Abt Sportsline eCaddy
Tuning mal anders

Abt Sportsline steht für Tuning und Motorsport. Aktuell ist die Firma jedoch in ein Projekt involviert, das so gar nicht dem bisherigen Image entspricht: der Elektrifizierung von Lieferfahrzeugen. Ein Unterfangen, von dem auch die Rennsport-Aktivitäten profitieren.

Abt eCaddy, Werkstattbesuch, Technik, Umwelt
Foto: Beate Jeske

Wir stehen in einer der Werkshallen auf dem Firmengelände von Abt Sportsline – also genau dort, wo der Kemptener Tuner normalerweise Serienautos zu PS-Superlativen werden lässt. Zwei Beispiele gefällig? Wie wäre es mit einem VW Golf R, dem Abt 400 statt der 300 Serien-PS einimpft? Oder einem Audi RS6 mit 730 PS? Dazu eine aufgewertete Karosserie mit veränderten Schürzen und Schwellern, neuen Felgen und einem aufpolierten Innenraum.

Abt Sportsline baut VW Caddy um

Doch von Tuning-Arbeiten ist bei Abt Sportsline heute nichts zu sehen. Stattdessen querbeet in der Halle verteilt: Werkzeugkisten, ein paar Stoßfänger, ausgebaute Motoren und Tanks. Zu den Teilen gesellen sich drei VW Caddy – zwei in Gelb lackiert, einer in Weiß – sowie ein VW T5. An einem der Caddy fehlt der vordere Stoßfänger, die Motorhaube blickt Richtung Hallendecke. Von einem Verbrennungsmotor allerdings keine Spur.

Elektromobilität und Tuning, das sind zwei Felder in der großen Automobilwelt, die bislang eher selten zusammenfanden. Abt Sportsline ist einer der wenigen Veredler, die sich intensiv mit der neuen Technologie beschäftigen – seit mittlerweile fünf Jahren. Das Familienunternehmen elektrifiziert aktuell in einem vom Bund und Bayern gefördert Projekt ("Schaufenster Elektromobilität") bis zu 30 Fahrzeuge für den Lieferverkehr, zum Beispiel für die Flotte der Deutschen Post. In Bonn, Landau und Kempten surren bereits erste Elektro-Caddy von Haustür zu Haustür.

Abt Sportsline eCaddy kommt auf 88 PS

Briefe und Pakete ausliefern mit hochgezüchteten Elektroautos? Will die Deutsche Post etwa auf dicke Hose machen? Mitnichten. Man verfährt eher nach dem Motto: Weniger Kraft ist mehr. Abt Sportsline könnte dem E-Triebwerk, das von der Firma ATE stammt, bis zu 130 kW entlocken. Stattdessen zügeln die Kemptener die Power auf 65 kW (88 PS). "Das Anfahrdrehmoment ist sehr hoch. Das Auto würde alle drei Wochen neue Reifen brauchen, was nicht Sinn der Sache ist", erklärt Häberle, der bei Abt für die Elektromobilität zuständig ist.

Die Fahrzeuge erhält Abt Sportsline von VW. Oder man bezieht sie direkt von der Post. Auf dem Kemptener Firmengelände angekommen, überprüfen die Techniker zuerst einmal die künftigen Elektrowagen gründlich, ehe es an die Änderungen geht. Jetzt kommt auto motor und sport ins Spiel: Wir helfen bei einem eCaddy-Umbau.

Motor raus, Getriebe bleibt

Zuerst muss der Motor seinen Platz räumen – inklusive der Lichtmaschine, die durch einen Gleichspannungswandler ersetzt wird. Das Getriebe darf es sich weiterhin im Vorderbau gemütlich machen. Unangetastet bleibt es von Abt-Sportsline-Ingenieur Häberle und uns jedoch nicht. Es wird im zweiten Gang fixiert, und die restlichen Zahnräder werden entfernt. Beim nächsten Schritt wird getrickst, wie es sonst nur gute Zauberer können. Das Requisit: ein neues Steuergerät. Die Freiwillige: die ursprüngliche Motorkontrolleinheit, an der unter anderem das ABS und die Airbags hängen. Die neue Steuereinheit gaukelt dem alten Gerät vor, dass sich weiterhin der Verbrenner im Auto befindet. "Ansonsten würden nicht nur alle Warnleuchten angehen, sondern das Auto nur Fehler anzeigen und gar nicht fahren", erzählt Häberle.

Über E-Motor und Getriebe thront ein Umrichter, der die Leistungsanforderung des Fahrers in ein Drehmoment an der Motorausgangswelle umsetzt. Aus der Box wachsen fünf orange Kabel. Die Farbe steht für Leitungen, die unter Hochspannung stehen. Ebenso neu sind Teile aus dem VW Touareg Hybrid: elektrische Unterdruckpumpen und -sensoren sowie eine Telemetriebox, die sekündlich Messwerte aufzeichnet. Und nicht zu vergessen: einer der insgesamt neun Lithium-Ionen-Blöcke, deren Kapazität 28,37 Kilowattstunden beträgt. Die Batterie ist zum Schutz in eine Aluminiumschale gepackt. Die restlichen Energievorräte setzen die Abt-Sportsline-Techniker unter den elektrifizierten Lieferwagen. Wir sagen Tank und Auspuff Adieu. Ohne sie kommt der Caddy wie ein Taucher ohne Sauerstoffflasche daher. Doch wir rollen bereits zwei Aluminiumkästen à vier Lithium-Ionen-Akkus über den Werkstattboden. Sie werden vor und hinter der Hinterachse installiert.

Zehn Stunden Nachladezeit

So gerüstet soll es das Lieferfahrzeug von Abt Sportsline über 200 Kilometer weit schaffen – allerdings nur mit gezügeltem Gasfuß. Einmal leer gefahren, brauchen die Batterien an einer gewöhnlichen Steckdose rund zehn Stunden, bis sie wieder im Vollbesitz ihrer Kräfte sind. Über eine dreiphasige 16A-CE-Steckdose lässt sich der Ladevorgang laut Häberle auf 3,5 Stunden reduzieren.

Jetzt bleibt nur noch wenig Arbeit, ehe der Elektro-Caddy seinen aufreibenden Dienst antreten kann. Unter anderem kommt ein neuer Drehzahlmesser zum Einsatz, der auch die Energierückgewinnung anzeigt, schließlich kann das E-Mobil beim Bremsen rekuperieren. Zuletzt verbauen wir und Abt Sportsline noch einen neuen Automatikhebel, und fertig ist der Elektro-Lieferant. Die Verwandlungszeit beträgt rund eine Woche.

Der elektrifizierte Caddy hat einen Preis von 35.000 Euro. "Die Förderung und der Verkauf decken nicht unsere gesamten Kosten. Wir zahlen drauf", verrät Abt-Sportsline-Ingenieur Häberle. Doch warum dann das Ganze? Weil ein E-Anstrich dem Ruf sicher nicht schadet. Weil man sich Kompetenz in einer wahrscheinlich zukunftstragenden Technologie aufbaut. Und weil die gewonnenen Erkenntnisse auf den Motorsport übertragbar sind.

Also nicht wie üblich Technik vom Motorsport auf die Straße, sondern bei Abt Sportsline geht es auch umgekehrt. Häberle: "Alle unsere gemachten Erfahrungen können wir in der Formel E nutzen. Wir haben ein besseres Verständnis vom Elektromotor und dem Batteriemanagement gewonnen und wissen, wie wir die Akkus einsetzen müssen, um das Beste aus ihnen herausholen zu können." Na also.

Abt Sportsline und ihr Geschäftsfeld

Abt Sportsline genießt in der Automobil- und Tuning- Szene als weltweit größter Veredler von Modellen der Marken VW, Audi, Seat und Skoda einen sehr guten Ruf. Im vergangenen Jahr zählte das Unternehmen mit Sitz in Kempten rund 5.000 Leistungssteigerungen. Dazu kamen etliche Karosserieteile, Reifen- und Felgensätze, die Abt auf Kundenwunsch hin an Fahrzeugen montierte. Das Familienunternehmen wurde vor 118 Jahren von Johann Abt gegründet. Zur damaligen Zeit entwickelte der Schmied eine Vorrichtung, mit der Kutschen auch im schneereichen Allgäuer Winter eingesetzt werden konnten. Heute wird die Firma von Hans-Jürgen Abt geleitet. In Deutschland kooperiert der Tuning-Spezialist mit rund 150 Händlern. Das weltweite Netzwerk der Firma erstreckt sich über Europa, die USA, Russland sowie den arabischen und asiatischen Raum.

Neben dem Fahrzeug-Tuning ist Abt Sportsline seit über 60 Jahren im Motorsport aktiv. In den Köpfen der Fans hat sich besonders das erfolgreiche Engagement in der DTM festgesetzt, wo Abt in den letzten 14 Jahren fünf Fahrerund drei Teamtitel feierte. Mit Elektrotechnik beschäftigt sich Abt nicht nur beim Umbau von Lieferfahrzeugen, sondern auch in der neuen Rennserie Formel E, dort startet Abt als einziges deutsches Team. Zum Saisonauftakt der Elektro-Meisterschaft in Peking verewigte sich der Rennstall durch den Sieg von Fahrer Lucas di Grassi in den Geschichtsbüchern. Um alle Motorsportaktivitäten zu bündeln, errichtete Abt auf dem Kemptener Werksgelände ein 2.400 Quadratmeter großes Motorsportzentrum, in dem etwa 50 Mitarbeiter beschäftigt sind.