DTM in Spa-Francorchamps 2020
Audi siegt, BMW fährt hinterher

Es ist wohl die letzte Saison der DTM – und sie begann so, wie die alte endete: Audi diktierte das Tempo und erntete zwei überlegene Fünffachsiege in Belgien. BMW kam über die Statistenrolle nicht hinaus.

Nico Müller - Audi RS 5 DTM - Spa-Francorchamps 2020
Foto: Audi

Manchmal lässt sich die Action des einstündigen Rennens in zwei extrem kurzen Sätzen erschöpfend wiedergegeben "Maximum rear tire save. BMW out." Diese prägnante, aus gerade einmal sechs Wörtern bestehende Ansage bekam Vorjahresmeister René Rast beim Boxenstopp im Samstagsrennen von seinem Audi-Team Rosberg. "Pass’ auf die Hinterreifen auf." Und: "BMW ist raus."

Aber schön der Reihe nach: These Nummer eins, die Reifen-Thematik, entschied tatsächlich über Wohl und Wehe auf der extrem schnellen, aber auch reifenmordenden Strecke durch die belgischen Ardennenwälder. Der so genannte Drop, also der Abfall der Reifen-Performance, war enorm. Innerhalb von knapp zehn Runden wurden die Rundenzeiten wegen des krass nachlassenden Grips um bis zu fünf Sekunden langsamer.

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Müller der Reifenflüsterer

Kompromittierend für den Exklusivausrüster Hankook? Nein, denn dieses Phänomen ist von den DTM-Veranstaltern ausdrücklich erwünscht. Vom krassen "Drop" verspricht man sich härtere Zweikämpfe und mehr Überholmanöver. Und weil es am Samstag sehr warm war (Luft 29 Grad, Strecke 45 Grad) schmolzen die Reifen so schnell dahin wie die guten Neujahrsvorsätze von starken Rauchern.

Es ist hohe Fahrkunst vonnöten, um die bis zu 640 PS starken Prototypen unter solchen Umständen auf dem rechten Weg zu halten. Aber Spaß macht’s nicht, wenn man hilflos durch die Gegend rodelt. Es sei denn, man fährt ganz vorne. So wie Nico Müller im Abt-Audi am Samstag.

Der Schweizer kam bei seiner fünften DTM-Siegesfahrt mit fast 20 Sekunden Vorsprung bis Ziel. "Ich habe am Schluss gebetet, dass die Reifen halten", berichtete der 28-Jährige. Seltsam sei es gewesen, vor leeren Tribünen zu fahren. Dadurch fehle auch eine Informationsquelle: "Es gibt ja keine Riesen-Bildschirme, wo man mal kurz draufschauen kann." Schlüssel zu Müllers Erfolg war die perfekte Vorbereitung: "Wir haben das Auto am Donnerstag ausgeladen und seither an keiner einzigen Schraube gedreht."

Schlechte Erfahrungen mit den Reifen machte in der Hitze des Samstags vor allem Robin Frijns im anderen RS 5 von Abt. Der Niederländer schaffte zwar die Pole in Spa-Francorchamps, fand sich aber am Schluss nur auf Rang neun wieder. Auch René Rast wurde gerupft: Der Titelverteidiger wechselte als einziger der Spitzenfahrer zweimal die Besohlung. Mit Rang fünf gelang dem ebenso ehrgeizigen wie erfolgsverwöhnten Rast immerhin eine Art Schadensbegrenzung. "Wenn die Reifen in die Knie gehen, fühlt sich das in etwa so an, als würde man mit den Vorderrädern auf trockener Straße fahren, mit den Hinterrädern aber im Nassen."

René Rast - Nico Müller - Audi - DTM - Spa-Francorchamps 2020
Audi
René Rast und Nico Müller teilten sich zum Saisonauftakt in Belgien die Siege auf.

Audi lässt seine Fahrer fahren

Zu den Reifenflüsterern gehörten auch Jamie Green und Loïc Duval. Die beiden gesellten sich zu Müller aufs Podium. Der Engländer hatte einen kurzen Disput mit dem Rosberg-Team: "Warum habt ihr mich solange draußen gelassen?", klagte er am Funk. Schlussendlich war es aber die goldrichtige Taktik.

Wohltuend zu vermerken ist auch die neue Gelassenheit der Audi-Teamleitung, die die Fahrer an der langen Leine laufen ließ. Markeninterne Duelle waren früher in Ingolstadt verpönt. Und im letzten Jahr hatte die DTM in Brands Hatch sogar ein Skandälchen, als Nico Müller nach Meinung vieler beim Kampf gegen seinen Titelkontrahenten Rast allzu zurückhaltend und behutsam agierte.

"Solange wir uns nicht die Kiste fahren, dürfen wir auf der Strecke machen, was wir wollen" sagt jetzt der frühere Sportwagen-Held Loïc Duval. Sogar das Push-to-Pass-System (P2P) können die Audi-Fahrer nun nach Gusto benutzen, also auch in markeninternen Duellen. Dies war 2019 noch tabu, da man um die Standfestigkeit der Vierzylinder-Turbomotoren fürchtete. In diesem Jahr beträgt das Leistung-Plus durch die bei P2P um gut zehn Prozent erhöhte Kraftstoffmenge sogar 60 PS statt wie bisher 30 PS.

Eine Regeländerung, die sich sofort bewährte. Denn die Scharmützel der Audi-Fahrer untereinander sorgten wenigstens für einen Rest an Spannung. So zum Beispiel die siegbringende Attacke von René Rast gegen Müller beim Sonntag-Rennen. Der Titelverteidiger überholte seinen Rivalen auf der langen Kemmel-Gerade und behauptete den Spitzenplatz bis ins Ziel. Rast verteidigte sich geschickt, und ließ Müller in der letzten Rennrunde vor Eau Rouge auflaufen, damit dieser mit weniger Schwung auf die folgende Gerade kommt. Ein kleiner Quersteher kostete den Schweizer die letzte Hoffnung auf einen Angriff. Es sorgte dafür, dass der Heckflügel auf der Kemmel-Gerade in die Ausgangsstellung zurückschnallte. Frijns komplettierte das Podest.

Sheldon van der Linde - BMW M4 - DTM - Spa-Francorchamps 2020
BMW
BMW musste einige Tiefschläge verdauen. Das Auto ist zu langsam und nimmt die Reifen zu hart heran.

Tiefe Analyse nötig bei BMW

Die Fahrer der BMW M4 nahmen an Überholmanövern mit Audi meist nur passiv teil. BMW hatte mit dem Kampf um die Podiumsplätze nichts zu tun. Der beste der Weißblauen traf am Samstag mit einer Verspätung von 36 Sekunden auf den Sieger im Ziel ein. Sonntags, bei weitaus kühleren Temperaturen, waren es immerhin noch 24 Sekunden, die zum Platz an der Sonne fehlten.

"Ernüchternd" sei sein Rennwochenende gewesen, sagte Ex-Champion Marco Wittmann. Der Bayer kehrte mit nur einem Meisterschaftspunkt aus Belgien zurück. "Wir haben uns mehr erhofft, aber Audi fuhr in einer eigenen Liga. Mit den Reifen haben wir uns speziell am Samstag sehr schwer getan. Wir waren alle sehr überrascht, dass wir sowohl im Training wie auch im Rennen eine Sekunde pro Runde verlieren. Wir müssen tief in die Analyse einsteigen."

Timo Glock, das andere BMW-Urgestein, attestierte seinem M4 eine eigentlich gute Balance "Das Auto fühlt sich gut an. Aber offensichtlich strapaziert der BMW die Reifen besonders stark." Manchmal geben die Hankooks auch einem Routinier wie Glock unlösbare Rätsel auf: "Am Samstag hatte ich im zweiten Stint neue Reifen, und war plötzlich drei Sekunden langsamer."

Für BMW-Sportchef Jens Marquardt blieb so nur die Hoffnung, dass der Lausitzring, Schauplatz der nächsten beiden DTM-Rennen, "nicht so brutal zu den Reifen ist." Immerhin war BMW bei der Topspeed ganz vorne dabei. Zum ersten Mal überhaupt knackten die DTM-Renner die 300 km/h-Marke. Philipp Eng, Jonathan Aberdein (BMW) und Fabio Scherer (Audi) wurden mit 302 km/h gemessen. Aber Punkte gibt’s dafür natürlich nicht.