Mit dem Opel Commodore A Coupé in Le Mans
Mein Traum von Le Mans

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Noch nie hat der Opel-Blitz beim 24-Stunden-Rennen von Le Mans eingeschlagen. Ein 1972 gemeldeter Commodore trat letztlich nicht an. Bernd Woytal reiste deshalb mit einem Auto dieses Typs zum Circuit de la Sarthe, um an Originalschauplätzen von der Teilnahme am legendären Langstreckenrennen zu träumen.

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Foto: Fact

Der Rennfahrer Emerson Fittipaldi sagte einmal: „Le Mans ist ein Rennen für Autos, nicht für Fahrer.“ Wäre es deshalb nicht logisch gewesen, bei diesem zermürbenden 24-Stunden-Rennen mit einem Auto der Marke Opel zu starten? Schließlich zeugten in deren Heckfenstern bis in die 70er-Jahre hinein Klebefolien mit dem wie Baldrian wirkenden Aufdruck „Opel – der Zuverlässige“ von den für diese harte Dauerprüfung nötigen Qualitäten.

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Doch lediglich in den Meldelisten des seit 1923 stattfindenden Rennens lassen sich vereinzelt Opel-Modelle aufspüren. So 1972 der Commodore A des Rennteams von Henri Greder. Leider startete der Wagen nicht. Das französische Rallye- und Rundstrecken- As Jean Ragnotti war damals neben Greder, der 2012 starb, und Marie- Claude Charmasson als dritter Fahrer gemeldet. „Greder wollte dann lieber mit einer Corvette fahren, und vielleicht war der Opel auch nicht fit für das Rennen“, erzählt Ragnotti.

Im Werkswagen nach Le Mans Wie dem auch sei, ich hielt jedenfalls die Zeit für gekommen, dass einmal ein Commo die Le-Mans-Strecke unter die Räder nimmt. Also los geht's. Das passende Gefährt stellt mir die Classic-Abteilung von Opel zur Verfügung, und so mache ich mich sozusagen in einem Werkswagen auf den Weg nach Frankreich, um dort mein imaginäres Rennen zu fahren. Die dazu nötige blühende Fantasie habe ich an Bord, dazu den Fotografen Dave sowie einen kompletten Renndress.

Schon das Auto fordert meine Vorstellungskraft, denn es handelt sich keinesfalls um ein heißes Steinmetz-Renngerät. Ja, noch nicht mal um einen sportlichen GS. Ich muss mich mit dem Komfort und der Behaglichkeit eines völlig serienmäßigen A-Coupés abfinden, das zudem noch mit einer unrasanten Automatik ausgestattet ist.

Aber wir werden schnell Freunde, der brave Commodore und ich. Und die Umwelt findet ihn ebenfalls toll. Schon in Mainz sehen wir in einem vorbeihuschenden Auto den ersten nach oben gereckten Daumen. Und selbst auf den Straßen Frankreichs sammeln wir zahlreiche solcher spontanen Gesten der Begeisterung. Ein Franzose bemüht sogar seine wenigen Deutschkenntnisse: „Ein schön Oto.“

Die lange Anfahrt über Hunderte von Kilometer Autobahn verläuft erstaunlich unbeschwert. Der Commodore fasziniert mit einer Solidität, die bis in die Kippschalter am Armaturenbrett zu spüren ist, die mit einem massiven Klack einrasten. Ich fahre knapp 130 km/h schnell, und der am E der Abkürzung TEMP kitzelnde Zeiger der Kühlwasser-Temperaturanzeige signalisiert das thermische Wohlbefinden des Reihensechszylinders im Bug. Der kräftige 2,5-Liter brummt dabei irgendwelche Laute der Zufriedenheit in sein Kurbelgehäuse, was aber die Windgeräusche überdecken.

Am Abend erreichen wir unser Ziel, die Auberge de Mulsanne. Überall sehe ich Schilder mit den berühmten Namen, die an das legendäre Langstreckenrennen erinnern: Le Mans, Mulsanne, Hunaudières, Arnage – eine prickelnde Renn-Atmosphäre liegt über dieser Region Frankreichs wie ein unsichtbarer Nebel.

Ich stelle den Commodore auf dem Hotelparkplatz ab, der direkt an eine Passage der Rennstrecke grenzt, auf der sich außerhalb der Rennen der normale Verkehr wälzt. 13,64 Kilometer misst der Circuit de la Sarthe, und davon sind nur etwa 4,5 Kilometer ständig gesperrt.

Am nächsten Morgen hängt der Himmel voller Wolken, und einige davon scheinen Regen bringen zu wollen. Montiere ich nun Regenreifen? Eine Frage, die ich mir bei einem Start anno 1972 sicherlich gestellt hätte. Heute kann ich mir die Entscheidung schenken, denn ich habe gar keine Ersatzreifen dabei. Und kein Boxenteam.

Der Commodore hat über Nacht offenbar in großen Zügen die allgegenwärtige Renn-Atmosphäre inhaliert. Das diesjährige Le-Mans-Rennen liegt noch keine vier Wochen zurück, und Le Mans Classic gerade mal zwei Tage. Die Luft scheint noch benzingetränkt zu sein und sehr bekömmlich. Oder ist es Einbildung? Mir scheint, der Motor klingt im Leerlauf eine Nuance aggressiver, die 120 PS wirken temperamentvoller, und selbst die Dreigangautomatik schaltet plötzlich einen Tick spontaner.

Ich nehme Kurs auf den Eingang zur Rennstrecke nahe der Stadt Le Mans. Zur Einstimmung werfe ich dort einen Blick ins Musée des 24 Heures du Mans, und in der angrenzenden Boutique erstehe ich einen Nachdruck des Plakats vom Rennen 1972.

Voller Tatendrang erkundige ich mich, ob ich mit dem Commo über die Rennstrecke düsen darf. Es wird mit einem höflichen, aber bestimmten „Non“ abgelehnt. Was für eine Enttäuschung. Keine Jagd durch die 1972 zum ersten Mal in die Strecke integrierten Porsche-Kurven, keine Fahrt über die Start-und-Ziel-Gerade und unter dem Dunlop-Bogen hindurch. Die Dunlop-Schikane, Esses de la Forêt, Tertre Rouge – auf all die spannenden Passagen muss ich verzichten, die Paul Frère in meinem geliebten Buch „Die 24 Stunden von Le Mans“ anno 1968 so eindrücklich aus der Fahrerperspektive geschildert hat. Es ist zum Heulen.

Na ja, es bleiben ja noch die etwa neun für den öffentlichen Verkehr freigegebenen Kilometer. Und von Anfang an war eh klar, dass ich für die Geschichte viel Fantasie brauchen würde. Also schlüpfe ich zunächst in den Renndress, und an einer Mauer an der Rennstrecke, auf die eine Startszene gemalt ist, fotografiert Dave meinen Le-Mans-Start.

Auf sein Signal hin renne ich los, reiße die stabile Fahrertür des Commodore auf und lasse mich in den weichen Sitz fallen. Hektisch starte ich den Motor, schiebe den T-Bar-Wählhebel des Getriebes auf D und gebe Vollgas – ein gelungener Blitzstart. Den weiteren Verlauf dieser ersten Runde mu ss ich mir leider aus der Zuschauerperspektive von der Dunlop-Tribüne aus vorstellen, von der aus zumindest ein Teil der gesperrten Streckenpassagen sichtbar ist.

Natürlich machen wir auch einige Fotos mit dem weltbekannten Dunlop-Bogen im Hintergrund, dann geht es auf ein Sandwich und einen Café au lait in die nahe gelegene Bar Aux Portes du Circuit.

Nach der Mittagspause tauche ich gedanklich wieder ins Renngeschehen ein und verwirre die Passanten mit meinem Renn-Outfit. Bei der Bar Le Tertre Rouge gelange ich auf eine Originalpassage der Strecke. Es geht auf die Mulsanne-Gerade, die Hunaudières. Das Tempo der Rennwagen auf dem über fünf Kilometer langen Stück bremsen seit 1990 zwei Schikanen, den öffentlichen Verkehr zwei Kreisel.

Vollgas auf der Hunaudières

Die Reifen des Commo beginnen ab 80 km/h fröhlich auf der 1988 erneuerten Asphaltdecke zu singen. Eigentlich darf man hier nur 90 fahren, aber ... Auf die etwa 250 km/h eines Renn-Commodore komme ich natürlich nicht, doch ich kann sie mir vorstellen, und den dabei laut brüllenden Motor auch.

Die Bäume, einzelne Häuser, die Dreifachleitplanken und Fangzäune, alles fliegt an mir vorbei. Vor der Mulsanne-Kurve kommt eine Kuppe. „Bei der Annäherung zieht es mir immer das Herz zusammen. Wer weiß, ob sich nicht auf der anderen Seite ein quer stehender Wagen befindet“, schreibt Frère in seinem Buch.

Ich kann es nachvollziehen. Die Kuppe kommt, das Auto hebt leicht ab. Im Rennen wird hier aus über 300 km/h heruntergebremst. Erst beim 300-Meter-Schild vor der Kurve geht Frère vom Gas und tritt das Bremspedal mit voller Kraft gegen das Bodenblech. „Der Bug des Wagens bohrt sich fast in den Boden.“

Leider kann ich die Mulsanne-Kurve nicht fahren, weil sie gesperrt ist. Ich muss durch einen Kreisverkehr. Dann folgt ein langes Stück des Originalkurses. Hier könnte auch unser Commo mit Vollgas die zwei leichten Rechtskurven zwischen den Geraden nehmen, wenn es die Verkehrsregeln erlauben würden. Den Rechtsknick vor der Indianapolis-Kurve und die Kurve selbst kann ich wegen Gegenverkehrs und schlechter Einsehbarkeit nicht auf der Ideallinie nehmen. Um zumindest einmal mit dem Commo durch eine Kehre der Strecke kacheln zu können, fahre ich die Indianapolis- Kurve auch mal falsch rum – in abenteuerlicher Schräglage und mit einer nach außen drängenden hinteren Starrachse. Das macht Spaß. Aber wie ein Commo 1972 in der erstmals in Le Mans eingeführten Tourenwagen- Wertung gegen Ford Capri und BMW Coupé abgeschnitten hätte, lässt sich kaum beantworten. Mit einer gemütlichen Abendrunde beende ich meine Tour.

Nachts träume ich dann von Autos mit riesigen Stoppuhren, die mich im Rennen blockieren. Dennoch überquere ich als Erster die Ziellinie und bekomme einen Pokal. Und diesen stelle ich am Morgen in Gedanken auf die Haube des Commodore: Für mich ist er ein Siegertyp.

Die Route

Die Anreise führte von Rüsselsheim nach Mainz, dann über die A 63 und die A 6 bis Saar brücken. Über die A 4 ging es bis Paris, auf der A 10 und der A 11 weiter bis Le Mans. Der Kurs liegt im Süden der Stadt, die Mulsanne-Gerade gehört zur D 338. Tipp: auf Google Earth ansehen

Hotels

Zwei Hotels direkt an der Strecke sind die Auberge des Hunaudières, deren Geschichte bis in das Jahr 1923 zurückreicht, www. aubergedeshunaudieres.com, und die Auberge de Mulsanne, www.auberge-mulsanne.fr

Reisetipps

Um etwas Renn-Atmosphäre zu tanken, lohnt ein Besuch im Musée des 24 Heures du Mans und der angrenzenden Boutique, die auch Literatur zum Rennen anbietet. Gegen eine kleine Gebühr darf man in den Innenbereich des Motodroms. www.lemans.org