Mercedes-Benz 450 SEL im Fahrbericht
Chauffeurswagen mit allen Extras

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Mit dem W221 debütierte auf der IAA im Jahr 2005 die achte Generation der S-Klasse von Mercedes-Benz. Motor Klassik unternahm eine Fahrt im 450 SEL W116 von 1978 um an die Wurzeln des Mythos S-Klasse zu erinnern.

 Mercedes 450 SEL
Foto: Uli Jooß

Mercedes-Freunde, so sagt man nicht ganz ohne Grund, seien am Ausstattungs-Line-up ihres Autos mehr interessiert als am Zustand. Was stören schon rostige Radläufe oder löchrige Schweller, wenn so begehrte Goodies wie Velourspolster, Mikrofaden-Heizscheibe, Tempomat oder das elektrische Stahlschiebedach an Bord sind?

Radläufe lassen sich ersetzen, Schweller schweißen. Doch nachgerüstete Ausstattungsextras sind nur halb so gut wie werksseitig montierte. Schließlich verließ so mancher Mercedes-Benz der 70er Jahre die Sindelfinger Bänder in nackter Grundausstattung. Deren Interieur mag so heimelig gewirkt haben wie damals der Führerstand eines Straßenbahn-Triebwagens. Denn die Liste der möglichen Sonderausstattungen war schon bei der Markteinführung des W 116 so umfangreich, dass sich der Einstandspreis eines 280 S mühelos verdoppeln ließ. Und serienmäßig an Bord war nur das zum Fahren Allernötigste.
 
Der Mercedes-Benz 450 SEL hatte jede Menge Zusatz-Optionen
 
Wie viel Geld der Nachbar tatsächlich für seinen neuen 116er locker gemacht hatte, offenbarte sich erst bei näherer Betrachtung. Besonders dann, wenn der Mercedes-Käufer die beliebte und kostenfreie Option „Entfall Typenbezeichnung auf Heckdeckel“ gewählt hatte. Dem Schweizer Direktor, der den astralsilbernen 450 SEL auf diesen Seiten 1978 bestellt hatte, dürften neidische Blicke dagegen ziemlich egal gewesen sein. Er beließ den prestigeträchtigen Schriftzug auf dem Kofferraumdeckel und bestellte aus dem reichhaltigen Ausstattungskatalog so ausgefallene Extras wie Lederfauteuils in Bambus und die exotische, extrem aufwändige Klimatisierungsautomatik, die per se in der Preisliste von 1978 mit 3.416 Mark aufgeführt wird.

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Hingegen sparte Herr Direktor am Arbeitsplatz seines Chauffeurs: Der SEL-Lenker muss in diesem Fall auf Tempomat und Drehzahlmesser verzichten. Immerhin ist sein Sessel genauso mit Leder tapeziert wie die Sitzbank im Fond. Und der Chef spendierte eine Mittelarmlehne, während er sich selbst eine elektrisch verstellbare Fondsitzbank gönnte.

Der Mercedes 450 SEL ist als Chaffeurswagen ausgelegt
 
In den Genuss der temperierten Luft kommt der Fahrer sowieso. Denn das ist vielleicht das Überraschendste am ehemaligen Schweizer Direktionswagen, der beim Mercedes-Spezialisten Böhringer zum Verkauf steht: Die als unzuverlässig und kapriziös verrufene Klimaautomatik fächelt so unaufgeregt kühle Luft in den SEL, als befände der sich noch auf der Überführungsfahrt Sindelfingen-Zürich. Nur das etwas laute Gebläse erinnert daran, dass die Kühlanlage doch fast 30 Jahre im Dienst ist. Womöglich fühlt man sich im Fond geborgener als hinter dem großen Volant mit der 1972 innovativen Prallplatte. Doch auch in diesem, als Chauffeurswagen ausgelegten, großen Mercedes ist der beste Platz vorn links.
 
Das Lenkrad liegt auch dann noch gut zur Hand, wenn der Fahrersitz so weit nach vorn gerückt wird, dass die Vorstandssekretärin neben dem Chef die Beine übereinander schlagen könnte. Das „L“ in der Typenbezeichnung steht hier für „lang“. Und das ist ernst gemeint. Satte zehn Zentimeter mehr Radstand weist die Langversion auf, wobei der Zuwachs zur Gänze dem rückwärtigen Abteil zugute kommt. Bis zur B-Säule sind SE- und SEL-Karosserie identisch. Zudem haben es die Mercedes-Stylisten um Chef Karl Wilfert so gut wie bei keinem anderen Mercedes verstanden, das Längenwachstum zu kaschieren. Ob nun ein 450 SE oder SEL vor dem Betrachter steht, können nur wirkliche Kenner auf Anhieb sagen. Dabei passte diese Bescheidenheit so gar nicht zum forschen Auftritt des W 116.
 
Üppiger Chromschmuck, prägnante Scheinwerfer und ein ausladender Kühler, der eigentlich schon bei der Heckflosse ein Anachronismus war, dokumentieren überdeutlich das noch ungetrübte Mercedes-Selbstverständnis jener Tage: Wir bauen die besten Autos der Welt. Dass das freilich für den Korrosionsschutz nur sehr eingeschränkt galt, macht zwar heute der Sammlerszene Sorgen, spielte aber 1972 eine eher untergeordnete Rolle. Nicht zuletzt deswegen musste auch die Baureihe W 116 durch ein finsteres Tal der Tränen und Rostblasen schreiten, bevor sie zum Sammelgebiet wurde. Der 1979 präsentierte Nachfolger W 126, schon unter der Federführung von Bruno Sacco entstanden, degradierte den 116 mit einer betont nüchternen, aerodynamisch ausgefeilten Form über Nacht zum alten Auto. Zwar hielt sich der 116 bis weit in die Ära Kohl im Bonner Regierungsfuhrpark.

Serienmäßige Dreigang-Automatik des Mercedes 450 SEL arbeitet problemlos
 
Doch auf den profaneren Straßen der Republik waren es längst die Halbseidenen und Hinterhoftuner, die den großen Mercedes fuhren. Sie schraubten billige Alus drauf, schwärzten Kühler, schnitten Glasdächer rein, Und auf den Sitzbänken verschlissen Rottweiler und Pitbulls das Velours. Ein paar Weitsichtige gab es freilich damals schon, die nach gut erhaltenen 116ern Ausschau hielten, sie vorsichtig fuhren oder wegstellten. Und so mancher starrsinnige Chef mag sich 25 Jahre lang geweigert haben, den alten SEL gegen einen neuen auszutauschen. So muss es auch im Fall des 450 SEL aus der Schweiz gewesen sein, der bis heute nur rund 150.000 Kilometer zurückgelegt hat. Einige Lackmängel und kleine Blessuren erinnern an die 27 Dienstjahre des SEL, doch technisch ist der wohl gepflegte Daimler kerngesund. Was nicht zuletzt auch die intakte Klimaautomatik belegt.
 
Der Achtzylinder nimmt unauffällig grummelnd die Arbeit auf, das serienmäßige Dreigang-Automatikgetriebe schaltet weich und ruckfrei. Beide waren schließlich alte Bekannte, als sie 1973 den Weg in den W 116 fanden. Der Achtzylinder hatte 1969 im Vorgängermodell W 108 als 3,5-Liter debütiert. Für den US-Markt war auch schon der 4,5-Liter verfügbar. Im W 116 leistet der 4.520 Kubikzentimeter große V8 225 PS – was natürlich keine atemberaubende Literleistung ist. Das Entwicklungsziel waren auch eher sattes Drehmoment und überragende Laufkultur. So stellt sich, heute unterwegs im 450, mitunter das Gefühl ein, der Achtzylinder würde etwas überfordert gegen die weiche Wandlerauslegung und die fast zwei Tonnen Leergewicht ankämpfen. Dann wird der Motor ein wenig laut und klingt leicht angestrengt. Man versteht, warum die 116er-Kunden der ersten Stunde den 300 SEL 6.3 ein wenig vermissten.
 
Für diese ganz leistungshungrige Klientel gab es ab 1975 den 450 SEL 6.9, der mit seinem vergrößerten M100-Achtzylinder alle Leistungsdiskussionen nachhaltig beendete. Auch der Blick auf die nackten Zahlen bestätigt, dass der 450 nicht ganz so überlegen war, wie man vermuten könnte. Der Sprint von null auf Hundert und die Endgeschwindigkeit des 450 SEL lagen ziemlich genau auf dem Niveau der leistungsschwächeren Brüder 280 SE und 350 SE. Handgeschaltete Exemplare konnten den 450 gar die Schranken weisen. So benötigte der 450 SEL im ersten Test in auto motor und sport 20 von 1973 10,5 Sekunden auf 100 km/h und lief genau 211,8 km/h schnell.

Der Komfort des Mercedes 450 SEL war entscheidend
 
Ein 185 PS starker 280 SE absolvierte den Spurt in 9,7 Sekunden und erreichte 204,5 km/h. Ein Klassenunterschied ist das kaum. Der offenbart sich im direkten Fahrvergleich: Autobahnsteigungen und Zwischenspurts, die ein 280 nur mit durchgedrücktem Gaspedal und hektisch zurückschaltender Viergangautomatik bewältigt, erfordern im 450 kaum mehr als etwas nachdrücklicheres Gasgeben. Und wenn man es dabei nicht zu toll treibt, bleibt der Achtzylinder immer noch leiser als die Klimaanlage. Dieses Plus an Souveränität war nicht wenigen Zeitgenossen einen Aufpreis von rund 15.000 Mark wert, also in etwa den Gegenwert zweier Standard-Käfer. Immerhin entschieden sich 59.578 Käufer für den 450 SEL, was ihn zum meistgebauten Achtzylinder der Modellreihe befördert. Der 25.000 Mark teure Sprung zum 6.9 war den allermeisten dann wohl doch zu groß.
 
Schließlich hätte die Differenz locker für ein 123er-Coupé für die Gemahlin gereicht. Viel wichtiger als nüchterne Autoquartett-Zahlen waren den Bestellern in den Vorstandsetagen ohnehin die Komfortqualitäten der verlängerten Limousine. Was sie wiederum mit den Sammlern von heute verbindet. Wenn ein 450 SEL nach heutigen Maßstäben bestenfalls ordentlich motorisiert ist, ist sein Komfortangebot immer noch aller Ehren wert. Vergleiche mit modernen Luxuslimousinen braucht er nicht zu scheuen. Ja doch, die schwere Fuhre neigt sich bei schnellerer Kurvenfahrt weit nach außen. Doch wie der große Mercedes über schlechte Straßen, Frostaufbrüche und lange Bodenwellen schwebt, das ist schon sehr beeindruckend. Und die Lenkung ist zwar ein wenig indifferent, andererseits unerhört leichtgängig und stoßfrei. Auf die Luftfederung des Vorgängers kann der 116er gut verzichten.
 
Schließlich verfügt er über das wohl aufwändigste Fahrwerk, das einem Serien-Mercedes bis dahin vergönnt war. Vorn kommt die Doppelquerlenker-Aufhängung des C111 zum Einsatz, hinten ersetzt die Schräglenkerachse des W107 und Strichacht die Eingelenk-Pendelkonstruktion des W108/109. Wie um sprachlich zu dokumentieren, dass die lange Treue zur Pendelachse kein technisches Versäumnis war, erhielt die neue Konstruktion den Namen Diagonal-Pendelachse. Das kann dem heutigen Mercedes-Freund, der das Glück hat, einen gut erhaltenen W 116 mit passender Ausstattung zu finden, herzlich egal sein. Zumal dann, wenn es ein 450 SEL ist. Denn der 450 ist das vielleicht ausgewogenste und begehrenswerteste Modell einer Baureihe, die in den letzten Jahren vom Gebrauchtwagen zum Kult-Youngtimer avanciert ist. Ein 116er gefällig? Ja bitte, aber nur einen 450 SEL mit Klimaautomatik. Am besten in Milanbraun, mit Velours Brasil, Stahlrädern mit Radkappen und ohne Schiebedach. Sie merken schon, das ist ansteckend!

Technische Daten
Mercedes 450 SEL
Außenmaße5060 x 1870 x 1430 mm
Höchstgeschwindigkeit212 km/h