Mark Webber im Interview
"Teil von mir hat Le Mans gewonnen"

Inhalt von

Mark Webber war das Gesicht des LMP1-Projekts von Porsche – und das der Sportwagen-WM. Im Interview spricht er über seinen Rücktritt, das Alter, Le Mans und das schwarze Loch, in das er nicht fällt.

Mark Webber - Rennsport
Foto: xpb
Warum hören Sie jetzt auf? Die Saison 2016 war aus meiner Sicht Ihre beste als LMP1-Pilot.

Webber: In der Karriere eines jeden Profisportlers kommt der Zeitpunkt, an dem man aufhören muss – und das ist jetzt bei mir der Fall. Ich hatte eine wundervolle Karriere mit tollen Erfolgen, aber es wird von Jahr zu Jahr schwerer, die Motivation und das Energielevel auf dem Maximum zu halten. Langstreckensport ist Teamsport, und ich kann meinen Teamkollegen nicht zumuten, ohne das Maximum an Einsatz mit ihnen ein Cockpit zu teilen. Das wäre nicht fair.

Unsere Highlights

Der Job als Profi in der LMP1-Klasse besteht ja nicht nur aus den neun Saisonrennen, sondern auch aus sehr viel Testarbeit, vielen Meetings und noch mehr PR-Verpflichtungen. Wenn das Energieniveau abfällt, ist das nicht akzeptabel, und ich bin in einem Alter, in dem ich merke, dass es mir immer schwerer fällt, diesen harten Rhythmus so durchzuziehen. Man merkt es an kleinen Sachen. Als mich unser Teamchef Andreas Seidl im Winter fragte, ob ich den Aragon-Test fahren wollte, hätte ich am liebsten Nein gesagt. Man muss auf sich selber hören, dann bekommt man auch die richtigen Antworten. Deshalb höre ich auf, denn ich mache Dinge entweder richtig – oder gar nicht.

Wie fühlen Sie sich jetzt, da Ihre Karriere als Rennfahrer nach exakt 26 Jahren zu Ende geht?

Webber: Einerseits fühlt es sich richtig an, denn ich stehe ja zur Entscheidung. Andererseits beginnt ein neuer Abschnitt in meinem Leben, was eine gewisse Unsicherheit bringt – wie alles Neue im Leben. Aber man wird ja auch weiser, je älter man ist, und reagiert abgeklärter auf neue Herausforderungen, dazu ändern sich die Prioritäten. Mit 20 ist man unsicher und ungefestigt, mit 40 steht man mit beiden Beinen im Leben.

Ich blicke mit Dankbarkeit auf meine Karriere zurück, denn als ich diese Reise begann, war ich ein kleiner Bub aus Queanbeyan, der letztlich in der Formel 1 landete – das ist schon verrückt! Als Kind verehrte ich all die F1-Helden wie Mansell, Senna und Prost, nur um 15 Jahre später in der gleichen Weltmeisterschaft selber Rennen bestreiten zu dürfen. Auf dem Weg dahin hätte auch viel schiefgehen können. Als ich wegen meiner Rennkarriere nach Europa zog, hätte es auch passieren können, dass ich sechs Monate später wieder heimfahre – mit einem eingekniffenen Schwanz. 22 Jahre später lebe ich immer noch in Europa und blicke auf eine tolle Karriere zurück. Ich kann mich wirklich nicht beklagen!

Sie haben den Formel 1-WM-Titel damals im letzten Rennen verpasst. Wurmt Sie das heute?

Webber: Einerseits ja, weil es die Erfüllung meines Weges gewesen wäre. Und andererseits nein, denn ich bin in einer Phase Formel 1 gefahren, als der Wettbewerb extrem war – gegen Jungs wie Vettel, Alonso, Rosberg, Hamilton, Button, Schumacher. Wenn ich da den Titel gewonnen hätte – was ich nicht habe –, dann wäre das die Krönung gewesen. Aber noch mal: Ich konnte gegen diese Jungs um den WM-Titel fahren, ich war bei der Musik, ich habe ihnen Saures gegeben – das ist schon speziell! Letztlich bin ich ja trotzdem Weltmeister geworden, in der LMP1-Klasse mit Porsche – und wieder gegen extrem starke Gegner. Ich blicke ohne Bedauern zurück!

Wirklich gar kein Bedauern?

Webber: Na gut, eines vielleicht: Ich habe als Youngster oft nicht auf die guten Ratschläge gehört, die man mir gegeben hat. Wenn man jung ist, ist man ein schlechter Zuhörer. Erst mit dem Alter erkennt man, dass man bei guten Ratschlägen besser die Ohren aufsperren sollte. Aber wenn man jung ist, will man die Welt neu erfinden. Wenn ich heute mit Brendon Hartley rede, für den ich ein alter Sack bin, dann erkenne ich in ihm den jungen Mark Webber, der auch nicht immer zugehört hat. Es ist das Vorrecht der Jugend, ihre eigenen Erfahrungen – und Fehler – zu machen.

Was waren die größten Herausforderungen beim Wechsel von der Formel 1 in die LMP1?

Webber: Im Langstreckensport benötigt man eine größere Vielseitigkeit als in allen anderen Motorsportdisziplinen. Während des Rennens ändern sich nahezu alle Rahmenbedingungen, das Licht, die Dunkelheit, die Asphalttemperaturen sind überall und nirgends – daher ist auch das Auto überall und nirgends. Damit muss man umgehen können, das ist nicht einfach. In der Formel 1 dauert ein Rennen 90 Minuten, und wenn es nicht regnet, hat man konstante Bedingungen. In Le Mans kann das Temperaturdelta 20 Grad betragen. Dazu kommt dann noch Regen – oder sogar Schnee, wie dieses Jahr in Silverstone. Dann kommen die Überrundungen von Fahrzeugen aus anderen Klassen, auch das gibt es in der Formel 1 nicht. Das war eine brutale, sehr brutale Herausforderung. Man macht sich keine Vorstellung, wie schwierig es ist, den Verkehr zu lesen und entsprechend zu agieren. Das kann unglaublich frustrierend sein! Mir persönlich wäre es lieber, in Le Mans würden nur 35 LMP1-Autos am Start stehen, das ist mal sicher. Wenn der Verkehr dein Limit definiert und nicht der Speed des Autos – das ist schon seltsam.

Menschen, die Dinge mit großer Leidenschaft tun, fallen oft in ein Loch, wenn sie damit aufhören müssen oder wollen. Haben Sie Angst vor dem schwarzen Loch?

Webber: Ich werde mich der Herausforderung stellen müssen. Mir wird die Stimulanz des Motorsports fehlen, der Druck, performen zu müssen, aber auch performen zu wollen. In der Formel 1 war das sicher am extremsten, und ich habe das genossen, es war eine Freude, eine Anregung, eine Inspiration. Werde ich das vermissen? Auf jeden Fall. Aber man muss halt auch akzeptieren, dass man so etwas nicht sein ganzes Leben haben kann. Das ist die Realität, das muss man in seinen verdammten Schädel bekommen. Dann fällt man auch nicht in ein schwarzes Loch.

Und Sie werden weiter gut zu tun haben, für Porsche, für Michelin, Red Bull, in der Formel 1. Das sollte als Ablenkung doch reichen, oder?

Webber: Das hilft natürlich in der Übergangsphase, keine Frage. Denn am Strand zu sitzen wird völlig überschätzt. Dazu habe ich noch ein paar spannende private Projekte, die mich auf Trab halten. Aber ich bin mir auch klar darüber, dass ich mein neues Leben erst noch lernen muss. Und ich fange schon jetzt an, Sachen zu machen, die ich vorher nie gemacht habe, wie Bücher zu lesen. Die Beschäftigung wird mir nicht ausgehen. Sportler sind alle gleich, sie haben ein großes Selbstvertrauen – daher finden sie immer ihren Weg.

Hatten Sie das Gefühl, dass Porsche von Ihrem Rücktritt überrascht war?

Webber: Ich glaube schon, dass sie vielleicht überrascht waren, denn sie sind sehr zufrieden mit meiner Arbeit auf und neben der Rennstrecke. Und sie haben den sicher zutreffenden Eindruck, dass ich mein fahrerisches Niveau wohl noch eine ganze Zeit auf diesem Level halten könnte – daher gingen sie davon aus, dass ich weitermachen würde, denn normalerweise sind Wettbewerbsfähigkeit und Performance die alles entscheidenden Kriterien. Meine Innenansicht ist aber eine andere: Ja, ich könnte noch eine ganze Zeit auf dem aktuellen Niveau fahren, gleichzeitig werde ich älter, und es fällt mir immer schwerer, die Intensität und damit die Motivation und die Energie aufrechtzuerhalten.

Was hat Sie als ehemals erfolgreichen F1-Piloten am Langstreckensport am meisten begeistert?

Webber: Die Kameradschaft mit den Teamkollegen, die in meinem Fall bei Porsche zu echter Freundschaft wurde. Das ist etwas, das ich bei meinem Wechsel in die LMP1-Klasse so nicht erwartet hatte. Die Beziehung zu meinen Teamkollegen Brendon Hartley und Timo Bernhard ist sehr eng, weil wir drei Jahre im Schulterschluss alles geteilt haben, die Erfolge ebenso wie die Niederlagen. In der Formel 1 musst du ein absoluter Egoist sein, hier musst du zum Teamplayer reifen – das war auch menschlich die beste Erfahrung im Langstreckensport.

Sie haben eine wirklich lange Karriere hinter sich, wie hält man das überhaupt durch?

Webber: Motorsport ist für mich eine Droge. Als kleiner Farmersohn war Motorsport mein Lebensmittelpunkt, es gab da fast nichts anderes. Ich habe davon geträumt, Profirennfahrer zu werden, damals eigentlich primär als Motorradfahrer, später als Autorennfahrer. Wenn ich heute darauf zurückblicke, dann kann ich sehr glücklich sein, eine so lange und erfolgreiche Karriere gehabt zu haben. Ich weiß, dass das keine Selbstverständlichkeit ist. Aber dann kommt der Zeitpunkt, an dem man von der Droge wieder loslassen muss, das ist jetzt bei mir der Fall.

Und was werden Sie vermissen?

Webber: Alles! Wenn du nass geschwitzt aus dem Auto steigst, erschöpft und zufrieden, voll von Emotionen, wenn das Adrenalin durch deine Venen pumpt, oder die harten Zweikämpfe, der Wettbewerb, die Challenge, eine Kurve Vollgas zu fahren, die nur gerade so Vollgas verträgt – das nicht mehr spüren und erleben zu dürfen wird ein großer Teil meines Entzugsprogramms sein.

Ist Le Mans für Sie eine offene Rechnung?

Webber: Nein, seit diesem Jahr nicht mehr. Ich habe das Rennen zwar nicht gewonnen, aber ich war 2016 ausweislich meines Speeds voll wettbewerbsfähig, und das war mein Ziel. Um zu gewinnen, brauchst du auch etwas Glück, ein zuverlässiges Auto, die richtige Strategie und noch vieles mehr. Wir hatten ein technisches Problem am Auto, daher hatten wir keine Chance auf den Sieg. Le Mans war die Strecke, auf der ich in den ersten beiden Jahren nicht so gut war. Im dritten Jahr war ich auf der Höhe meiner Teamkollegen und auf dem Niveau der Besten. Damit hatte ich mein Ziel erreicht. Der Sieg gehört für mich nicht notwendigerweise dazu. Übrigens hat aus meiner Sicht ein Teil von mir durchaus in Le Mans gewonnen, denn ich habe meinen Beitrag dazu geleistet, dass der Porsche 919 ein wettbewerbsfähiges Auto geworden ist. Und ich bin sehr stolz, dass ich einigen Input liefern konnte, um das Auto immer weiter zu verbessern. Mir ist es halt nur nicht vergönnt gewesen, in Le Mans auf dem obersten Treppchen zu stehen.

Wussten Sie 2016 in Le Mans schon, dass Sie aufhören würden?

Webber: Ja, ich hatte diese Entscheidung schon im Mai getroffen, ich wusste, dass es mein letztes Le Mans sein würde. Und es war für mich persönlich sehr wichtig, meinen Teamkollegen, mir selbst und Porsche zu beweisen, dass ich auch in Le Mans zu den Schnellsten gehöre. Das war meine Mission für 2016. Ich kehre sicher nach Le Mans zurück – als Zuschauer!

Ganz salopp gefragt: Le Mans geht Ihnen doch am Allerwertesten vorbei, oder?

Webber: Ganz salopp geantwortet: Ich wollte unbedingt für Porsche Rennen fahren, und Le Mans stand halt im Kalender. So ein Rennen können nur die Franzosen organisieren. Man hängt da zehn Tage herum, bevor es endlich losgeht. Le Mans ist sicher kein Rennen, das mir den Schlaf raubt. Es war immer klar, dass ich nicht zehn Jahre lang versuchen würde, dieses eine Rennen zu gewinnen. Le Mans ist ein Glücksspiel, eine Lotterie. 2015 war das beste Beispiel, da hatten wir bei Porsche ein drittes Auto, die Jungs kamen nahezu ohne Vorbereitung nach Le Mans – und Bang: gewannen. Ohne den Kollegen etwas wegzunehmen: Das beweist doch, dass Le Mans letztlich nichts weiter ist als eine Lotterie. Und auf der anderen Seite hat ein Bob Wollek 30 Jahre versucht, dieses Rennen zu gewinnen. Ist das fair? Nein. Aber das muss man akzeptieren, so ist Le Mans, ein spezielles Rennen – für die Ausdauer der Teams, für die Zuverlässigkeit des Autos, für die Nerven der Fahrer.

Trotzdem haben Sie sich über drei Jahre in Le Mans konstant gesteigert. Was ist der Kniff?

Webber: In Le Mans muss der Pilot superflexibel sein mit der Art, wie er fährt. Warum? Weil man nie ein perfektes Set-up für alle Bedingungen eines 24h-Rennens haben kann. Das war für mich eine große Umstellung. In der Formel 1 behebt man Probleme über das Set-up, das geht in Le Mans nicht, weil sich die Rahmenbedingungen laufend verändern, das ist wie das Schießen auf ein bewegliches Ziel. Das sind alles Sachen, die einen Perfektionisten wie mich eher frustrieren als anstacheln. Aber bitte nicht falsch verstehen: Das gehört zu Le Mans, und man muss es akzeptieren.

In der Formel 1 zählt technisch immer nur das absolute Maximum, in der LMP1-Klasse sind die Rennautos über die Effizienz teilweise gezähmt. Empfinden Sie das als Kompromiss?

Webber: Eine sehr gute Frage. Ich formuliere es mal so: Wenn ich versuche, in die technische Zukunft der LMP1-Klasse zu blicken, dann sind die Trends für mich relativ eindeutig. Wir werden mittelfristig weniger Benzin haben, weniger Reifen und weniger Abtrieb. Ich hatte eine tolle Zeit in den schnellsten Prototypen auf der Erde, und ich habe das wirklich sehr genossen.

Man hört von Menschen, die Ihnen nahestehen, dass der Unfall in Brasilien 2015 auch eine Rolle bei Ihrem Rücktritt gespielt habe.

Webber: Der Unfall war furchtbar für meine Frau Ann, das ist sicher. Meine Mutter mag es überhaupt nicht, dass ich Rennen fahre, weil sie sich wie alle Mütter primär Sorgen macht. Motorsport ist ein sehr selbstsüchtiger Beruf, der den Menschen, die dir nahestehen, viel Stress und große Sorgen bereitet. Wenn man jung ist, ist die Bereitschaft größer, so etwas zu ignorieren. Wenn man älter wird und schon viel erreicht hat, dann gewinnt dieser Aspekt an Bedeutung. Für mich persönlich war der Unfall in Brasilien der schwerste in meiner ganzen Karriere. Auch bei mir hat der enorme Einschlag in die Mauer Spuren hinterlassen, es wäre lächerlich, das zu leugnen. Nie zuvor habe ich so lange gebraucht, um mich von einem Crash wieder vollständig zu erholen. Und dann steigst du im folgenden Jahr wieder in ein LMP1-Auto und merkst plötzlich, wie dir im Kopf eine Frage herumspukt: Wieso sitze ich jetzt wieder in diesem Auto? Wenn man sich diese Frage stellt, dann ist es an der Zeit aufzuhören.

Sie sind wohl der größte und schwerste Pilot bei Porsche. Hat Sie auch der ewige Kampf um das Gewicht ermüdet?

Webber: Ich bin der größte und fetteste Kerl im Team, daran besteht kein Zweifel! Und ja, ich wiege ein paar Kilo mehr als zu meiner Formel 1-Zeit, und Porsche hat mir immer deutlich gemacht, dass ich in einer anderen Gewichtsklasse boxe, und mich angetrieben, das so gut wie möglich unter Kontrolle zu bekommen. So wie die Regeln geschrieben sind, ist es ein klarer Nachteil, ein schwerer Fahrer zu sein, trotz oder teilweise wegen der Kompensationsgewichtsregeln. Ich und viele andere sehen das nicht als perfekte Lösung, aber so steht es im Reglement, folglich muss man damit umgehen und arbeiten. Aber ich persönlich finde die Regeln nicht korrekt, das will ich auch nicht leugnen.

In Le Mans gewinnt Timo Bernhard zum Beispiel allein wegen des Gewichts acht Zehntelsekunden pro Runde auf mich – und die Kompensationsregeln schaffen eben keinen Ausgleich dafür, weil drei Fahrer über einen Kamm geschoren werden. Aber dieser Aspekt hat ganz sicher nicht zu meiner Rücktrittsentscheidung beigetragen.

Mehr Hintergrund-Storys zum Geschehen in der Sportwagen-WM finden Sie in der aktuellen Ausgabe von sport auto, Heft 2/2017, das seit Freitag (13.1.2017) im Handel erhältlich ist.