Neue Software-Strategie und Betriebssystem
Mercedes MB.OS – eigen, aber offen für Google

Es war der umfassendste Strategie-Ausblick, den Mercedes-Chef Ola Källenius bislang gegeben hat – vor Investoren im Forschungs- und Entwicklungszentrum Sunnyvale. Dort, wo die Tech-Giganten Apple und Google um die Ecke wohnen. Und um die ging es: Das neue Betriebssystem MB.OS soll die integrieren und auf Distanz halten gleichermaßen.

Mercedes EQS MBUX Hyperscreen
Foto: Mercedes-Benz

Mercedes zeigte nicht mehr und nicht weniger als eine neue Software-Architektur MB.OS (OS steht für Operating System) für alle Modelle der Luxusmarke – wer gezählt hat, wie oft das Auto der Zukunft zuletzt als Smartphone auf Rädern bezeichnet wurde und wie der Volkswagen-Konzern mit seiner Tochter Cariad und dem Thema kämpft, kann die Bedeutung ermessen.

Die besten Partner dürfen in den Mercedes

Ja, MB.OS soll Autos nun endgültig zu rollenden Computern werden lassen und speziell in Sachen Entertainment nur noch wenige Wünsche offenlassen. "Wir sind die Architekten des Betriebssystems," betont Ola Källenius im Rahmen der insgesamt rund zweistündigen Präsentation, in der er aber der Reihe nach auch die Partner dieses neuen Systems auf die Bühne bat: Nvidia, Google und Luminar, dem Hersteller von Lidar. Denn auch das war Källenius wichtig: "Wir suchen uns die weltweit wichtigsten Partner dazu aus." Nicht mehr alles allein machen, ist eine wichtige Devise des Mercedes-Chefs. Trotzdem soll der Konzern bis zu zwei Milliarden Euro pro Jahr in MB.OS investieren, so das Handelsblatt. Mercedes selbst will offenbar bis Mitte der Dekade 25 Prozent der Entwicklungsausgaben für Software aufwenden.

Unsere Highlights

Grundsätzlich geht es darum, das Auto stark zu personalisieren: Das Auto kennt mich und weiß, wo ich bin, bietet aber in Sachen Datenschutz immer den optimalen Schutz. Källenius vergleicht die neue Software, die sich permanent over-the-air aktualisieren lässt, mit gutem Wein: Die Technik reift mit der Zeit und ist immer auf Augenhöhe. MB.OS ist Synonym für eine Chip-to-cloud-Architektur, die es möglich macht, Software und Hardware zu entkoppeln – und somit alle Features für jedes Modell, jede Variante anzubieten. Die verfügen dann grundsätzlich über einen Hyperscreen im Innenraum, der sich über die gesamte Fahrzeugbreite zieht.

Vier Domänen, mehrere Partner

Es geht im Grundsatz um vier zentrale Domänen: Karosserie- und Komfortsysteme, Infotainment (MBUX), das automatisierte Fahren sowie dem gesamten Bereich des Fahrens/Ladeinfrastruktur. Um Verbesserungen zum Beispiel bei der Live-Traffic-Analyse oder Ladesäulenauslastung zu erzielen, werden bis 2025 die Datensätze von 16 Millionen Autos ausgewertet.

Obwohl Mercedes die Datenhoheit erhalten will, spielt die langfristige strategische Partnerschaft mit Google hier eine wichtige Rolle. Allein schon über die Integration von Google Maps in das Navigationssystem. Aber, wichtig für einen globalen Anbieter: Auf Märkten wie China (AMAP) und Korea (TMAP) kann Mercedes dank MB.OS andere regionale Anbieter integrieren. Nur der Kartendienst Here, den die Schwaben bislang für ihre Navis nutzten und den sie 2015 zusammen mit BMW und Audi für 2,8 Milliarden von Nokia kauften, dürfte perspektivisch in die Röhre gucken. Dabei war die Motivation, Here zu erwerben, vom Bedürfnis geprägt, nicht ausschließlich von Google abhängig zu sein.

You Tube, Filme, Spiele im Auto

Jetzt kommt mit dem Google-Deal sogar You Tube (Google) in die Mercedes-Cockpits, aber auch Apps wie Zync, Amazon Music und das berühmte Spiel Angry Birds. Antsteam Arcade und 1.500 klassische Spiele sowie 500 sogenannte Mini-Spiele verwandeln die Autos in rollende Gaming-Plattformen. Klar können an Bord auch Konferenzen abgehalten werden – dafür lassen sich dann Webex und Zoom integrieren, des Weiteren ein Amazon Fire Stick und das Ganze lässt sich auf einzelne Märkte zuschneiden. So wird das Auto nicht nur zum Smartphone auf Rädern, sondern zu einem grandiosen Entertainer.

Vertriebsvorstand Britta Seegers geht davon aus, dass für mittlerweile 80 Prozent der Kunden digitale Extras eine entscheidende Rolle spielen, die leicht und intuitiv zu bedienen sind. Deshalb soll das Angebot an Digitalisierung massiv ausgebaut werden – mittels der Plattform Mercedes me, die zahlreiche fahrzeugspezifische Apps bündelt wie Notruf- sowie Pannen- oder Ladeservice und Kunden eine ID. gibt wie bei Apple beispielsweise. Aktuell gibt es Mercedes me auf 50 Märkten, insgesamt sind zehn Millionen Autos auf der Welt miteinander vernetzt. 2025 will Mercedes me auf 65 Märkten präsent sein, 16 Millionen Autos sollen dann miteinander verbunden sein.

Nvidia bleibt Partner fürs autonome Fahren

Zusammen mit Nvidia macht Mercedes seine Autos zudem zu kleinen KI-Maschinen, die permanent lernen und auch auf dem Gebiet des automatisierten Fahrens Fortschritte erzielen – die Level 3-Funktionen des Drive-Pilot will der Autobauer perspektivisch bis Tempo 130 km/ h anbieten. Nvidia ist am Verkaufserlös der Fahrzeuge von Mercedes beteiligt. Nvidia-Chef Jensen Huang war in Sunnyvale dabei, als Ola Källenius die neue Software-Strategie erklärte und versprach: Mercedes baue mithilfe der Nvidia-Chips "eine riesige Flotte von aufrüstbaren Autos auf, die nie veralten". Das Ziel sei, "das sicherste Auto der Welt zu bauen."

Dazu setzt Mercedes künftig wie Volvo im EX90 auf den Lidar von Luminar (bislang Valeo). Luminar-Gründer Austin Russell wies bereits bei der Präsentation des neuen Volvo-Elektro-SUV auf den Kostenvorteil seiner Sensoren. Als Preis eines Luminar-Lidar gab er weniger als 1000 Dollar an und nannte für die Zukunft 500 Dollar als realistisches Ziel. Den Zweck der Sensoren sah er weniger darin, Autos zum autonomen Fahren zu ertüchtigen, sondern gab sich überzeugt, dass Ihr Einsatz im Straßenverkehr Unfälle verhindere und so Menschenleben rette.

MB.OS als erstes in neuer Kompaktklasse-Generation

Die ersten Fahrzeuge, die die Errungenschaften der schönen neuen Elektronikwelt zum Kunden bringen, stehen auf der MMA (Mercedes Modular Architecture), ein Baukasten (siehe Bildergalerie), den Mercedes in erster Linie für kompakte Elektroautos konzipiert, der aber auch noch den Einsatz von Verbrennern erlaubt. Erstes Modell auf dieser Basis wird ein 4,70 Meter langer, coupéhafter Viertürer, vergleichbar mit dem aktuellen CLA, aber mit E-Antrieb, der optisch viele Elemente der Studie EQXX übernimmt.

Umfrage
Wie wichtig ist die Software im Auto?
3041 Mal abgestimmt
Wichtig. Ohne sie läuft nichts - und wenn sie nicht funktioniert, leidet der Spaß am Auto.Unwichtig. Von mir aus kann man sie streichen - der Spaß am Auto definiert sich anders.

Fazit

Das Auto verändert unabhängig vom Antriebskonzept seine Rolle. Reine Fortbewegung war gestern, morgen muss das Fahrzeug auch ein digitales zu Hause sein. Mercedes-Chef Ola Källenius hat zusammen mit seinem Vorstandsteam im Silicon Valley eindrucksvoll präsentiert, wie der Autobauer diese Ansprüche erfüllen will. In Deutschland (und nicht nur dort) entstehen dadurch neue Arbeitsplätze für Software-Entwickler.

Die aktuelle Ausgabe
AUTO MOTOR UND SPORT 11 / 2024
AUTO MOTOR UND SPORT 11 / 2024

Erscheinungsdatum 08.05.2024

148 Seiten