LMP1-Vorschau 24h-Rennen Le Mans 2017
Endlich Toyota, oder wieder Porsche?

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Das Rennen um den Sieg in Le Mans wird 2017 ein Zweikampf sein, doch der hat es in sich: Toyota will die Tränen aus dem Vorjahr endlich trocknen, Porsche zum wiederholten Mal siegen. Wie stehen die Vorzeichen für den 24h-Marathon?

Toyota TS050 Hybrid - Vortest - 24h-Rennen Le Mans 2017
Foto: Toyota

Schafft Porsche in Le Mans 2017 den dritten Sieg in Folge? Oder kann Toyota seine seit 1985 anhaltende Pechsträhne beim 24h-Klassiker in Frankreich endlich mit dem lang ersehnten Sieg beenden? Die Antwort kann nur das Rennen liefern, allerdings lassen sich nach den ersten zwei WM-Läufen in Silverstone und Spa sowie dem Vortest in Le Mans zentrale Performance-Faktoren bewerten sowie Grundtendenzen aufspüren. Toyota gewann beide Rennen, wenn auch knapp, diktierte jedoch beeindruckend die Pace beim Vortest.

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Eine seriöse Prognose ist schwierig, denn Le Mans hat einen hohen Lotteriefaktor – einmal im Verkehrsgewühl an der falschen Stelle verzockt, eine Millidosis Pech im falschen Moment oder ein Regenschauer zur Unzeit – schon sind alle Chancen auf den Sieg dahin. „Man braucht auch Rennglück, Le Mans muss dich gewinnen lassen“, sagt Porsche-LMP1-Leiter Fritz Enzinger.

Abtrieb der LMP1-Autos gekappt

Aber natürlich gibt es auch harte Fakten, anhand derer man die Kräfteverhältnisse zwischen Toyota und Porsche teilweise vorbestimmen kann: Erstens sind neue Rahmenbedingungen beim Technikreglement zu berücksichtigen, zweitens können zentrale Performance-Parameter anhand der ersten beiden WM-Läufe bewertet werden. Beim zweiten Punkt geht es primär um folgende Faktoren: Performance und Zuverlässigkeit der LMP1-Autos, Stärke der Piloten, operative und strategische Qualität der Teams, Güte der Boxenstopps und die wichtige Einflussgröße Reifenverschleiß.

Was hat sich beim Reglement für 2017 geändert? Bei der Aerodynamik gibt es zwei neue Elemente: Erstens wurde der Abtrieb durch eine Erhöhung des Frontsplitters sowie einen schmaleren und weniger steil verlaufenden Heckdiffusor gekappt.

Toyota und Porsche haben in Simulationen errechnet, dass allein diese Maßnahme drei bis vier Sekunden pro Runde in Le Mans kosten würde. Zweitens dürfen die LMP1-Teams über die Saison nur noch zwei statt bisher drei Aero-Kits verwenden. Traditionell ist dabei ein Kit für die Highspeed-Strecke in Le Mans mit ihren langen Geraden reserviert.

Kann Toyota den Streckenrekord brechen?

Schließlich beschäftigte die Teams eine drastische Änderung beim Reifenreglement: Bei den regulären 6h-Rennen der Sportwagen-WM dürfen die LMP1-Teams für Qualifying und Rennen nur noch vier statt bisher sechs Reifensätze verwenden, Bisher waren Doppelstints im Rennen bestenfalls eine strategische Option, jetzt sind sie zwingend erforderlich. Das Reifenkontingent für das 24h-Rennen in Le Mans blieb zwar fast unverändert, doch hier gehören Mehrfachstints aufgrund des geringeren Abriebs seit Jahren zum Standardprozedere.

Die knifflige Kombination aus weniger Abtrieb und weniger Reifen bestimmte die Entwicklungsrichtung der LMP1-Teams über den Winter – denn je mehr Abtrieb man hat, desto besser ist auch der Reifenverschleiß. Folglich setzten Porsche und Toyota alles daran, den durch das Reglement forcierten Abtriebsverlust mit neuen Aero-Konzepten wieder zu kompensieren. Nach zwei WM-Rennen ist klar: Trotz der eigentlich massiven Beschneidungen sind die Rundenzeiten abermals gesunken – und nicht etwa angestiegen. Die Rundenzeiten werden also auch in Le Mans tendenziell schneller sein als 2016 – Insider behaupten sogar, dass der offizielle Streckenrekord aus dem Qualifying von 2015 (3.16,887 Minuten) heuer fallen könnte. „Realistischer Weise sollten wir 3.16 Minuten schaffen!“, sagte Toyota-Technikchef Pascal Vasselon nach dem Vortest.

LMP1: neue Aero-Konzepte

Die Aerodynamik stand bei der Weiterentwicklung im Fokus: „Das Ziel bestand darin, den Abtriebsverlust zu kompensieren, ohne den Luftwiderstand zu erhöhen“, erklärt Andreas Seidl, bei Porsche Team- und Technikchef in Personalunion. Und wie? Indem man den Anpressdruck über die Durchströmung durchs Fahrzeug und die Unterströmung am Fahrzeugboden optimierte – denn der dort gewonnene Abtrieb geht weniger stark in den Luftwiderstand ein, als wenn man den Anpressdruck durch Überströmung – also frei im Wind stehende Flügel – erhöht.

Die Aerodynamik ist 2017 sogar Gegenstand echter Eskalation, denn das Abtriebsniveau könnte über Sieg und Niederlage entscheiden. Zwei Beispiele: Porsche integrierte beim 919 die Außenspiegel in die vorderen Radhäuser und verkleidete das Konstrukt strömungsgünstig mit einer Scheibe. Toyota forderte daraufhin einen Rückspiegeltest, um sicherzustellen, dass die Piloten auch wirklich etwas sehen – Porsche bestand den Test. Die Schwaben wiederum bezweifelten die Reglementskonformität einiger Aero-Lösungen im Heckbereich des neuen Toyota TS050 Hybrid – und ersuchten die FIA um Klärung. Es geht um viel, und es wird mit allen Haken und Ösen um Vorteile gekämpft.

Porsche 919 Hybrid (2017) - Sportwagen-WM - WEC - Le Mans
Porsche
Porsche integrierte beim 919 die Außenspiegel in die vorderen Radhäuser und verkleidete das Konstrukt strömungsgünstig mit einer Scheibe.

Auch bei den Fahrwerken legten beide Wettbewerber nach, um den Spielraum für die Kinematik zu erhöhen, zum Beispiel bei Sturz, Spur oder Standhöhe. Hier trug man den neuen Reifenregeln Rechnung, denn das Fahrwerk soll möglichst schonend mit den Reifen umgehen, um die geforderten Doppel- und Mehrfachstints ohne allzu große Einbußen bei der Rundenzeit überstehen zu können.

Aber der gigantische Technikwettstreit in der LMP1-Klasse zwischen Porsche und Toyota blieb nicht auf Aerodynamik und Fahrwerk begrenzt. Beide Hersteller legten massiv beim Motor nach: Toyota blieb dem 2,4-Liter-V6-Biturbokonzept zwar treu, konstruierte aber einen neuen, steiferen Motorblock und unterzog sämtliche Innereien einer Komplettrenovierung mit dem Ziel, die Gesamteffizienz zu steigern. Dazu baute man auch gleich noch ein neues Getriebe.

Bei Porsche gelang trotz der mehrjährigen Konzepttreue beim V4-Zweiliter-Monoturbomotor offenbar ebenfalls ein gewaltiger Sprung bei der Effizienz. Und natürlich optimierten beide Hersteller ihre Hybridsysteme bei Leistung und Gewicht – eigentlich muss man in Summe fast von neuen LMP1-Autos reden.

Unterschiedliche Aero-Kits bei WEC-Rennen

Welche Folgen hat nun der Technikwettlauf auf der Rennstrecke? Aus den beiden WM-Läufen in Silverstone und Spa ergab sich noch kein klares Bild, denn Porsche und Toyota starteten mit unterschiedlichen Aero-Strategien in die neue Saison: Porsche verwendete in Silverstone und Spa das Le-Mans-Paket mit wenig Abtrieb, was bezogen auf die Streckencharakteristik in England und Belgien eher ein Nachteil war.

Toyota nutzte bei den Autos, die für die volle WM-Saison genannt sind, das besser geeignete High-Downforce-Paket, in Spa probierte man zudem am dritten Auto auch das Le-Mans-Kit aus.

Die Vergleichbarkeit ist daher nicht wirklich gegeben, denn zeitgleich mussten beide Teams wegen der neuen Reifenregeln auch Doppelstints fahren – und hier hilft ein hohes Abtriebsniveau, weil das die Rutschphasen in den Kurven und damit den Reifenverschleiß minimiert.

Formal ist die Ausgangslage klar: Toyota siegte in Silverstone, wenngleich überraschend knapp vor Porsche. In Spa konnte Toyota mit einem Doppelsieg nachlegen, wobei besonders ein Toyota – das zweitplatzierte Auto von Mike Conway und Kamui Kobayashi – in einer anderen Liga spielte. Dieses Fahrzeug war im Mittel sechs Zehntel pro Runde schneller als das siegreiche Schwesterauto, und hätte ohne doppeltes Pech bei den Gelbphasen das Rennen mit einer Minute Vorsprung gewonnen.

Toyota als Favorit nach Le Mans

Doch noch einmal: Die Aero-Spezifikationen waren zu unterschiedlich, um wirklich erhellende Vergleiche ziehen zu können. Für Porsche liegt 2017 der Fokus auf dem Gesamtsieg in Le Mans – dafür opferte man beim WM-Start Performance, um Erfahrungen mit dem Le-Mans-Kit zu sammeln. Außerdem gewinnt man so Entwicklungszeit für das High-Downforce-Paket, das beim deutschen WM-Lauf am Nürburgring im Juli debütieren wird.

Bisher ist die Rechnung aufgegangen: Mit drei Podestplätzen hat man nur wenige Zähler in der WM-Wertung auf Toyota eingebüßt. Generell muss man festhalten, dass Toyota und Porsche trotz unterschiedlicher Aero-Pakete in Silverstone und Spa auf Augenhöhe miteinander kämpften – ganz sicher ein gutes Omen für das 24h-Rennen Mitte Juni in Le Mans. Dachte man: Beim Vortest dominierte Toyota aber derart, dass die Japaner als Favorit in die entscheidenden Tage gehen. Und Porsche wohl nicht über den puren Speed, sondern über die Zuverlässigkeit, Strategie, Tankstopps und das Rennglück gewinnen muss. Das sind die Defensivwaffen im Langstreckensport.

Toyota TS050 Hybrid - Vortest - 24h-Rennen Le Mans 2017
xpb
Toyota hat den TS050 Hybrid stark weiterentwickelt.

LMP1 mit neuen Bestwerten

Bemerkenswert war der Umstand, dass die neuen Autos von Toyota und Porsche trotz der Einbußen beim Abtrieb alle bisherigen Streckenrekorde niederrissen. Im Qualifying von Silverstone unterbot Toyota-Pilot Kamui Kobayashi die alte LMP1-Bestmarke von 2015 um 2,8 Sekunden, in Spa lag der Toyota-Bestwert eine Sekunde unter dem alten Rekord – ein Beleg dafür, wie extrem forsch die Weiterentwicklung in der LMP1-Klasse vorangetrieben wurde.

Die zweite wichtige Kerngröße beim Auto ist in Le Mans die Zuverlässigkeit. In Spa und Silverstone ließen sich beide Wettbewerber zumindest in den Rennen nichts zuschulden kommen. Tendenziell hat Porsche den 919 weniger massiv umgekrempelt als Toyota den TS050, was zu der vorsichtigen Prognose verleitet, dass Porsche in Le Mans bei der Haltbarkeit unter Umständen die Oberhand haben könnte. Der finale 36-Stunden-Test von Porsche in Aragón Mitte Mai verlief völlig komplikationslos – insgesamt spulte man fast 8.600 Kilometer ab.

Toyota hatte zu diesem Zeitpunkt die Dauererprobung bereits abgeschlossen – und insgesamt sogar noch mehr Testkilometer auf seine LMP1-Fahrzeuge gedroschen als Porsche, das beim Vortest technische Probleme an einem Auto zu beklagen hatte.

Für Le Mans sollte noch ins Kalkül gezogen werden, dass Toyota drei Autos an den Start bringt – Porsche nur zwei. Ist die numerische Überlegenheit ein Vorteil? Ganz eindeutig ja! Allerdings hat Toyota mit Yuji Kunimoto und José María López zwei Frischlinge an Bord. Der Japaner war in Spa klar zu langsam, der Argentinier hatte in Silverstone bei einsetzendem Regen einen kräftigen Unfall zu verdauen. Mitte Mai hat Toyota die beiden schwächeren Piloten auf das dritte Auto geschoben – womit letztlich zwei Top-Toyota gegen zwei Top-Porsche kämpfen sollten. Vergleicht man hier die Fahrerpaarungen, so sind die Unterschiede in Summe marginal.

Verbrauch und Reichweite

Ein weiteres Kampfgebiet in Le Mans sind die Boxenstopps – je weniger Zeit man in der Boxengasse vertrödelt, desto besser. Hier setzte Porsche in den letzten beiden Jahren den Maßstab – und so war es auch beim WM-Saisonstart in Silverstone, als man sowohl beim Nachtanken als auch beim Reifenwechsel schneller war als Toyota. Das japanische Werksteam aus Köln schlug aber in Spa zurück: Im Schnitt fehlte dort nur noch eine Sekunde pro Stopp im Vergleich zu Porsche. Also kann man auch hier fast von einer Pattsituation sprechen.

Die operative und strategische Qualität der beiden LMP1-Werksteams von Porsche und Toyota liegt wohl insgesamt auf einem annähernd gleichen Niveau. Bleibt nur noch eine Frage, nämlich die nach der Reifenstrategie und dem Reifenverschleiß. Dreifachstints mit einer nahezu gleichmäßigen Rundenzeitenentwicklung stehen bei beiden Mannschaften für Le Mans im Lastenheft.

Im Vorjahr fuhr Porsche zu Rennende häufiger Vierfach-Stints, die Standardreichweite lag bei 13 Runden – doch im Finale streute man auch Stints über 14 Runden ein. Toyota zog 2016 im gesamten Rennen eisern Dreifachstints durch, und fuhr durchweg 14 Runden mit einer Tankfüllung. Die Differenz der beiden Strategien, hochgerechnet auf ein grünes Rennen ohne Gelbphasen und ohne Wetterkapriolen, beträgt rein theoretisch nur 20 Sekunden.

Für Toyota-Technikchef Pascal Vasselon ist die Lage klar: „Wenn man konsequent 14 Runden fährt, spart man über die Distanz einen Stopp.“ Der Gegner könnte den zeitlichen Nachteil von 60 Sekunden über Speed kompensieren: Wer im Schnitt 0,15 Sekunden pro Runde schneller fährt als der Konkurrent mit einer Reichweite von 14 Runden, hat den Nachteil bei einer Distanz von 400 Runden wieder ausgeglichen. Nach dem späten Drama im Vorjahr sollte man sich mit Weissagungen jedoch zurückhalten.