Der Peugeot 204 im Fahrbericht
Unterwegs mit einer Zeitmaschine

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Eine fast neuwertige, 30 Jahre alte Peugeot 204-Limousine mit 20.000 Kilometern auf der Uhr? Gibt es nicht? Gibt es doch - durfte Thorsten Karl feststellen, als er seinen weißen Viertürer entdeckte. 

Peugeot 204
Foto: Uli Jooß

Bei Marcel Proust ist es ein Stück Madeleine, aufgelöst in einem Schluck Tee, das dem Romancier eine vergessene Welt voller Erinnerungen wieder erschließt. Der verstaubte Innenraum eines Peugeot 204, der den größten Teil der letzten 30 Jahre in einer trockenen Garage verbracht hat, kann das ebenso gut. "Er roch genau wie der 304 meiner Tante", erinnert sich Thorsten Karl an die erste Begegnung mit der weißen 204-Limousine, die heute so makellos dasteht, als sei sie aus einem Peugeot-Showroom von 1975 ins Rheingau des frühen 21. Jahrhunderts gebeamt worden.

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Keine Spur von Rost verunziert die Wellblechverkleidungen über den Schwellern, der Chrom der Radkappen auf den viereinhalb Zoll schmalen Felgen glänzt genauso makellos wie die mit Gummi verzierten Stoßfänger und der goldene Löwe auf dem plastikschwarzen Kühlergrill. Der im Übrigen diesen 204 als ganz späten Typ nach dem letzten Facelift für das Modelljahr 1975 ausweist. So sauber und vom Zahn der Zeit, der ja an französischen Automobilen besonders heftig nagen soll, unversehrt, präsentiert sich auch das Interieur.

Das Interieur des Peugeot 204 wirkt wie neu

Die braunen Polster, das schmucklose Lenkrad, der vorwitzige Schalthebel - alles wirkt so, als sei es höchstens für Überführungsfahrten benutzt und angefasst worden. Der Kilometerzähler weist gerade mal 22.000 Einheiten auf, von denen Besitzer Karl seit dem Kauf im Herbst vergangenen Jahres etwa 2.000 selbst zurückgelegt hat. Das Kundendienstheft belegt den seltenen Einsatz des Peugeot. Die 5.000er-Durchsicht fand 1980 statt, neun Jahre später stand der 10.000er-Kundendienst auf dem Plan. Die meisten dieser Kilometer dürfte die kleinen Limousine auf den ruhigen Landstraßen des Odenwalds zurückgelegt haben, glaubt Thorsten Karl.

Denn das Geheimnis hinter dem unglaublich guten Zustand des Peugeot ist eine dieser bizarren Geschichten, wie sie das Leben manchmal für besonders Glückliche bereit hält: Für glückliche Autos, denen ein längeres Leben beschieden wird als üblich. Und glückliche Menschen, die so ein Auto unverhofft entdecken. Thorsten Karl kennt die Geschichte nur aus den Erzählungen des Verkäufers. Karl entdeckte den 204 in einer Internet-Gebrauchtwagenbörse, die er gelegentlich nach alten Peugeot durchforstet. Denn nicht nur seine Tante fuhr die Löwenmarke.

Der Peugeot 204 gehörten zwei Damen ohne Führerschein

Die ersten Jahre erlebte er zum Teil auf dem Rücksitz des väterlichen 504. Der Peugeot, so erinnert sich Karl an sein denkwürdiges Verkaufsgespräch, habe der Großmutter des Verkäufers gehört, die zusammen mit ihrer Schwester ein Haus im Odenwald bewohnte. Einen Führerschein hatte keine der beiden. Sie kauften die weiße Limousine nur, um sich vom freundlichen Nachbarn bei schönem Wetter chauffieren zu lassen. Eine verlorene Haarnadel, die Karl beim Reinigen unter den Sitzen fand, ist die einzige Spur der Besitzerinnen, die 1975 beim Peugeot-Vertragshändler 7.660 Mark für den 204 in Basisausstattung ausgaben. Ein Schiebedach, für wohlfeile 125 Mark in der Aufpreisliste geführt, kam als Extra dazu. Doch auf ein Radio verzichteten die Damen.

Vielleicht haben sie selbst gesungen. Nach dem Tod der Damen parkte der Peugeot in der Garage des Häuschens. Dort muss er mehrere Jahre gestanden haben, bevor er im vergangenen Jahr als Teil der Erbmasse verkauft wurde. "Das Auto war völlig verstaubt, und die Reifen dürften noch die Erstausrüstung von 1975 gewesen sein", erinnert sich Karl. Nach kurzem Verhandeln einigten sich Verkäufer und Interessent. Der Peugeot kam nach 29 Jahren in die zweite Hand. Und dort dürfte er ähnlich lang verweilen. Denn Thorsten Karl hegt in seinem Fuhrpark neben dem Peugeot als Neuzugang eine Citroën DS sowie einen NSU 1000. "Eigentlich war ich auf der Suche nach einer 504-Limousine, weil ich schließlich aus einer Peugeot-Familie stamme. Aber dem 204 konnte ich einfach nicht widerstehen", erzählt der Journalist aus Wiesbaden.

Der Peugeot ist eine Zeitmaschine

Für eine kurze Probefahrt überlässt er das Volant dem Motor Klassiker und erzählt, dass es schon einige Standschäden zu beseitigen galt, bevor der 204 wirklich so gut dastand. Reifen, Keilriemen, Bremsen und alle Flüssigkeiten mussten natürlich getauscht werden. Und auch heute gibt sich die betagte Dame aus Sochaux manchmal zickig, wenn hohe Temperaturen und niedriges Tempo zu Dampfblasenbildung in der Benzinleitung führen. Dann will sie etwas ruhen und abkühlen, bevor der kleine Alu-Vierzylinder den Betrieb wieder aufnimmt als sei nichts gewesen. Keiner nimmt es ihr übel. Denn sie entschädigt mit einem Fahrerlebnis, das so intensiv und authentisch ist, wie es kein noch so perfekt restauriertes Auto vermitteln kann. Der Peugeot ist eine Zeitmaschine. Die Besatzung erfährt buchstäblich, wie sich ein Neuwagen 1975 angefühlt haben muss.

Die Lenkradschaltung funktioniert so sahnig und exakt, dass man sich fragt, warum sie ausgestorben ist. Der Motor klingt hell - ein wenig nach Alfa 1300 mit zwei Schalldämpfern. Und die schmalen Pneus an ihren langen Federn schweben so sanft über die Sträßchen zwischen den Weinbergen, wie es nur einer französischen Limousine mit fast 2,60 Meter Radstand gelingen kann. Womöglich wäre Marcel Proust, so sinnieren wir auf der Suche nach der verlorenen Zeit, heute Peugeot-Fahrer.

Technische Daten
Peugeot 204 1.1
Außenmaße3990 x 1560 x 1400 mm
Höchstgeschwindigkeit141 km/h