Kommentar von Marcus Schurig
Das PR-Schlachtfeld Nürburgring-Nordschleife

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Marcus Schurig über den Sinn und Zweck von schnellen Rundenzeiten auf der Nürburgring-Nordschleife und wieso die Hersteller dieses sehr aussagefähige Testkriterium mittlerweile selber ad absurdum führen.

McLaren P1, Nordschleife, Nürburgring
Foto: McLaren

Ja, ich liebe lange Pressemitteilungen sehr, weil ich sonst recht wenig zu tun habe. An diesem 6. Dezember kam eine von McLaren Automotive, stolze neun Seiten lang - normalerweise ein klarer Fall für den virtuellen Papierkorb.

McLaren P1-Rundenzeit von unter sieben Minuten auf der Nordschleife

Aber halt: McLaren fährt mit dem Hybrid-Supersportwagen P1 eine Rundenzeit von unter sieben Minuten auf der Nordschleife. Holla, das sollte man doch mal lesen. Zehn Minuten später ist man genauso schlau wie vorher. Kernaussage: Wir haben es geschafft. Details: keine. Ein Youtube-Link liefert ein hübsch gemachtes Werbefilmchen, aber keine schnelle Runde.

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Die Pressemitteilung quält sich über endlose Buchstabenreihen durch den Mythos Nordschleife, darunter grandiose Verballhornungen wie die folgende: "Die Gerade Döttinger Höhe vergeht auf der Stelle", lässt man Fahrer Chris Goodwin räsonieren. "Von Galgenkopf aus ist die Beschleunigung brutal, aber wenn du den DRS-Knopf drückst, erhöht sie sich noch mehr, weil das Fahrzeug durch die Luft gleitet, und die 330 km/h werden sofort erreicht." Natürlich hoffen wir ganz inständig, dass Chris Goodwin wieder gut gelandet ist.

McLaren-Rekordversuch etwa doch nicht im Herbst?

Der Kommunikationsabteilung von McLaren wäre zu wünschen, dass auch sie schnell wieder auf den Boden der Tatsachen zurückkehrt. Warum schickt man im Dezember eine Pressemitteilung über eine schnelle Runde auf der Nordschleife heraus? Um den Weihnachtsverkauf anzukurbeln? Die Runde wird ja wohl kaum im Dezember gefahren worden sein, vermutlich auch nicht im November. Im Filmchen stehen die Bäume in vollem Grün – vielleicht war die Großtat doch schon im Juli? Was die Frage aufwerfen würde, warum man dann so lange mit der bahnbrechenden Neuheit hinterm Berg hält?

Die Pressemitteilung nennt die Rundenzeit nicht, was die Meldung ja an sich schon irgendwie ad absurdum führt. Man sagt nur, dass man die Nordschleife mit einer höheren Durchschnittsgeschwindigkeit als 178 km/h bewältigt habe. Gut, dass ich immer einen Taschenrechner parat habe: Macht bei einer offiziellen Streckenlänge von 20.832 Metern eine Zeit unter – 7.01,32 Minuten. Hmmm. Hat man die Sieben-Minuten-Marke vielleicht gar nicht geknackt? Oder nur ein entschuldbarer Rechenfehler?

Nun hat ja jeder das Recht, zu kommunizieren, was immer er will, auch bei der Sprache ist man frei. Aber zu einer Pressemitteilung sollte per Definition ein kleiner Neuigkeitswert gehören. Doch auch das ist nicht der Punkt . Die Hersteller haben den Werbewert einer schnellen Runde auf der Nordschleife erkannt – und nutzen dieses Werkzeug konsequent.

Da ist sport auto selbst ein wenig "schuld“, denn der ehemalige Chefredakteur Horst von Saurma hat ja damit schon 1997 begonnen. Der Hintergedanke war damals klar: Das Anforderungsprofil der schwierigsten Rennstrecke der Welt ist sehr geeignet, Sportwagen auf ihre dynamischen Fähigkeiten zu testen – oder ihre Schwächen aufzudecken. Nicht umsonst testen ja die Hersteller im Industrie-Pool ihre Straßenautos auf der Nordschleife, von März bis Oktober.

Nürburgring-Nordschleife als PR-Schlachtfeld

Aber der Rekord-Hype hat mittlerweile surreale Höhen erreicht, die Nordschleife ist zum PR-Schlachtfeld der Hersteller verkommen. Und was ist überhaupt ein Rekord? Wir bezweifeln nicht, dass McLaren mit dem P1 schneller als sieben Minuten gefahren ist. Aber ein paar Rahmenbedingungen für PR-trächtige Rekordfahrten sollten schon mal festgelegt werden: Strecke, Zeitmessung, Reifen - nur um ein paar Beispiele zu nennen.

Andernfalls ist eine Vergleichbarkeit - und die ist ja letztlich Sinn und Zweck der Ermittlung von Rundenzeiten auf der Nordschleife - überhaupt nicht mehr gegeben.

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Erscheinungsdatum 04.02.2022

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