Berechnung Überholweg
So lange dauert ein Überholmanöver

Elefantenrennen zweier Lkw auf der Autobahn – das kann schonmal eine Weile dauern. Doch wie viele Meter legen sie dabei zurück? So lässt sich der Überholweg berechnen.

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Foto: IMAGO, Scholz

Überholen ist im Straßenverkehr keine Seltenheit. Allerdings unterschätzen manche Fahrer dabei den benötigten Weg. Das führt immer wieder zu schweren Unfällen. Doch welchen Weg müssen Autos beim Überholen zurücklegen?

Überholen ist ein Vorgang mit vielen Faktoren, die vom Überholer und vom Überholten berücksichtigt werden müssen. Fehlerfreies und gefahrloses Überholen erfordert auch etwas rechnerisches Verständnis und die Kenntnis von § 4 StVO: Der Abstand von einem vorausfahrenden Fahrzeug muss in der Regel so groß sein, dass auch dann hinter ihm gehalten werden kann, wenn es plötzlich gebremst wird. Der Vorausfahrende darf dabei nicht ohne zwingenden Grund stark bremsen. Und Kraftfahrzeuge, für die eine besondere Geschwindigkeitsbeschränkung gilt, sowie Züge, die länger als sieben Meter lang sind, müssen außerhalb geschlossener Ortschaften ständig so großen Abstand von dem vorausfahrenden Kraftfahrzeug halten, dass ein überholendes Kraft- fahrzeug sicher einscheren kann.

Unsere Highlights

Rechnerische Ermittlung des Überholweges

Der Vorgang des Überholens setzt sich aus verschiedenen Einzelvorgängen zusammen, die erst in der Summe den Überholweg ergeben: Ausscheren, Vorbeifahren und Wiedereinscheren. Ebenso wie Bremsvorgänge sind unterschiedliche Bedingungen für die Erfassung der Wegstrecke verantwortlich. Aus Gründen der Vereinfachung werden zwei Situationen aufgezeigt, die den Überholvorgang mit gleichförmiger Geschwindigkeit und gleichförmiger Beschleunigung definieren.

Größen für die Berechnung

a: Beschleunigung (m/s2)

l1, l2: Länge des Fahrzeugs (m)

s1, s2: Sicherheitsabstand (m)

sH: relative Überholstrecke des Überholers (m)

sL: Fahrstrecke des Überholten (m)

sÜ: Überholweg (m)

tÜ: Überholzeit (s)

vL: Geschwindigkeit des langsameren Fahrzeugs (km/h)

vH: Geschwindigkeit des schnelleren Fahrzeugs (km/h)

Der Überholweg

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IMAGO, Scholz

Die einzelnen Größen des Überholwegs.

Der Überholweg setzt sich aus den beiden Einzelstrecken sÜ = sH + sL zusammen.

Die vom schnelleren Fahrzeug 2 gegenüber dem langsameren Truck 1 relativ zurückzulegende Strecke sH ist die Summe aus den beiden Fahrzeuglängen l1 und l2 und den Sicherheitsabständen s1 und s2:

sH = s1 + s2 + l1 + l2

In der Überholzeit tÜ legt das langsamere Fahrzeug 1 den Weg sL zurück, den das schnellere Fahrzeug 2 in der Zwischenzeit zu fahren hat, um den Sicherheitsabstand beizubehalten.

sL = tÜ • vL : 3,6

mit t in s, s in m, v in km/h ⇒ Umrechnungsfaktor 3,6

Der Sicherheitsabstand

Der Sicherheitsabstand soll außerhalb geschlossener Ortschaften dem halben Tachowert (v/2) in Metern entsprechen (gesetzliche Regelung). Er sollte aber mindestens dem während der Vorbremszeit vVZ zurückgelegten Weg entsprechen. Eine Orientierungshilfe bilden die Fahrbahnmarkierungen auf der Autobahn (Strich + Lücke = 18 m, zum Beispiel 6 m + 12 m) oder die Leitpfosten (Verkehrszeichen 620 der StVZO, Abstand 50 m).

Fall 1: Überholen mit gleichförmiger Geschwindigkeit (a = 0)

Verfügt die Fahrbahn über mindestens zwei Fahrspuren, hat das überholende Fahrzeug in der Regel schon die notwendige Geschwindigkeit, wenn es den Überholvorgang einleitet. Die Überholzeit (Beginn des Ausscherens bis zur Beendigung des Wiedereinscherens) ermittelt sich aus v = s/t mit:

tÜ = 3,6 • sH : vH – vL

mit t in s, s in m, v in km/h ⇒ Umrechnungsfaktor 3,6

sÜ = tÜ • vH : 3,6 = 3,6 • sH• vH : (vH – vL) • 3,6 = sH • vH : vH – vL

Dazu Beispiel Nr. 1: Fahrzeug 1 (Länge 11 m) hat eine Geschwindigkeit von 80 km/h, Fahrzeug 2 (Länge = 4 m) fährt konstant 100 km/h und setzt zum Überholen an. Hier wird der Überholweg wie folgt berechnet:

sH = s1 + s2 + l1 + l2 = 40 m + 50 m + 11 m + 4 m = 105 m

(Sicherheitsabstand = halber Tachowert)

tÜ = 3,6 • sH : vH – vL = 3,6 • 105 : 100 – 80 = 18,90 s

sÜ = tÜ • vH : 3,6 = 18,9 • 100 : 3,6 = 525 m

oder:

sÜ = sH • vH : vH – vL = 0,105 km • 100 km/h : 100 km/h – 80 km/h = 0,525 km = 525 m

Fall 2: Überholen mit gleichförmiger Beschleunigung (a ≠ 0)

Der Überholvorgang auf schmalen Straßen erfordert, dass die Geschwindigkeit zunächst auf das vorausfahrende Fahrzeug 1 zu verringern ist und danach für den Überholvorgang erhöht wird. Es erfolgt eine Beschleunigung. Die Beschleunigungswerte sind von den Fahrzeugdaten abhängig – Triebwerksleistung, Fahrzeuggewicht, Fahrwiderstand usw. Die Berechnung kann mit Beschleunigungen zwischen 0,4–0,8 m/s2 durchgeführt werden. Das Herunterschalten in niedrigere Gänge oder Kickdown ermöglicht größere Beschleunigungen, wodurch der Überholvorgang deutlich verkürzt wird. Grundsätzlich sollte der Überholvorgang innerhalb der halben frei übersehbaren Strecke abgeschlossen werden.

Unter der Bedingung, dass eine gleichförmige Beschleunigung über den gesamten Überholvorgang erfolgen kann, wird die Überholzeit wie folgt berechnet:

tÜ = √ 2 • sH : a

Das Fahrzeug legt in dieser Zeit tÜ die Strecke

sL = tܕ vL/ 3,6

zurück.

Der Überholweg errechnet sich eingesetzt:

sÜ = sH + sL = sH + tÜ• vL : 3,6

mit t in s, s in m, v in km/h ⇒ Umrechnungsfaktor 3,6

Überholen bei hohen Geschwindigkeiten

Dazu Beispiel Nr. 2: Zwei Cabriofahrer liefern sich ein Hochgeschwindigkeitsrennen. BMW 650i Cabrio: Höchstgeschwindigkeit 250 km/h, Fahrzeuglänge 4820 mm. Maserati GranSport Spyder: Höchstgeschwindigkeit 285 km/h, Fahrzeuglänge 4303 mm. Die Beschleunigung bei 200 km/h erfolgt beim Maserati mit 1,1 m/s2.

sH = s1 + s2 + l1 + l2 =

100 m + 100 m + 4,82 m + 4,303 m = 209 m (Sicherheitsabstand = halber Tachowert)

Das Fahrzeug legt in dieser Zeit tÜ die Strecke sL = tÜ• vL/3,6 = 19,5 • 200/3,6 = 1083 m

zurück.

Der Überholweg errechnet sich mit

sÜ = sH + sL

oder auch gleich eingesetzt:

sÜ = sH + tÜ• vL : 3,6 = 209 + 19,5 • 200 : 3,6 = 1292 m

Die beiden Cabrios benötigen damit eine 1,3 km freie Strecke, um die Positionen zu tauschen.

Fall 3: Grafische Lösungen

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IMAGO, Scholz

Die grafische Ermittlung des Überholwegs mit logarithmischer Teilung.

In der grafischen Darstellung zur Ermittlung des Überholweges ist es hilfreich, den Überholweg sH aus zwei Teilwegen zusammenzusetzen sowie den zum Vorbeifahren notwendigen Seitenversatz zu vernachlässigen (aus: Bosch Kraftfahrtechnisches Taschenbuch, Dynamik der Kraftfahrzeuge).

Eine logarithmische Teilung ist in der Regel erforderlich, wenn eine große Menge an Messwerten anfällt – sowohl sehr kleine als auch sehr große Werte. Will man die Auswertung noch auf einem A4-Blatt übersichtlich unterbringen, wählt man eben den Logarithmus für eine oder auch für beide Achsen.

Im vorangegangenen Bild sind im linken Teil des Diagramms die relative Fahrstrecke sH für die Geschwindigkeitsunterschiede vH – vL und die Beschleunigungen a auf der Ordinate (y-Achse, senkrecht) dargestellt. Der rechte Teil betrifft die Fahrstrecke sL des langsameren Fahrzeuges (überholten) für die Geschwindigkeiten vL. Der Überholweg sÜ ist die Summe aus sH und sL.

Zu Beginn wird die Fahrstrecke sH des Überholers berechnet und im linken Teil des Diagramms zwischen der Ordinate und der dazugehörigen Abszisse (x-Achse, waagerecht) (Δv = vH – vL-Linie) bzw. der Beschleunigungslinie a eingezeichnet. Danach verlängert man die Linie nach rechts bis zur entsprechenden Geschwindigkeitslinie vL. Hierzu unser Beispiel Nr. 3: mit a = 0 (rote Linien):

vL = 50 km/h, vH = 66 km/h, l1 = 11 m,

l2 = 4 m, s1 = s2 = 0,3 • vL = 15 m

Der Schnittpunkt von sH = 15 m + 20 m + 11 m + 4 m = 50 m mit der Differenzgeschwindigkeit Δv = 16 km/h wird im linken Teil des Diagramms eingezeichnet.

Abgelesen nach rechts ergeben sich tÜ ≈ 11 s und sL ≈ 150 m als Schnittpunkt mit vL = 50 km/h. Der gesamte Überholweg ist dann

sÜ = sH + sL = 50 m + 150 m = 200 m.

Nun unser Beispiel 4 mit a ≠ 0 (blaue Linien):

vL = vH = 50 km/h, a = 0,4 m/s2, l1= 11 m,

l2 = 4 m, s1 = s2 = 0,3 • vL = 15 m

Der Schnittpunkt von

a = 0,4 m/s2 mit

sH = 15 m + 15 m + 11 m + 4 m = 45 m

im linken Teil des Diagramms wird eingezeichnet.

Abgelesen nach rechts ergibt sich tÜ ≈ 15 s und sL ≈ 205 m. Der gesamte Überholweg ist dann etwa

sÜ = sH + sL = 45 m + 205 m = 250 m.

Die notwendige Sichtweite

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IMAGO, Scholz

Die Berechnungen mit einem Tabellenprogramm (MS Excel).

Eine gefahrlose Überholung setzt auf schmalen Straßen eine Sichtweite von mindestens der Summe von Überholweg und dem von einem entgegenkommenden Fahrzeug während des Überholens zurückgelegten Weg voraus.

In unserem Beispiel fährt der entgegenkommende Pkw mit 110 km/h, der überholte Pkw mit 70 km/h.

sH = s1 + s2 + l1 + l2 =

35 m + 50 m + 5 m + 5 m = 95 m (Sicherheitsabstand = halber Tachowert)

Annahme: Überholer fährt 100 km/h.

tU = 3,6 • sH : vH – vL = 3,6 • 95 : (100) – 70 = 11,4 s

sU = tU • vH : 3,6 = 11,4 • (100) : 3,6 = 317 m

sentg= tUventg _ 3,6 = 348 m

Es ergibt sich eine Mindest-Sichtweite von

317 m + 348 m = 665 m.

Umfrage
Können Sie den Überholweg richtig einschätzen?
29 Mal abgestimmt
Ja, ich weiß wie viele Meter ich dabei ungefähr zurücklege.Manchmal dauert der Überholvorgang doch länger als gedacht.

Fazit

Unfälle beim Überholen passieren häufig, weil der Weg dafür falsch eingeschätzt wird. Um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie viele Meter bei welcher Geschwindigkeit nötig sind, gibt es Formeln, um den Überholweg zu berechnen.

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AUTO MOTOR UND SPORT 11 / 2024
AUTO MOTOR UND SPORT 11 / 2024

Erscheinungsdatum 08.05.2024

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