Über Einstiegshilfen für neue LMP1-Hersteller
Gehen ACO und FIA den falschen Weg nach Audi-Aus?

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Marcus Schurig kommentiert einen neuen Passus im WM-Reglement, nach dem neuen LMP1-Herstellern technische Zugeständnisse gewährt werden können – und stellt die Frage, ob das nicht als versteckte BOP zu werten ist.

Audi R18 - di Grassi, Duval, Jarvis - WEC - Sportwagen-WM - Bahrain 2016
Foto: xpb

Jetzt haben wir also den Salat. Der Audi-Ausstieg hat seine erste konkrete technische Konsequenz: Im panischen Bemühen, neue LMP1-Hersteller anzulocken, werden Eintrittsgeschenke verteilt. Im neuen sportlichen Reglement der Langstrecken-WM für die Saison 2017 findet sich unter Punkt 7.10-1 ein neu aufgenommener Abschnitt über technische Waiver für LMP1-Neueinsteiger.

Politisches Geschacher als Folge?

Technische Waiver? Das sind Sondergenehmigungen außerhalb der Reihe, die die Langstreckenkommission der FIA an neue LMP1-Hersteller vergeben kann. Dazu gehören so hübsche Geschichten wie mehr Sprit, mehr Reifen, mehr Motoren, mehr Windkanalzeit oder zusätzliche Wechsel bei den Rekuperationssystemen. Diese Maßnahmen sind – momentan – nur in den ersten zwei Jahren möglich. Doch was jetzt noch nicht ist, kann ja noch werden. Fakt ist: Die Macher der Sportwagen-WM – also ACO und FIA – opfern die Klarheit und Striktheit des aktuellen LMP1-Technikreglements, um möglichst flugs neue Mitspieler zu finden.

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Das Fatale: Im weltweiten Motorsport gibt es nur in der Formel 1 und vor allem der LMP1-Klasse freizügige Reglements – ohne große Limitierungen, ohne Ausnahmen und ohne künstliche Gleichmacherei. Beide Klassen bieten das, was den Motorsport früher ausgezeichnet hat: freie Reglements ohne Grenzen, ein Krieg der Technologien. Dabei ist das LMP1-Reglement wegen seiner Equivalence of Technologies sogar höher zu bewerten, denn die Hersteller haben die absolut freie Wahl beim Motorkonzept, bei der Rekuperation oder bei der Energiespeicherung.

Natürlich verursacht ein so extrem freizügiges Reglement hohe Kosten. Bisher wurde argumentiert, dass die konsequente Fokussierung des LMP1-Reglements auf neue, straßenrelevante Technologien einen Benefit liefert, der das hohe Investment für einen Hersteller rechtfertigt. Diese Zeiten sind offenbar vorbei.

Diese eingeführten Sondergenehmigungen werden nämlich jetzt ein ähnliches politisches Geschacher zur Folge haben wie früher im GTSport: Wenn ein Hersteller zu langsam ist, wird er Forderungen nach technischen Sondergenehmigungen stellen. Und als Druckmittel wird er auch einen möglichen Ausstieg ins Spiel bringen – womit ACO und FIA die Büchse der Pandora geöffnet haben.

Menükarte der WEC doch geändert

So etwas Ähnliches hatten wir schon einmal: Als Aston Martin 2009 ein LMP1-Programm lancierte, drückten die Briten ebenfalls einen Passus ins sportliche Reglement, der auf das Gleiche hinauslief – nämlich auf eine Balance of Performance, also eine künstliche Anpassung der Leistungsfähigkeit der unterschiedlichen LMP1-Fahrzeugkonzepte.

Das chronisch unterfinanzierte Projekt der Briten versandete damals schnell wieder, das neue, seit 2014 gültige LMP1-Reglement verzichtete auf künstliche Anpassungen. Stattdessen wurden die Konzeptunterschiede stringent mittels physikalischer Berechnungen und Formeln validiert, was in Summe ein einheitliches Performance-Niveau zur Folge hatte – so wie über weite Strecken zwischen Porsche, Toyota und Audi in den letzten Jahren.

Natürlich ist es verständlich, dass die WM-Macher einem neuen Hersteller aufs Pferd helfen wollen, denn der Wettbewerb steht in voller Blüte und ist extrem hart. Doch es bleibt die Gefahr, dass das ursprüngliche Konzept verwässert wird, um der Gleichmacherei willen – und genau das hat man vor wenigen Monaten noch kategorisch ausgeschlossen. Da sagte WM-Boss Gérard Neveu im sport auto-Interview: „Wir werden für einen neuen Hersteller, der an unserem Tisch Platz nehmen will, sicher nicht die Menükarte ändern.“ Jetzt haben wir also doch den Salat – und ganz offenbar als Hauptgang!