Alfa Romeo Giulia Veloce, BMW 330i
Deutsche Gründlichkeit gegen Grandi Emozioni

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Deutsche Gründlichkeit gegen grandi Emozioni – eine Floskel, ja, aber auch die optimale Zusammenfassung für dieses Duell. Alfa Giulia und BMW 330i sind charakterlich total verschieden. Ein Leid jedoch teilen sie sich.

Alfa Romeo Giulia Veloce, BMW 330i, Exterieur
Foto: Rossen Gargolov

Das Ständchen für den Alfa kommt unerwartet, dafür fulminant: Zwischen Staumeldungen und Reklameterror Marke Seitenbacher legt Alicia Keys los: „Girl on Fire“, ein Song wie gemacht für die Giulia Veloce – zu Deutsch: Julia Schnell.

Zugegeben, als der Überschwang musikalischer Emotionen verflogen war, haben wir noch mal überlegt, ob die Assoziation mit dem heißen Mädchen nicht etwas weit hergeholt ist für die Mitte der Mittelklasse. Und ob wir sie uns nicht besser aufsparen sollten für eine andere Julia, für die mit 510 PS und dem Quadrifoglio auf der Wange. Doch dann guckst du dich noch mal um, lenkst zweimal ein, drehst einmal hoch und denkst: Nö, das passt schon ganz gut, was die gute Alicia da trällert.

Unsere Highlights

Der BMW würde sich jedenfalls ganz schön ins Zeug legen müssen, um daneben nicht dazustehen wie Lieschen Müller in Kittelschürze und Birkenstocks. Wobei: Vielleicht kommt der Reiz beim neuen Dreier ja von innen. Also von ganz innen, aus der Technik-Unterwäsche. Endlich mal wieder. BMW hat während der Präsentationsphase der siebten Generation (G20) jedenfalls keine Gelegenheit ausgelassen, um zu betonen, dass die deutlich dynamischer werde als ihr Vorgänger. Der hatte – von den M-Modellen abgesehen – zum sportlichen Ruf der Baureihe zuletzt nämlich nur noch wenig beizutragen, kassierte stattdessen eine Testniederlage nach der anderen: gegen Audi, gegen Mercedes, gegen die eigenen Ansprüche.

Zur neuen Saison steht nun aber ein anderer 3er auf dem Platz. Ein leichterer, mit abgesenktem Schwerpunkt, breiterer Spur, steiferer Karosserie und einem Fahrwerk, das die Vorteile der hervorragenden Achslastbalance von 50,7 : 49,3 Prozent wieder in Zählbares verwandeln soll. Aha, denkst du dir, steigst ein, guckst auf das schräge Instrumentendisplay, fährst los, suchst, wo die großen Töne herkommen könnten.

BMW 330i, Exterieur
Rossen Gargolov
Die Stimmung passt wieder zur Erwartungshaltung. Man sitzt tiefer als zuletzt, der Fahrbahnkontakt des optionalen M-Adaptivfahrwerks ist überraschend unverblümt, Aktion und Reaktion sind enger zusammengerückt.

Und siehe da: Im Gegensatz zum F30, der einem zuletzt schon recht pomadig vorkam, passt die Stimmung hier nun wieder zur Erwartungshaltung. Man sitzt tiefer als zuletzt, der Fahrbahnkontakt des optionalen M-Adaptivfahrwerks ist überraschend unverblümt, Aktion und Reaktion sind enger zusammengerückt, und auch der Hinterradantrieb (optional mit Sperre) weiß durchaus auf sich aufmerksam zu machen – immer vorausgesetzt, man legt es darauf an.

Sobald man lockerlässt, von der Landstraße in den Alltag einbiegt, gleitet der BMW jedoch ein Stück weit Richtung Mainstream ab. Auf einmal kriecht Synthetik ins Auto, und man bekommt dieses schummrig-dynamische Fahrgefühl, das sich fast ein bisschen nach Audi A4 anfühlt. Will sagen: Wer seinen Dreier so benutzt, wie ein Dreier in 99 Prozent der Fälle benutzt wird, der kriegt leider nicht viel mit von der Einzigartigkeit seiner Anlagen. Zumal der Motor mittlerweile eben auch nur noch einer unter vielen ist. 330i und Vierzylinder. Ich weiß nicht, wie’s Ihnen geht, aber ich finde, das beißt sich nach wie vor.

Charakter kann überleben

Keine Frage, der langhubige Zweiliter mit 258 PS und 400 Nm ist einer der besten Turbomotoren, die es derzeit gibt. Breitschultrig, energisch und geradezu sensationell im Ansprechverhalten seines Twin-Scroll-Laders. Ein Zucken im Fuß, zack, schon kommt der Ladedruck. Bloß rüber, rüber kommt halt nix. Oder seien wir fair: wenig. Immerhin steht der Motor zu dem, was er ist, versucht, nichts nachzulallen, klingt stattdessen unverkennbar vierzylindrig. Hell, quirlig, mit diesem leicht wimmernden Unterton, den auch das eingespielte Grummeln im Sport-Modus nicht hübscher macht.

Schon klar, Früher-war-alles-besser-Gejammer bringt nichts. Gestern ist heute schon vorbei und wird morgen auch nicht wiederkommen. Allerdings zeigt Alfa mit der Giulia, dass Charakter die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts durchaus überleben kann. Für Signora Veloce gelten dieselben Gesetze, dieselben Repressalien. Und: Sie kocht sogar mit denselben Zutaten: zwei Liter Hubraum, vier Zylinder, ein Turbo, acht Automatikgänge. Trotzdem kam am Ende ein Auto dabei heraus, das einem nun so ein bisschen wie der letzte Wurstzipfel im Gemüseeintopf vorkommt.

Alfa Romeo Giulia Veloce, Exterieur
Rossen Gargolov
Zwei Liter Hubraum, vier Zylinder, ein Turbo, acht Automatikgänge: die Giulia Veloce kocht sogar mit denselben Zutaten wie damals.

Einen Teil des würzigeren Gesamteindrucks bekommt man sicherlich vom Styling eingesungen, ein weiterer rührt daher, dass einem die liebe Julia den Arbeitsplatz schon besonders geschmackvoll hergerichtet hat. Analoginstrumente in Höhlen, weit umlaufende Schaltpaddel, ein schlankes Lenkrad mit Startknopf und schönen Grüßen aus Maranello. Doch selbst wenn man all das ausblendet, sticht noch immer einiges heraus. Die Lenkung zum Beispiel, die es trotz minimaler Stellkräfte hinbekommt, dass du einen direkten Draht zu den Vorderrädern hast. Und auch der Motor erzeugt mehr als schnöden Vortrieb. Zwar ist der 280 PS starke, 400 Nm kräftige Langhuber noch am Packen, während der BMW bereits mit stolzgeschwellter Brust vom Gipfel herunterwinkt, dafür entwickelt die Giulia viel mehr Zunder oben raus. In anderen Worten: Der BMW predigt Drehmoment, der Alfa feiert Leistung.

Und die Getriebe stimmen in die jeweilige Tonalität mit ein. Hüben die perfektionistische Gebetsmühle in Gestalt der Sportautomatik, die einem die Gänge heimlich unterjubelt, drüben der Zampano, der langsamer schaltet, im Sport-Modus aber mit mehr Wums.

Ein enges Rennen – bis zum Bremsen

Objektiv? Der stärkere, aufgrund des Allradantriebs 63 kg schwerere Alfa sprintet schneller, der BMW turnt flinker um die Hütchen, in der Elastizität geht’s hin und her. Ein enges Rennen also – bis es ans Bremsen geht. Hier verliert die Giulia dann auf einen Schlag massiv an Boden, was den Turiner Ingenieur, der die Messprozedur durch seine dunkle Sonnenbrille verfolgt, aber nicht großartig zu überraschen scheint. Seltsames Pedalgefühl? „Si, si!“ Über 37 Meter von 100 bis 0? „Va bene!“ Wie, va bene? Überhaupt gar nicht so bene, eigentlich!

Das Problem? Liegt in der Balance. Weniger in der Balance der Brake-by-Wire-Anlage, vielmehr in der des Fahrwerks, konkret: in dessen Unfähigkeit, das Einsetzen der Bremskraft abzufangen. Statt sich wie der 330i während der gesamten Verzögerungsphase mit allen vieren auf den Boden zu pressen, federt das Heck des Alfa im Moment des Zubeißens recht weit aus. Folge: Die Bremswirkung kippt nach vorn, die Unterstützung der Hinterachse reißt aus.

Wenig hilfreich sind in diesem Zusammenhang auch die Bridgestone-Reifen. Sie sind den aufpreispflichtigen Michelins des BMW im Gripniveau deutlich unterlegen und würden sich – so unsere einhellige Vermutung – daher wohl auch negativ auf die Rennstrecken-Performance auswirken. Doch so weit sollte es gar nicht kommen.

Hindernislauf in Hockenheim

Normalerweise ist eine Rundenzeit ein Kraftakt. Fahrer, Fahrwerk, Antrieb – alle knien sich rein, um das Maximum aus sich und dem jeweils anderen herauszuholen. Mit diesen beiden ist Fahren am Limit jedoch eher ein Geschicklichkeitsspiel, oder besser: ein Hindernislauf um die Steine, die einem die ESP-Systeme in den Weg legen. Der Alfa geht dabei auf Nummer bombensicher. Einlenken darf man noch, danach fährt man buchstäblich vor eine Wand. Patsch. Kraftentfaltung blockiert, Ofen aus. Das Girl on fire? Ausgelöscht!

Dem BMW grätscht die Elektronik nicht ganz so früh und nicht ganz so rabiat dazwischen, die Auswirkungen für ihn sind allerdings gravierender. Denn im Gegensatz zur Giulia, der man selbst unter dem Pantoffel ihrer Regelsysteme anmerkt, dass sie am liebsten über die Vorderräder davonlaufen möchte, hätte der neue Dreier die Qualität, auf der Strecke zu brillieren. Die M-Sport-Bremse hält tapfer durch, der Motor steht trotz der Bullenhitze immer voll im Saft, das Handling sprüht vor Tatendrang. Botschaft: Schaut her, ich bin’s wieder, der Dreier, Euer Dreier! Doch kurz bevor man die Rehabilitation seiner Sportlichkeit verbriefen und versiegeln möchte, wird auch ihm die Querdynamik ausgeknipst. Immerhin: Dank Online-Entertainment bekam auch er noch sein Ständchen gespielt. Was wir ausgesucht haben? Joe Cocker mit „Unchain my Heart“.

Fazit

Den Umgang mit eigensinnigen ESP-Reglungen sind wir inzwischen gewohnt. Selten jedoch war ihr Einfluss so weitreichend wie hier. Der Alfa wird von seiner Elektronik derart gegeißelt, dass sein an sich so fröhliches Handling auf der Strecke komplett zum Erliegen kommt. Kaum besser der BMW: Er rettet zwar mehr Momentum ums Eck, bleibt aufgrund seiner sportlicheren Anlagen am Ende aber sogar noch weiter hinter seinen Möglichkeiten zurück. Den Test gewinnt er dennoch easy, wobei die eklatanten Unterschiede im Alltag zusehends verschwimmen. Hier ist die Giulia der heißere Feger. Sie fühlt sich realer an, lenkt fetziger, während der 330i eher effektiv als erotisch rüberkommt.