Wer sich für Autos begeistert, dürfte auf einen Gebrauchtartikel zum Opel Meriva in etwa so reagieren wie ein Kind, dem man eröffnet, dass es zum Abendessen anstelle eines Besuchs in der Burgerbude ein trauriges Erbsengericht gibt. Betrachten wir ihn jedoch im Detail, fällt auf, dass der vernünftigste aller Opel überraschend nahrhaft sein kann. Was sind die Gründe dafür?
1. Das praktische Format
Erläutern wir des Pudels Kern gleich zu Beginn: Der Meriva B ist beliebt bei älteren Menschen. Das mag jüngere Käufer bei subjektiver Betrachtung abschrecken, deutet allerdings auf handfeste Vorteile hin, die in erster Linie mit dem durchdachten Raumkonzept zu tun haben. Nicht ohne Grund setzt die gleiche Käuferschaft auch gern auf den VW Golf Plus, bzw. Sportsvan. Ein hoher Einstieg bei tiefem Boden, die hohe und aufrechte Sitzposition, die große Heckklappe nebst niedriger Ladekante, die spielerisch leichte Fahrbarkeit: All das lässt vielleicht nicht die Emotionen eines Autofans überkochen, erleichtert den Alltag zwischen Einkaufsmarkt und Kindergarten jedoch ungemein. Die kompakten Außenmaße machen den Meriva außerdem handlich.
2. Die Türen
Keine Erläuterung zum Meriva-Raumkonzept, ohne seine Türen zu erwähnen! Ja, die hinteren Portale öffnen gegenläufig, sind also hinten angeschlagen. Was ist daran toll? Im Alltag fungieren Autotüren nicht nur zum Ein- und Ausstieg mündiger Passagiere. Gerade Fondtüren dienen häufig eher zum flotten Abwerfen der Jacke oder natürlich dem Vertäuen des Nachwuchses im Kindersitz. All dies fällt im Alltag leichter, wenn der Zugriff von vorn geschehen kann und die Luke obendrein noch eine rückenschonende Höhe besitzt.
Doch das ist noch nicht alles. Zum Meriva-Türkonzept gehört nämlich auch, dass sich alle Türen auf volle 90 Grad aufklappen lassen. Ganz gleich, welche besonderen Bedürfnisse Sie oder Ihre Passagiere haben: Das ist ausgesprochen nützlich und leider im Automobilbau nicht allzu häufig anzutreffen.
3. Tricks im Innenraum
Wer Kinder hat oder kennt, dem sind auch die kriegerischen Auseinandersetzungen bekannt, die selbige auf längeren Fahrten zu führen imstande sind. Gleichsam zeichnen sich Kinder häufig durch auffallend unterschiedliche Altersgruppen und Dimensionen aus. Das eine Kind hüpft selbst auf seine Sitzerhöhung und schnallt sich an, das andere nutzt uneigenmächtig eine Babyschale, verzichtet dafür jedoch gänzlich auf Beinfreiheit. Dreigeteilt verschiebbare Rücksitze mit verstellbarer Lehnenneigung bieten für alle die richtige Sitzposition bei maximal ausgenutztem Kofferraumvolumen. Wer zwei größeren Kindern etwa auf langen Urlaubsfahrten eigene Wohlfühlbereiche bescheren möchte, kann den Mittelsitz als großflächige Armlehne nutzen, und mit nach hinten verschobener Mittelkonsole gleichzeitig die beiden Fußräume voneinander trennen – taktisch klug! Möglich macht dies die von Opel getaufte Flexrail, die unterschiedlichste Nutzungen der vorderen Mittelkonsole erlaubt.
4. Die Technik
Bis hierhin dürfte jedem klar sein, dass wir den Meriva aufgrund seiner guten Nutzbarkeit empfehlen und nicht unbedingt, weil er besonders spannende Fahrwerte liefert. Entsprechend ist er motorisiert. Bei 140 Benzin-PS ist Schluss, dafür gibt's nie weniger als 1,4 Liter Hubraum und vier Zylinder. Das ist nicht nur in der Theorie langlebig. Ob der Motor nun mit oder ohne Turbo daherkommt, ändert nichts an Zuverlässigkeit oder Verbrauch. In der 100-PS-Saugmotorversion muss er derart orgeln, dass ein Verbrauchsvorteil kaum noch realisierbar ist. Mit 120 oder 140 PS fährt er harmonischer. Muss dieses Triebwerk doch mal in die Werkstatt, handelt es sich meistens um eine Ölundichtigkeit (ärgerlich) oder um eine defekte Zündleiste (Kleinkram, auch selbst zu tauschen).
Sparsamkeit ist nicht die größte Stärke der Benziner – das können die Diesel besser. Hier gibt es den kleinen 1,3-Liter, den 2014 eingeführten 1.6, sowie den 1.7, der nach 2014 noch in Automatikautos seinen Dienst tat. Sparsam sind alle, alle besitzen vereinzelte Schwachstellen, sind aber grundsätzlich empfehlenswerte und brave Gesellen. Den rundesten Eindruck macht der 1.6 CDTI.
Wer vor der Entscheidung steht, einen gebrauchten Meriva zu kaufen, oder ein vergleichbar praktisches VW-Produkt, findet bei Opel den Vorteil einer praktisch unzerstörbaren Wandlerautomatik, wo die vergleichbar alten VW-Doppelkuppler häufig eine tickende Zeitbombe darstellen. Außerdem ist der Rostschutz dieser Baujahre bei Opel eine ganze Ecke haltbarer als bei VW, wo durchaus erste Rostbaustellen sichtbar sind.
5. Fahrwerk und Abstimmung
Wer sich für einen Meriva entscheidet, weil er praktisch und zuverlässig ist, noch dazu ökonomisch, muss keine Abstriche in Sachen Fahrkultur machen. Die Antriebe sind (vom arg knurrigen 1,7er-Diesel abgesehen) angenehm leise und zurückhaltend abgestimmt. Kleiner Hinweis zur Gasanlage: Kommt es beim 1,4er-Benziner (Sauger oder Turbo) dazu, dass Gas nicht sofort zurückgenommen wird, wenn der Fuß es vorgibt, ist ein Softwareupdate fällig. Eigentlich sollte es längst bei allen Exemplaren geschehen sein, doch gibt es immer wieder Ausreißer – prüfen!
Ansonsten wirkt die ganze Abstimmung von Lenkung, Pedalen und vor allem dem Fahrwerk sehr auf Zurückhaltung und Komfort ausgelegt. Sportlichkeit kommt zwar nicht vor, wird aber in einem Meriva auch nicht vermisst.
6. Die Preise
Was wäre unser Musterbeispiel an Nüchternheit ohne ein Preisniveau im Sonderangebotsformat? Vor Corona, Autoknappheit und Preisexplosion war es nicht unüblich ein noch frisches und gutes Nutz-Auto im Großraum der 10.000-Euro-Marke zu bekommen. Heute ist das gar nicht mehr so leicht. Mit dem Meriva klappt's trotzdem. Günstige Exemplare, die sich um die 100.000 Kilometer (oder darunter) tummeln, beginnen bei rund 7.000 Euro, während absolute Sahnestücke nie über 13.000 Euro kosten – dafür aber im Jahreswagenzustand noch eine extralange Haltbarkeit versprechen.
Noch ein Pluspunkt ist die günstige Wartung, die dank der millionenfach verbreiteten Technik jede freie Werkstatt aus dem Effeff beherrscht. Ersatzteile kosten nicht viel, Reifen liegen weiter unter den kostentreibenden SUV-Dimensionen und die Unterhaltskosten bleiben dank recht guter Versicherungseinstufung, kleiner Hubräume und moderner Abgasnormen niedrig. Noch günstiger sind da höchstens Kleinstwagen.
7. Alte Opel-Tugenden
Opel-Modelle, die vor der PSA-Übernahme entwickelt wurden, mögen zwar hier und dort ein wenig altbacken wirken, speziell, wenn man die etwas antiquiert wirkenden Anzeigen im Meriva-Cockpit betrachtet, fallen aber unterm Strich ein ganzes Stück wertiger aus als die aktuellen Alternativen. Trotz ihrer leichten Bedienbarkeit fühlen sich Lenkung, Pedalerie und Fahrwerk im positiven Sinne schwerer und substanzieller an. Faktisch lässt sich zudem feststellen, dass Verschleißpunkte wie Kupplungen, Bremsen oder Abgasanlagen schlicht haltbarer und großzügiger dimensioniert sind als es heute der Fall ist. Trotz der eher kleinen Hubräume sollten seine Motoren nicht als Downsizing-Triebwerke betrachtet werden. Statt der günstigst möglichen Scheibenwischer mit breiter Schmutzecke verfügt der Meriva über fette Buswischer, die die große Frontscheibe fast vollständig abdecken. Wer sein Auto länger als eine Handvoll Jahre behalten möchte, dürfte all dies sehr schätzen.
8. Die Ausstattung
Hier fallen zwei glückliche Umstände zu den Gunsten des Meriva: Die ohnehin üppige Grundausstattung bei gleichzeitig breitem Angebot an Extras, sowie die Tatsache, dass der Meriva anders als Astra oder Insignia weniger als karger Dienstwagen und mehr als gemütliches Privatauto konfiguriert wurde. Das bedeutet heute wiederum, dass zwar nicht unbedingt alle Meriva in der höchsten Ausstattungslinie nebst Ledersitzen und 17-Zoll-Alus unterwegs sind, dafür aber meist eine große Menge kleiner Nettigkeiten besitzen. Die große Mehrheit besitzt eine Klimaautomatik, Sitz- und Lenkradheizung, Einparkhilfe, Kurvenlicht (wenn auch nur mit Halogentechnik) oder die Opel-typisch hervorragenden Sitze. Und das versüßt den Alltag auch heute noch.
9. Der Crossland
Warum soll der inoffizielle Meriva-Nachfolger bitteschön einen Vorteil für seinen Vorgänger darstellen? Die Antwort ist simpel: Weil Opel die Baureihe nach der Übernahme durch PSA in das trendige Klein-/Kompakt-SUV-Crossover Mischsegment übersiedelte. Ein kompakter Van mit leicht seniorigem Ruf wurde dadurch gleich umso weniger hip, was für überdurchschnittlich günstige Preise selbst während der Coronakrise und des folgenden Automangels sorgte. Gleichwohl ist der Crossland mit seinen empfindlichen Nass-Zahnriemen-Dreizylindern beileibe nicht das bessere oder gar hochwertigere Auto – wohl aber das teurere.
10. Und wo sind die Schwachstellen?
Grundsätzlich haben wir die Antriebstechnik des Meriva gelobt, und dabei bleibt es auch grundsätzlich. Die einzige echte Opel-Achillesferse aus der Zeit bis einschließlich 2013: Das M32-Schaltgetriebe mit sechs Gängen. Hier sind unbedingte Laufruhe und ein ruhig stehender Schalthebel essenziell. Gibt das Getriebe ein tempoabhängig mahlendes Geräusch ab (klingt wie ein Fahrraddynamo) und hüpft der Schalthebel lastabhängig umher, ist eine teure Reparatur vonnöten.
Und sonst? Nun, schön wäre 2017 eine weitere Runderneuerung gewesen, die dem Meriva vielleicht etwas hochwertigere Kunststoffe und hier und da bessere Geräuschdämmung beschert hätte. So wirkt er auf den Fingerklopftest oder beim Türenschließen oft etwas spröde – schade, bei einem sonst durchaus hochwertig gemachten Auto.
Fazit
Ob der Meriva nun dem traurigen Erbsengericht entspricht, oder als wohltuend alltägliche Hausmannskost zu genießen ist, bleibt Ihnen überlassen. Wer aber schlicht auf der Suche nach einem äußerst tauglichen Nutzfahrzeug ist – womöglich um den feinen Zweitwagen fürs Wochenende zu schonen, ist mit dem gebrauchten Opel-Minivan bestens beraten.