenkästen und diese Partie dann mit den Heck, hatte das einen ganzen Rattenschwanz an Änderungen weiter hinten zur Folge", erklärte Stella.

In zwei Punkten nimmt sich der McLaren Anleihen bei Red Bull. Der eine ist die Vorderachse, deren obere Querlenker nun ähnlich stark nach vorne gepfeilt sind wie beim Red Bull RB20. Der Höhenversatz der jeweiligen Querlenker ist ähnlich krass. Dabei geht es nicht nur um die Aerodynamik über neu gestaltete Querlenkerverkleidungen, sondern um eine neue Geometrie.

Die hat vor allem einen Einfluss auf die Gewichtsverteilung und auf das Anti-Dive-Verhalten des Autos beim Bremsen und Beschleunigen. Im Feld munkelt man, dass das eines der vielen Geheimnisse des Red Bull ist.

McLaren MCL38 - Upgrade - GP Miami 2024
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Der Flügel neben dem Cockpit geht nun ohne Lücke direkt in den Seitenkasten über.

Überbiss wie beim Red Bull

Ein anderes Red-Bull-Feature ist die Verkleinerung der Kühleinlässe. Sie sind wie beim Red Bull unter einem weit nach vorne gezogenen Überbiss der seitlichen Crashstruktur versteckt. Vorher hatte McLaren dort ein separates Flügelelement, das jetzt zum Seitenkasten hin geschlossen wurde.

Durch die spezielle Wölbung dieses Überbaus entsteht ein Coanda-Effekt. Der zwingt der Strömung seine Richtung auf und transportiert mehr Luft Richtung Kühleinlass. Die Öffnung konnte folgerichtig in seiner Größe reduziert werden. McLaren musste unter der Verkleidung die Kühler neu positionieren.

Zak Brown sprach von einem neuen Monocoque, doch das war nicht ganz korrekt. "Wenn du die Seitenkästen veränderst, musst du auch am Ansatz zum Chassis Korrekturen vornehmen. Es ist aber immer noch das gleiche Chassis. Wir mussten keinen neuen Crashtest machen", präzisiert Stella.

Die Öffnung ist schmaler geworden, und damit hat sich der Abstand zum Boden vergrößert. Das erlaubte es den McLaren-Aerodynamikern, den Boden im vorderen Bereich stark zu verändern. Das Dach des Unterbodens ist mehr abgeschrägt als vorher und trifft später auf die Bodenplatte, wo jetzt mehr Platz geschaffen wurde.

Die Seitenkästen ziehen sich im Heck stärker nach innen. Auch das erinnert an das Konzept des Red Bull. Der neue Boden und die verkleinerten Kühleinlässe zogen auch eine Neugestaltung der Motorabdeckung nach sich. Die Kühlauslass-Kiemen bekamen eine neue Form und einen neuen Platz, weil sich die Strömungsstrukturen unterhalb der Verkleidung geändert haben.

McLaren modifizierte auch die Bremsbelüftungen vorne und hinten, was an der Hinterachse eine Anpassung der oberen Querlenker am Anlenkpunkt zu den Radträgern erfordert hat. Völlig neu ist der Weg, wie die Kühlluft aus den hinteren Bremstrommeln austritt. McLaren macht es über einen nach oben gerichteten Luftschacht.

McLaren MCL38 - Upgrade - GP Miami 2024
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Um die Schwächen in langsamen Kurven auszumerzen, muss McLaren noch ein weiteres Upgrade-Paket nachlegen.

Langsame Kurven bleiben eine Baustelle

Stella und seine Ingenieure erwarten sich von dem Entwicklungsschritt eine signifikante Verbesserung der Rundenzeiten. Der Teamchef schränkt allerdings ein: "Er wird nicht so groß sein wie letztes Jahr in Spielberg und Singapur."

Das Upgrade soll die allgemeine Performance verbessern, ist aber nicht spezifisch dafür gedacht, die Schwachstelle des MCL38 in langsamen Kurven zu kurieren. "Das werden wir mit den kommenden Entwicklungsschritten angehen", verspricht Stella.

Mit Ausnahme des Red Bull hat jedes Auto im Feld einen Kurventyp, in dem es Rundenzeit verliert. Stella erklärt, warum es so schwer ist einen Kompromiss zwischen schnellen und langsamen Kurven zu finden. "Das war eigentlich bei jeder Fahrzeuggeneration schwierig. Die Gründe dafür waren nur immer verschieden. Mit den aktuellen Autos dreht sich alles um die Bodenfreiheit und wie sich die Charakteristik des Autos in Abhängigkeit der Bodenhöhe verändert. Das Pendel schlägt mal in die eine, mal in die andere Richtung aus."

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