Vorschau 24h Le Mans 2018
Sechskampf um die GTE-Krone

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24h Le Mans

Normalerweise steht in Le Mans die Topklasse LMP1 im Fokus. Nicht so 2018. Im Rennen um den Gesamtsieg starten Toyota und Fernando Alonso als die klaren Favoriten. Das wahre Rennen liefert die GTE-Pro-Klasse: 6 Hersteller, 17 Autos, 51 Profipiloten!

Porsche 911 RSR - Le Mans - Vortest
Foto: xpb

Die Topklasse der LMP1-Prototypen stellt beim wichtigsten Langstreckenrennen der Welt in Le Mans für gewöhnlich den Gesamtsieger – das wird auch 2018 wieder so sein. Doch weil mit Toyota nur ein Hersteller gegen mehr oder weniger chancenlose private Konstrukteure mit illustren Namen wie Kolles, Oreca oder Dallara antritt, ist die Siegerfrage beim 24h-Klassiker in Le Mans wohl schon vor dem Start besiegelt: Toyota wird gewinnen – alles andere wäre eine faustdicke Überraschung.

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Die Regelgeber ACO und FIA haben jedenfalls alles getan, um Toyota so viele Vorteile wie möglich zuzuschanzen. Warum? Erstens weil man die Japaner als einsames Zugpferd bis 2020 benötigt, wenn ein neues LMP1-Reglement in Kraft tritt, und zweitens ist Toyota als großer Hersteller die einzige sichere Bank mit Blick auf die Zeit nach 2020 – und Abhängigkeiten schaffen eben Verpflichtungen.

Toyota klar im Vorteil

Nicht nur seit Jahren, sondern seit Jahrzehnten rennt Toyota dem Gesamtsieg beim 24h-Rennen in Le Mans hinterher – bisher vergeblich. Aber 2018 soll es endlich klappen: Audi und Porsche sind ausgestiegen, nur die privaten LMP1 stehen noch im Weg. Doch die wurden so stark eingebremst, dass sie völlig chancenlos sind.

Toyota TS050 Hybrid - Le Mans - Vortest
xpb
Alles andere als ein Toyota-Sieg in Le Mans wäre eine faustdicke Überraschung.

Toyota wurde für Le Mans ein Vorteil bei der Rundenzeit von 0,5 Sekunden pro Runde zugestanden – das ist über die Renndistanz ein Vorteil von circa drei Minuten. Toyota wurde ein Vorteil bei der Nachtankzeit von fünf Sekunden pro Tankvorgang zugestanden – das entspricht am Ende wieder ungefähr drei Minuten. Und zum guten Schluss hat Toyota bei der Reichweite einen Vorteil von einer Runde – Sie ahnen es: Das sind noch mal drei Minuten. Bevor das Rennen überhaupt losgeht, hat der Traditions-Hersteller also einen Vorteil von neun Minuten oder knapp drei Runden im Sack. Toyota kann das Rennen nur selber verlieren – doch mit einem Autorennen im klassischen Sinn hat das wenig zu tun.

Krimi in der LMGTE Pro vorhergesagt

Wenn es aber um Spannung und Wettbewerb geht, wird eine andere Klasse alle überflügeln: Die GTE-Pro-Kategorie für werksunterstützte GT-Autos ist der Topklasse LMP1 nicht nur numerisch überlegen, sondern auch qualitativ: Sechs Hersteller bringen 17 Werkswagen mit 51 Profipiloten an den Start – eine größere Dichte und Qualität gab es selten zuvor in Le Mans. „Le Mans wird dieses Jahr der absolute Hammer“, sagt Porsche-GT-Sportchef Frank-Steffen Walliser, der in Le Mans mit seiner Mannschaft vier Werkswagen vom Typ Porsche 911 RSR sowie sechs Kundenautos zu betreuen hat.

Keine Frage: Die GTE-Klasse wird 2018 das Rennen im Rennen abliefern. Wegen der hohen Leistungsdichte rechnen Experten mit einem Krimi in den letzten Rennstunden: „Das Rennen wird bis in die Schlussphase offen bleiben – dann werden alle die Hose herunterlassen und Vollgas geben“, sagt Porsche-Werkspilot Nick Tandy.

Mag sein, dass das Gepränge am Ende kommt, doch in der Regel gibt es auch im GT-Sport immer Favoriten – trotz der Fahrzeugeinstufungen, der Balance of Performance (BOP), die Konzeptunterschiede zwischen den unterschiedlichen GTE-Autos eliminieren und damit gleiche Chancen für alle Wettbewerber sicherstellen sollen. Gibt es auch 2018 Favoriten? Die Antwort geben die bisherigen GTE-Rennen in Amerika und in der Sportwagen-WM, aus denen sich ein klarer Trend ablesen lässt.

Ford und Porsche die GTE-Favoriten

In der amerikanischen IMSA-Serie fanden bis dato vier Rennen über unterschiedliche Distanzen von 100 Minuten bis 24 Stunden statt: Zweimal siegte das Porsche-Werksteam Core Motorsport, jeweils ein Sieg ging an Ford und Corvette. In der Sportwagen-WM fand vor Le Mans nur ein Rennen in Spa statt: Hier siegte Ford – nach einem knüppelharten Fight mit Porsche. Der Trend ist eindeutig: Ford und Porsche scheinen sich in ein inniges Duell verbissen zu haben, die vier anderen GTE-Hersteller Ferrari, Corvette, Aston Martin sowie BMW folgen mit einem gewissen Respektabstand.

„Momentan muss man Porsche und Ford als Favoriten sehen, zumal nur diese beiden Hersteller in Le Mans jeweils vier Werksautos einsetzen“, sagt Porsche-Sportchef Walliser. „Und wer in Le Mans mehr Autos einsetzt, erhöht natürlich seine Siegchancen.“

Neben der beobachtbaren Performance gibt es noch den Faktor der Fahrzeugeinstufungen oder Balance of Performance (BOP) – und hier ist für Le Mans das letzte Wort noch nicht gesprochen. Besonders Ferrari, Aston Martin und BMW drängen auf Anpassungen bei der BOP, weil sie sich beim WM-Start in Belgien im Nachteil wähnten. Die große Frage lautet: Haben diese drei Hersteller in Spa bereits alles gezeigt? Oder haben sie Performance zurückgehalten, um eine bessere Einstufung für Le Mans herauszuschinden?

Aston Martin und BMW mit neuen Autos

Diese im GT-Sport gängige Praxis heißt Sandbagging: Wer keinen Vorteil hat, kreiert auf der Strecke einen „künstlichen“ Nachteil, um über die nächste BOP wieder einen Vorteil zu erlangen. Beim Vortest jedenfalls führten zwei Werksporsche das GTE-Feld vor vier Ford GT an. Bei Porsche und Ford ist man sich darüber im Klaren, dass die Gegner in Le Mans stärker auftrumpfen werden als in Spa – BOP hin oder her. „Ich sehe Ferrari klar in Schlagdistanz, Corvette sollte man nie unterschätzen, und BMW hat auf der Motorenseite eine sehr gute Einstufung, was in Le Mans helfen sollte“, so Porsche-Sportchef Walliser.

Aston Martin Vantage AMR - Le Mans - Vortest
xpb
Aston Martin kommt mit dem neuen Vantage AMR.

Der Ford-Teamchef George Howard-Chappell sieht die Lage ähnlich: „Nur Ford und Porsche sind in Spa voll gefahren, alle anderen haben Sandbagging betrieben. Ferrari drehte im Rennen erst auf, als sie die Chance auf einen Podestplatz witterten. Aston Martin und BMW haben neue Autos, da sieht man die wahre Stärke immer erst dann, wenn es wirklich zählt – also in Le Mans.“

Aston Martin debütierte in Spa mit dem neuen Vantage AMR mit Vierliter-Biturbomotor, BMW setzt den neuen M8 mit ähnlicher Motorenspezifikation bereits seit Januar in der amerikanischen IMSA-Serie ein. Während BMW bereits Achtungserfolge wie in Sebring einfahren konnte, stochern die Regelhüter bei der BOP für Aston Martin im Nebel. Da die Skepsis wegen möglichen Sandbaggings überwiegt, werden die BOP-Zügel für die Neuankömmlinge wohl eher langsam gelockert.

Viel Evo, kaum Gewinn?

Etwas anders liegt der Fall bei Ferrari: Der 488 GTE hat in den letzten drei Jahren einige Titel abgeräumt, dazu hat die Rennabteilung für 2018 einen Upgrade-Kit in die Schlacht geworfen, der bei gleichem Luftwiderstand mehr Abtrieb generiert. Doch dieser Schuss ging nach hinten los, zumindest aus Sicht der Italiener: Der neue Evo-Kit wurde von den Regelhütern kastriert, das Auto bekam über die BOP mehr Gewicht – nun ist das Lamento groß. „Wir haben uns angestrengt, das Auto zu verbessern – und wurden dafür bestraft“, klagt Ferrari-GT-Sportchef Antonello Coletta.

Ford hatte den gleichen Plan, doch die Amis verzichteten auf den Einsatz des Upgrade-Kits – um keine Beschneidungen bei der BOP zu riskieren. Das war vermutlich eine kluge Entscheidung: Der Ford debütierte 2016 als Überflieger in der GTE-Klasse und siegte auf Anhieb in Le Mans. Seither ist die Skepsis über das Ford-GT-Modell, dass mehr Verwandtschaft mit einem Prototyp als mit einem Straßenauto zu haben scheint, beständig groß. Ein Upgrade-Kit hätte wohl alte Wunden und neue Befürchtungen aufgerissen.

Jedenfalls fordern mit Aston Martin, BMW und Ferrari all jene, die sich benachteiligt fühlen, jetzt gemeinsam eine BOP-Wende. Aber es ist eher unwahrscheinlich, dass die Regelhüter vor Le Mans vom eingeschlagenen Weg abweichen.

Damit bleibt noch das schwarze Schaf im GTE-Sport: Corvette. Die Amis fahren regulär nur in der IMSA-Serie, kreuzen aber einmal im Jahr auch in der Sportwagen-WM auf – wenn der Grand Prix des GT-Sports in Le Mans zur Austragung kommt. Da sich die BOP-Einstufungen zwischen IMSA und WEC unterscheiden, herrscht jedes Jahr großes Rätselraten, wenn das US-Werksteam nach Frankreich kommt. Erfahrungsgemäß sind die Amis aber immer bei der Musik, komme was da wolle: Bei 19 Auftritten in Le Mans haben die Corvette-Kapitäne achtmal ihre Klasse gewonnen.

Dreiklassengesellschaft in Le Mans?

Mit diesem Überblick lässt sich eine belastbare Prognose für Le Mans 2018 entwickeln: Aston Martin und BMW kommen mit neuen Autos, und möglicherweise haben sie noch einiges in der Hinterhand. Aber die Zeiten der Einstiegshilfen durch die BOP sind seit 2016 unwiederbringlich vorbei. Dazu gibt es bei neuen Autos immer auch Fragezeichen bei der Dauerhaltbarkeit über die mörderische Distanz von 24 Stunden. Das Mittelfeld bilden Corvette und Ferrari: Beide Autos sind bekannt, beide Hersteller wissen, wie man in Le Mans siegt, und beide Marken reizen das BOP-Spiel so aus, dass sie nicht chancenlos nach Le Mans reisen müssen.

In der Favoritenrolle sind aber ganz klar Porsche und Ford: Nur diese beiden Hersteller bringen vier topbesetzte Werkswagen an den Start. Sowohl der Porsche 911 RSR als auch der Ford GT sind ausgereifte Rennwagen, die heuer schon Marathonrennen über 24 und 12 Stunden gewonnen haben.

Porsche rühmt sich wohl nicht zu Unrecht, über den vermutlich besten und ausgeglichensten Fahrerkader im GT-Sport zu verfügen. Bei den Einsatzteams sind Ford (Chip Ganassi Racing) und Porsche (Manthey Racing und Core Motorsport) ähnlich stark aufgestellt. Und die Fahrzeugeinstufungen sind nach aktuellem Stand für beide Marken eher kein Nachteil.

Man muss aber auch im Auge behalten, dass die Ford GT mit ihrem geringen Luftwiderstand und dem ausgefuchsten Durchströmungskonzept wie gemacht sind für die Streckencharakteristik in Le Mans: Auf langen Geraden mit hohen Topspeeds hat Ford wegen der kleinen Stirnfläche einen Vorteil, der auch von der BOP niemals vollständig eliminiert werden kann. Das wurde zuletzt auch beim 24h-Rennen in Daytona Anfang Januar sichtbar, wo die Ford GT dominiert hatten.

Daher könnten die Reifen 2018 das Zünglein an der Waage sein: Seit 2017 setzte die Sportwagen-WM in der GTE-Pro-Klasse auf ein Doppelstint-Format, die Anzahl der Reifen wurde limitiert. Im letzten Jahr hatte Ford damit seine liebe Mühe, ebenso wie Porsche. 2018 sind beide Werksteams in diesem Punkt deutlich besser sortiert: Ford hat sein komplettes Testprogramm umgestellt, um die richtigen Reifen auszuwählen. Porsche profitiert mit wachsender Erfahrung von der Umstellung auf das Heckmittelmotorkonzept: Die ausgeglichenere Gewichtsbalance hat den Reifenverschleiß gezähmt und die Konstanz erhöht.

Die Fans dürfen sich also die Hände reiben: Die GTE-Klasse wird in Le Mans für fabelhaften Rennsport sorgen – und für noch mehr Spannung als die LMP1-Topklasse an der Spitze!