WEC-Top-Klasse mit Daytona-Autos
Welche Werke kommen nach Le Mans?

IMSA und ACO haben sich auf eine Kooperation für eine gemeinsame Top-Klasse geeinigt, um neue Hersteller in den Langstreckensport zu locken. Wir erklären, wie das neue System funktioniert und welche Werke bereits Interesse signalisieren.

Porsche Le Mans Hypercar Concept - Sean Bull Design
Foto: Sean Bull Design

Bisher hatte der WM-Ausrichter ACO nur zweieinhalb Zusagen für seine neue Hypercar-Top-Klasse, die ab September 2020 an den Start geht und in der Prototypen mit und ohne Hybrid ebenso zugelassen sind wie modifizierte Hypercar-Straßensportwagen, wieder mit und ohne Hybrid. ACO und FIA hatten gehofft, mit diesem sehr breit gefächerten Angebot mehr Hersteller anzulocken.

In Summe sagte zunächst nur Toyota zu, sie hatten als letzter verbliebener Hersteller der alten LMP1-Hybrid-Epoche die Abfassung des Reglements maßgeblich beeinflusst. An dem angekündigten Aston-Martin-Zutritt gibt es berechtigte Zweifel, bei der Finanzierung ebenso wie bei der Gesamtkonstellation.

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Schließlich hat auch Peugeot seinen Zutritt in Aussicht gestellt, aber erst für 2022 und in einer Konstellation, die nahezulegen scheint, dass man eher einem privaten Investor einen Hersteller-Deal vermitteln wollte, denn dass es sich um einen lupenreinen Werkseinsatz handelt.

Auch auf der anderen Seite des Atlantiks herrscht eine gewisse Stagnation: Mit Acura, Mazda und Cadillac hat die IMSA-Serie zwar drei Marken, doch man verlor bereits Nissan und schaffte es noch nicht, mit Ford den ganz großen Fisch an Land zu ziehen. Das soll nun mithilfe der neuen Kooperation gelingen, denn Ford beharrte immer auf der Option, mit ihrem neuen DPI-Prototypen auch in Le Mans starten zu können.

IMSA arbeitet mit den aktuellen Herstellern sowie Ford und weiteren Interessenten seit anderthalb Jahren an der Neufassung ihres DPI-Konzeptes, das 2022 in Kraft treten wird. Die größte Veränderung ist die Einführung eines Einheitshybridsystems, das durch ein Hinterachs-KERS gefüttert wird und circa 100 kW Leistung bringen soll.

Toyota Le Mans Hypercar Concept - Sean Bull Design
Sean Bull Design
Toyota und Aston Martin haben sich bereits darauf verständigt ein Auto nach dem neuen Hypercar-Reglement zu bauen.

Wie entwickeln sich die Kosten?

Die Sache hat aber den Haken, dass die Kosten in der IMSA-Top-Klasse wegen Hybrid steigen werden. Das finden Cadillac und Mazda suboptimal, weshalb sie sogar am liebsten ganz auf den Hybridplunder verzichten wollen.

Das Markenzeichen der DPI-Klasse waren bisher die niedrigen Kosten: Weil die US-Top-Klasse auf ordinären LMP2-Chassis basiert und nur wenige Optimierungen erlaubt sind, ist der Entwicklungsaufwand überschaubar. Mehr als 10 bis 15 Millionen Dollar hat bisher noch kein DPI-Hersteller für die Entwicklung der Autos aufgewendet.

Die neue Hypercar-Klasse für die WEC kommt da wesentlich teurer: Die Entwicklungskosten werden von Insidern auf 40 bis 60 Millionen Euro taxiert, je nachdem welchen Ansatz der jeweilige Hersteller wählt.

Der Kern der Vereinbarung von Daytona besteht nun darin, dass man mit einem (günstigen) DPI-2.0-Auto mit Einheitshybrid in Zukunft auch in der WEC und in Le Mans antreten kann. Umgedreht könnte Toyota mit seinem Rennwagen auch in der IMSA-Serie antreten, was aber mehr als unwahrscheinlich ist. Die Reglements sind also in beide Richtungen durchlässig.

Der Kniff besteht nun darin, dass man zwei unterschiedliche Fahrzeugtypen gegeneinander balancen muss, damit sie beide faire Siegchancen haben. Doch bevor eine BOP (Balance of Performance) überhaupt greifen kann, müssen zentrale Parameter wie Gewicht und Leistung erst einmal technisch in Linie gebracht werden.

Peugeot Le Mans Hypercar Concept - Sean Bull Design
Sean Bull Design
Peugeot hat sein Le-Mans-Comeback für 2022 angekündigt. Noch unklar ist, ob die Franzosen ein Hypercar oder einen LMDH-Renner bauen.

Können die Top-Klassen angeglichen werden?

So liegt zum Beispiel das Gewichtsdelta zwischen Hypercar und DPI 2.0 bei 100 Kilo, das Leistungsdelta bei gut 100 kW. Das kann keine BOP überbrücken, was bedeutet, dass die Fahrzeugkonzepte angeglichen werden müssen.

Diese harte Arbeit hat gerade erst begonnen. Will sagen: Die Vereinbarung von Daytona ist eine schöne Willensbekundung, deren Nachhaltigkeit sich erst noch erweisen muss. Bis Sebring wollen ACO und IMSA die Anpassungen für die Technikpakete der beiden Fahrzeugtypen Hypercar und DPI 2.0 abgeschlossen haben.

Das Ergebnis wäre so eine Art gemeinsame Top-Klasse, die aus den Hypercars der WEC und den IMSA-DPI 2.0 besteht. Die DPI-Autos hören dann auf den schwer verdaulichen Namen LMDH. Das Akronym steht für: Le Mans Daytona. Was das H am Ende bedeuten soll, ist nicht wirklich klar: Hybrid? Hypercar? Oder vielleicht einfach nur: Hoffnung?

Erhöhen wir kurz die Flughöhe: Zwei Klassen werden gleichgeschaltet, die eine ist teuer, die andere ist billig. Nach Adam Riese wird der Markt entscheiden, welches Konzept sich durchsetzt. Jetzt haben die Hersteller die Wahl: die billige DPI-2.0-Klasse oder die teuren Hypercars?

Man muss kein Prophet sein, um vorherzusehen, was passieren wird: Alle neuen Interessenten werden DPI-Autos bauen, weil die Entwicklungskosten ein Drittel der Hypercars betragen. Die Autoindustrie hat aktuell kein Geld zum Verschleudern übrig.

McLaren Le Mans Hypercar Concept - Sean Bull Design
Sean Bull Design
Bei der Frage nach den Le-Mans-Interessenten fällt auch immer wieder der Name McLaren. Aktuell fokussieren sich die Briten aber vor allem auf die Formel 1.

Teure Hypercars oder billige Daytona-Renner?

Wer den Faden weiterspinnt, könnte die These aufstellen: Am Ende wird also die DPI-Klasse gewinnen. Richtig, und das könnte sich zum Haar in der Suppe auswachsen, denn die Franzosen sind schlechte Verlierer.

Schon kursieren in Amerika Theorien darüber, wie man sich vor der französischen Totalvereinnahmung schützen könnte. Jim France, der NASCAR-CEO, der den Vertrag in Daytona mit ACO-Präsident Pierre Fillon unterzeichnet hat, soll davon gesprochen haben, dass er dem Deal zugestimmt habe, weil er die Chancen höher bewerte als die Risiken. Fakt ist aber auch: Noch immer gibt es viel Misstrauen zwischen ACO und FIA.

Jim France brachte es in Daytona auf den Punkt: „Ausschlaggebend waren die Hersteller, die ein Auto als globale Plattform wollten. Die DPI-2.0-Klasse ist eine sehr kosteneffiziente Lösung, die jetzt weltweit um Gesamtsiege kämpfen kann.“

Der Fokus von France ist also DPI – der von Pierre Fillon ist Hypercar: „Das Hypercar-Reglement bleibt so erhalten, wie es ist, LMDH kommt als Klasse dazu, damit wird die Basis breiter und die Optionen werden für die Hersteller zahlreicher.“

Und was sagen die Hersteller? Noch am Rennwochenende in Daytona lehnte sich Porsche am weitesten aus dem Fenster und verteilte ein Zitat von Entwicklungsvorstand Michael Steiner: „Ich begrüße die Idee einer gemeinsamen Prototypenklasse von IMSA und FIA WEC sehr. Der Zusammenschluss ist ein historischer Moment für den Motorsport. Uns liegen noch zu wenige Informationen vor, um abschließend bewerten zu können, wie interessant ein Engagement in der LMDH-Klasse für uns sein könnte. Die Grundausrichtung, dass Hersteller mit dem gleichen Fahrzeugkonzept in den beiden wichtigsten Sportwagenserien der Welt antreten können, ist auf jeden Fall richtig. Ich habe meinen Kollegen im Motorsport einen Prüfauftrag erteilt, um die Details zu evaluieren.“

Porsche war eine treibende Kraft im Hintergrund für die neue Vereinbarung, insofern ist es nicht verwunderlich, dass die Schwaben auch die stärksten Signale aussenden. Man darf hier daran erinnern, dass sich Porsche, Ferrari und McLaren aus Kostengründen gegen ein Engagement in der Hypercar-Klasse ausgesprochen hatten.

Ford als Nummer vier in dieser Gruppe will nur dann ein DPI-2.0-Auto bauen, wenn sie damit auch in Le Mans antreten können. Die Vereinbarung von Daytona zielt darauf, diese vier Hersteller wieder ins Spiel zurückzubringen.

Ferrari Le Mans Hypercar Concept - Sean Bull Design
Sean Bull Design
Die neuen LMDH-Fahrzeuge, die auf den Daytona-Prototypen basieren, sind auch für Hersteller interessant, die sich bisher hauptsächlich in den GT-Klassen getummelt haben.

GT-Klassen werden ausgedünnt

Doch es gibt noch einen zweiten Handlungsstrang in diesem Epos: In der Porsche-Rennabteilung weiß man ganz genau, dass die üppigen Tage mit zwei GT-Klassen – GTE für Werkssport, GT3 für Kundensport – gezählt sind. Dafür ist der Druck auf die Motorsportbudgets zu hoch. Weil in der GT3 mehr Hersteller vertreten sind als in der GTE-Klasse, wackelt die Zukunft der GTE – wo Porsche in der IMSA und der WEC am Start steht.

Mit der Vereinbarung von Daytona könnte man in beiden Serien (und in Le Mans) in der Top-Klasse um Gesamtsiege kämpfen – anstatt um Klassensiege in der dritten Kategorie. Und die Kosten wären vermutlich gar nicht mal höher als in der GTE. Unter diesen Aspekten macht es Sinn, dass Porsche ein Interesse an der DPI-Klasse hat.

Und was für Porsche Sinn macht, das macht vermutlich auch für andere Hersteller Sinn, wie Reaktionen belegen. Roger Penske, der zwei Acura-DPI in der IMSA einsetzt, sagte in Daytona: „Wir fordern seit Jahren das, was jetzt zwischen ACO und IMSA vereinbart wurde. Ich wünsche mir ein Auto, mit dem ich bei allen WM- und IMSA-Rennen antreten und gewinnen kann.“

Mazda-Motorsportchef Nelson Cosgrove haut in dieselbe Kerbe: „Das ist ein historischer Tag und eine gute Nachricht für den Langstreckensport. Die Konvergenzvereinbarung eröffnet viele gute Perspektiven für die nächste Dekade.“

Wenn das vorbehaltlich der Einigung bei den technischen Details wirklich alles so kommt, hätte der Langstreckensport einen guten Schritt nach vorne gemacht. An der Spitze eine günstige Top-Klasse mit Kundensportansatz, dazu Hybrid. Außerdem könnte ab 2023 die GT3- die GTE-Klasse ablösen – wieder eine „günstige“ Klasse mit Kundensportansatz.

Damit wären im Langstreckensport alle Rennklassen auf einer Kundensportbasis aufgesetzt. Die Kosten würden auf ein Rekordtief fallen. Dann müsste es schon mit dem Teufel zugehen, wenn keine Hersteller auf diesen Zug aufspringen.