Pierre Gasly im Interview
„Bin noch nicht bei 100 Prozent“

Pierre Gasly hat von seiner ersten Saison bei Alpine mehr erwartet. Im Interview spricht der Franzose über die Turbulenzen im Team, die Schwächen des Autos und darüber, wie er sich persönlich eingelebt hat.

Pierre Gasly - Formel 1 - 2023
Foto: xpb

Wie wichtig war der dritte Platz im Sprint von Spa?

Gasly: Sehr wichtig. Weil Spa nach dem Verlust des Grand Prix von Frankreich mein Ersatz-Heimrennen ist. Weil es auf der Strecke passierte, auf der mein Freund Anthoine Hubert gestorben ist. Und weil Alpine nach einer Serie von Ausfällen wieder mal ein gutes Ergebnis brauchte. Das war wichtiger als das Podium selbst. Für den Sprint gibt es ja auch nur einen kleinen Pokal.

Wie beurteilen sie die erste Saisonhälfte insgesamt?

Unsere Highlights

Gasly: Wir haben uns alle mehr erwartet. Es war eine Mischung aus Pech, kleinen Fehlern und dem ein oder anderen Zehntel, das uns fehlt.

Und wie nehmen Sie die ganzen Personalrochaden wahr?

Gasly: Es waren turbulente Wochen. Für mich ist das ein bisschen schwierig, das zu kommentieren. Es ist schon ein großer Schritt, sich in ein neues Team zu integrieren. Laurent [Rossi], Otmar [Szafnauer], Alan [Permane] und Pat [Fry], den ich noch in der Fabrik kennengelernt habe, haben sicher das Bestmögliche für das Team gegeben. Leider ist diese Saison nicht so verlaufen, wie sich das alle ausgerechnet hatten und wir haben zu wenig Fortschritte gemacht. Ich kann denen, die uns jetzt verlassen, nur für das erste halbe Jahr danken und ihnen das Beste wünschen.

Pierre Gasly & Otmar Szafnauer - Formel 1 - 2023
xpb

Bei Alpine wurde kurz vor der Sommerpause die komplette Führungsriege ausgetauscht.

Ist der neue Frontflügel, der in Silverstone debütierte, eine Verbesserung?

Gasly: Wir haben uns von dem Flügel mehr eine Änderung der Fahrcharakteristik als eine Verbesserung der Rundenzeit erhofft. Das soll als Konsequenz kommen.

Was bedeutet eine andere Charakteristik?

Gasly: Für mich ist es wichtig, das Untersteuern am Scheitelpunkt in langsamen und mittelschnellen Kurven abzustellen. Dadurch ist das Auto in diesen Kurven etwas träge. Es fehlt uns schwer, das Auto zum Einlenken zu bewegen, und das hat natürlich auch einen negativen Einfluss auf die Traktion. Alle suchen nach einer gleichbleibenden Balance von Kurveneingang bis Kurvenausgang. Das Heck soll kleben, ohne im Scheitelpunkt vorne den Grip zu verlieren.

Wie sieht das Ziel aus?

Gasly: Wir müssen die zwei bis drei Zehntel finden, die uns von den Red-Bull-Verfolgern trennen. Es ist jedes Wochenende ein anderes Team, das diese Gruppe anführt.

Warum ist Alpine seit Monaco ins Hintertreffen geraten?

Gasly: Wir sind uns nicht so sicher. In Montreal haben wir den Preis dafür bezahlt, dass wir zu viel Abtrieb gewählt haben. Wir waren stark in den Kurven, haben aber zu viel Zeit auf den Geraden verloren. Im Renntempo war ich jedes Mal der Beste außerhalb der Top-4-Teams. Bis uns McLaren dazwischen gekommen ist. Die haben offensichtlich einen großen Schritt nach vorne gemacht. Seit Saisonbeginn sieben Zehntel. Da kommt dann für uns nicht mehr raus als ein achter oder neunter Platz. Wir müssen jetzt mit Upgrades nachlegen.

Pierre Gasly - GP Belgien 2023
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Ein seltenes Highlight: Platz drei im Sprint von Spa-Francorchamps.

Nur mit Upgrades?

Gasly: Wir müssen auch in der Ausführung an der Strecke besser werden und maximale Leistung abliefern. Jedes Mal bremst uns irgendeine andere kleine Sache. Ich sehne mich nach einem fehlerfreien Wochenende.

Wie schonend geht das Auto mit den Reifen um?

Gasly: Die Reifenabnutzung war bis jetzt nicht wirklich ein großes Problem für uns. Im Vergleich zu Mercedes sind wir die ersten zwei Drittel des Stints auf gleicher Höhe. Dann ist der Mercedes vielleicht ein bisschen besser. Bei uns lassen dann die Hinterreifen etwas mehr nach. Das kann daran liegen, dass wir aggressiver fahren müssen, um ihr Tempo zu halten. Das geht dann auf die Reifen. Das Fenster, in dem die Reifen funktionieren, ist sehr eng. Der einzige Weg, da rauszukommen, ist mehr Abtrieb. Das schont auch die Reifen.

Haben Sie sich schon zu hundert Prozent bei ihrem neuen Team eingelebt?

Gasly: Ich fühle mich immer noch in einer Art Lernprozess. Nicht immer, aber bei bestimmten Themen oder bei der Kommunikation. Ich wünschte, ich könnte sagen, dass wir schon bei 100 Prozent sind, aber so etwas braucht eben Zeit. Die Autos sind so komplex geworden. Daraus resultieren Fehler, wenn man nicht ganz angekommen ist, speziell, wenn sich die Bedingungen ändern. Da braucht es Klarheit in der Verständigung mit dem Team. Manchmal reden wir noch aneinander vorbei, bei dem, was ich vom Auto will und was sie in der Lage sind, mir zu geben. Dieser Alpine ist die Weiterentwicklung des Vorjahresautos, das Esteban und Fernando gefahren sind. Ich hatte keinerlei Input in dieses Auto. Einige Dinge, die ich mir wünsche, sind mit dem bestehenden Paket nicht möglich. Trotzdem hoffe ich, dass mir das Auto am Ende des Jahres besser liegen wird. Dann kann ich dem Team auch besseres Feedback geben, und die Ingenieure sind wiederum in der Lage, das in Upgrades oder das neue Auto für 2024 zu übertragen.

Warum gibt es dieses Jahr so eine große Fluktuation im Feld?

Gasly: Red Bull ist davon ausgenommen, weil sie einfach einen besseren Job gemacht haben als alle anderen. Sie haben ein besseres Auto, sie haben Zuverlässigkeit, machen keine Fehler, sie bewegen sich auf einem extrem hohen Niveau. Das muss man neidlos anerkennen. Es liegt an uns, in allen Bereichen den Rückstand aufzuholen. Das passiert bei Alpine. Ich komme alle zwei Wochen in die Fabrik und sehe, wie auf jeder Ebene versucht wird, sich zu verbessern. Der Budgetdeckel limitiert uns natürlich. Der Lohn kommt leider nicht über Nacht.