Podcast „Übersteuern“ (Folge 1)
Tempolimit - Klimaschutz oder Unfug?

1000. GP Podcast

Wieder einmal gibt es Forderungen nach Tempo 130 auf Autobahnen. Auch auto motor und sport macht sich Gedanken darüber, was für und was gegen ein Limit spricht. Jens Dralle, Dirk Gulde und Sebastian Renz diskutieren das Thema.

Übersteuern, Folge 1
Foto: auto motor und sport

Sebastian Renz: Es sieht so aus, als gebe es womöglich bald eine Ende des unbegrenzten Tempos auf deutschen Autobahnen. Dieses Mal wird ein Limit von 130 km/h gefordert, um den CO2-Ausstoß zu reduzieren.

Jens Dralle: Was mich bei der Tempo-Diskussion am meisten stört: Es geht ja nicht darum, dass alle mit 250 km/h über die Autobahn braten wollen. Ich empfinde es aber als angenehm, wo es möglich ist, mit einer höheren Geschwindigkeit – sagen wir, 160 – zu fahren. Und da hört man ja oft, dass man eh nicht so schnell fahren könne – wenn das so ist, was soll dann der ganze bürokratische Aufwand eines Limits überhaupt bringen? Schon das Handyverbot lässt sich nicht vernünftig überwachen, dabei wäre das ein viel wichtigerer Beitrag zur Sicherheit.

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Sebastian Renz: Die Sicherheit ist ja immer ein Argument. Aber die Frage ist doch, ob sich zu schnelles Fahren in seiner größten Gefährdung wirklich auf der Autobahn abspielt. Ich erlebe das bei mir direkt vor der Tür ganz anders: Ich wohne in einer Spielstraße, die auch ein Schulweg ist. Und da fahren ständig Leute mit 30 oder 40 km/h durch. Das ist für mich und meine Familie eine viel reellere Gefahr von Geschwindigkeit.

Dirk Gulde: Aber an einer Zahl kommt man bei der ganzen Diskussion nicht vorbei: Auf unlimitierten Autobahnabschnitten kamen 2017 laut KBA 409 Menschen durch Tempounfälle ums Leben, fast 6000 wurden schwer verletzt. Dazu gibt es Untersuchungen, dass die Zahl der schweren Unfälle zwischen 9 und 30 Prozent zurückgehe, wenn auf ehemals unlimitierten Abschnitten ein Tempolimit eingeführt wird. Wie will ich nur einen zusätzlichen Todesfall wegen schnelleren Fahrens rechtfertigen? Das ist das Argument, bei dem ich nackt im Wind stehe. Man kann doch nicht sagen: Ein paar Verkehrstote mehr sind uns die unlimitierten Autobahnen wert. Gerade wenn man bedenkt, was für eine abgehobene ethische Diskussion beim autonomen Fahren konstruiert wird.

Jens Dralle
Hans-Dieter Seufert
"Sicheres Fahren hat ja nicht nur etwas mit der reinen Geschwindigkeit zu tun" - Jens Dralle, Chefreporter, fährt 60.000 km im Jahr. Null Punkte in Flensburg.

Jens Dralle: Absolut richtig. Darüber müssen wir in dieser Runde wohl nicht diskutieren. Aber es geht ja aktuell darum, dass der CO2-Ausstoß durch ein Tempolimit geringer würde. Dabei wird allerdings völlig außer Acht gelassen, wie dramatisch der Durchschnittsverbrauch der Autos in den letzten Jahren gesunken ist. Ausgewachsene Oberklasse-Limousinen mit aller Luxus- und Sicherheitsausstattung kommen mit sieben Litern pro 100 Kilometer aus. Dazu kommt ja, dass die mögliche CO2-Verringerung durch ein Tempolimit bei gerade mal 0,9 Prozent läge – wenn es überhaupt belastbare Zahlen dafür gibt.

Sebastian Renz: Die Studie, auf der die ganze Diskussion beruht, stammt von 1996. Je nachdem, wie man sie auslegt, kommt man auf eine Einsparung von 0,3 bis 9 Prozent – auf Basis der Verbräuche von 1996.

Dirk Gulde: Ich frage mich auch, wie die CO2-Reduktion durch ein Tempolimit überhaupt gemessen werden soll. Die Einsparungsvorgaben durch die EU – die 95 Gramm CO2 bis 2021 etwa – beziehen sich auf Normverbräuche, die in vorgegebenen Fahrzyklen ermittelt werden. Der individuelle Fahrstil spielt da gar keine Rolle. Ob die Leute wirklich langsamer fahren, wird dabei gar nicht berücksichtigt. Auf dem Papier könnte ein Limit also gar keine CO2-Verringerung bringen.

Jens Dralle: Ich glaube, es geht vor allem darum, das Auto generell einzubremsen. In Stuttgart versenken wir Milliarden dafür, dass der ICE zehn Minuten schneller in Ulm ist.

Sebastian Renz: Schnelleres Internet, schnellere Züge, schnellere Flugzeuge, all das wird immer gefordert und gefeiert. Wenn Autos schneller werden – meist ja ein Zeichen höherer Effizienz –, hat das gesellschaftlich nie denselben Stellenwert.

Jens Dralle: Ah, ich höre sie schon wieder, all diejenigen, die sagen, wir wollten damit doch nur die deutsche Autoindustrie protegieren. Die Japaner, Koreaner, Franzosen, die verkaufen auch alle schnelle Autos. Im Gegenzug exportieren die deutschen Hersteller ihre schnellen Autos praktisch ausschließlich in Länder mit Tempolimit. Eine der höchsten AMG-Quoten gibt es in Beverly Hills. Also, was bringt ein Tempolimit? Da sind wir wieder bei der Sicherheitsdebatte. Und da wäre es doch wichtig, die Zahl der Verkehrstoten in allen Geschwindigkeitsbereichen zu verringern, nicht ausschließlich bei den 5,6 Prozent, die bei den hohen Geschwindigkeiten ums Leben kommen. Ein Weg dazu könnte sein, mehr Assistenzsysteme verpflichtend in die Autos einzubauen – wie bei ABS und ESP. Das könnte überall die Unfallzahlen reduzieren.

Dirk Gulde, ams0419
Hans-Dieter Seufert
"Weniger Unfallopfer: An diesem Argument kommt man bei der Diskussion nicht vorbei." - Dirk Gulde, Redakteur, fährt 40.000 km im Jahr. Null Punkte in Flensburg.

Dirk Gulde: Ein Befürworter des Tempolimits könnte da aber entgegnen: Machen wir doch beides, Limit plus Assistenzsysteme, dann haben wir gleich einen doppelten Effekt.

Sebastian Renz: Laut einer DEKRA-Studie könnte die flächendeckende Einführung von Spurhalteassistent, Spurwechselwarner und Abstandstempomat die Unfallzahlen um 30 Prozent verringern. Das hätte einen viel größeren Effekt als ein Limit. Das soll keine Einzelschicksale relativeren oder gegeneinander aufrechnen. Aber wäre es nicht sinnvoll, die Möglichkeiten der Technik auszunutzen, die überall Nutzen bringt? Denn das eigentliche Problem auf den Straßen sind ja nicht die Fahrer, die aufmerksam schnell fahren. Sondern die enorme Zahl derer, die unaufmerksam herumgondeln, die keine Geschwindigkeitsunterschiede erkennen. Wir alle erleben es doch bei jeder Autobahnfahrt, dass jemand, ohne zu schauen oder zu blinken, auf deine Spur rüberzieht. Das sind die wirklich gefährlichen Momente, und die entstehen nicht durch Tempo, sondern durch Unachtsamkeit.

Dirk Gulde: Aber ist das nicht auch ein Argument für ein Tempolimit? Wenn einer unaufmerksam die Spur wechselt, wäre es doch noch wichtiger, dass nicht einer mit 250 km/h von hinten angerauscht kommt.

Sebastian Renz: Ich finde, es ist der falsche Weg, denen, die aufmerksam unterwegs sind, etwas wegzunehmen, damit die anderen weiterhin unaufmerksam fahren können.

Dirk Gulde: Aber wie willst du die Menschheit umerziehen? Daran sind schon große Philosophen und Diktatoren gescheitert.

Sebastian Renz: Beim Autofahren schon: Warum darf ich beim Fahren E-Mails diktieren, warum ist der Touchscreen nicht gesperrt?

Dirk Gulde: Weil die Leute sonst ihre Mails ins Telefon tippen wür- den.

Jens Dralle: Aber über die Unaufmerksamkeit wird in der öffentlichen Diskussion ja nie geredet. Ich frage mich auch, warum die Diskussion gerade jetzt aufflammt, warum immer wieder aufs Auto eingedroschen wird.

Dirk Gulde: Für mich ist es ganz klar, warum die Diskussion gerade jetzt kommt: Das Auto ist durch den Diesel-Skandal und die Fahrverbote im Moment ohnehin in Verruf geraten. Die Autobefürworter sind mächtig in der Defensive, da kann man sozusagen das, was 40 Jahre lang versucht wurde, auf dem kleinen Dienstweg durchsetzen und ihnen auch gleich noch ein starres Tempolimit unterjubeln.

Sebastian Renz
Hans-Dieter Seufert
"Die Gefahr ist oft nicht zu hohes Temp, sondern zu starke Ablenkung." - Sebastian Renz, Autor, fährt 60.000 km im Jahr. Null Punkte in Flensburg.

Sebastian Renz: Ein starres Tempolimit bringt ja nicht grundsätzlich mehr Sicherheit. Gestern im Schnee auf der B 10 waren die erlaubten 80 km/h schon viel zu schnell. Aber es gibt eben auch Situationen, in denen gar keine Gefahr besteht – bei gutem Wetter auf einer leeren Auto- bahn zum Beispiel. Und da sind 130 km/h als Limit unnötig oder sogar ermüdend.

Dirk Gulde: Da gebe ich dir recht: Nachts mit Tempo 100 durch die Schweiz – da nicht einzuschlafen, ist wirklich eine Herausforderung. Aber ich muss auch zugeben: Ich war in den letzten Monaten viel in Frankreich unterwegs und fand das ein angenehmes Fahren, wenn eben keiner mit Tempo 250 von hinten anbraust.

Jens Dralle: Aber das macht doch tatsächlich kaum noch jemand hier.

Dirk Gulde: Aber du musst zumindest immer mit der Möglichkeit rechnen, dass es passieren kann. Und deswegen fand ich es in Frankreich eben entspannter.

Jens Dralle: Also für mich hat entspanntes Fahren nichts mit der reinen Geschwindigkeit zu tun, sondern damit, wie der Verkehr fließt.

Sebastian Renz: Ich glaube auch nicht, dass der Verkehrsfluss durch ein starres Limit besser würde. Es käme doch nur zu endlosen Schlangen auf der linken Spur, wo der Langsamste das Tempo vorgibt – 110 oder weniger. Das ließe sich nur verhindern, indem man das Rechtsüberholen erlaubt. Und das funktioniert hier nie. Überhaupt: Es gibt bei uns nicht mal eine starre Regel für die Winterreifenpflicht. Ich glaube, wir könnten aber alle gut mit einer situativen Temporegelung leben, die auch den Verkehrsfluss optimiert. Wenn nachvollziehbar ist, warum das Tempo reduziert werden soll, kann ich das akzeptieren. Gerade dann, wenn eben bei wenig Verkehr die Limits aber auch wirklich erhöht oder ganz aufgehoben werden.

Jens Dralle: Da ist gerade Baden-Württemberg ein gutes Beispiel. Da hat die grün-rote Regierung ein variables Tempolimit auf der A 8 eingeführt, um den Verkehrsfluss zu verbessern. Es ist doch gerade ein besserer Verkehrsfluss, der die CO2-Emissionen in der Realität wirklich senkt. Tagsüber wird das Tempo dort reduziert, damit die Autos da gleichmäßig durchrollen können. Das funktioniert wunderbar. Und was spricht dagegen, dann aber nachts oder zu anderen Zeiten, wenn eben fast keiner mehr unterwegs ist, dort mit 140, 160 oder auch mal 180 entlangzufahren?

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