Like a boss im Luxus-Youngtimer ab 5.000 Euro
Ringt der VW Phaeton die Mercedes S-Klasse nieder?

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Nach dem talentierten Audi A8 zielt jetzt der aufwendige VW Phaeton noch präziser auf die S-Klasse. Bleibt der Mercedes da noch die Nummer eins unter den Youngtimer-Fans? Wir checken die Nobel-Gebrauchtwagen im Spitzenduell.

Mercedes S-Klasse W 220 vs VW Phaeton Typ D1 Youngtimer 07/2017
Foto: Arturo Rivas

Es sind die ersten Kilometer im VW Phaeton 3.0 V6 TDI kurz nach der Übernahme von einem Autohändler. Sie fühlen sich gut an. Der Dreiliter-Direkteinspritzer-Diesel ist bald auf betriebswarmer Wohlfühltemperatur, fast unhörbar murmelt er im Hintergrund. Die Sechsgangautomatik schaltet so weich, dass man es nicht spürt, satte 450 Newtonmeter bei nur 1.400 Touren helfen ihr dabei. Der intensive Duft von edlem Leder hat sich noch nicht verflüchtigt. Vorhin steckte noch ein eng mit Extras bedrucktes Verkaufsschild hinter der Sonnenblende. Jetzt liegt es umgedreht auf dem Rücksitz, pardon auf den schwarzen Nappaleder-Fauteuils in Einzelsitzausformung. Unten rechts steht der Preis: 7.990 Euro. Neu kostete der elf Jahre alte irisblaue Pracht-Volkswagen mit serienmäßigem Allradantrieb 4Motion imposante 84.735 Euro. Auch deshalb, weil er fast alle lieferbaren Sonderausstattungen an Bord hat. Die aufwendige, mit viel Handarbeit gefertigte Limousine aus Dresdens Gläserner Manufaktur gibt es jetzt für unter zehn Prozent des Neupreises. Ein prickelnder Gedanke, der einen unterwegs genauso wenig loslässt wie das Gefühl, nicht nur in einem großen, sondern in einem groß­artigen Wagen zu sitzen.

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Vorher gilt es noch, in Augsburg bei Königs Automobile auf eine Mercedes S-Klasse umzusteigen. Ein silberner S 430 gesellt sich zum großen VW. Ein Sonderangebot für 3.650 Euro und eine echte Herausforderung für den Stern, der mit dem W 220 den Anspruch verlor, das Maß aller Dinge in der Oberklasse zu sein. Beide Autos sind so um die 180.000 km gelaufen und wurden lückenlos gewartet. So steht es in ihren ledergebundenen Bordmappen. Sie sind also noch fit für einen Vergleich, für den der Mercedes seine Überlegenheit bei Zylinderzahl und Leistung noch brauchen wird.

Weder VW noch Audi

Der erste Phaeton-Halt nach 26 Kilometern Landstraße findet an der Zapfsäule statt, die Tankuhr signalisiert Nachholbedarf. Es ist nicht irgendeine Tankuhr, sie steht symbolisch für diesen Wagen, der von VW-Chefdesigner Hartmut Warkuß in selbstverständlicher Eleganz gestaltet wurde. Nicht weil er so viel verbraucht – man kann ihn mit neun Litern fahren –, sondern weil sie seine Philosophie verrät. Es ist ein im Chromrahmen gefasstes, rundes Instrument mit feiner Skalierung, so liebevoll gemacht wie die anderen fünf. Christian Keck, der feingeistige, eloquente Autohändler aus Neu-Ulm, hatte den Fahrer des Phaeton vor dem Start gewarnt: „Es fällt schwer auszusteigen, sich wieder an normale Autos zu gewöhnen. Der Phaeton ist schon als V6 kein VW mehr, er ist ein getarnter Bentley.“

Mercedes S-Klasse W 220 vs VW Phaeton Typ D1 Youngtimer 07/2017
Arturo Rivas
Der W12 zeigt sich thermisch sensibel, beim V10 TDI ist die Automatik auf Dauer stark belastet. Der Dreiliter-V6-TDI ist besonders empfehlenswert.

Keck hat recht, der Bentley Continental GT nutzt die gleiche Plattform und Antriebstechnik wie der große Volkswagen. Er, dessen griechischer Name an die großen offenen Luxus-Kaleschen der 20er- und 30er-Jahre erinnern soll und der nach dem Willen von Konzernchef Ferdinand Piëch als absoluter Überflieger mit seidenem W12-Motor und gewaltigem V10 TDI noch jenseits des Audi A8 rangiert, macht das Autofahren lautlos, sanft und geschmeidig. Alles in ihm bewegt sich mit würdevoller Eleganz, mit Präzision statt Manieriertheit. Ob es die Arretierung der Mittelarmlehne ist, deren leise klickender Mechanismus an das Kombinationsschloss eines Tresors erinnert, oder das hydraulische Hinaufgleiten der wohl schönsten Cupholder aller Zeiten, deren Deckel und Böden holzgetäfelt sind und deren feine Metallintarsien noch nicht einmal kitschig wirken.

Der Weg von der Tankstelle führt im Phaeton direkt auf die Autobahn, der Himmel hat seinen morgendlichen Schleier gelüftet. Es ist wärmer geworden im Auto. Lautlos schieben sich die Edelholzblenden über den Ausströmgittern nach oben, damit die Klimaautomatik intensiver fächeln kann. Sie tut es unmerklich, aber spürbar, und genau dieses Unmögliche, das ist Phaeton. Auf der Autobahn stellt sich rasch das Wohlfühltempo 140 ein, der Gipfel der Entspannung in der großen Limousine. Nur 2.200 Touren entsprechen in der sechsten Automatikstufe der per Tempomat fixierten Gleitgeschwindigkeit. Dann läuft der extrem aufwendig konstruierte Viernockenwellen-Sechszylinder mit 24 Ventilen auch dank Ausgleichswelle vibrationsfrei und schiebt von ganz fern einen sonoren, fein gewebten Klangteppich unter die präsenteren Windgeräusche. Zum extrem leisen Fahren gesellt sich auch ein betont komfortables. Das luftgefederte Fahrwerk, im Phaeton-Jargon „Airmotion“ genannt, bügelt Spurrillen und Querfugen völlig glatt. Auf der Autobahn bleibt der Wagen stoisch. Erst in der Ausfahrt Augsburg-Ost, die in eine enge, sich zuziehende und auch noch wellige Rechtskurve mündet, fällt dem Fahrer auf, dass sein Schwebezustand vorbei ist und dass es ans beherzte, nicht minder genussvolle Autofahren mit einem allradgetriebenen 2,2-Tonner geht. Der kann sein Übergewicht sehr gut vertuschen, aber man merkt die Kopflastigkeit in Kurven, später wird es im Gebäudehof beim Slalomfahren um die Stützpfeiler spürbar.

Mercedes mit V8-Motor

Mercedes S-Klasse W 220 vs VW Phaeton Typ D1 Youngtimer 07/2017
Arturo Rivas
Ein gut geführtes Wartungsheft ist ein wichtiges Kaufargument. Fehlt es, drohen bei der S-Klasse Reparaturen, die am Zeitwert kratzen.

Bei Königs Cars parkt der abholbereite Mercedes S 430 zwischen einem älteren Porsche Cayenne S und einem Jaguar XJ-R 4.0 Kompressor. Gleich drei Versuchungen auf einmal, pro Auto für maximal 7.950 Euro. Die S-Klasse ist Brillantsilber wie fast alle, und sie trägt Rost an Türen und Kotflügeln wie die meisten. Sie ist Baujahr 1999, stammt also noch aus der Zeit vor dem sanften Xenon-Licht-Facelift von 2002. Okay, ein verstrahlter Autofan, der selbst ein leicht gesupertes 300 E Coupé „mit coolen Velourspolstern“ fährt, beschreibt kurz den Weg zur nächsten Tankstelle. Das Reservelämpchen in der Tankuhr leuchtet, die Instrumente sind eher wirr angeordnete Halb- und Viertelkreise, sie wirken modisch und nicht hochwertig. So wie das ganze Interieur weit vom zeitlosen und gediegenen Anspruch des längst sakrosankten Vorgängers W 140 entfernt ist. Machen wir uns nichts vor, dieser seltsame Mix aus Holz und Leder, dieser allzu willkürlich geschwungene Balkon der Instrumententafel über einer Insel von Mittelkonsole verleidet uns das Willkommen-zu-Hause-Gefühl, das wir aus so vielen Mercedes gewöhnt sind.

Die ersten Kilometer nach dem Tanken wirken schnell versöhnlich. Die peinliche mittlere Kopfstütze im Fond ist versenkt, der Unmut über die billig wirkenden grauen Stoffpolster weicht der neugierigen Freude über das Luxusauto, das mit seiner lang gestreckten, eleganten Profillinie und dem Verzicht aufs Vier-Augen-Gesicht gefällt. Im Vergleich zur autoritären Phaeton-Wuchtigkeit wirkt es geradezu südländisch filigran. Bruno Saccos letzte große Arbeit für den Stern ist sehr ausgewogen. Das fiel beim Waschen auf, da ist Zeit, hinzusehen und abzuwägen. Der große Volkswagen, den jetzt ein anderer fährt, parkt neben der gläsernen Waschhalle. Von der Statur gleicht, etwas zugespitzt formuliert, der Phaeton eher dem W 140 und der Mercedes eher der C-Klasse W 203 aus eigenem Hause.

Leistung macht Freude

Mercedes S-Klasse W 220 vs VW Phaeton Typ D1 Youngtimer 07/2017
Arturo Rivas
Der Mercedes übertrifft den VW in Zylinderzahl, Hubraum und Leistung, aber nicht beim konstruktiven Aufwand. Die numerische Überlegenheit wirkt sich im Vergleich kaum aus.

Die Autobahnauffahrt Friedberg liegt an einer respektablen Steigung. Der Mercedes nimmt sie auf der Beschleunigungsspur auch ohne Vollgas mit lässiger Bravour. Leistung erzeugt auch dann ein schönes Gefühl, wenn man sie nur teilweise abruft. Sein souveräner V8-Motor übertrifft das Phaeton-V6-TDI-Triebwerk in Zylinderzahl, Hubraum und Leistung, nicht aber beim konstruktiven Aufwand. Doch diese numerische Überlegenheit wirkt sich im Vergleich kaum aus. Vor allem im Teillastbereich auf der Autobahn fühlt man sich mit beiden Autos gleichermaßen überlegen motorisiert. Für den Dreiventil-V8 mit nur zwei Nockenwellen und Doppelzündung spricht der samtweiche, fast unhörbare Leerlauf. In diesem Stadium nagelt der TDI noch hörbar, dazu kommt beim V8 das wunderbar lineare Hochdrehen bis 4.000/min beim Kick-down, das sich in vehementer Fortbewegung äußert. Die Fünfgangautomatik des Mercedes sorgt für ein leicht höheres Drehzahlniveau, 140 km/h entsprechen in der höchsten Fahrstufe 2.500/min. Fahrwerkstechnisch gibt es viele Parallelen zwischen Mercedes und VW. Beide Oberklasse-Limousinen setzen vorne und hinten auf fahraktive Mehrlenkerachsen und auf die extrem komfortable, aber im Alter anfällige Luftfederung. Was im Mercedes beim Fahren jedoch ausbleibt, ist die selbst in Bedienungsbelanglosigkeiten unerhört perfekte Dienstbarkeit des Phaeton, die an einen Bentley Continental oder Rolls-Royce Phantom erinnert.

Spätestens an diesem Punkt will der S-430-Fahrer, ein über Jahrzehnte Mercedes-Sozialisierter, die Ehre der Traditionsmarke retten. Immerhin brachte sie schon 1963 einen kompromisslos aufwendigen und hochwertigen 600 mit V8-Motor und Luftfederung hervor. Auf dem Weg zur Foto-Location gelingt die gewollte S-Klasse-Rehabilitation noch am leichtesten auf dem 30 Kilometer langen Landstraßenabschnitt von der Autobahnausfahrt Altomünster bis zum Ziel. Das im W 220 verloren geglaubte, satte Mercedes-Gefühl, hier ist es auf einmal wieder da, gepaart mit ungewohnter Agilität beim Kurvenfahren. Da merkt man schon einen kleinen, feinen Unterschied zum VW Phaeton, 400 Kilogramm weniger Gewicht in Verbindung mit bloßem effizienten Hinterradantrieb sorgen für ein agileres Handling und mehr Fahrdynamik. Wenn es sein muss, animiert der S 430 zum Schnellfahren auf kurvigen Landstraßen, und man hat sogar seinen Spaß dabei. Das kraftvolle und drehfreudige V8-Triebwerk zeigt zwar nicht die konstruktive Brillanz seines 420er-Vorgängers, er macht seine Sache aber nicht schlechter, die Leistungsdaten sind fast identisch.

Geborgenheit steht für die andere Seite des Autofahrens, die der gute Stern auf allen Straßen lange für sich beanspruchte. Vor allem, wenn Wetter und Wege schlecht waren und es schon dunkel wurde, konnte man sich auf seinen Mercedes verlassen. Es ist vorstellbar, dass sich dieses automobile Urvertrauen auch in einer S-Klasse des Typs W 220 einstellt. Ein paar alte Mercedes-Symbole sind noch übrig geblieben, natürlich die Sterne auf Lenkrad und Haube, der extrabreite Innenspiegel, die Labyrinthkulisse der Wählhebel und der stets unaufdringliche Klang des V8. Doch jenseits der Sentimentalität ist der VW Phaeton mit Abstand das bessere Auto.

Fazit

Tut mir leid, aber der Stern hat ganz oben seinen Meister gefunden. Der VW Phaeton fühlt sich in fast allen Kriterien besser und souveräner an. Sein Stil ist seriös und das verwendete Material erstklassig – so wie einst beim Mercedes W 140. Der Phaeton wäre sein wahrhaftiger Nachfolger