Saab 99 1,7
Der sichere Individualist

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Die Autos des Flugzeugbauers Saab überzeugen durch ihre skurrile Note. Die Viertakt-Urtypen 96 und 99 sind aerodynamisch günstig geformte Fronttriebler - solide gebaut, langlebig und praktisch im Alltag. Der Typ 99 bedeutet einen mutigen Schritt in die Mittelklasse, den er durch hohen konstruktiven Aufwand rechtfertigt, meint ams-Tester Manfred Jantke in seinem Test in auto motor und sport Ausgabe 17/1969.

Saab 99, Seitenansicht
Foto: Archiv

Saab-Autos verraten, dass über viele Details sehr intensiv nachgedacht wurde, und sie geraten daher immer recht individuell - wie der Saab 99, dessen Projektierung in das Jahr 1962 zurückreicht. Der schwedische Produkt-Designer Sixton Sason, bekannt durch die Hasselblad, zeichnete wieder ein ungewöhnliches, aber aerodynamisch gut ausgebildetes Automobil.

Saab 99 macht auf Understatement

Der Saab ist kein Auto für Leute, die nach Repräsentation heischen; vielmehr würde man ihn nach seiner äußeren Erscheinung eine Preisklasse tiefer einstufen. Auch ist seine Karosserieform nicht auf Anhieb schön. Nur wer sie mit den Augen des Individualisten genauer betrachtet, wird an der Originalität seine Freude haben. Bei der Formgebung spielten die Gesichtspunkte der Aerodynamik und der Sicherheit die dominierende Rolle. Auch der Saab 99 besitzt eine stabile Karosseriezelle mit kräftigen Holmen unter den Türen und entlang den Dachseiten.

Unsere Highlights

Für die Motorhaube hat Saab ein etwas kompliziertes, doppelt gesichertes Entriegelungssystem entwickelt. Spezielle Sicherheitstürschlösser, Sollbruchstellen in der Lenksäule, ein nachgiebiges Instrumentenbrett und serienmäßige Dreipunkt-Sicherheitsgurte für die Vordersitze sind weitere Beiträge für eine hohe passive Sicherheit. Nicht einmal zum Einbau eines Make up-Spiegels in der Sonnenblende konnten sich die Saab-Leute aus Sicherheitsgründen entschließen. Innen findet sich mehr Platz, als man von außen vermuten würde. Vor allem auf den Rücksitzen stehen mehr Kopf- und Kniefreiheit zur Verfügung als in gleich großen Wagen.

Etagen-Bauweise

Die Vornsitzenden müssen im Saab 99 nur dann ein Stückchen vorrücken, wenn hinten ausgesprochene Langbeiner Platz nehmen. Saab hat mit Hilfe einer kurzen, weit vorgeschobenen Antriebseinheit (Getriebe unter dem Motor) einen überdurchschnittlich langen Innenraum geschaffen.

Ein Quell andauernden Fahrgenusses sind die bequemen, mit sympathischem Polsterstoff bezogenen Sitze. Lediglich die Sicht auf Ampeln ist durch das weit vorgewölbte Dach erschwert, und bei Parkmanövern kann der Fahrer das abfallende Heck des Saab 99 nicht sehen. Um die Windgeräusche bei hohem Tempo gering zu halten - was beim Saab gelungen ist - wurde auf eine aerodynamische Durcharbeitung der Karosseriedetails großer Wert gelegt.

Alle Bedienungshebel des Saab 99 sind zweckmäßig, teilweise aber unkonventionell angeordnet. Das beginnt beim Zündschlüssel, mit dem man zunächst nichts anzufangen weiß: Sein Platz ist nämlich zwischen den Vordersitzen. In Parkstellung funktioniert das Zündschloss als Getriebeschloss, weshalb man den Zündschlüssel nur bei eingelegtem Rückwärtsgang abziehen kann. Daran muss man sich erst gewöhnen.

Türen schließen mit Geldschrankeffekt

Die Karosseriequalität ist gut. Auch beim neuen Saab schließen Türen und Kofferraumhaube durchaus noch mit dem geschätzten Geldschrankeffekt.

Bekanntlich gehört auch bei Saab die Zweitaktepoche der Vergangenheit an. Der Saab 99 hat einen modern konzipierten Viertakt-Reihenvierzylinder mit obenliegender Nockenwelle. Dieser Motor hat eine Geschichte: Sein Entwurf stammt von den Verbrennungsexperten der britischen Firma Ricardo Engineers, und seine Entwicklung zur Serienreife betrieben die Konstrukteure von Saab und der britischen BLMC, sprich Triumph, gemeinsam.

Der britische Partner hat auch die Produktion der Maschine übernommen, obgleich er sie noch nicht in einem eigenen Typ verwendet, was vertraglich aber vereinbart ist. Die Stärken der Maschine sind Laufruhe und Geschmeidigkeit in allen Bereichen, weniger eindrucksvoll ist die Leistung. 80 PS aus 1.700 cm3 Hubraum bedeuten heute in der Mittelklasse Mittelmaß. Allerdings ist der Saab 99 nicht lahm, sondern drehfreudig in den Gängen und mit 155 km/h auch nicht langsam. Der moderne Zenith-Stromberg-Vergaser vermittelt ausgezeichnete Übergänge in allen Drehzahlbereichen. Eine stärkere 1,85-Liter-Version ist schon in Arbeit.

Gute Getriebeabstufung aber hakelig zu schalten

Im Übrigen macht die Maschine des Saab 99 einen soliden, ausgereiften Eindruck. Sie verfügt über gute Start- und Kaltlaufeigenschaften, ist recht sparsam und bescheiden im Ölverbrauch. Das vollsynchronisierte Vierganggetriebe ist unten an den Motorblock angebaut. Die Kraft fließt an der Stirnseite des Motors in die Kupplung und über eine Zahnradübertragung hinunter in das Getriebe.

Durch eine günstige Gangabstufung ergeben sich, im Verbund mit dem drehfähigen Motor, ausgezeichnete Reichweiten in den Gängen. Mit der Schaltung, betätigt durch einen langen Mittelschalthebel, liegt es dagegen noch im Argen: Beim Gangwechsel stößt man häufig auf einen hakenden Widerstand, der gefühlsmäßig eher in der Schaltübertragung als in der Getriebe-Synchronisierung zu suchen ist.

Stoischer Frontantrieb

Ihre Frontantriebstradition setzt die Firma Saab auch beim Typ 99 fort, wie sich überhaupt die Fahrwerkskonstruktion stark an den bewährten und bekannt fahrsicheren Typ 96 anlehnt. Eine vordere Einzelradaufhängung mit doppelten Querlenkern und Schraubenfedern und eine leichtgewichtige, gut geführte hintere Starrachse mit Längslenkern, Schubstreben und Panhardstab sowie ebenfalls Schraubenfedern kennzeichnen die Konstruktion.

Da die komplette Antriebseinheit vor der Vorderachse liegt, trägt diese mit 61 Prozent einen hohen Gewichtsanteil, was sich auf die Traktion der angetriebenen Vorderräder günstig auswirkt. Der Saab 99 besitzt daher eine außerordentliche Wintergängigkeit, die durch die großen 15-Zoll-Räder und serienmäßige Gürtelreifen noch unterstützt wird. Ferner dient die Frontlastigkeit der Richtungsstabilität des Wagens.

Es überrascht daher nicht, dass der  Saab 99 auf jeder Straßenoberfläche und auch bei Seitenwind unbeirrbar seine Richtung hält. In Kurven verhält sich der Fronttriebler logischerweise untersteuernd, in schnell gefahrenen Kurven drängt er also nach außen. Die Tendenz ist aber trotz der hohen Vorderachslast gut dosiert und wirkt nie störend.

Erfreulicherweise bleibt sie auch bei Lastwechseln (plötzliches Gaswegnehmen) weitgehend unverändert, weshalb man sich auch in schwierigen Situationen auf die Fahrstabilität verlassen kann. Genau wie seine Vorgänger ist der neue  Saab 99 ein äußerst fahrsicheres und unproblematisches Auto, in dem sich Anfänger und Routiniers gleichermaßen wohlfühlen.

Saab mit Freilauf und schwergängiger Lenkung

Als Spezialität des Hauses und Relikt aus der Zweitaktzeit besitzt der  Saab 99 noch einen Freilauf, den man nach Belieben ein- oder ausschalten kann. Das geschieht mühelos mit einem Zughebel zwischen den Vordersitzen. Im Freilauf folgt der Wagen nach dem Gaswegnehmen wie ein Seifenkistenauto allein seiner Schwerkraft und rollt je nach Straßenverlauf zügig weiter. In diesem Zustand kann man schalten, ohne zu kuppeln, denn Motor und Getriebe sind getrennt.

Diese Fahrerei ist Gewohnheitssache, zumal die Motordrehzahl beim Gasgeben immer wieder aus dem Leerlauf hinaufschnellen muss. Nicht auf dem letzten Stand der Technik befindet sich die Lenkung dieses Frontantriebswagens, die zwar sehr exakt, aber zu schwergängig agiert. Darüber hinaus werden beim Beschleunigen in Kurven in unangenehmer Weise Antriebseinflüsse im Lenkrad des Saab 99 spürbar.

Bremspedal erfordert Manneskraft

Auch geht die Lenkung des Saab 99 beim Rangieren in der Stadt ziemlich schwer, weshalb die Betriebsanleitung empfiehlt, bei vorwiegendem Stadtverkehr besser Diagonalreifen zu benutzen. Manneskraft erfordert auch das Bremspedal, obwohl ein Servoaggregat mit im Spiel ist.

Doch ist dessen Wirkung eindeutig zu schwach bemessen. Die Bremsen selbst machen einen ausgezeichneten Eindruck, sie ziehen gleichmäßig und sind standfest. Außerdem darf man sich auf ihre Wirkung stets verlassen, weil der  Saab 99 mit dem berühmten Saab Diagonal-Zweikreissystem ausgerüstet ist.

Das bedeutet, dass ein Bremskreis jeweils auf ein Vorderrad und das diagonal gegenüberliegende Hinterrad wirkt, so dass in jedem Fall 50 Prozent der maximalen Bremsleistung erhalten bleiben. Von gleicher Klasse wie die Straßenlage ist der Federungskomfort des Saab 99, der in der Mittelklasse mit zum Besten gehört.

Ruhiges Fahren und hoher Preis

Er bügelt unebene Straßen nicht glatt wie ein knieweicher Franzose, doch sorgt die gut abgestimmte Federung für einen ausgeglichenen Komfort. Angenehm ruhig rollt der gürtelbereifte Wagen auch auf Pflasterstraßen - ein Verdienst guter Fahrwerksisolierung und der steifen, sorgfältig entdröhnten Karosserie.

Auf seinem Weg nach Deutschland hat der Schwede die Zollhürden der EWG zu nehmen und schockt seine Freunde daher mit dem stolzen Preis von 10.600 Mark. Wer ihn kauft, darf indes sicher sein, ein in vielen Belangen überdurchschnittliches Qualitätsauto zu erwerben. Dass es Autos wie den  Saab 99 gibt, ist letztlich erfreulich: Sie sind zwar ein teures Vergnügen, aber ein eindeutiger Weg, um von der Masse wegzukommen.

Der Saab 99 heute

Der wahre Held der von 1968 bis 1987 (zuletzt als Saab 90) produzierten Mittelklasse-Baureihe ist der Saab 99 Turbo mit 235 Nm und 145 PS. Er schrieb als erster Großserienwagen mit aufgeladenem Benzinmotor Automobilgeschichte. Seltene, gut erhaltene Exemplare notieren ab 13.000 Euro.

Gesucht sind außerdem frühe 1700er-Modelle sowie die Sport-Version 99 EMS mit 110 PS und Bosch D-Jetronic (Bild). Die Motoren gelten als robust, das Getriebe ist beim Turbo anfällig. Die Karosserie ist solide verarbeitet und bietet guten Korrosionsschutz. Rostgefährdet sind jedoch die Stoßdämpferaufnahmen sowie der spezielle Rahmentunnel im Bereich des Vorderwagens. Individuelles Understatement und hohe Alltagstauglichkeit sprechen für einen Saab 99.

Preise 2012 (classic-tax): Ein Saab 99 von 1972 mit 100 PS-2 Liter-Motor, 100 PS, liegt im Zustand 2 bei rund 8.600 Euro. Im Zustand 4 werden etwa 1.100 Euro fällig.

Saab 99 - Clubs und Spezialisten

  • Erster Deutscher Saab-Club e. V., Flöz Zollverein 36, 45141 Essen, Telefon: +49 (0)201 3603941, www.deutscher-saab-club.de
  • Heuschmid GmbH, Sebastian Heuschmid, Im Wang 2, 87634 Obergünzburg, Telefon: +49 (0)8372 9227025, www.heuschmid.de
  • Skandix AG, Ersatzteile, Anleitungen, Kataloge, Richtershöhe 6, 38729 Lutter am Barenberge, Telefon: +49 (0)5383 960096, www.skandix.de