Pierre Gasly im Interview
„Auto hielt nicht, was es versprach“

Pierre Gasly kam Anfang der Saison 2023 neu zu Alpine. Der 27-jährige Franzose erzählt im Interview von seinem Anpassungsprozess und davon, wie er mit der Enttäuschung umgegangen ist.

Pierre Gasly - Formel 1 - 2023
Foto: xpb

Wie bewerten Sie Ihre erste Saison mit Alpine?

Gasly: Ich schaue mit gemischten Gefühlen auf die Saison zurück. Die Erwartungen waren größer. Wir wollten daran anknüpfen, was das Team im Jahr davor geschafft hat und wenigstens Vierter werden. Leider hat das Auto nicht gehalten, was wir uns versprochen haben. Oder die anderen haben einfach einen besseren Job erledigt. McLaren und Aston Martin haben uns ganz klar überholt. Wir wollten regelmäßig um die Plätze in den Top 5 kämpfen und näher an die Spitze rankommen, aber das war nur in den seltensten Fällen möglich.

Unsere Highlights

Und für Sie persönlich?

Gasly: Mir war bewusst, dass es für mich ein herausforderndes Jahr würde. Nach zehn Jahren in der Red-Bull-Familie bin ich zum ersten Mal wieder in einem anderen Team gefahren. Ich wusste, dass es für mich viel Arbeit, viel Aufwand und Zeit bedeuten würde, mich da zurechtzufinden. Das ist ein positiver Aspekt. Ich habe es geschafft, schnell im Team Fuß zu fassen und gute Leistungen abzuliefern. Auch am Anfang der Saison, als die Zusammenarbeit noch nicht so funktioniert hat, wie ich mir das gewünscht habe. Im dritten Rennen in Melbourne habe ich bereits um einen Top-5-Platz gekämpft. Das Team hat dann schnell verstanden, was ich brauche, was ich vom Auto verlange. Das hat schließlich dazu geführt, dass wir in der zweiten Saisonhälfte extrem effizient waren. Das Auto war nicht schnell genug, aber wir haben die meiste Zeit das Maximum herausgeholt.

Pierre Gasly - Alpine - GP Niederlande 2023 - Zandvoort - Rennen
Wilhelm

In Zandvoort feierte Gasly das einzige Podium der Saison.

Wann kam der Moment, an dem Sie sich bei Alpine zu Hause fühlten?

Gasly: Wenn du in ein neues Team kommst, verlierst du alle Referenzen. Du musst erst eine Sprache entwickeln, die beide Seiten verstehen. Die Ingenieure müssen erst einmal deinen Fahrstil analysieren, bevor dein Feedback die richtige Wirkung hat. Sie müssen das in ein Setup oder in eine Differenzialeinstellung übersetzen, wenn ich von den Bremsen, vom Einlenken und vom Rotieren des Autos in Kurven spreche und bestimmte Dinge verlange. Diese Autos haben so viele Stellschrauben, an denen man drehen kann: Die Bremsbalance, die Drehmomentkurve, das Differenzial, die mechanischen und aerodynamischen Einstellungen. Dieses Jahr hatten wir sechs Sprintrennen, bei denen du nur ein Freies Training hast, um alle diese Parameter richtig hinzukriegen. Wir haben uns von Rennen zu Rennen aufeinander zubewegt. Das waren Schritte, die von außen gar nicht sichtbar waren, aber unser internes Verständnis verbessert haben.

Ist es schwieriger, die gleiche Sprache zu finden, als das Auto zu verstehen?

Gasly: Viel schwieriger. Weil wir alle so unterschiedlich sind. Esteban arbeitet ganz anders mit dem Auto als ich. Fernando hat ganz anders gearbeitet, als er in diesem Team war. Wir mögen die gleichen Worte für eine Sache benutzen, aber sie haben von Fahrer zu Fahrer ein anderes Gewicht. Untersteuern und Übersteuern bedeuten nicht das Gleiche für jeden Fahrer. Es braucht eine gewisse Zeit, bis die Ingenieure interpretieren können, was ich mit Untersteuern meine und wie ich es einstufe.

Was waren Ihre persönlichen Highlights diese Saison?

Gasly: Melbourne war ein Ausrufezeichen. Leider wurde das außen kaum wahrgenommen. Interlagos war eine gute Leistung. Natürlich auch der dritte Platz in Zandvoort. Generell war es die Art und Weise, wie ich mich im Verlauf des Jahres gesteigert habe.

Pierre Gasly - Alpine - GP Belgien 2023
xpb

Mit dem dritten Platz in Spa-Sprint deutete Gasly an, dass es nach der Sommerpause besser läuft als in der ersten Hälfte.

Die zweite Saisonhälfte lief besser als die erste. Was ist in der Sommerpause passiert?

Gasly: Ich mag die Sommerpause. Sie gibt allen Luft zum Atmen und zum Nachdenken. Du siehst die Dinge danach klarer, verstehst besser was im ersten Teil der Saison passiert ist. Das ist wie ein Reset. Wir haben uns viel ausgetauscht und eine Richtung festgelegt, in die wir gehen sollten. Es war danach definitiv besser als vorher. In vielen Bereichen. Die Arbeit in der Fabrik, an der Rennstrecke, die Einstellung, die Strategie oder die Setup-Arbeit. Wir waren danach aggressiver. Da haben wir in der ersten Saisonhälfte mehr verspielt als in der zweiten.

Es wird viel über das Duell zwischen Ocon und Ihnen geredet. Ist es ein ganz normales Duell zwischen Teamkollegen oder geht das nicht wegen der gleichen Nationalität und der gemeinsamen Geschichte?

Gasly: Die Nationalität spielt keine Rolle. Es ist die Geschichte unseres Lebens, die zwischen uns steht. Die Zusammenarbeit funktioniert gut, weil wir beide gewinnen wollen. Das geht nur, wenn du als Team und mit dem Team arbeitest. Auf einem persönlichen Niveau gibt es keine Beziehung zwischen uns. Ich brauche das auch nicht. Ich brauche einen Esteban, der so hart wie möglich für das Team arbeitet. Das reicht mir schon.

Ist es für Sie besonders wichtig, ihn zu schlagen?

Gasly: Ich will alle schlagen. Mein Fokus liegt nicht auf ihm. Wenn ich alle schlage, schlage ich auch ihn. Um das zu schaffen, muss ich mich voll auf mich konzentrieren und nicht auf dieses Duell.

Pierre Gasly - Esteban Ocon - Alpine - GP Brasilien 2023 - Sao Paulo - Formel 1
xpb

Pierre Gasly und Esteban Ocon werden keine Freunde mehr. Beide müssen aber gemeinsam für den Erfolg und die Weiterentwicklung des Teams kämpfen.

Ist Ihr Fahrstil ähnlich oder grundverschieden?

Gasly: Wir sind nicht total verschieden. Es gibt einige Bereiche, in denen wir uns ähnlich sind, andere, in denen wir unterschiedlich fahren und andere Dinge vom Auto verlangen.

Alpine war auf Platz 6 eingemauert. Warum hat sich das Auto nicht verbessert?

Gasly: Uns fehlt Power, speziell bei der elektrischen Energie. Aerodynamisch haben wir in der Weiterentwicklung unsere Ziele verfehlt. Wir haben einige gute Upgrades gebracht, doch das war nichts im Vergleich zu McLaren zum Beispiel. Aston Martin hat einen besseren Saisonstart hingelegt als wir. Wir sind in einigen Rennen am Ende der Saison näher rangekommen, was zeigt, dass wir uns verbessert haben, aber eben nicht so, wie wir uns es gewünscht hätten.

Lag es an der DNA des Autos, dass die Entwicklung nicht gewünschten Ergebnisse brachte?

Gasly: McLaren ist uns ein Rätsel. Sie waren in Saudi-Arabien zwei Sekunden von der Pole-Position entfernt und hatten zum Schluss ein Auto, mit dem man auf die Pole-Position oder in die erste Startreihe fahren konnte. Ich sehe diesen Aufstieg innerhalb von nur sechs Monaten als Stimulation für unser Team. Das zeigt: Es ist möglich. Auch unter einem Budgetdeckel. Mit den Leuten, die wir in Enstone und Viry haben, sollte das auch für uns möglich sein.

Perez vs. Gasly - Formel  1  - GP Katar 2023
Wilhelm

Im Red-Bull-Verfolgerfeld will Gasly 2024 eine prominentere Rolle spielen.

Sind diese Groundeffect-Autos schwerer abzustimmen als die Generation davor?

Gasly: Ich würde nicht sagen schwieriger abzustimmen, aber sicher schwieriger zu verstehen. Wir haben jetzt zwei Jahre unter diesem Reglement hinter uns, und die Autos sind immer noch sehr verschieden. Man müsste eigentlich meinen, dass sie sich einander angleichen. Es scheint schwieriger zu sein, das optimale Konzept zu finden und vom Unterboden das Maximum an Abtrieb rauszuholen. Der Boden ist sicher der komplexeste Teil der Autos.

Verlangen diese Autos einen bestimmten Fahrstil?

Gasly: Glaube ich nicht. Jedes Auto hat seine Eigenheiten. Der Alpine ist ganz anders als der Alpha Tauri. Es gibt ganz andere Referenzen, abhängig von dem, was dir das Auto bietet und was du daraus machen kannst.

Was ist ein realistisches Ziel für 2024?

Gasly: Wir würden gerne als Team den vierten Platz zurückerobern. Das wird nicht einfach, denn der Abstand zum vierten Team ist ziemlich groß. Du kannst nicht mal mit Bestimmtheit sagen, wer das viertschnellste Auto hat. Mal ist es Ferrari, mal Mercedes, mal McLaren. Auf jeden Fall sollten wir in der Lage sein, den Abstand zu den Autos vor uns zu verkürzen. Unabhängig davon, wo wir am Ende landen. Wir sollten häufiger als nur zwei Mal in der Lage sein, um die Top 5 und das Podium zu kämpfen.