Zukunft des Elektro-Motorsports
Warum es im Elektro-Rennsport nicht vorangeht

Elektro-Revolution im Motorsport? Weiterhin Fehlanzeige. Abseits der Vorzeige-Meisterschaft Formel E stecken die meisten Bemühungen tief in der Nische fest. Immer mehr Serien suchen stattdessen nach Alternativen – und werden bei Hybriden, E-Fuels und Wasserstoff-Antrieben fündig. Dennoch bleibt es dabei: Elektro-Sport ist gekommen, um zu bleiben.

Formel E- Jaguar - Gen3 - Test Valencia 2022
Foto: Motorsport Images

Im Sommer 2012 wurde es endlich ernst. Nachdem lange an einem elektrischen Formel-Prototyp und an einem PR-trächtigen Konzept samt passenden Investoren herumgedoktert wurde, traute sich die FIA final aus der Deckung: Im Anschluss an ein Testjahr soll die Formel E 2014 an den Start gehen. "Das ist ein großartiger Tag und eine starke Botschaft an die Motorsport-Gemeinde", freute sich der damalige Präsident der Weltbehörde Jean Todt. Und obwohl diese Einschätzung sicher nicht alle teilten, lag der Franzose bei einer Sache zweifelsfrei richtig: Spätestens mit dieser Ankündigung hatte auch der Letzte verstanden, dass das Thema Nachhaltigkeit im Rennsport angekommen ist.

Unsere Highlights

Etwas mehr als zehn Jahre später fällt eine erste große Elektro-Bilanz trotzdem reichlich ernüchternd aus. Wie erhofft hatte sich Jean Todts Vorzeigeprojekt zwar schnell als eine Top-Serie etabliert, doch abseits von ihr stockt die elektrische Revolution schon in den Anfängen.

Mit den E-Tourenwagen der ETCR und den brachialen Allrad-Stromern der Rallycross-WM entstanden jüngst immerhin zwei neue Auto-Formate mit Showbühnen-Potenzial. Gleiches gilt auf der Zweirad-Seite für die MotoE, die ab 2023 einen WM-Status von der Motorrad-Weltbehörde FIM erhält. Allerdings laborieren auch diese lang ersehnten Newcomer an den immer gleichen hartnäckigen Problemen, welche E-Serien schon seit Beginn mit sich herumschleppen.

Formel-E-Saison 2023 - Test Valencia 2022 - Gen3 - DS Penske - Stoffel Vandoorne (#1)
Motorsport Images
Die Formel E startete 2014 als große Vorzeige-Meisterschaft für elektrische Antriebe. Weitere größere Stromer-Serien entstanden erst vor wenigen Jahren.

Teuer, begrenzt, abhängig

Denn neben den hohen Kosten – sowohl bei den gewaltigen Anfangsinvestitionen als auch bei der Technik per se – begrenzen die Physik und die Chemie erbarmungslos den sportlichen Spielraum: Obwohl Batterien und die damit verbundene Lade-Technik kontinuierlich stärker, effizienter und leichter werden, fehlt anhaltend eine Perspektive für alles, was über die typischen Sprint-Formate hinausgeht.

Den pessimistischen Beleg dafür liefern die kürzlich vorgestellten technischen Reglements von Formel 1, Sportwagen-WM und Co., die den Verbrenner bis zum Start des nächsten Jahrzehnts als erste Wahl zementiert haben – natürlich im Verbund mit mal mehr, mal weniger starken Hybrid-Systemen. Dass nichtfossile Kraftstoffe zumindest nun im Motorsport eine gewisse Marktreife erreicht haben, verringert ebenfalls die Anreize, eine vollelektrische Zukunft kompromisslos nach vorne zu peitschen.

Steht der Stromer-Sport also, noch bevor er überhaupt richtig an Fahrt aufnahm, vor dem Aus? Das wäre angesichts der politisch durchgedrückten Veränderungen auf der Straße zu kurz gedacht. Dazu erkennt man gerade an den aktuellen Entwicklungen der Formel E, dass der elektrische Motorsport sogar eine Zukunft haben muss, um diverse Marken weiterhin auf den Strecken zu halten. Dafür müssen die Organisatoren und Sport-Behörden jedoch weiter an ihren Problemen und den davon abgeleiteten Missverständnissen arbeiten.

Williams - GP Abu Dhabi 2022
Wilhelm
E-Fuels und ein hoher Elektro-Anteil sollen die Formel 1 bis ins nächste Jahrzehnt hinein technisch relevant halten. Die hohe Hersteller-Nachfrage gibt ihr Recht.

Reichlich Kilowatt, wenig Reichweite

An erster Stelle steht hier die Technik. Schon in den Gründungsjahren der Formel E wurde sehr schnell klar, dass sich die neuen Rennwagen in einem schwierigen Spannungsfeld aus Wunsch und Wirklichkeit befinden. Denn während technisch bereits alle Voraussetzungen für Kilowatt-Monster mit massiven Leistungsdaten gegeben wären, ist ihre Umsetzung in klassischen Rennformaten, Stand jetzt, quasi unmöglich. Trotz überbordender Muskelkraft fehlt es in der Extremanwendung Rennsport schlicht an der physikalischen Ausdauer. Die Kühlung und das Wärmemanagement spielen so die dominante Rolle bei der Konzeption von Strom-Rennern.

Die Formel E entschied sich deshalb, im Anschluss an die Autotausch-Ära nicht auf reine Sprints zu setzen, sondern mit der Hilfe des sogenannten Energiemanagements die verfügbaren Ressourcen über eine vorzeigbare Renndauer zu strecken. Was recht vereinfacht als eine strategisch festgelegte Tankmenge mit Mindestinhalt am Ende übersetzt werden kann, scheiterte aber gleich mehrmals tragisch an der Realität.

Besonders bitter wurde es beim Valencia-Gastspiel im Jahr 2021, als diverse Autos vermeintlich ohne Energie am Ende ausrollten. Tatsächlich hatten die Fahrer auch wegen Timing-Pechs ihr Kontingent ausgeschöpft und versuchten, sich im Schneckentempo ins Ziel zu sparen. Ein riesiges PR-Debakel in Zeiten von Reichweitenangst. Um vergleichbare Probleme auszuschließen, kehren in der kommenden, neunten Saison Rundendistanzen zurück. Zusammen mit nach Neutralisierungen aufaddierten Runden stellen die Organisatoren so sicher, dass die Teams auch zukünftig Energiemanagement betreiben.

Formel E- McLaren / Nissan - Gen3 - Test Valencia 2022
Motorsport Images
Diverser Technik-Ärger macht dem E-Rennsport das Leben schwer. Doch die Formel-E-Newcomer Maserati und McLaren zeigen, dass die Bemühungen wichtig sind.

Lange Formate nur mit Schnellladen

Anders lautet der Ansatz von ETCR, WRX und Co.: Da alle zugrundeliegenden Motorsport-Disziplinen eh auf kurze Rennen getrimmt sind, dürfen Fahrer, Teams und Techniker bewusst an die Grenzen gehen. Xavier Gavory, Seriendirektor der ETCR, erklärt: "Wir haben uns bewusst für kurze und würzige Rennen entschieden. Die Fahrer müssen nicht mit der Energie haushalten, sondern können von Anfang bis Ende Vollgas geben. Wir hätten auch längere Rennen machen können, aber wir denken, so ist es für die Zuschauer attraktiver." Die enormen Kühlbemühungen nach jedem Lauf zeigen aber, dass selbst die kurzen Distanzen das bis zu 670 PS starke Antriebspaket an die Grenzen bringen.

Bei der häufig erklärten Hoffnung, zukünftig auch längere Rennen mit elektrischen Fahrzeugen bestreiten zu können, steht angesichts der beschriebenen Limitierungen von Elektro-Antrieben somit die Lade-Technik im Mittelpunkt. Doch wie bei den Batterien gibt es zahlreiche Hürden. Die größte könnte kaum alltäglicher sein: An nahezu allen Rennstrecken gibt es keine passende Ladeinfrastruktur. Noch komplizierter wird es bei Stadtkursen und bei Rallyes.

Die Betreiber werden allerdings nicht müde zu betonen, dass es nicht an ihrer Bereitschaft mangeln würde. Doch die Botschaft der Versorger vor Ort ist unmissverständlich: Wenn 15+ durstige Rennfahrzeuge zusammen an den Starkstromleitungen saugen, könnte es im angrenzenden Stadtteil plötzlich ziemlich dunkel werden. Die ursprünglich durch die gesunkene Lautstärke besänftigten Anwohner dürften demnach schnell wieder ihre Sympathie für die Transformation verlieren.

World Rallycross 2022 - Nürburgring
Red Bull
Kurze Renn-Formate wie in der Rallycross-Weltmeisterschaft gelten als das perfekte Anwendungsfeld. Für das Laden braucht es jedoch besondere Lösungen.

Debatte um Diesel-Generatoren

Genau wegen dieser Versorgungslücke kassierte die Formel E früh ihre erste große Schelte – oder, wie man neudeutsch sagt: einen Shitstorm. Interessierte Beobachter wunderten sich nämlich über arbeitswillig ratternde Generatoren am Rande des Fahrerlagers und witterten den ganz großen Etikettenschwindel. Die Formel E reagierte zügig und erklärte, dass sie ihre Generatoren (in Zukunft) mit Glycerin betreibt – einem Nebenprodukt der Biodiesel-Herstellung. Als unterstützende Energiequelle bei den Events seien sie aber elementar. Kritiker monieren trotzdem bis heute regelmäßig, dass das Heranschaffen der Generatoren und ihrer Betriebsstoffe einen unnötigen Extra-Aufwand darstelle.

Sehr offensiv geht hingegen die ETCR mit ihrer Lösung für die Versorgungslücke um. In der sogenannten Energy Station laden die Renner nach ihren Läufen öffentlich im Paddock. Der Strom stammt aus 160 kW leistenden Wasserstoff-Generatoren des Serienpartners Hyundai. Dieser wirbt dementsprechend damit, dass Elektro und Brennstoffzellen schon jetzt koexistieren. Eine weitere Lösung sind spezielle Lade-Trucks, die ähnlich wie die traditionellen Tanklaster Energie mobil verfügbar machen – ein Konzept, das zum Beispiel im Rallye-Sport sinnvoll ist.

Selbst wenn solche Lösungen zügig hochskaliert werden können, bleibt aber der Flaschenhals bei den Ladegeräten. Mit ihrem neuen 600-kW-System springt die Formel E hier zwar klar auf die Pole-Position. Doch von Lösungen, die es für Langstreckenrennen bei entsprechend haltbaren und großen Batterien bräuchte, sind wir noch etliche Jahre entfernt. Gleiches gilt für das Prinzip der Wechselbatterien, das schon seit Jahrzehnten erforscht wird, aber weiter um den Durchbruch ringt.

ETCR - Lade-Konzept Energy Station
ETCR
Die Energy Station der ETCR besteht aus Wasserstoff-Generatoren und steht offen im Fahrerlager.

Einheitsbauteile als Fluch und Segen

Betrachtet man all diese Schwierigkeiten, erscheint die nach außen recht langsame Entwicklungs-Timeline der Formel E auf einmal in einem deutlich besseren Licht. Ihre nun bis zu 350 kW starke dritte Generation mit einer Rekuperationsleistung von maximal 600 kW ist erstmals zumindest auf Augenhöhe mit modernster Serientechnik.

Manche sehen in dem gestiegenen Fokus auf die Energierückgewinnung sogar einen Vorbildcharakter – auch wenn selbst auferlegte Einschränkungen wie die eher dürftigen Einheitsbatterien große Innovationen verhindern. Der Grund dafür wurde aber zuletzt zu einer Art Überlebensversicherung: Die durch Einheitsbauteile eingefangenen Kosten machten die Serie nach den Ausstiegen von Audi, BMW und Mercedes interessant für Neueinsteiger.

Insgesamt rutschte die Formel E seit dem Hype der Anfangszeit jedoch stetig medial ab. Vor allem traditionell erzogene Motorsport-Fans tun sich bis heute mit ihrer exzentrischen Aufmachung schwer, die explizit andere und jüngere Zielgruppen ansprechen will. Selbstbewusste Slogans wie "Mutter Erdes Lieblingssport" und digitale Kampagnen treffen womöglich den Zeitgeist, aber entfremden die eh mangels Lautstärke etc. hadernden Rennsport-Anhänger.

Extreme E 2022 - Punta del Este
Motorsport Images
Viele Elektro-Serien setzen bei ihrem Marketing auf Weltretter-Botschaften. Dem Formel-E-Offroad-Ableger Extreme E brachte das eher Kritik als neue Fans.

Schrecken politische Botschaften ab?

Besonders paradox bleibt hierbei, dass ein Großteil der Akteure entweder aus dem Verbrenner-Sport stammt oder parallel noch in ihm aktiv ist. Und dass fast die gesamte mediale Aufarbeitung von Motorsport-Journalisten übernommen wird. Wer dementsprechend abseits der Serien-PR über seine neue Lieblingsserie informiert bleiben will, hätte also gar keine andere Wahl als zum klassischen Motorsport-Fan zu werden.

Trotz derselben Linie bezüglich der Zielgruppen fühlt sich ETCR-Mann Gavory ungerecht behandelt und erzählt: "Letztes Jahr vor dem ersten Event hatten wir jede Menge negative Kommentare von den Petrolheads. Es ist sehr schwierig, etwas ganz Neues ohne irgendeine Fan-Basis aufzubauen, die Leute haben sich wenn überhaupt nur widerwillig mit dem Thema beschäftigt." Dass die erfolgreichsten und bestbesuchten Events gerade die mit traditionellen Formaten geteilten Wochenenden waren und dort viele Besucher äußerst wohlwollend auf das neue Erlebnis reagiert haben, wird ausgeklammert.

Auf die Spitze trieb es die Extreme E, die als eine Art Offroad-Antwort auf die Formel E geschaffen wurde und mit dem Spanier Alejandro Agag sogar denselben Schöpfer hat. Im Mittelpunkt ihrer Veranstaltung steht nicht mehr der Sport per se. Denn zusätzlich will man mit den Rennen in klimatisch bedrohten Gebieten die Zuschauer, welche bis vor Kurzem ausschließlich am TV oder am digitalen Endgerät hockten, auf die dortigen Probleme hinweisen. Miserable Abrufzahlen auf YouTube und Co. deuten darauf hin, dass sich die Begeisterung dafür ziemlich in Grenzen hält. Und das trotz großer Namen bei den Teams und den Fahrern.

Pragmatischer sehen es die Rallycross-WM und die MotoE. Dort bleibt man näher am Ideal des klassischen Rennsports und sieht sich mehr als Ergänzung statt als aufmüpfiger Revolutionär. Bereits das reicht aus, um neue Geldgeber zu begrüßen. Und genau hier finden sich passende Ansätze dafür, wie der Elektro-Sport dauerhaft integriert werden kann.

Wasserstoff-Verbrenner - AVL Racetech
AVL Racetech
Alternative: Wasserstoff-Verbrennungsmotoren könnten das beste beider Welten vereinen. AVL Racetech entwickelt aktuell einen Rennantrieb.

Der Rennsport braucht Elektro

Denn angesichts der politischen Vorgaben und der sich dadurch verändernden Kundennachfrage werden nicht nur die Mengen an elektrischen Produkten, sondern auch an dafür umgebauten Marken stetig steigen. Ohne passende Plattformen wären sie so vom Motorsport ausgeschlossen – obwohl genau sie nach emotional aufgeladenem Marketing suchen.

Dr. Werner Tietz, Entwicklungsvorstand bei Cupra, erklärt stellvertretend die intensive Unterstützung der ETCR: "Wir wollen nicht, dass Elektrifizierung langweilig ist, denn so werden wir die meisten nicht davon überzeugen. Die Serie passt zu unserer Marke, unserem Geist und unserer Zukunft." Dafür nimmt man selbst die aktuelle Einheitstechnik hin.

Auch Audi befindet sich trotz des Formel-1-Projekts auf dem Weg hin zu einer Elektro-Marke. Der Kundensport-Leiter Chris Reinke gibt deshalb zu bedenken: "In Zeiten einer Transformation, wie sie die Automobilindustrie aktuell erlebt, wird eine Phase kommen, in der wir als Hersteller auch im Motorsport mehrgleisig denken und planen." Noch, und da sind wir wieder bei den Ausgangsproblemen, "muss sich jedoch ein geeignetes Wettbewerbsformat abzeichnen." Um die von der FIA für das Jahr 2023 angekündigte und zu Audi passende Electric GT ist es in den letzten Monaten zum Beispiel sehr ruhig geworden. Der ursprüngliche Plan sah viele Freiheiten bei der Batterie und den Antriebssträngen vor.

Ähnlich wie bei der DTM Electric, deren Schicksal mit dem Ende der ITR-DTM wohl besiegelt sein dürfte, droht auch hier durch die schwierige Finanzierung ein leiser Tod. Denn egal wie groß der Wunsch nach Elektro sein mag, der Spardruck ist immer etwas größer. Dieser Trend findet sich in allen großen Rennserien – unabhängig vom Antrieb. Während die ersten zehn Jahre seit der Ankündigung der Formel E also im Zeichen der steigenden ökologischen Nachhaltigkeit standen, wird in den kommenden zehn die wirtschaftliche noch erschwerend hinzukommen. Statt Umbruch droht so weiter Bruchteil.

Die aktuelle Ausgabe
AUTO MOTOR UND SPORT 11 / 2024
AUTO MOTOR UND SPORT 11 / 2024

Erscheinungsdatum 08.05.2024

148 Seiten