LMP1 Saison 2014
Das sind die neuen Regeln für die Prototypen

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Am 20. April 2014 fahren die neu entwickelten LMP1-Prototypen von Audi, Porsche und Toyota erstmals in Silverstone gegeneinander. Das neue Reglement ist komplex, daher hat sport auto den ehemaligen FIA-Ingenieur Peter Wright gebeten, die kniffligen Vorentscheidungen bei der Motor- und Hybridtechnik zu skizzieren.

Le Mans, LMP1-Klasse, Audi R18
Foto: John Brooks, Shimpei Suzuki

Jede Reglementveränderung im Motorsport ist für Ingenieure und Techniker eine Prüfung der Geschicklichkeit und des Könnens. Doch kommendes Jahr geschieht im Langstreckensport etwas Außergewöhnliches, das weit über eine plumpe Veränderung herausgeht. Der Sport in der LMP1-Klasse erfährt einen Paradigmenwechsel: Bisher zählte nur pure Performance, jetzt wird die Performance in Relation zur Energiemenge gesetzt - was den Fokus drastisch in Richtung Effizienz verschieben wird.

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Ingenieure haben Freiheit bei der Wahl von technischen Lösungen

Ähnliches passiert 2014 zwar auch in der Formel 1, doch im Unterschied dazu lässt das Reglement in Le Mans den Ingenieuren viele Freiheiten bei der Wahl ihrer technischen Lösungen. Schon in der Vergangenheit wurden in Le Mans zum Beispiel unterschiedliche Motorkonzepte über die sogenannte Balance of Performance (BOP) gegeneinander austariert, wodurch keine Technologie die andere überrennen oder dominieren sollte.

Doch für 2014 wird die Aufgabenstellung für die Hersteller noch einmal deutlich komplexer, denn BOP allein genügt nicht mehr,  um die unterschiedlichen Konzepte unter einen Hut zu bringen. Jetzt müssen beim Antrieb fünf Einflussgrößen in Relation zueinander gesetzt werden: Zum einen die Energiedichte des Kraftstoffs, dann die erlaubte Energiemenge pro Runde, dazu die maximale Durchflussrate sowie die Tankgröße, und schließlich auch noch jene Energiemenge, die über das Hybridsystem eingespeist wird.

Die Kraftstoffe und ihre Energie sind die beiden Kernparameter, die vom Reglementgeber ACO über einen sogenannten Technologie-Faktor bewertet werden. Dieser Faktor besteht aus einem Kraftstofftechnologiefaktor, der Spezifikation und Energiedichte bewertet, sowie einen sogenannten K-Technologie-Faktor, der das Gewicht der unterschiedlichen Motorkonzepte und Hybridsysteme in die Gleichung einfließen lässt, zum Beispiel den Umstand, dass Dieseltriebwerke konzeptbedingt mehr wiegen als Benziner.

Beim Motor in der LMP1-Klasse ist fast alles erlaubt

Nur über diese komplexen Berechnungsmodelle ist es möglich, den Herstellern eine echte Wahl bei den technischen Konzepten zuzugestehen. Und die Wahlmöglichkeiten in der LMP1-Klasse sind 2014 weit gefächert, beim Motor ist fast alles freigestellt: Anzahl der Zylinder; Hubraum; Turboaufladung oder freie Ansaugung; Einspritzdruck; Wahl zwischen Diesel oder Benziner; Verdichtungsverhältnis; hoher Ladedruck (bis zu 4 bar); kein Drehzahllimit und keine Restriktoren.

Auch bei der zweiten Energiequelle, den Hybridsystemen, haben die Hersteller die Qual der Wahl. Sie können maximal zwei Systeme verwenden, die Energie kann an einer oder an beiden Achsen rekuperiert und wieder eingespeist werden, und die Form der Energiespeicherung ist ebenfalls kaum beschnitten - vom Schwungrad über Batterien bis zu Kondensatoren ist alles denkbar.

Dazu kann der Hersteller je nach Konzept und Packaging entscheiden, wie viel Energie er über die Hybridsysteme bereitstellen will, die Spanne reicht in vier Klassen von zwei bis acht Megajoule pro Runde in Le Mans und hat dann wiederum Rückwirkungen auf die Energiemenge, die dem Verbrennungsmotor pro Runde zugestanden wird (siehe Tabelle).

Um zu bestimmen, welches Motorkonzept theoretisch die besten Voraussetzungen bietet, haben die Hersteller im ersten Schritt ihre Simulationsrechner mit diesen Performancefaktoren gefüttert, dazu die beste zur Verfügung stehende Motor- und Hybridtechnik und die sich daraus ableitenden Rahmenbedingungen wie Leistung, Gewicht und Effizienz eingesetzt.

Vermutlich sind die Hochleistungsrechner in den Sportabteilungen der Hersteller in der Konzeptphase ganz schön ins Glühen geraten, denn obendrein müssen auch noch Aspekte wie Aerodynamik und Reifen in die Simulation einbezogen werden.

Knifflige Gewichtungsfrage

Dazu stehen die LMP-Hersteller vor einer wirklich kniffligen Gewichtungsfrage bei der Rennstreckensimulation. Denn hier gilt es, die ganz speziellen Anforderungen der Strecke in Le Mans (lange Geraden, hohe Topspeeds) in Deckung zu bringen mit den völlig anders gestrickten Anforderungen, die sich auf den restlichen sieben Rennstrecken des Sportwagen-WM-Kalenders ergeben.

Die im Kasten unten aufgeführten Balancewerte von ACO und FIA basieren auf den Diskussionen mit den Herstellern, Prüfstands-Tests sowie Simulationen. Dies wird eventuell noch ergänzt um ein virtuell designtes LMP1- Referenzfahrzeug, das die Mittellinie der Performance definieren und die Einstufung der neuen Fahrzeuge von Toyota, Audi und Porsche erleichtern soll.

Die spannende Frage lautet: Zu welchen Ergebnissen sind die Hersteller auf Basis dieser noch vorläufigen Balancewerte und ihrer Simulationen gekommen? Welche technischen Lösungen werden sie bei der Motorisierung und bei der Hybridtechnik wählen, um in der Saison 2014 die maximale Wettbewerbsfähigkeit sicherzustellen?

Toyota bleibt beim freisaugenden V8-Benziner - ein Fehler?

Toyota hat in der LMP1-Klasse bisher auf einen frei saugenden V8-Benzinmotor gesetzt, und die Gerüchteküche sagt recht eindeutig, dass die Bosse in Japan diesem Konzept treu bleiben wollen.

Angeblich soll das neu konstruierte Triebwerk auch über den gleichen Hubraum wie bisher, also 3,4 Liter, verfügen. Unter Fachleuten stößt diese Entscheidung auf Unverständnis, denn die neue Benzinspezifikation für 2014 soll als sogenannter Designer-Kraftstoff mit einem Fokus auf erhöhte Klopffestigkeit massive Vorteile für Turbo-aufgeladene Motoren bieten und deren Effizienz sogar annähernd auf das Niveau der Dieseltriebwerke katapultieren. Die frei saugenden Motoren würden davon angeblich weit weniger profitieren.

Stimmt diese These, so hätte Toyota eventuell die falsche Wahl getroffen. Aus Sicht der Japaner steckt hinter der Entscheidung aber eine gewisse Logik, denn Toyota setzt auch bei den Straßenfahrzeugen mit Hybridtechnik ausschließlich auf Saugmotoren, während in Europa das Thema Downsizing über kleinvolumige Turbomotoren tonangebend ist. Noch offen ist die Frage, ob der Toyota-V8 über eine Direkteinspritzung verfügen wird.

Supercaps als optimale Lösung

Beim Hybridsystem wechselt Toyota auf die maximal erlaubte Energiemenge von 8 MJ pro Runde bei Verwendung von zwei ERS-Systemen (Energy Recovery Systems), verteilt auf beide Achsen. Damit setzt Toyota 2014 also auf Allradantrieb, wenngleich die Japaner bisher leugnen, das Motorabgassystem in die Rekuperation einzubinden.

Bei angestrebten Rundenzeiten in Le Mans von 3.30 Minuten werden die neuen LMP1-Autos fast 60 Sekunden auf der Bremse verbringen, so könnten allein über Bremsrekuperation an beiden Achsen bis zu 11 MJ gewonnen werden, was bei dem leistungsstarken Toyota-Speichersystem mit Superkondensatoren reichen würde, um zirka 18 Sekunden pro Runde im Boost-Modus zu fahren. Dazu gelten die Superkondensatoren in Bezug auf Schnelligkeit von Ladung und Entladung als optimale Lösung.

Porsche in der LMP1 angeblich mit V4-Turbo-Motor

Die Kommunikation zu den technischen Details des Porsche-LMP1-Programms fällt deutlich dürftiger aus. Klar ist, dass Porsche auf einen kleinvolumigen Benzinmotor mit Turboaufladung setzt, der wohl über Direkteinspritzung verfügt. Hubraum und Anzahl der Zylinder stehen in Abhängigkeit zur erlaubten Durchflussmenge, in diesem Fall zwischen 93 und 87,3 Kilogramm pro Stunde, je nachdem, in welcher ERS-Klasse Porsche antritt. Die Rede ist von einem extrem kompakten V4-Turbo mit einem Hubraum unter zwei Litern und relativ hoher Verdichtung.

Dies deutet daraufhin, dass sich Porsche darauf konzentriert, den maximalen Nutzen aus den für 2014 gültigen Kraftstoff-Spezifikationen zu holen, deren Oktanzahl über jenen der Formel 1 liegen wird, auch weil Kraftstofflieferant Shell für die LMP1-Klasse einen E20-Sprit an den Start bringen wird, während der Anteil der Bio-Komponenten im Formel 1-Sprit auf nur 5,75 Prozent festgeschrieben ist.

Es gilt als offenes Geheimnis, dass sich Porsche in den Reglementverhandlungen extrem stark für den Designer-Kraftstoff eingesetzt hat – der den Turbotriebwerken deutliche Vorteile verschaffen sollte. Auch auf Grund des kleinen Hubraums wird Porsche wohl in der höchsten Klasse bis 8 MJ antreten. Die beiden ERS-Systeme sollen sich aus der Bremsenergie und dem Motorabgas speisen und angeblich auch über beide Achsen wieder abgegeben werden. Bei der Energiespeicherung setzt Porsche auf sogenannte Industriebatterien, die vom amerikanischen Spezialisten A123 stammen.

Audi wahrscheinlich weiterhin mit 6 Zylinder-Diesel

Dritter Hersteller – drittes Konzept: Audi bleibt beim Dieselmotor, doch die Lippen von Motorenchef Ulrich Baretzky sind fest verschlossen, wenn es um die Spezifikation geht. Der Motor ist auf jeden Fall eine Neukonstruktion, mit abermals verringertem Hubraum. Experten tippen darauf, dass es bei sechs Zylindern bleibt. Bei den ERS-Systemen könnte es zwischen den beiden deutschen Herstellern in der Turbofraktion Parallelen geben, denn beide Marken werden vermutlich die Abgase nutzen, um Energie zurückzugewinnen.

Die große Frage ist, ob Audi auf das maximale Niveau von 8 MJ geht, denn der Dieselmotor ist schwerer und hat einen größeren Kühlbedarf als die Benzinmotoren, was den Packaging-Spielraum für das Hybridsystem einschränkt. Die Vermutung lautet, dass Audi beim Schwungmassenspeicher bleiben wird.

Niemals war die Anzahl der Variablen und der vom Reglement gewährten Freiheiten jedenfalls größer als 2014 - für die Ingenieure eine Prüfung ihrer Geschicklichkeit und des Könnens.