Kommentar zu Assistenzsystemen
Zur Abschaltbarkeit von Regelsystemen

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Jens Dralle hält Assistenzsysteme nicht prinzipiell für Teufelszeug, fürchtet aber die permanente Bevormundung durch die Elektronik. Und dann das: Ein Hersteller will abschalten – und zwar komplett!

Spurhalteassistent, Symbolbild
Foto: Hans-Dieter Seufert

Mag sein, dass wir bei sport auto abseits der Rennstrecke nicht immer zu den Schnellsten zählen. ESP, ja, damit haben wir zu tun, kennen wir, beurteilen wir. Dass wir sonstige Regel- und Fahrerassistenzsysteme bislang nicht dezidiert getestet oder bewertet haben, liegt daran, dass Abstandsregeltempomat & Co. erstens für sportliche Autos eher unerheblich erscheinen und sie uns zweitens irgendwie in eine melancholische Schockstarre versetzen.

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Es brauchte ein paar Abende bei Wurstsalat und Weißbier mit entsprechenden Diskussionen sowie einige Selbstversuche, um einen Zugang zu finden. Ehrlich gesagt: Um die Ingenieursleistung zu würdigen, muss vor allem das autonome Fahren erwähnt werden. Und ich meine nicht den Unfug, dass irgendein BMW oder Audi halbwegs zügig ohne Fahrer über eine Rennstrecke rumpeln kann. Ganz nett, doch wirklich beeindruckend ist, wie sich eine Mercedes S-Klasse selbstständig durch den Großstadt-Dschungel pirscht. Ja, ich möchte auch, dass mein Auto das kann, wenn ich im Berufsverkehr blöd vor dem Kappelbergtunnel auf der B14 herumtrödele.

Deaktivierbares ESP bei Audi?

Ein wenig geht das schon heute, mit Abstandsregeltempomaten und dem Stauassistenten, doch Letzterer mahnt nach wenigen Sekunden, dass ich gefälligst die Hände wieder ans Lenkrad zu nehmen habe. Nur: Wenn in einigen Jahren das vollautonome Fahren von der Luxusklasse an beginnend ausgerollt wird, lassen es sich die Hersteller sicher nicht nehmen, den Autofahrer (wieder) ungefragt zu bevormunden.

"Natürlich wird das System deaktivierbar sein", wiederholen die Entwickler gebetsmühlenartig. Wird es natürlich nicht. Oder weshalb ist ESP nicht abschaltbar? "Weil es dafür keinen Grund gibt", sagt ein Mercedes-Ingenieur. Ach was! Natürlich kann ESP Unfälle vermeiden. Ein autonom fahrendes Fahrzeug kann das sicher noch besser, also warum die Technik abschalten? Und wenn das Auto ohnehin von alleine fährt, Risiken bewertet, die Geschwindigkeit anpasst und der Fahrer möglicherweise entgegen der Fahrtrichtung mit den Mitreisenden ein Schwätzchen hält, dann braucht es bestenfalls noch ein Kleinwagen-Setup, oder? "Nein", erwidert Mercedes-Entwicklungsvor stand Thomas Weber "denn selbst ein Fahrzeug wie die Studie F015 soll ja Fahrspaß bieten, wenn es gewünscht wird." Wir wähnen uns in einer Endlosschleife – und wissen noch immer nicht so recht, was wir von dem Assistenzsystem-Hype halten sollen.

Es bleibt die Befürchtung, dass jede neue Ausbaustufe der Elektronik stets aktiv sein wird, zumindest teilweise. Und dann das: Ein Audi-Termin, man lobpreist den neuen R8. Zu vorgerückter Stunde lässt ein Ingenieur nebenbei fallen, dass bei künftigen Modellgenerationen ESP vollständig deaktivierbar sein wird – und zwar wirklich bei allen Audi-Modellen, vom Basis-A1 bis zum High-End-R8. Warum? "Weil es immer mehr Kunden so wünschen." Da schau her. Warum wollen die Kunden das wohl? Etwa weil sie immer mehr das Gefühl haben, von der Technik zum Statisten degradiert zu werden?

Zurück zu den Wurzeln

Klar, ein einfacher Tastendruck wird das ESP nicht in die Ferien schicken. Der Fahrer soll sich im Klaren sein, was er tut – obwohl er die wirklichen Folgen oft kaum abschätzen kann. Dennoch: Ein vollständig abschaltbares ESP ist der erste Schritt, dem Automobil seine Autonomie zurückzugeben. Und seinem Fahrer das Bewusstsein, dass es an ihm liegt, sich sicher im Straßenverkehr zu bewegen.

Ausgerechnet Audi, ein Hersteller, der die ESP-Regelalgorithmen perfektioniert hat! Ich kann das immer noch nicht glauben. Aber, wie gesagt, abseits der Rennstrecke sind wir bei sport auto offenbar nicht immer die Schnellsten …