Gebrauchtwagen-Tour Opel Astra J
Das beste Auto der Welt - ein 12 Jahre alter Astra

Kommen Sie mit uns auf Gebrauchtwagen-Tour. Wir teilen unsere Erlebnisse vom Kiesplatz bis zum Showroom. Ein gebrauchter Astra zeigt diesmal den absoluten Idealfall beim Gebrauchtkauf.

Gebrauchtwagentour Opel Astra J
Foto: Lena Willgalis

Die Gebrauchtwagensuche dürfte in ihrer Beliebtheit für viele irgendwo zwischen Steuererklärung und Keller aufräumen liegen. Auch echte Autofans stehen jedes Mal vor dem Dilemma, ein möglichst preiswertes Angebot zu finden und dabei nicht Gefahr zu laufen, vollends über den Tisch gezogen zu werden.

Für mich ist das anders. Mir macht das Streunen über die Höfe der Gebrauchtwagenhändler und durch die unendlichen Weiten der Online-Inserate Freude. In diesem Format möchte ich von einigen Erlebnissen erzählen, die mir während zahlloser Gebraucht-Checks dienstlich und privat begegnet sind. Heute geht es um bestmöglichen Kauf; einen absoluten Glücksgriff. Kommen Sie mit mir auf einen Streifzug durch die Welt der Gebrauchtwagen.

Das große Gebrauchtwagen-Spezial

Was würde Mutter sagen?

Nehmen wir mal an, Sie würden sich Ihre Gebrauchtwagentipps nicht von uns oder anderen geneigten Enthusiasten holen, sondern von Ihrer werten Frau Mutter. Was würde sie Ihnen wohl mit auf den Weg zum Autokauf geben? Ein sicheres, modernes Auto soll es sein. Vernünftig in Unterhalt und Verbrauch, nicht zu groß und nicht zu klein, aber trotzdem mit ausreichend Platz. Ein Neuwagen? Ach was, viel zu teuer! Ein Gebrauchter soll es sein, aber bitte von einem seriösen Händler. Und mit Garantie. Und mit niedrigem Kilometerstand. Aber bitte nicht zu schnell!

Sie meint es gut und es fällt schwer, ihr zu widersprechen. Mit ganz ähnlichen Kaufkriterien im Hinterkopf ging es für mich im Spätsommer des vergangenen Jahres auf die Jagd nach dem besten, weil vernünftigsten, Gebrauchtwagen. Für einen Artikel in auto motor und sport suchten wir nach sofort verfügbaren Gebrauchten, die sich auch für den Familienurlaub eignen. Das war während der Hochzeit der Gebrauchtwagenknappheit. Typische Kandidaten, die einst in rauen Mengen für wenig Geld zu haben waren, gibt es kaum, und wenn, dann meist zu überhöhten Preisen.

Elektro-Gebrauchtwagencheck 21/22
Andreas Jüngling
Verkauft. Da war der Redakteur wohl zu langsam. Gute Gebrauchtwagen, werden aktuell hoch gehandelt. Das erschwert die Suche nach Glücksgriffen.

Händlertipp: Suchen Sie einen Betrieb mit eigener Werkstatt

Mir ist klar: Fürs gegebene Budget (im Falle des damaligen Artikels waren es maximal 15.000 Euro, gern weniger) würde ich in der Jahreswagenecke beim Vertragshändler nicht fündig. Umgekehrt geht es darum, ein Vernunftauto zu beschaffen, und kein zwielichtiges Wagnis aus schattiger Herkunft einzugehen. So entscheide ich mich bei meinem ersten Halt für einen Händler im fränkischen Fürth. Ich habe mal in der Nähe gewohnt, und wusste, dass bei jenem Autohaus meist sehr vertrauenswürdige Gebrauchte zu finden sind. Die Betreiber rufen zwar nicht unbedingt Spottpreise für ihre Ware auf, dafür stimmt in der Regel der Vorbesitz und die Wartungshistorie. Wenn auch Sie auf der Suche nach einem vertrauenswürdigen Händler sind, schauen Sie sich nach einem Anbieter um, der auch eine eigene Werkstatt betreibt, die auch öffentlich für Servicearbeiten usw. zur Verfügung steht. Zu solchen Betrieben finden sich im Netz auch bedeutend mehr Kundenbewertungen, als zu zwielichtigeren Anbietern. Und: Ihre Kunden kommen regelmäßig wieder.

Urlaubs-Gebrauchtwagencheck 16/22
Lena Willgalis
In diesem Autohaus ist die Auswahl an guten Gebrauchten noch recht üppig. Typische Gebraucht-Bestseller, wie dieser Skoda Octavia werden aber seltener angeboten und kosten im Verhältnis mehr als vor der Gebrauchtwagenknappheit.

Das beste Auto der Welt muss ein zwölf Jahre alter Astra sein!

So schleiche ich also über den gepflegten Vorplatz des ebenso gepflegten Autohauses Bilge. Die Augen wandern im Scannermodus über die Verkaufsschilder in den Windschutzscheiben. Die Auswahl wirkt kaum kleiner als vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie. Das Preisniveau liegt jedoch im Schnitt gut ein Viertel über dem einst Gewohnten. Das gesetzte Preislimit gleich beim ersten Kandidaten zu überschreiten, hatte ich nicht vor. Also stelle ich den Suchblick um: vom Einerlei junger Bestseller, meist auf kompakter VW-Plattform, hin zu den potenziellen Underdogs, den weniger beliebten, und dünner gesäten Kandidaten. So kalibriert erleuchtet mich plötzlich ein wunderbar gewöhnlicher Astra-Fünftürer.

Gebrauchtwagentour Opel Astra J
Lena Willgalis
Die erste Ahnung und der Blick aufs Preisschild passen zusammen. Für knapp 9.000 Euro ein sparsames Alltagsauto mit Winz-Laufleistung und in derart unbescholtenem Zustand zu finden, ist eine wahre Seltenheit. Ein gutes Indiz ist, wenn ein Auto sauber und neu wirkt, ohne frisch geputzt zu sein.

"Ein Astra J. Hoffentlich kein Diesel, der packt Euro 6 nicht und zerspant mit seinem Drehmoment regelmäßig seine Schaltgetriebe. Ganz schön sauber, dabei sieht er gar nicht frisch aufbereitet aus... Beinahe neuwertig..." Diese Gedanken zucken mir durch den immer sehr schnell begeisterungsfähigen Kopf. "Aber der wurde von 2009 bis 2015 gebaut. Kann ja gar nicht sein..."

Am Preisschild angekommen zeigt sich: Der Eindruck stimmt. Nur 20.500 Kilometer. Rein optisch glaube ich ihm diese Laufleistung sofort. Knapp 8.900 Euro soll er kosten. Im Vergleich zu den Vorjahren nicht unbedingt billig, aber heutzutage (Sommer 2022) ein wahres Schnäppchen. Ich eile durch die Tür zum Showroom, frage nach dem Schlüssel und finde mich kurz darauf auf dem Beifahrersitz wieder, wo ich das sauber ausgefüllte Checkheft studiere. Der Astra duftet innen neuwertig, zeigt kaum Verschleiß und deutet auf einen nicht mehr ganz jungen Vorbesitz hin. Die etwas magere Ausstattung knapp über Basisniveau, der extrem gepflegte Zustand und die geringe Laufleistung (keine 2.000 Kilometer im Jahr) ließen mich bereits zu Anfang darauf schließen. Nun finde ich als einzige Spur von Schmutz einen winzigen Kleberrest, der offensichtlich mal zu einer metallenen Christophorus-Plakette gehört haben muss. Die obersten Radio-Stationstasten spielen mir die besten Oldie-Sender der Region vor. Die unteren waren wohl nie belegt.

Gebrauchtwagentour Opel Astra J
Lena Willgalis
Unsere Astra-Empfehlung fällt neben seinem Nachbarn, einem fast neuen Audi Q2, nicht als zwölfjähriges Auto auf. Sein rundliches Design mag vielleicht ein Grund dafür sein - vor allem ist es aber der neuwertige Zustand.

"Noch zehn Jahre mehr", denke ich bei mir, "und der Wagen wäre ein gefundenes Fressen für den Youngtimer-Kollegen Alf Cremers", dessen Kiesplatz-Reporte in unserem Verlagshaus Kultstatus besitzen. Unter der Extra-Schutzdecke des Kofferraumbodens finden sich Relikte eines langen Autolebens: Straßenkarten, ein Radkreuz, ein Verbandskissen. Dieses lange Autoleben muss wohl viele Jahre vor diesem Astra begonnen haben, und mit ihm langsam abgeklungen sein.

Auch Händler suchen gerade aktiv nach den wirklich guten Autos.

Bevor ich zu sehr ins Philosophische abdrifte, begrüßt mich Verkäufer Sebahattin Bilge freundlich. Er ist auch dann noch freundlich, als ich mich als AMS-Redakteur zu erkennen gebe. Manche Händler mögen mediale Präsenz nicht. Bilge hat nichts zu verbergen und bestätigt all meine Eindrücke zum Vorbesitz (übrigens auch Erstbesitz) des Astra.

Er erzählt mir, dass derart gepflegte Exemplare nur noch selten achtlos in die Händlerauktionen gelangen, über die die Vertragshändler ältere Inzahlungnahmen oft im Paket abstoßen. Umgekehrt möchte er seinen guten Ruf auch nicht mit schlechter Ware beschmutzen. Deshalb suchen Händler wie er aktuell täglich auch nach guten Privatangeboten. Offen schildert er, dass es derzeit keinen anderen Weg gibt, als die gestiegenen Preise auch an die Kunden weiterzugeben. Die bleiben ihm aber dennoch gewogen, wenn die Qualität stimmt. So stammt auch unser Astra aus einem Privatinserat. Nur so kann der Händler auch ältere Gebrauchtwagen mit gutem Gewissen und Garantie anbieten.

Und warum gerade der Astra?

Neben einem Einblick in die aktuelle Marktsituation, soll dieser Artikel natürlich auch erläutern, was ausgerechnet diesen Fund zur unbedingten Empfehlung werden lässt. Denn soviel steht fest: Ein schlechtes Auto wird auch durch den gepflegtesten Zustand nicht zum guten Gebrauchtwagen.

Der Astra J sollte bei seinem Debüt 2009 analog zum im Vorjahr eingeführten Insignia A eine neue, futuristischere Formsprache bei Opel einläuten. Diese Autos fielen in den Tests zwar zunächst durch ein relativ hohes Leergewicht auf, dafür aber auch mit einer auffallend hochwertigen Qualität und überraschend niedrigen Verbräuchen. In ihren Grundbestandteilen aus Blech und Antriebstechnik lassen sie sich auch heute noch als sehr moderne Autos bezeichnen. Alles funktioniert leichtgängig und leise, es gibt genug Platz und auch Rost ist hier kein echtes Thema.

Gebrauchtwagentour Opel Astra J
Lena Willgalis
Dunkelgolden wie Waldhonig sieht das Motoröl aus. Es hat zwar erst rund 2.000 Kilometer hinter sich, ist aber bereits über zwei Jahre alt. Vor dem Verkauf bekam der Opel noch frisches Öl.

Neben dieser Zukunftssicherheit glänzt unser Exemplar mit völliger Abwesenheit potenziell problematischer Sonderausstattungen. Es gibt keine Xenonscheinwerfer mit teuren Brennern, es gibt kein Werks-Navi, was nach zwölf Jahren völlig veraltet wirkt, und es gibt keine echten Alufelgen, die von Bordsteinen vernarbt sind. Die hinteren Fenster wollen sogar noch von Hand gekurbelt werden. Was er sehr wohl bietet, ist ein moderner, sparsamer und spritziger Vierzylinder-Turbobenziner, der wenig verbraucht, und durch problemlose Langlebigkeit bekannt ist. Muckt er doch nach vielen Jahren mal, sind meistens nur ein paar Euro für eine neue Zündspulenleiste fällig. Achillesfersen? Keine. Und wie bereits angedeutet: Was nicht dran ist, kann auch nicht kaputtgehen.

Das bedeutet natürlich nicht, dass er gänzlich auf Annehmlichkeiten verzichtet. Eine Klimaanlage ist ebenso an Bord wie Sitzheizung und ein gut klingendes Radio mit Aux-Eingang (Stichwort: Bluetooth-Empfänger).

Zugegeben: In den Vergleichstests zog der Astra oft den Kürzeren gegenüber dem Klassenprimus Golf. Dass er heute jedoch nicht mit einem höheren Preisniveau, und vor allem den problematischen TSI-Benzinern zu kämpfen hat, gleicht locker aus, dass er damals in einzelnen Kategorien vielleicht ein Quäntchen schlechter abschnitt.

Tipp: Achten Sie also auch mal auf die "ewigen Zweiten". Allzu oft verstecken sich hier auf lange Sicht sehr gute und haltbare Autos.

Wie findet man sowas?

Wenn das mal alles so einfach wäre, würden wir wohl ständig solche Glücksgriffe empfehlen. Das Problem ist: Im Netz findet sich kein Suchkriterium, das die zwielichtigen Kandidaten aussortiert. Von jedem Großserienauto finden sich geschundene Exemplare, von denen man die Finger lassen sollte. Die perfekte Qualität seiner Ware zu beteuern, gehört indes zu den leichtesten Übungen jedes noch so zwielichtigen Gebrauchtwagen-Hökers.

Der Trick ist, wie in unserem kleinen Exkurs angesprochen, den Blick wie beim Computer von der Listenansicht, in der nur Preise und Laufleistungen einzelner Wunschmodelle verglichen werden, auf extragroße Voransichten umzustellen. Treten Sie unvoreingenommen an die Suche heran. Wer ein solches Schnäppchen sucht, sollte im Netz zunächst nur ein Limit für Preis, Laufleistung, Standort und Größe (oder auch Leistung) festlegen. Lassen Sie die Modellauswahl offen, auch wenn Sie bereits die gewünschten Bestseller vor Augen haben. Aussortieren geht schließlich immer!

Sie werden staunen, wie viele Autos Ihnen begegnen werden, die Sie so sicher nicht auf dem Schirm hatten. Ob diese Modelle grundsätzlich auch empfehlenswert sind, das entnehmen Sie dann am besten unseren Kaufberatungen hier im Schwerpunkt Gebrauchtwagen-Spezial. Unten finden Sie zudem eine Episode unseres Podcast "ams erklärt", in der ich mit Luca Leicht über die Tipps und Tricks beim Gebrauchtwagenkauf spreche.

Fazit

Und die Moral von der Geschicht? Manchmal lohnt es sich, aus dem immergleichen Dickicht der Bestseller auszubrechen – speziell, wenn diese gerade alles andere als günstig sind. Es gibt noch gute Gebrauchte, bei denen die Seriosität des Angebots im Vordergrund steht. Wer dann kein Modell mit einer chronischen Schwachstelle erwischt, bekommt in der Regel ein haltbares Langzeitauto zum absolut bestmöglichen Preis.

Die aktuelle Ausgabe
AUTO MOTOR UND SPORT 11 / 2024
AUTO MOTOR UND SPORT 11 / 2024

Erscheinungsdatum 08.05.2024

148 Seiten