Diskussion über Sprint-Rennen
Wie viel Sprint verträgt die Formel 1?

Die einen verfluchen sie, die anderen schwören darauf. Sprintrennen liefern der Formel 1 nicht nur zusätzliche Action und eine weitere Geldquelle. Die Mini-Grands-Prix sind besser als ihr Ruf. Und sie sind ein Test für neue Regeln.

Lando Norris & Oscar Piastri - Formel  1  - GP Katar 2023
Foto: Motorsport Images

Der Sprint ist eine der neueren Erfindungen der Formel 1. Im Jahr 2021 wurde sie in Silverstone uraufgeführt. Ein Rennen im Rennen quasi. Formel-1-Sportchef Ross Brawn hob den Mini-Grand Prix über 100 Kilometer ins Programm. Als zusätzliche Attraktion und um den festgefahrenen Zeitplan eines GP-Wochenendes etwas aufzulockern. Mit der steigenden Zahl an Terminen im Kalender, ist ein bisschen Abwechslung umso mehr willkommen.

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Natürlich spielte auch das Geld eine Rolle, wenn auch nicht im ersten Jahr. Doch ab der Saison 2022 langten die Rechteinhaber kräftig zu. Für mehr Show mussten die Veranstalter mehr Geld bezahlen. Da war es nur logisch, dass sich im dritten Jahr die Anzahl der Sprints verdoppelte. Von drei auf sechs. Deshalb werden Shanghai und Miami nächstes Jahr Baku und Spa ersetzen. Sie bieten mehr als die Konkurrenz.

Obwohl man dem Zuschauer ein zweites Rennen anbietet und den Fahrern einen zweiten Wettbewerb, in dem man Punkte sammeln kann, ist das neue Format auch im dritten Jahr nach seiner Einführung höchst umstritten. Max Verstappen verteufelt Sprintrennen: "Ein Sieg im Sprint bedeutet mir nichts. Ich sehe keinen Sinn darin, den Zuschauer schon am Samstag in einem Mini-Rennen zu zeigen, was am Sonntag passieren wird."

F1 Sprint Silverstone 2021 - GP England
Wilhelm

In Silverstone gab es 2021 den ersten Sprint der F1-Geschichte.

Kritiker und Anhänger

Jeglicher Anflug von künstlicher Spannung widerstrebt dem Champion: "Die Formel 1 ist gut, wie sie ist. Im Fußball werden auch nicht dauernd die Regeln geändert." Und dass sie sich in Bezug auf den Sprint in jedem Jahr ändern, ist nach Ansicht des 26-jährigen Niederländers eine Schwäche.

Lewis Hamilton dagegen findet die neue Herausforderung gut: "Viel besser als drei freie Trainings. An einem Sprint-Wochenende geht es in jeder Sitzung um etwas." Auch Charles Leclerc schlägt sich auf die Seite der Befürworter, schränkt aber ein: "Mehr als sechs Sprints pro Jahr sollten es nicht sein. Und der Ablauf sollte sich ändern und mehr logisch aufgebaut sein."

Oscar Piastri hat in der abgelaufenen Saison als Rookie den Sprint in Katar gewonnen und ist trotzdem kein großer Anhänger der Kurz-Grands-Prix: "Du bist ein Rennsieger und doch keiner. Weil es schwer ist, so einen Sieg historisch einzuordnen." Dabei kennt er die Samstagsrennen aus der Formel 2, wo sie seit 2005 Teil des Programms sind. "Das ist aber nicht das Gleiche. In der Formel 2 starten die Top Ten der Qualifikation in umgekehrter Reihenfolge. Deshalb ist ein Sprintsieg in der Formel 1 ehrlicher."

Lewis Hamilton - Mercedes - GP USA - Austin - Formel 1 - Freitag - 20.10.2023
Motorsport Images

In Austin wurden zwei Piloten disqualifiziert, weil sich die Teams bei der Bodenfreiheit verpokert hatten.

Wenig Vorbereitung soll Fehler provozieren

Das Sprint-Programm bringt die Teams aus ihrer üblichen Routine, was Fehler und damit Überraschungen provoziert. Es ist zwischen Qualifikation und Rennen ein eigener Wettbewerb mit einem langen Stint ohne Boxenstopps. Und es reduziert die Vorbereitungszeit der Teams auf eine Stunde. Das provoziert Fehler, vor allem wenn in der einen Stunde auch noch Upgrades getestet werden müssen.

Mercedes und Ferrari lagen in Austin mit der Abstimmung so daneben, dass sich die Schutzplatten unter dem Auto zu stark abnutzten, was zur Disqualifikation führte. An einem Sprint-Wochenende müssen die Platte und ihre Befestigungsschrauben 200 Kilometer mehr überstehen als beim Standard-Ablauf. In Brasilien waren Mercedes und Ferrari dann so konservativ, dass beide hinterherfuhren. Die Bodenfreiheit im Heck war zu hoch gewählt. Alpine, Aston Martin und Haas starteten in Baku und Austin freiwillig aus der Boxengasse, um noch eine Setup-Korrektur vornehmen zu können.

Diese Unberechenbarkeit ist durchaus gewollt. Doch aus Sicht der Formel 1 traf es immer die Falschen. Nicht den Dominator Red Bull, sondern seine Verfolger. Und das System ist zu kurz gedacht. Wer will, dass das Hauptrennen nicht zur Kopie des Sprints wird, macht den Parc fermé zwischendrin wieder auf. Eingriffe an der Abstimmung der Autos könnten das Kräfteverhältnis dann zwischen Samstag und Sonntag ändern.

Stefano Domenicali - Formel 1 - GP Japan 2022 - Suzuka
xpb

F1-Boss Stefano Domenicali sorgt mit den Sprints für Mehreinnahmen bei den Teams und bei Liberty.

Der Sprint als Versuchsballon

Der Sprint ist für das F1-Management aber auch ein Versuchsballon, mit dem man testet, wie weit man mit den Regeln gehen und was man den Zuschauern zumuten kann. Wagt man sich einen Schritt zu weit vor, ist jederzeit eine Kehrtwendung möglich, ohne das Hauptevent zu beschädigen.

Formel-1-Chef Stefano Domenicali verspricht zwar, dass es bei maximal sechs Sprints bleibt, doch so sicher kann man sich da nie sein. Als börsennotiertes Unternehmen muss die Formel 1 wachsen, und wenn anderswo kein Spielraum mehr für höhere Einnahmen ist, wird man die Zahl der Veranstaltungen erhöhen. Daniel Ricciardo hofft, dass es nicht so weit kommt wie in der MotoGP: "Bei jedem Grand Prix ein Sprint wäre kontraproduktiv"

Es muss deshalb nicht verwundern, dass die Regeln für den Sprint nie gleichgeblieben sind. Im ersten Jahr bekamen die ersten drei Fahrer Punkte, ab dem zweiten schon die ersten Acht. Zunächst bestimmte die Qualifikation die Startreihenfolge für den Sprint, und das Ergebnis des Mini-Grand-Prix die Startaufstellung für das Hauptrennen.

Seit 2023 gibt es zwei Qualifikationen, ein Shootout für den Sprint und einen für den Grand Prix am Sonntag. Sie unterscheiden sich in der Länge der K.O.-Runden und in der Reifenwahl. Die Formel 1 hat die beiden Wettbewerbe entzerrt, in der Hoffnung, die Fahrer würden im Sprint mehr riskieren, wenn sie dafür nicht am Sonntag mit einem schlechten Startplatz bezahlen müssen.

Start - Formel 1 - GP Brasilien 2023 - Sprint
Wilhelm

Die F1-Verantwortlichen kündigten an, dass es mittelfristig bei sechs Sprintrennen pro Saison bleiben soll.

Nur Interlagos hatte immer einen Sprint

Doch auch das jüngste Format fand seine Kritiker. Zuerst der Ablauf mit dem ersten freien Training und Qualifikation am Freitag, Shootout und Sprint am Samstag und Grand Prix am Sonntag. Kein Mensch kapiert, warum nach der Qualifikation das Sprint-Paket dazwischengeschoben wird, so der Vorwurf.

Das soll sich schon 2024 ändern. Die Reihenfolge Freies Training, Shootout, Sprint, Qualifikation und Hauptrennen wäre logischer. Mit dieser Sequenz wäre es zudem möglich, den Parc fermé zwischen dem Sprint und der Qualifikation für ein paar Stunden zu öffnen, damit die Teams ihr Setup anpassen können.

Es gibt aber noch andere Zwänge, die Sprint-Regeln ändern zu wollen oder zu müssen. Seit es die 100-Kilometer-Rennen gibt, wird ihnen vorgeworfen, dass sie nichts zur Show beigetragen hätten. Das ist schlichtweg falsch. Zwei Drittel aller Sprints waren besser als das Hauptrennen. TV-Experte Martin Brundle sagt: "Selbst ein langweiliger Sprint ist immer noch besser als jedes freie Training."

Sieben der bislang zwölf Sprints verdienen das Prädikat gut. Drei waren ordentlich, zwei nach strengen Maßstäben enttäuschend. Es wurden zwischen neun (Silverstone 2021) und 37 (Interlagos 2022) Überholmanöver gezählt. In allen zwölf Sprints haben sich in den Top Ten mehr als die Hälfte der Plätze verschoben, in zehn Fällen rückte mindestens ein Fahrer von außen in die Punkteränge.

Interlagos ist die einzige Strecke, die immer dabei war. Sie bot in der Regel auch die beste Unterhaltung. 2021 und 2022 blieb im Verlauf der 24 Runden keine Position in den Top Ten gleich. Zweimal erzwang das Wetter Boxenstopps. In Spielberg 2023 rüsteten sieben Fahrer auf abtrocknender Strecke von Intermediates auf Slicks um. In Spa kam fast das ganze Feld nach einer Runde an die Box, um Regenreifen gegen Intermediates zu tauschen. Am offensten war die Reifenwahl in Monza 2021, Interlagos 2021 und Katar 2023.

Norris - Verstappen - Perez - Formel 1 - GP Brasilien 2023 - Sprint
Wilhelm

Der Vorschlag, die Startreihenfolge umzukehren, kommt bei den Teams und den Fahrern nicht gut an.

Kommt die umgekehrte Startreihenfolge?

Da in der Formel 1 immer nur der letzte Eindruck zählt, bestimmen die letzten beiden Sprints in Austin und Interlagos das allgemeine Befinden. In beiden stand Max Verstappen ausnahmsweise nicht auf der Pole Position, doch dummerweise boxte sich der Weltmeister trotz kurzem Anlauf in die erste Kurve jedes Mal durch. In Austin gegen Charles Leclerc, in Brasilien gegen Lando Norris. Das nahm dem weiteren Verlauf des Mini-Grand Prix schon einmal die erste Spannung. Gute Zweikämpfe im Mittelfeld werden dann bei der Bewertung oft übersehen.

Da sich die Formel 1 heute gerne durch Social-Media-Meinungen beeinflussen lässt, und seien sie noch so unqualifiziert, steht sie schon wieder unter dem Druck, etwas an den Sprintregeln zu ändern. "Wenn wir etwas machen, dann muss es diesmal passen", mahnt einer aus dem Führungszirkel zur Vernunft. Dummerweise werden im Zuge dessen auch unvernünftige Lösungen diskutiert. Zum Beispiel eine umgekehrte Startreihenfolge beim Sprint.

Würde man die Top Ten des Shootouts auf den Kopf stellen, dann gäbe es mehr Action, versprechen die Leute, die mit Traditionen oder Werten der Königsklasse nichts am Hut haben. Das geht natürlich nur, wenn es für das Shootout genauso viele Punkte gibt wie für den Sprint. Sonst würde so manch einer absichtlich langsam fahren, um beim Start des Sprints weiter vorne zu stehen. Wer beides gewinnt, bekäme 20 Zähler. Fast so viel wie der Sieger des Grand Prix.

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Kommt der Sprint-Weltmeister?

Um das Hauptevent nicht zu entwerten, schlagen manche vor, dass es eine separate Sprint-Wertung geben und nur ein Teil der erreichten Punkte für die Gesamt-WM zählen sollten. Es gäbe dann am Saisonende also auch noch einen Sprint-Weltmeister. Darüber soll bei einer Formel-1-Kommissionssitzung im Januar entschieden werden.

Die Diskussion wirkt nicht sonderlich souverän und sie birgt die Gefahr, dass die Leistungsgesellschaft Formel 1 in eine Zirkusnummer abdriftet. Öffnet man die Tür einen Spalt, steht sie bald ganz offen. Man mag Dinge wie BOP, Platzierungsgewichte, umgekehrte Startreihenfolge oder Einheitsautos anderswo im Motorsport akzeptieren, doch für die höchste Spielklasse müssen sie tabu bleiben.

Dabei wäre es mit wenig Aufwand relativ einfach, die Qualität der Sprints weiter zu verbessern. Die Rennen waren immer dann besonders spektakulär, wenn es nicht ganz klar war, welche Reifensorte die bessere sein würde. Katar hat es in diesem Jahr gezeigt. Zwölf Fahrer sind auf Medium-Reifen gestartet, acht auf Soft-Gummis. Die erste Hälfte des Rennens gehörte den Risikospielern, die zweite den konservativen.

Es gab 30 Überholmanöver, zwei Führungswechsel, sieben Platzverschiebungen in den Top Ten, zwei Fahrer, die von den Startplätzen 12 und 17 in die Punkte fuhren und den Überraschungssieger Oscar Piastri. Um das zu erreichen, müsste man nur die Länge des Sprints flexibel halten, so dass die Wahl des Reifens nicht eindeutig ist. Nach dem ersten Training wäre klar, wo genau die Schwelle liegt. Die Gesamtdistanz würde sich zwischen 90 und 120 Kilometer bewegen.

F1 Sprint-Statistik

Sprint

Überholmanöver

Verschiebungen Top10

Punkte rein/raus

Reifensorten

Silverstone 2021

10

8

0

16M/4S

Monza 2021

9

7

1 (P 5)

12M/8S

Interlagos 2021

17

10

1 (P 5)

11M/9S

Imola 2022

18

7

1 (P 7)

3M/17S

Spielberg 2022

15

6

0

16M/4S

Interlagos 2022

37

10

2 (P 5, P 8)

2M/18S

Baku 2023

13

7

1 (P 9)

18M/2S

Spielberg 2023

32

8

1 (P 15)

19INT,1M -> 7S

Spa 2023

21

7

1 (P 10)

20R->20INT

Katar 2023

30

7

2 (P 17, P 12)

12M/8S

Austin 2023

15

7

2 (P 9, P 11) 

19M/1S

Interlagos 2023

22

6

1 (P 9)

3M/17S

M=Medium, S=Soft, INT=Intermediates